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Das Schokoladenpapierchen

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13.04.2015
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Das Schokoladenpapierchen

Opa Norbert stand vor der Haustür des mehrstöckigen Miethauses. Seine Enkeltochter Julia kramte ein Stückchen Schokolade hervor. Der Opa hatte es ihr in der Eisdiele gegeben. Während er die Tür aufschloss, wickelte sie genüsslich die Leckerei aus. Sie naschte so gerne. Das süße Kügelchen verschwand im Nu im Mund und die Schokolade schmolz auf ihrer Zunge.

Im Hausflur roch es muffig. Die Tür fiel ins Schloss. Der Opa zeigte in Richtung der Wand: „Das Papier kannst Du da reinwerfen.“ Julia fragte: „Wo?“ „Na, da in den Papierkorb für die Werbung.“ Die Dreijährige tänzelte und warf tüchtig, verfehlte jedoch den Behälter. Das Schokoladenpapier flatterte auf den Boden. „Oh - das musst Du aber aufheben“, legte der Opa sich fest. Julia zog eine Schnute und maulte: „Keine Lust.“ Der Opa blieb demonstrativ stehen, deutete auf das bunte Einwickelpapier und klagte: „Aber, wie sieht das denn hier aus?“ Das war zu viel für Julia. Sie antwortete nicht mehr, sondern lief schnurstracks davon und versteckte sich hinter der Treppe. Es war still im Hausflur, von draußen drang etwas Straßenlärm herein.

Da hatte Norbert es erneut, das Problem. Einmal in der Woche, am Opa-Tag, holte er seine Enkeltochter aus der Kita ab. Er liebte es, zwei Stunden mit ihr allein zu sein. Aber, wie waren diese Probleme mit einem Kleinkind zu lösen? Oder im Vorfeld zu vermeiden? Wie war das damals mit seinen eigenen Töchtern gewesen? Entweder hatte er sich damals noch nicht so viele Gedanken gemacht, oder es inzwischen vergessen. Es war ein kleiner Riss in seiner, sonst so heilen, Welt.

Letztens waren sie auf dem Spielplatz. Julia hatte schon eine Weile geschaukelt und dann war ein Mädchen dazu gekommen. Norbert hatte seiner Enkeltochter gut zugeredet: „Lass das Mädchen auch mal ran.“ - Julia klammerte sich an die Kette. „Du hast schon so lange geschaukelt.“ - sie saß wie festgenagelt auf dem Schaukelbrett. Das andere Mädchen wollte unbedingt schaukeln. Es hatte sooo lange gewartet und weinte nun. Seine Enkeltochter wiederum wollte um jeden Preis ihre Schaukel behaupten. Sie weinte jetzt auch. Daneben die Mutter des Mädchens, vorwurfsvoll auf die Szene blickend. Das war nun das Ergebnis, weil Norbert es probiert hatte, den Konflikt auszuhalten. Er hatte Julia nicht mit Gewalt von der Schaukel pflücken oder eine Wenn-Dann-Drohkulisse aufbauen wollen. Zum Glück für alle Beteiligten hatte Julia sich schließlich von der Schaukel fallen lassen und war davon gerannt.

Norbert hatte die Trotz-, oder wie man heute besser sagt, Autonomiephase gegoogelt. Sie sei ein wichtiger Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Selbstständigkeit der Kinder. Ihre Wünsche und Vorstellungen sind, wenn möglich, zu respektieren. Bei einem Machtkampf zwischen Erwachsenen und Kindern gibt es keine Gewinner. Eltern sollten vorausschauend handeln ...

Zurück in den stillen Hausflur. Eine Minute war vergangen. Weder der Opa noch seine Enkeltochter rührten sich. Julia wurde es langweilig hinter der Treppe. Aber zum Opa wollte sie nicht heraus. Der Opa versuchte, Bewegung in den Konflikt zu bringen. Er ging ein paar Schritte auf der Stelle. Leiser werdend ließ er die Schuhe klappern, als würde er sich entfernen. Julia dachte verwundert: „Geht der Opa weg?“ Sie kam aus der Ecke hervor, um nachzusehen. Sie sah ihren Opa immer noch an der gleichen Stelle stehen, blieb neben der Treppe und schmollte weiter.

Ein typisches Problem war auch die Anzieh-Prozedur beim Abholen in der Kita. Julia hatte mit verschränkten Armen trotzig auf der Bank gesessen. Den hochroten Kopf tief gesenkt. Tränen der Wut tropften auf den Boden. Sie widersetzte sich allen Versuchen, angezogen zu werden. Ihr gegenüber der hilflose Norbert, der nicht wusste, wie es nun weiter gehen sollte. Er sah der Erzieherin dankbar bei ihrer Konfliktlösung zu. Sie hockte sich vor das kleine Mädchen, sprach unentwegt auf sie ein, machte ihr immer wieder Angebote sich selbst anzuziehen und half ihr dabei. Ohne Punkt und Komma sprechend hatte sie das Mädchen bald fertig zum Losgehen. Er hatte sich diese Lösungsvariante, ein wenig herablassend, als Tot-Quatschen gemerkt.

Nur, wie sollte es jetzt hier im Hausflur weitergehen? Der Opa und Julia standen sich, mit einigen Metern Abstand, gegenüber. Einen Fuß vor den anderen setzend, als würde er die Strecke mit seinen Füßen ausmessen, bewegte der Opa sich mit Trippelschritten auf Julia zu. Sie tat es ihm nach, kam dem Opa entgegen, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Dann waren sie aneinander vorbei. Plötzlich rannte sie, wie ein Wirbelwind, zu dem Schokoladenpapierchen, hob es auf und schmiss es in den Papierkorb. Der Opa ging zu ihr. Er lobte Julia überschwänglich: „Das hast Du super gemacht! Vielen Dank!“ Er nahm die kleine warme Hand. Ohne jede Verstimmung stapften die beiden die Treppe nach oben.

Das Problem des heruntergefallenen Schokoladenpapiers war gelöst. Norbert, stolz auf die Lösung, dachte: „Endlich mal geschafft!“ Julia dagegen freute sich, am Ende der Treppe endlich die Wohnungstür zu öffnen und zu ihrer kleinen Schwester zu kommen: „Was macht Clara?“


Vielen Dank an GoMusic, nastroazzurro, Fliege, gerthans und florativ für ihre hilfreichen Kommentare zur ersten Version der Geschichte Opa-Tag.

 

Hallo oheim,

die neue/geänderte Geschichte gefällt mir viel besser ☺

Ich finde es gut, wie du, während die Szene im Hausflur läuft, die Rückblenden zum Spielplatz und zur Anziehprozedur machst.

Zurück in den stillen Hausflur. & Nur, wie sollte es jetzt hier im Hausflur weitergehen?

Sehr schöne Szenenwechsel

Bei den wörtlichen Reden würde ich die allgemein üblichen Zeilenwechsel einsetzen:

Der Opa zeigte in Richtung der Wand: „Das Papier kannst Du da reinwerfen.“ Julia fragte: „Wo?“ „Na, da in den Papierkorb für die Werbung.“ Die Dreijährige tänzelte und warf tüchtig, verfehlte jedoch den Behälter. Das Schokoladenpapier flatterte auf den Boden. „Oh - das musst Du aber aufheben“, legte der Opa sich fest.

Der Opa zeigte in Richtung der Wand: „Das Papier kannst Du da reinwerfen.“
Julia fragte: „Wo?“
„Na, da in den Papierkorb für die Werbung.“
Die Dreijährige tänzelte und warf tüchtig, verfehlte jedoch den Behälter. Das Schokoladenpapier flatterte auf den Boden.
„Oh - das musst Du aber aufheben“, legte der Opa sich fest.

Es war still im Hausflur, von draußen drang entfernter Straßenlärm leise herein.

Diesen Satz finde ich „unrund“. Vielleicht hört es sich so besser an?
Es war still im Hausflur, von draußen drang leise entfernter Straßenlärm herein.

„Dass hast Du super gemacht! Vielen Dank!“
„Das hast ...“

Wie war das damals mit seinen eigenen Töchtern gewesen?

Hier fände ich es schön, wenn darauf mehr eingegangen würde. Und selbst der Hinweis, dass er sich z.B. nicht mehr daran erinnern sollte.
Du vergibst hier womöglich das Potenzial für eine schöne Randbemerkung bzw. einen Vergleich zu früher.

Ansonsten sehr schön.

Viele Grüße,
GoMusic

 

Hallo Oheim,

die Version ist um Längen besser als die alte!

Ähnlich GoMusic fände ich eine Bezug und Vergleich auf früher nicht übel.

Ansonsten ist das ein ausbaufähiges Thema. Die heutigen Kinder sind in der Regel überbehütet, Unternehmungen folgen auf Unternehmungen, kein Platz für Langeweile und damit Kreativität, das Smartfone tut sein Übriges.

"Ohne jede Verstimmung stapften die beiden die Treppe nach oben.", schreibst Du. Aber langsam glaube ich, wir sollten die kleinen wiedermal öfter verstimmen ...

Da reinzugehen ist allerdings Thema vieler Sachbücher, weiß nicht, ob sich daraus eine leidlich gute KG fabrizieren lässt.

Grüße, nastro.

 

Hallo GoMusic,
Hallo nastro,

vielen Dank für Eure Anerkennung :)

  • "Dass" -> "Das" ist korrigiert
  • zur Vergangenheit, habe ich 2 Sätze zu dem Absatz angefügt
  • Zeilenwechsel für die wörtliche Rede habe ich probiert, mag ich aber nicht. Für mich sind Absätze wichtig und ich finde die gehen dann kaputt.
  • "Es war still im Hausflur, von draußen drang entfernter Straßenlärm leise herein." ist für mich auch unrund, habe ich nicht wirklich etwas besseres im Moment.

Herzliche Grüße
oheim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Oheim,

Die Geschichte gefällt mir. Oftmals musste ich beim Lesen schmunzeln. Erinnerungen wurden wach an die Zeit, als unsere Töchter und Enkelkinder im Alter von Julia waren. Übrigens, eine Enkelin von uns heisst auch Julia.
Damals hatten wir noch nicht die Möglichkeit im Internet über die Trotzphase zu googeln. Manchmal standen wir wie der Esel am Berg und wussten nicht, wie wir uns verhalten sollten, besonders wenn es in der Öffentlichkeit zu solchen Szenen kam, wie Du sie wunderbar beschreibst.

Die Stelle finde ich lustig, wo Opa an Ort einige Schritte machte, um Julia hervorzulocken. Und wie sie dann aus der Ecke hervorkam, um nachzusehen wo Opa ist.

Und den Schluss der Geschichte im Hausflur, finde ich natürlich auch super, als Opa und Julia mit Trippelschritten aufeinander zugingen und das Schokoladenpapier schlussendlich doch noch im Papierkorb landete.

Sehr gern gelesen.
Alles Gute wünscht Dir
Marai

 

Hallo Marai,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich schicke Dir gerne einen weiteren Schnipsel per direkter Nachricht.

Herzliche Grüße in die Schweiz
oheim

 

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