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Das Schwert im Eis
Gold in ungeheuren Mengen hatte uns Tjore der Zwerg versprochen. Wir, gierig nach Reichtum und der damit verbundenen Hoffnung auf ein sorgloses Leben waren ihm bereitwillig gefolgt. 24 Männer und Zwerge, die nichts weiter besaßen als eine zerbeulte Rüstung und eine schartigen Waffe. Sogar ein heruntergekommener Magier war mit gekommen. Sein Stab, abgeschlagen, und Krumm, daß ich ihn nicht einmal als Wanderstecken verwendet hätte, versuchte verzweifelt mit der magischen Spitze den Weg auszuleuchten. Nach zwei endlosen Wochen des Herumirrens, in denen wir nichts fanden außer ein paar Kohlebrocken und Höhlenmolchscheiße blieb Tjore plötzlich stehen. Der Zwerg starrte ratlos auf die gefurchten Höhlenwände von denen Wasser lautlos in breiten Strömen herunterrann und irgendwo unter unseren Schuhen wieder versickerte. Am Boden breiteten sich unzählige Wasserpfützen aus, unter denen tiefe Gräben lauerten, die jeden verschlangen, der unvorsichtigerweise hinein stieg. Mindales stützte sich mehr auf seinen Stab, als er ihn fest hielt und ich dachte „Nur nicht das Licht ausgehen lassen.“
„Der Gang da“, sagte Tjore und deutete mit seinen kurzen Armen energisch zur Seite. „Er ist kalt.“
Ich sah ihn mißtrauisch an. Der Zwerg hatte sich definitiv verirrt, würde es aber nie zugeben. War es ein Ablenkungsmanöver?
Die allesdurchdringende Feuchtigkeit war bis unter meinen Unterrock gedrungen und der Gedanke, daß es jetzt auch noch kalt werden würde ließ meinen klammen Mut noch weiter einfrieren.
Mindales reichte mir wortlos seinen Stab, und ich tastete mich an der Spitze der Kolonne in den Tunnel. Voraus erschien nur ein bewegungsloses Funkeln, wie von Diamanten. Wenn das eine Ader war, würde ich nie wieder mit einer Gruppe von entkräfteten, schmutzigen Kameraden in verlassenen Tunneln herumkriechen müssen.
"Ich glaube, da vorne ist etwas", teilte ich meinen Kameraden mit.
"Ein Schatz?" Fragte Koren mein zuverlässigster Kämpfer. Sein Bart und Haar waren fast vollständig ergraut, doch das Gesicht strahlte noch immer Härte und Entschlossenheit aus. In seinen besten Jahren hatte er Söldner ausgebildet, doch seine Armee wurde von Barbaren aufgerieben und jetzt war dieses Abendteuer die letzte Hoffnung, sein Glück wiederzufinden, bevor ihn das Alter niederdrückte. Plötzlich wurden meine Hände klamm. Und das Funklen entpuppte sich als schlangenartiges Eismuster, daß die Wände langsam einhüllte. Die Temperatur sank Schritt um Schritt, bis sie wie ein eisiger Wind in meinem Gesicht stach. Meine Zehen wurden völlig gefühllos während sich aus den zierlichen Eisschlangen baumdicke Stränge entwickelten.
Obwohl die Kälte von jetzt an nicht mehr zunahm, machte sie uns zusehends zu schaffen.
Gerade als Koren mich fragte, ob ich mir alle Zehen abfrieren wollte, tauchte vor uns eine Eiswand auf. Erstaunt blieben wir stehen, denn sie war so rein und klar, daß ich beinahe in sie hinein gerannt wäre.
"Langsam wird mir wärmer", murmelte Koren; "Dahinter ist was." Tatsächlich erweiterte sich dahinter der Gang zu einer Höhle in der schemenhaft Eisstalagmitten zu erkennen waren.
"Kannst du uns durchbringen?" Fragte ich Mindales. Er erschien mir schon zu schwach zum Sprechen. Aber Magier konnten auf ihre Weise genauso stark sein, wie Krieger.
Leise begann er eine Beschwörung zu singen, während er mit den Fingern ein leuchtendes Tor in die Luft malte. Als Mindales den Zauber beendet hatte, taumelte er zurück in meine Hände, hatte aber dann doch noch so viel Kraft, alleine durch das Tor zu gehen. Schnell folgten wir ihm und standen auf der anderen Seite der Eiswand.
Eisspitzen, halb von Mindales Licht beleuchtet, ragten wie gigantische Säulen nach oben, wo sie entweder in der Dunkelheit verschwanden oder girlandenartige Bögen bildeten. Am Boden erstreckten sich Pfützen aus Eis, die so rein waren, daß ich tasten mußte um mich zu überzeugen, daß es festes hartes Eis war. An der Wand ragten verschnörkelte Eisgebilde wie von einem Bildhauer hervor, daß uns für einige Minuten nur der Mund offen blieb. Daneben gab es noch Obelisken wie aus einem einzigen Kristall und Eiszapfen, die sich zu märchenhaften Türmen verzweigten. Noch nie hatte sich ein so überwältigender Anblick unseren Augen dargeboten.
Unser Staunen wurde jedoch jäh unterbrochen, als das Licht an der Spitze von Mindales Stab anfing zu flackern und der hagere Magier uns einen erschrockenen Blick zuwarf.
„Magie“, flüsterte er. Er ging ein paar Schritte nach vorne, griff in seinen unter der Robe verborgenen Beutel und holte etwas heraus, von dem er nicht wollte daß wir es erkannten. Für einen Moment ging das Licht aus.
„Fackeln“, flüsterte ich.
Nach mehreren Versuchen flammte endlich ein Span auf und als die Fackel brannte, sah ich Mindales vor mir. Er hatte eine warme Decke um sich geschlungen und saß auf seinem Rucksack am Boden.
"Die Magie ist überall und sie ist zu mächtig für mich. Ich muß mich jetzt ausruhen.“
„Gefällt mir gar nicht“, flüsterte Koren und sah sich um.
Etwas war anders hier. Die Kälte, begnügte sich nicht, einen von außen einzufrieren, sie schien hier vielmehr von innen zu kommen und selbst das Licht gefror und wurde schwächer.
„Durchsuchen“, grummelte Tjore, während der Rest zwischen Gier und Furcht schwankte. Die Gier siegte, und am Ende waren alle überzeugt, daß wir uns von ein paar Funken Magie nicht abschrecken lassen durften und außerdem schlief unser Magier inzwischen tief und fest.
„Ein Spähtrupp, und der Rest bleibt hier“ sagte ich und nahm drei Männer mit, von denen ich glaubte, sie sein weniger Hitzköpfig als der Rest.
Bald hüllte uns eisige Dunkelheit ein.
Angestrengt betrachtete ich die Fackel in meiner Hand. Das Flackern der Flamme war langsamer als vorher.
„Ob hier ein weißer Drache lebt?“ fragte Zivern, der so häßlich war, daß man ihn für einen Ork halten konnte.
"Was ist das?" entfuhr es plötzlich Tjore, der neben mir ging.
Wir starrten erstaunt auf die glitzernde Statue vor uns. Eine naturgetreue Nachbildung eines Kriegers aus Eis stand regungslos auf einer eisfreien Fläche und das Fackellicht schien durch ihn hindurch. Sogar die Wimpern waren aus feinen Eisnadeln nachgebildet worden. Eine Hand trug einen Schild und in der zweiten hielt er ein zum Schlag erhobenes Breitschwert.
"Ist ja verrückt!" meinte Balthasar, ein glückloser Pirat, der seinen Krummsäbel zückte und damit leicht auf die Schulter des Kriegers stieß. "Irgendwer versucht sich hier als Eisbildhauer."
Ich blickte weiter voraus in die Dunkelheit, wo noch weitere Skulpturen zu stehen schienen. Automatisch fuhr meine Hand an den Schwertknauf, doch die Schatten bewegten sich nicht.
"Da vorne sind noch mehr!" rief Balthasar
Inzwischen hatte Tjore den ersten Krieger genauer untersucht.
"Er greift sich gar nicht wie Eis an. Er ist kalt, aber das Eis schmilzt nicht, wenn man die Finger drauflegt."
Ich wandte mich wieder um legte meine Hand auf die Oberfläche der Eisfigur. Weder fror sie an, noch brachte sie die Oberfläche zum Schmelzen.
"Es fühlt sich fast lebendig an"; murmelte Balthasar.
Ich machte mir Gedanken um denjenigen, der diese Krieger hier festgefroren hatte und was er wohl mit uns tun würde, wenn er uns fand.
"Komische Sache", sagte ich schließlich. "Sehen wir uns den Nächsten an."
Vor uns tauchten immer neue, mitten in einer Bewegung eingefrorene, Eiskrieger im Lichtkreis der Fackel auf. Irritiert bemerkte, ich, wie klein der Lichtkreis war und dann, daß die meisten Krieger in eine bestimmte Richtung blickten.
Die Masse der Eiskrieger verdichtete sich gegen Ende der Höhle hin zusehends, als ob sie alle auf irgend etwas oder irgendjemanden zugelaufen wären. Genau diese Stelle, auf die sie zuliefen, sah ich nun auch und verstand.
Am Ende der Höhle saß eine Prinzessin auf ihrem Eisthron. Ich kann sie kaum beschreiben. Sie saß da, und ich wußten sofort, daß sie die schönste Frau der Welt war. Mein Herzschlag setzte aus. Ein gewaltiger Strudel erfaßte meine Gedanken und zog sie unaufhaltsam zu ihr.
"Ein Wahnsinn!" bekräftigte Koren hinter mir.
Ihr Gesicht wirkte huldvoll und gleichzeitig faszinierend fremdartig. Obwohl sie vollkommen aus Eis bestand, erschienen mir ihre Augen so blau wie ein tiefer Bergsee. Normalerweise sollte eine Prinzessin ja lange blonde Haare haben. Ihres war jedoch kurz geschnitten und reichte gerade bis zum Nacken, was ihre Schönheit aber nur noch mehr betonte. Zuerst hatte ich geglaubt, sie wäre vollkommen nackt, doch dann erkannte ich, daß sie ein eng anliegendes dünnes Kleid trug. Die Schultern waren unbedeckt, und die Haut erschienen mir weiß, obwohl sie vollkommen durchsichtig war. Von ihren nackten Armen, die würdevoll auf den Thronlehnen ruhten, wanderte mein Blick über ihren grazilen Körper. Sie saß mit leicht erhobenem Kopf und tat, als lauschte sie jemandes Bericht. Am Rande meines Blickfeldes bemerkte ich einen Krieger vor ihr knien, der eine Botschaft zu übermitteln schien. Meine Augen streiften ihn aber nur kurz, denn ich konnte mich einfach nicht von ihrer elfenhaften Gestalt losreißen.
Wie in Trance stieg ich zwischen den schweigenden Eisgestalten hindurch und verlor mich in ihrem zauberhaftem Gesicht. Sie lächelte, wobei sich kurze, zarte Falten in ihre runden Wangen gruben. Hätte sie gelebt, ich hätte nichts Anderes tun können, als vor sie hinzutreten und ihr stammelnd meine Liebe zu gestehen. Ihre Schönheit war fast unbeschreiblich. Sie wirkte zierlich, aber an ihren Oberarmen sah ich Ansätze von straffen Muskeln, die ihrem Körper eine perfekte, stolze Haltung gaben. Wo ich auch hinsah, ich bemerkte nicht den geringsten Makel. Ihre Arme, Beine, die Hüften, die Rundungen ihrer Brüste, das Gesicht. Sie war so perfekt, daß nur ein Bildhauer sie gleich einem Traumbild, dem sterbliche Frauen nur nacheifern können, es aber nie vollkommen erreichen, erschaffen hatte. Sie war so makellos wie eine Göttin.
Nach einem letzten Vorwärtsschritt war ich direkt vor ihr. Die Wand hinter ihr bestand aus einem einzigen, zerklüfteten Kristall, der sich über ihrem Kopf in unzählige Spitzen verzweigte deren Spitzen im Fackellicht glitzerten. Der Thron stand auf einem niedrigen Podest und es war mir leicht möglich, sie zu berühren. Zögernd glitten meine Finger auf ihre kristallklare Hand zu. Sie fühlte sich kalt an, aber die Kälte war nicht unangenehm. Ein leichter Schlag schien mich zu treffen. Ich konnte mich aber nicht weiter darüber wundern, den Balthasars Stimme riß mich von ihr los.
"Wenn die aus Fleisch wäre", lachte er hinter mir. Wie ein Blitz schoß meine Hand zurück. Für einen Augenblick glaubte ich, weit weg gewesen zu sein. In einer anderen Welt, in der alle glücklich waren und in der es weder Hunger noch Durst gab. Meine Gedanken kreisten noch ein wenig darum, ob sie wohl lebte und von einem bösen Magier verzaubert worden war, klärten sich schließlich aber wieder. Ich erkannte, daß ich begonnen hatte, von etwas zu träumen, das nie sein würde und trat zurück. Dabei stolperte ich beinahe über etwas auf dem Boden.
Es war ein durchsichtiges Schwert aus Eis.
Da ich die ganze Zeit in das Gesicht der Prinzessin gestarrt hatte, war mir natürlich keine Zeit geblieben, auf den Boden zu sehen, und ich war einfach darüber hinweggestiegen. Gedankenlos, immer noch von ihrer Schönheit verwirrt, nahm ich es an mich. Wieder war es, als träfe mich ein leichter Schlag. Die drei anderen waren inzwischen ebenfalls durch die Masse der Eiskrieger hindurchgeklettert und starrten fröstelnd auf die Prinzessin, während ich die Kälte überhaupt nicht mehr spürte.
"Je näher man zur Prinzessin geht, um so kälter wird es. Wie hältst du das aus?“ fragte Zivern.
Ich zuckte mit den Schultern und ging zu ihnen zurück.
"Was ist mit dem Schwert?" fragte Koren und deutete auf das Eisschwert, wie ich es inzwischen getauft hatte.
"Keine Ahnung", antwortete ich, "Es ist einfach dagelegen."
Eine gründliche Suche nach weiteren liegengelassenen Eisschwertern oder ähnlichem brachte zum Leidwesen der anderen, die auch gerne so ein Schwert gehabt hätten, aber nichts. Ich probierte es vorsichtig in einem Scheinkampf zwischen mir und Balthasar aus. Es sah zwar aus wie Eis, war aber härter als Stahl. Während Balthasars Schwert eine Scharte erlitt, war die Schneide des Eisschwertes makellos wie zuvor.
„Ich bin ganz erfroren“, sagte Zivern. „Gehen wir zurück und holen die anderen, bevor ich anfriere."
Tjore schüttelte energisch den Kopf und zerrte an einer Statue.
"Sie bewegen sich überhaupt nicht. Nicht einen Fingerbreit. Wenn wir nur eine mitnehmen könnten. Sicher zahlt dafür jemand einen Haufen Gold.“
"Gehen wir zu einem der hinteren und versuchen ihn aufzuheben"; schlug Balthasar vor.
Alle waren einverstanden und machten sich eifrig ans Werk, doch der Eiskrieger war regelrecht am Boden fest gefroren. Zu viert warfen wir uns gegen ihn, zerrten an Seilen und versuchten ihn aufzuheben. Alles war umsonst. Zivern fing schließlich wütend an, mit dem Schwert auf ihn einzuschlagen. Anfangs nur leicht, dann aber, nachdem diese Schläge keine Wirkung gezeigt hatten, mit voller Wucht, bis ich ihm befahl, aufzuhören. Seine Waffe hatte nicht den kleinsten Kratzer im Eis hinterlassen.
Ohne den Eiskrieger, und was viel betrüblicher war, ohne die Eisprinzessin, kehrten wir zu den anderen zurück. Diese ließen sich allesamt, nicht davon abhalten nach vorne zu laufen und dort überall nach verborgenen Türen zu Schatzkammern oder ähnlichem zu suchen.
Nur Mindales schlummerte seelenruhig vor sich hin. Keiner hatte es gewagt, den Schlaf des Magiers zu stören. Ich überlegte, ob ich ihn wecken sollte und zupfte an seiner Robe. Da er nicht darauf reagierte, ließ ich ihn schlafen, und setzte mich neben ihn. Ein angenehmes Schweregefühl breitete sich in meinen Armen und Beinen aus. Einer der Männer hatte seine Decke in der Eile einfach auf den Boden neben Mindales hingeworfen. Ich nahm sie und wickelte mich damit ein. Die Ordnung löste sich auf, und ich fand keine Kraft mehr, sie alle wieder einzusammeln. Wer weiß, ob wir überhaupt jemals wieder Tageslicht sehen werden, war einer meiner letzten Gedanken, bevor ich einschlief.
Heftiges Rütteln weckte mich. Für einen Moment wußte ich nicht, wo ich mich befand, doch dann erkannte ich Mindales Gesicht im Licht seines magischen Stabes und erinnerte mich wieder.
"Weißt du, was du da in der Hand hältst?" Ich sah ihn schlaftrunken an. Das Eisschwert hatte die ganze Zeit über in meiner Hand gelegen.
"Ein Schwert.“ sagte ich und drehte es in meiner Hand.
"Ein verzaubertes Schwert." korrigierte er mich. "Und du weißt sicher, welche Art Zauber auf ihm liegt."
"Ähm, nein." antwortete ich.
"Aha. Ich nämlich auch nicht. Es könnte dich in einen Troll verwandeln. "
Ich zeigte ihm meine Hände. "Tut es aber nicht.“
"Außerdem habe ich herausgefunden, daß die Höhle meine Magie schwächt. Sieh auf den Stab. Das Licht glimmt wie ein schwacher Funke, und dabei verwende ich meine gesamte Kraft.
"Hast du dir schon die Eiskrieger angesehen?"
"Ja. Unmöglich, festzustellen, was die sind. Alles was ich tue verbraucht meine Kräfte rascher. Und die Prinzessin selbst saugt meine gesamte Kraft weg. Es ist, als sehe ich in ein schwarzes Loch.“
„Wir haben alles durchsucht und nichts gefunden und ich weiß nicht, warum ich noch nicht angefroren bin. Wann gehen wir zurück?“ Unterbrach uns Koren
Mir war zwar überhaupt nicht mehr kalt, ich versprach ihm aber trotzdem, sobald wie möglich aufzubrechen.
"Übrigens würde es mich nicht wundern, wenn du es bis an dein Lebensende nicht mehr los wirst." sagte Mindales und betrachtete dann wieder mißtrauisch die leuchtende Spitze seines Stabes.
Ich hob das Schwert vor meine Augen. Gewiß hatte ich noch nie mit einer so ausgezeichneten Waffe gekämpft. Vor mich haltend drehte ich es hin und her. Obwohl es durchsichtig war, konnte ich die an der Oberfläche eingravierten Symbole erkennen. Zuerst wußte ich nicht recht, was sie darstellten. Dann erinnerten sie mich zusehends an zwei stilisierte kleine weiße Drachen, die ihren Odem in Richtung Schwertspitze ausspien. Jetzt bemerkte ich auch, daß der Griff aus ihren ineinander verschlungenen Schwänzen gebildet wurde und ihre Flügel die Parierstangen bildeten. Es war warm hier, bemerkte ich am Rande meines Bewußtseins. Und friedlich.
„Bist du erstarrt, oder was ist?“ drang Korens Stimme von weitem zu mir.
"Wir werden hier nichts mehr finden, und ich würde es begrüßen, wenn wir jetzt gehen würden, um einen warmen Schlafplatz zu suchen."
Ich stellte überrascht fest, daß sich alle bereits zum Abmarsch fertig machten.
„Ich komme gleich wieder zurück“, sagte ich zu Koren, schnappte mir eine Fackel und rannte noch einmal zur Prinzessin.
Sie und der Thron funkelten weit intensiver als die Eiskrieger. Der Unterschied war vergleichbar mit dem zwischen Diamanten und geschliffenem Glas. Als ich sie so betrachtet, sah es aus, als hätte sich ihr Lächeln verändert. Ihre Lippen, die sich in einem Anfall von Ärger zu kräuseln begannen, hatten vorher noch ruhig und entspannt gewirkt. Ich dachte in diesem Moment nicht weiter darüber nach, doch später ging mir diese Veränderung immer wieder durch den Kopf. Zärtlich strich ich zum Abschied über ihre Hand.
"Schade, daß du nicht lebendiger bist", sagte ich.
Obwohl zwei meiner Männer starben, hatten wir Glück gehabt überhaupt wieder raus zu finden. Der Ausgang fand sich in Form eines Sonnenstrahls, der durch ein halb zugewachsenes Loch in der Decke fiel. Mir war, als berührten die Sonne direkt mein Herz, erwärmte es mit ihrem Licht und vertrieb den Schrecken, der sich in den Höhlen darin eingenistet hatte, während Tjore nur sagte, daß er es ja gewußt hatte. Draußen wehte der Wind und spielte mit meinen langen, ungewaschenen Haaren.
Wir standen am Fuß eines grünen Hügels hinter dem schroff die Gipfel der Berge in den Himmel ragten. Während die anderen den Eingang wieder verschlossen, zeichnete ich auf der Karte – sie sollte in Zukunft Zwerge wie Tjore ersetzen- die Lage der Berggipfel ein, um wieder zurück zu finden.
Wir errichteten an Ort und Stelle ein Lager und ich schlief am Abend sofort ein. In meinen Träumen war ich wieder bei der Eisprinzessin. Es erschien mir wie der Himmel, doch dann riss mich etwas unsanft wieder in die Wirklichkeit zurück.
Eine Gruppe von Trollen kam direkt auf uns zu. Es waren häßliche, drei Meter große, behaarte, stinkende, grüne Wesen mit starken Klauen und spitzen Zähnen. Ihr grünes Blut verschloß ihre Wunden schneller, als man sie schlagen konnte. Während Mindales den ersten von ihnen mit Flammenpfeilen grillte, was gleichzeitig auch die einzige mir bekannte Möglichkeit war, sie dauerhaft zu beseitigen, mußten wir mit unseren Schwertern kämpfen. Drei Männer braucht es, wenn man eine Chance gegen einen Troll haben wollte. Verwirrt wie wir waren, hätte bereits einer genügt, um alle aufzufressen. Zum Glück war ich im Kettenhemd umgefallen und das Schwert flog wie von selbst in meine Hand. Die anderen hatten sich schnell auf einen Felsen zurückgezogen so waren Koren, der mich geweckt hatte und ich alleine von dreien umzingelt. Einer traf mich an der Hand und der Verlust von zwei Fingen machte mich plötzlich wieder wach. Ich holte weit aus, trennte einem die Arme ab und streifte einen Zweiten am Kopf. Der Erste fiel augenblicklich steifgefroren um, während der zweite noch einen jämmerlichen Schrei tat, einen Schritt zurückwich und dann erstarrte und ebenfalls steifgefroren zu Boden fiel.
„Ha!“ Schrie Koren und hieb wütend auf den dritten Troll ein. Ich traf von der Seite sein Bein. Die Bestie drehte den Kopf in meine Richtung, starrte mich mit weit aufgerissenem Maul an und kippte nach hinten. Die restlichen Trolle benützten ihren spärlichen Verstand und begriffen sogar, daß Rückzug im Moment die beste Lösung war. Wir schickten ihnen noch einige Armbrustbolzen hinterher und ließen sie dann ihre Flucht unbehelligt fortsetzen. „Danke“, sagte ich zu dem Schwert und begriff, daß es wertvoller war, als alles, was ich bis jetzt gesehen hatte.
Vier Tage schlugen wir uns durch die Wälder durch, ehe wir einen Weg erreichten.
Bis dorthin, hatte ich jede Nacht von der Eisprinzessin geträumt und untertags an sie gedacht.
Ich war wieder bei ihr. Langsam begann sie sich aus ihrer Erstarrung zu lösen. Zuerst zwinkerte sie mir zu, dann begann sie mich anzulachen. Es war ein reines, glockenhelles Lachen. Ringsum bewegten sich jedoch plötzlich ihre Krieger und wollten mich dann gar von ihr wegzerren. Ich schlug wild um mich.
Jäh befand ich mich wieder unter freiem Himmel. Die Krieger begannen sich vor meinen Augen aufzulösen und meinen Männern Platz zu machen. Ich hatte gerade mit der verletzten Hand nach Koren geschlagen. Blut floß aus meinen Wunden und es tat höllisch weh.
"Bist du erstarrt, oder was ist. Es ist fast Mittag", riß mich Korens Stimme vollends in die Wirklichkeit zurück.
"Verdammt, warum habt ihr mich nicht früher geweckt?"
"Früher? Wir haben den Vormittag damit verbracht, dich zu wecken. Was ist los?" Ringsum nickten alle zustimmend.
"Mir geht es gut. Ich bin nur etwas erschöpft. Kein Grund, sich so aufzuregen“, wiegelte ich ab.
Mindales wollte mit mir reden, doch ich schickte ihn weg.
Ich hätte bei der Prinzessin bleiben sollen und versuchen, sie aufzuwecken.
Tagsüber überlegte ich, wie man die Prinzessin wieder zurück verwandeln könnte, und in der Nacht träumte ich von ihr. Die Zeit schien wie im Fluge zu vergehen. Kaum war ich aufgewacht, und hatte meine Sachen zusammengepackt, ging die Sonne auch schon wieder unter.
Koren sprach mich kurz vor Ravis, einer kleinen Stadt, die anscheinend das Ziel unserer Reise war, an.
"Du bemerkst nicht mehr, was um dich vor geht. Ich werde dich zu einem Heiler bringen.", begann er in seiner undiplomatischen Art.
Ich sah in mit einer Mischung aus Überraschung und Zorn an.
"Ich muß einfach nachdenken", antwortete ich. "Stört mich nicht."
Koren murmelte etwas und plötzlich stand Mindales vor mir.
„Mindales“, sagte ich und überhörte dabei daß was er mir sagen wollte, „ich muß diese eingefrorene Prinzessin aufwecken. Koste es, was es wolle.“
„Ich habe gesagt, daß es verflucht ist. Verstehst du? Das Schwert hat dich in seinen Bann gezogen. Ich werde dir helfen, es los zu werden.“
„Niemals!“ schrie ich worauf hin er sich hastig wieder zurück zog.
Es mußte ein Fluch auf der Prinzessin liegen. Ein Erzmagier konnte ihn vielleicht brechen. Aber womit sollte ich ihn bezahlen?
Endlich in Ravis angekommen - das Wetter hatte sich verschlechtert und es regnete in Strömen – übernachteten wie im erstbesten Gasthaus. Der Wirt versorgte uns mit trockener Kleidung, während wir die nassen Sachen vor dem Kamin aufstapelten. Dann tranken und aßen wir, bis wir bewußtlos am Boden lagen. Ich erwachte am nächsten Tag als letzter und sofort fiel mir auf, daß mein Schwert weg war.
„Mindales!“ schrie ich ungehalten. „Gib mir sofort das Schwert wieder!“
Mindales war nirgends zu finden, und ich rannte durch die ganze Stadt, ehe ich plötzlich vor der Schmiede mit ihm zusammenstieß. Mein Schwert war in eine Decke gewickelt und Mindales wirkte ratlos.
Er war völlig überrascht, mich hier zu sehen. Ich zögerte keinen Augenblick und ehe er etwas tun konnte, war das Schwert in meiner Hand.
„Wage es nie wieder! Oder ich schneide dir den Hals ab!“
Mindales ging ein paar Schritte zurück. Plötzlich stand Koren neben ihm.
„Dieses Schwert. Es verwandelt dich. Wir müssen versuchen, es zu zerstören, bevor es dich zerstört. Der Schmied hat versucht, es einzuschmelzen, doch selbst das heißeste Feuer konnte es nicht erhitzen.“
„Ich habe den Geist meines Vaters beschworen“, sagte Mindales und sein Ausdruck zeigte deutlich, daß er es nicht gerne getan hatte. „Es war die einzige Möglichkeit, um etwas über das Ding zu erfahren. Es wird dich einfrieren, genauso wie die Eiskrieger. Wenn wir niemand finden, der euch trennt, erstarrst du und niemand kann dich je wieder aufwecken.“
„So ein Blödsinn!“
„Unterbrich mich nicht“, zischte Mindales. „Ich habe Blut Zähne und Klauen der Trolle für 180 Goldstücke verkauft. Damit werde ich dir den besten Heiler besorgen, den ich auftreiben kann.“
„Wage es nicht!“, rief ich und stapfte wütend das Schwert hin und her schwingend in das Gasthaus. Dort setzte ich mich in mein Zimmer und untersuchte es gründlich. Hatte der Schmied tatsächlich versucht, es zu zerstören?
Plötzlich klopfte es. Ich öffnete die Tür. Draußen stand Mindales mit einem Kerl in blauen Roben.
Unverkennbar ein Heiler. Mit einem lauten Krachen schlug ich die Tür zu und sperrte ab. Ich war derart wütend, daß ich Mindales am liebsten in Stücke gehauen hätte. Draußen flüsterten die beiden leise. Ich legte mein Ohr an die Tür, um besser zu hören. Sie beratschlagten, ob sie warten sollten, bis ich eingeschlafen war, oder ob Mindales versuchen sollte, einen Schlafzauber durch die Tür zu werfen. Ich beschloß, daß sie zu keiner der beiden Möglichkeiten eine Gelegenheit haben sollten, packte mein Kettenhemd, das Eisschwert, Hammer und Meißel, etwas Proviant, Fackeln und die Karte der Höhlen. Dann öffnete ich leise das Fenster, immer lauschend ob Mindales nicht schon mit seinem Zauberspruch begänne
Während Mindales und der Kleriker immer noch lauschten, ob ich schon eingeschlafen sei, saß ich bereits auf einem Pferd aus dem Stall des Wirtes und ritt in Richtung der Höhlen. Mein Pferd war ein prächtiges Tier. Einen Tag und eine ganze Nacht hielt es den scharfen Ritt aus, ehe es rasten mußte. Ich versteckte mich in einem Gebüsch und hoffte, am nächsten Tag ohne die üblichen Weckzeremonien meiner Männer aufzuwachen. Etwas in mir warnte mich, daß ich im Begriff war, eine große Dummheit zu machen, doch der übermächtige Wunsch, die Eisprinzessin wiederzusehen, war so stark, daß ich gar nicht anders handeln konnte, und vor allem: Es gar nicht anders wollte.
Ich wurde zu Mittag von meinem Pferd geweckt, und ritt weiter, bis zum Tunneleingang. Zärtlich streichelte ich das brave Tier, lobte es für seine Ausdauer, nahm Sattel und Zaumzeug sowie meine Ausrüstung ab und entließ es in die Freiheit.
Mit einer Fackel in der einen und der Karte in der anderen Hand machte ich mich auf. Schon nach dreißig Metern wartete allerdings ein unangenehmer Zeitgenosse.
Ein Höhlenmolch. Er sah aus wie eine Mischung aus Riesenschlange, Lurch und Frosch. Fast zwei Meter lang und immer hungrig. Zu seinem Pech stand er zwischen mir und der Prinzessin. In heiligem Zorn hieb ich das überraschte Tier mit dem Eisschwert in Stücke.
Mein Plan, das stellte sich heraus nachdem ich eine große Fünffachkreuzung nicht mehr fand, war ungenau gewesen. Vergeblich irrte ich wieder zurück und konnte die auf der Karte eingezeichneten Gänge nicht mehr finden. Meine Schlamperei beim Kartenzeichnen verfluchend und Tjore herbei wünschend, begann ich ziellos tiefer ins Höhlenlabyrinth vorzudringen.
Ich irrte so lange herum, bis ich vor lauter Müdigkeit zusammenbrach und sofort in einen tiefen Schlaf fiel. Prompt fing ich an von der Eisprinzessin zu träumen. Sie kam durch die Gänge zu mir, wobei sie in ein bläuliches Licht gehüllt wurde. Ich war erstaunt, wie groß sie war. Beinahe so groß wie ich. Resolut packte sie mich am Arm und begann mich von der Stelle, wo ich gelegen hatte, wegzuführen. Ich wollte die ganze Zeit mit ihr reden, doch sie zog mich so eilig mit sich, das mir keine Luft zum reden blieb.
"Du bist in Gefahr. Wenn du dich nicht beeilst, wirst du sterben. Das werde ich nicht zulassen." Ich war einfach glücklich, bei ihr sein zu können und achtete gar nicht darauf, daß sie immer wieder kurz stehenblieb, um nach Gefahren zu horchen.
"Du bist ja ganz unbewaffnet. Willst du dein Schwert wieder. Es ist doch dein Schwert?" fragte ich. Wegen der Art wie sie sich bewegte, war ich mir sicher, daß sie das Schwert führen konnte wie ein Krieger. In vielen Ländern gehörte es für die Prinzessinnen zur Pflicht, sich in der Kampfeskunst zu üben. Meistens war es auch irgendwann notwendig.
Die Eisprinzessin antwortete mir nicht, sondern sagte ganz eindringlich:
"Sie sind schon ganz nahe. Deine Männer wollen dich daran hindern, zu mir zu kommen.“
Plötzlich war ich wach und hörte in der Ferne Schritte.
„Sie verfolgten mich tatsächlich. Was für ein elender Haufen!“
„Ich rannte in die Richtung in die sie mich vorhin geführt hatte und plötzlich waren meine Männer hinter mir.“
Ich lief so schnell ich konnte, aber sie waren einfach schneller. Inzwischen lief ich wieder durch den Gang aus Eis. Mindales begann hinter mir eine Beschwörung zu singen, doch was immer es auch war, es wirkte nicht. Oder doch? Ich begann langsamer zu werden.
„Wie langsam er läuft!“ Sagte Koren neben mir. „Mindales. Verdammt, tu doch was dagegen!“
Nur noch wenige Meter trennten mich von der Höhle.
Was ich nicht bedacht hatte, war die Eiswand.
„Sie wird dich einfrieren! Wehr dich dagegen!“ rief Mindales hinter mir.
„Er kommt nicht durch die Wand. Gott sei dank“, verstand ich Koren neben ihm.
Die Eiswand! Dachte ich. Wie komme ich nur hindurch. Ohne zu überlegen zog ich mein Schwert, meine Männer sprangen zur Seite, wie Flöhe und ich hieb auf die Wand ein. Unerwarteterweise traf ich auf keinerlei Widerstand. Es war, als ob die Eiswand für das Schwert nicht vorhanden gewesen wäre. Durch meinen eigenen Schwung, der nicht vom erwarteten Widerstand aufgehalten wurde, stolperte ich nach vorne und mitten durch die Eiswand. Es war, als ginge ich durch einen eiskalten Wasserfall. Dann war ich durch und rollte mich herum, damit meine Füße nicht etwa darin festfroren. Ich sah mich kurz um. Nach einigen tiefen Atemzügen, um die immer drückendere Müdigkeit zu vertreiben, schritt ich herzklopfend in Richtung der Prinzessin.
Während ich ging, wurde die Höhle immer heller. Ich sah mich nach der Lichtquelle um, fand aber keine. Es war, als würde die Luft selbst leuchten. Die Müdigkeit verwandelte sich mit jedem Schritt mehr in ein berauschendes Triumpfgefühl. Ich war zurückgekommen. Und keine Spur davon, daß ich einfror!
In der Ferne konnte ich bereits die Prinzessin auf ihrem Thron erkennen. Jetzt machte ich auch Bewegung unter ihren Männern aus. Die Prinzessin war von ihrem Thron aufgestanden und bewegte sich in Zeitlupe auf mich zu. Plötzlich spürte ich einen Widerstand vor mir. Aber da war nichts außer ein diffuser, formloser Schatten. Ich spannte meine Arme an und drückte das Hindernis weg. Je näher ich kam, um so schneller bewegte sich die Prinzessin. Mein Schwert war plötzlich verschwunden, doch ich verschwendete keine weiteren Gedanken daran. Ihre Krieger bewegten sich zurück und bildeten eine Gasse. Die Prinzessin lief jetzt leichtfüßig auf mich zu, während die Höhle bereits taghell leuchtete.
"Ich wußte, daß du lebst!" rief ich, beschleunigte ebenfalls meine Schritte und umarmte sie inmitten ihrer Krieger. Leidenschaftlich drückte ich ihren warmen Körper an mich. Sie bestand aus Fleisch und Blut, und sie war wunderschön.