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Das Seeungeheuer

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24.04.2003
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Das Seeungeheuer

MANFRED, stand auf dem Schild hinter der Windschutzscheibe.

Eigentlich hieß er nur Fred. Die ersten Buchstaben standen für den Hersteller des LKWs.
Damals hatte Fred das lustig gefunden, heute war ihm das angerostete Schild nur noch peinlich. Zu dem wurde er von den unbekannten Truckerkollegen auf den Raststätten dieser Welt ständig mit falschem Namen angesprochen, wenn es darum ging über Gott und die Welt, meistens aber über Fußball und Frauen zu diskutieren. Man las die Schilder. Sie waren wie Visitenkarten. Mit der Zeit entwickelte sich hieraus sogar eine gewisse Menschenkenntnis. Waren die Buchstaben von bunten Glühbirnen umgeben, hatte man es stets mit einem Alteingesessenen zu tun, der sich die Fahrerkabine nicht bloß zum Wohnzimmer, sondern zum Abbild der eigenen Identität gemacht hatte. In diesen Fällen sah man von außen oft nicht in das Innere eines Mehrtonners, sondern betrachtete das Schaufenster eines Gemischtwarenladens. Unzählige Utensilien, von innen nach außen angeordnet.
Zuerst kam das Allmachtsgefühl; Trophäen, Dinge, auf die man besonders stolz war. Photographien von der Tochter, mit der Schultüte in der Hand, fast größer als sie selbst, oder ihr erster Freund, von dem sie einem am Telefon erzählt hat.
Dann folgte der Teil des Lebens, in dem man erkannt hatte, dass "King of the road" zu sein nicht spannend, und erst recht nicht lustig ist. Düstere Gegenstände, die irgendwann mal "aufgeschnappt" worden waren, und die man fürs Führerhaus ganz passend fand.
Gleich neben den Türen war das Armaturenbrett dann immer leer.
So weit kam keiner.

Die Kellnerin lud die Bestellung ab. Ein Glas Cola und das Tagesgericht. Spaghetti in Schinkensauce.
Dann ging sie, ein Schlachtfeld brutzelnder Mikrowellenmasse hinterlassend.
Fred griff nach der Cola. Wenigstens die konnten sie hier nicht versauen.
Einige Tische weiter saß ein dürrer Hering. Eingepackt in die blaue Jeansweste, mit der quadratischen Brille über dem Schneuzer, sah der Kerl aus, als sei er einem miesen Film entsprungen.
Potentieller Anfänger, ging es Fred durch den Kopf.
In der Kabine seines Trucks war fast nichts gewesen. Kein Namensschild, keine Familienbilder. Bloß ein rotes Stoffteufelchen, dem ein Arm fehlte.
Der Hering hatte Freds beiläufigen Blick bemerkt und winkte ihm zu, während er in sein Sandwich biss.
Fred rang sich zu einem Lächeln, und stand widerwillig auf.
Mit einer schnellen Armbewegung schleuderte er die Essensreste seines Vorgängers vom Tisch, und stellte Spaghetti und Cola ab.
Sein Gegenüber mampfte nur.

"Tach auch. Ist ja ein netter Lader, nur deinen Namen konnte ich nirgends entdecken."
"Robert."
Ein Krümel schoss durch eine Zahnlücke und landete auf Freds Oberarm.
Hätte ich doch bloß nicht hergesehen
"Wohin gehts denn?"
Der Hering legte das Sandwich auf den Teller, und spülte mit einem Schluck Bier nach.
"Südfrankreich. Ich fahre für Nestle. Sind aber keine Süßigkeiten drin. Die produzieren noch ´ne Menge anderer Sachen."
"Ich weiß", erwiderte Fred.
"Bin selbst mal für die gefahren."
Er sah auf seinen Teller. Die Nudeln erinnerten an Tentakel, und der Schinken wölbte sich wie verbranntes Blech.
Trotzdem hatte er Hunger.
"Die können hier nicht kochen", stellte Robert fest.
"Ich habe nichts anderes erwartet", sagte Fred, und stopfte sich eine Ladung von Tentakeln und Blech in den Mund.
Widererwarten schmeckte die Pampe ganz ordentlich.
In den nächsten zwei Minuten sprachen die Männer nicht mehr.
Fred ließ keinen Rest auf dem Teller über. Dann trank er sein Glas leer.
"Schon lange unterwegs?", fragte er sein Gegenüber anschließend.
"Seit zwei tagen."
"Nein, ich meine, wie lange machst du das schon, das Leben auf der Straße?"
Robert nickte.
"Oh, schon sehr lange. Eigentlich weiß ich gar nicht mehr, was davor gewesen ist. Der Asphalt verdrängt die Erinnerung an die Zeit zuvor. Es ist, als wäre man ein modernes Seeungeheuer. Man schwimmt mit dem Strom, achtet auf die Ladung, hat nie wirklich Pause, und die anderen Autos sind bloß Fische ohne Bedeutung, solange man ein Ziel vor Augen hat. Mir gefällt das."
Fred kramte nach seinen Zigaretten. Schmacht, und das Gefühl, sich zum ersten Mal seit langem keinen Reim auf einen Fahrer machen zu können, versetzten ihn in eine sonderbare Gleichgültigkeit. Er wusste eben doch nicht so viel, wie er dachte. Oder Robert log.
"Hier, nimm eine von meinen."
Ein Päckchen Marke roter Hand zitterte vor Fred nervös hin und her.
"Danke."
"Ich habe auch Feuer. Feuerzeuge habe ich immer."
Es klackte. Eine hohe Flamme, ein gesaugter Atemzug.
"Ich hätte nicht gedacht, dass du schon so lange fährst."
Wieder nickte Robert.
"Weshalb nicht?"
"Da sind keine Trophäen auf deinem Armaturenbrett. Keine Erinnerungsstücke. Nicht einmal ein Namensschild. Nur dieses rote Teufelchen, dem ein Arm fehlt."
"Oh, das meinst du."
Robert zündete sich selbst eine Kippe an.
"Verstehst du, ich bin kein Sammler. Immer nur eine Trophäe zur gleichen Zeit. Alles andere würde mir die Erinnerung zerdrücken, und dann gäbe es bloß noch einen Schwamm, aus dem vereinzelte Tropfen fallen, wenn man ihn quetscht. Keinen Zusammenhang mehr, weißt du? Ich will nur eine Sache zur gleichen Zeit haben, die dann aber vollständig."
"Hast du irgendwie mal Philosophie studiert, oder so? Ich meine, so eine Unterhaltung hatte ich lange nicht mehr. Stehst´ nicht auf Fußball?"
"Nein. Weder Philosophie, noch Fußball. Wie gesagt, ich bin ein Seeungeheuer, das ist meine Philosophie."
"Interessant."
"Ja. Doch nun muss ich los. Es war nett, dich kennenzulernen, Manfred."
Robert stand auf, ließ einen zehn Euroschein auf dem Tisch liegen, und verschwand.

Fred hatte nicht einmal noch die Zeit, ihm die Sache mit dem Schild zu erklären, dass er früher einmal lustig gefunden hatte.

Er grübelte.
War es das, was er war: Ein modernes Seeungeheuer?

Er ging zum Tresen.
Die Kellnerin warf ihm einen gleichgültigen Blick zu.
"Ja?"
"Einmal das Tagesgericht, und eine große Cola."
"Macht acht Euro."
Fred zog einen Fünferschein und drei Eurostücke aus seinem Portemonnaie.
"Stimmt so, für die nette Bedienung", sagte er und grinste.

Draußen hatte es zu regnen angefangen.
Fred musste dringend pinkeln. Nachdem er so großzügig Trinkgeld gegeben hatte, widerstrebte es ihm, in die Raststätte zurückzukehren, um nach dem Toilettenschlüssel zu fragen.
Fred hastete über den Parkplatz, den ewigen Lärm der Autobahn in den Ohren, und stellte sich vor einen Busch, hinter dem ein kleines Wäldchen lag.
Einige Meter weiter lag eine verkohlte Schaufensterpuppe, die irgendwer hierher geschmissen hatte.
Fred betrachtete sie, während er seiner Blase Erleichterung verschaffte.
War er das etwa auch, eine verbrannte Puppe?

Zur Tür hin blieb das Armaturenbrett leer. Weiter kam keiner.

Das Hupen eines LKWs erschrak ihn.
Fred drehte sich um, und sah gerade noch den Hänger mit der Lieferung für Nestle vorbeihuschen. Vielleicht hatte dieser Robert ihm wieder zugewunken, wie eben, am Tisch.
Doch Fred sah noch etwas anderes. Da lag ein auffälliger Gegenstand auf der nassen Erde.
Er hob ihn auf, und Fetzen des merkwürdigen Gespräches schossen durch seinen Kopf.

Es ist, als wäre man ein modernes Seeungeheuer.

Autos sind bloß Fische ohne Bedeutung.

Ich habe auch Feuer. Feuerzeuge habe ich immer.

Immer nur eine Trophäe zur gleichen Zeit.

Fred betrachte das rote Stoffärmchen in seiner Hand.
Sein Herz machte einen Sprung.

Dann wandte er sich wieder der verkohlten Puppe zu.

Sie trug einen Rucksack.

 

Lieber Cerberus!

Ich mag Fernfahrer-"Romantik", und Dir ist die Atmosphäre glaub ich ganz gut gelungen (jedenfalls wirkt sie auf mich als Nicht-Fernfahrerin so). Auch erzählst Du recht schön und bringst die beiden Charaktere gut rüber. Nur bei der Pointe komm ich nicht ganz mit. Oder doch? Ich weiß es nicht: Sollte der Rucksack bedeuten, daß es gar keine Puppe war...? :susp: Und die hohe Feuerzeugflamme soll mir sagen, daß Robert das war? Und deshalb will er auch immer vergessen?

Verzeih den kurzen Kommentar - eigentlich wollte ich grad um die Kreissäge in den Keller gehen, und nur vorher noch schnell mal reinschauen...:D

Aber beim Lesen hab ich noch ein paar Sachen aufgeklaubt:

oder ihr erster Freund, von dem sie einem am Telefon erzählt hat.
Klingt ohne "einem" besser, oder: den man nur von Erzählungen am Telefon kannte

Hätte ich doch bloß nicht hergesehen
Da fehlt der Punkt.

Ich fahre für Nestle.
Nestlé

Widererwarten schmeckte die Pampe ganz ordentlich.
Wider Erwarten

"Seit zwei tagen."
Tagen

Ein Päckchen Marke roter Hand
Würde schreiben: Ein Päckchen "Rote Hand"

Eine hohe Flamme, ein gesaugter Atemzug.
Ähm, richtiger wäre ein gesogener Atemzug, aber das kommt mir ebenfalls seltsam vor, da ein Atemzug ja immer gesogen wird. :shy:

Fred hatte nicht einmal noch die Zeit, ihm die Sache mit dem Schild zu erklären, dass er früher einmal lustig gefunden hatte.
Grammatikalisch wäre da ein das richtig, wenn es nicht die Sache hieße. ;)

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo Häferl!

Ja, du hast die "Pointe" richtig erkannt.

Dieser Robert ist ein "Seeungeheuer", weil er frisst, was ihm in die Finger kommt, um es plump auszudrücken.

Die Puppe ist in Wahrheit ein verbrannter Mensch.

Auf deine Anmerkungen zur Ortographie werde ich später noch eingehen.

Grüße

Cerberus

 

Thema auf Wunsch des Autoren in die Horrorrubrik verschoben.

 

Hi Cerberus81,

mir fehlt etwas der Hintergrund deiner KG.
Kann natürlich auch an mir liegen. :schiel:

Ich versuche es dir zu erklären.

Zum ersten erschien mir deine Beschreibung der Fahrerkabine zu lang.

Zuerst kam das Allmachtsgefühl; Trophäen, Dinge, auf die man besonders stolz war. Photographien von der Tochter, mit der Schultüte in der Hand, fast größer als sie selbst, oder ihr erster Freund, von dem sie einem am Telefon erzählt hat.
Dann folgte der Teil des Lebens, in dem man erkannt hatte, dass "King of the road" zu sein nicht spannend, und erst recht nicht lustig ist. Düstere Gegenstände, die irgendwann mal "aufgeschnappt" worden waren, und die man fürs Führerhaus ganz passend fand.
Gleich neben den Türen war das Armaturenbrett dann immer leer.
So weit kam keiner.

Der Teil z.B.
Wobei ich diese beiden Sätze garnicht verstehe:
Gleich neben den Türen war das Armaturenbrett dann immer leer.
So weit kam keiner.
:hmm:

Die folgende Beschreibung und Dialog ist gut geschrieben.
Doch habe ich immer darauf gewartet, dass zwischen den Beiden etwas geschieht.
Mir fehlt der Bezug zwischen deinen Prots.
Und warum ist er ein Seeungeheuer, wenn er gerne mit dem Feuer spielt?
Wann hat Robert die Person verbrannt? Muß ja gewesen sein, bevor er ins Lokal ging. Denn nach dem Essen wird er die Zeit nicht gehabt haben, weil Fred kurz nach ihm das Lokal verlassen hat.
Und welche Trophäe hat Robert sich von seinem Opfer genommen?
Du beschreibst nicht, dass dem Opfer etwas fehlt.

Kurz gesagt, dein Schreibstil gefällt mir, doch beim Plot fehlt mir der Ahaeffekt. :shy:

Doch am meisten interessiert mich, was du mit -so weit kam keiner- gemeint hast.

lieben Gruß, coleratio

 

Hi coleratio!

Bloß ganz kurz, da ich kaum Zeit habe:

"So weit kam keiner" - Soll heißen, dass die begehrtesten "Trophäen", wie die Photos der eigenen Tochter gleich neben dem Lenkrad stehen. Der Anfang des Fernfahrers eben. Anschließend verliert sich der familiäre Gedanke, und die persönlichen Dinge weichen immer mehr denen, die man einfach bloß noch irgendwie "schön" findet (nicht umsonst stand die Geschichte ursprünglich unter Gesellschaft).
Je weiter sich die Erinnerungsstücke zeitlich und räumlich vom Armaturenbrett entfernen, umso leerer wird es, bis zur Tür hin überhaupt keine Erinnerungsstücke mehr vorhanden sind, weil man vergessen hat, was einem wichtig ist.
Dies ist im übertragenen Sinne gemeint, und soll richtige Fernfahrer nicht beleidigen.

Die verkohlte "Puppe", beziehungsweise der ermordete Mensch, wurde von Robert bereits im Vorfeld in das Gebüsch geschmissen.
Anschließend geht er in aller Seelenruhe in die Raststätte, isst sein Mittagsessesn, und winkt sich sogar noch einen Gesprächspartner herbei.

Die Trophäe ist das rote Stoffteufelchen, dessen Arm der Prot. neben dem Leichnahm findet.

Nochmal zur Betonung: Diese Story soll keinen Fernfahrer schlecht reden. Sie spielt einzig aus der Sicht eines Menschen, der gewisse Beobachtungen angestellt hat, sich selbst verloren fühlt, und zufällig auf einen Psychophaten trifft.

Vielen Dank fürs lesen und kommentieren

Grüße

Cerberus

 

okay, das hast du sehr schön erklärt. :thumbsup:

Das mit dem Stoffpüppchen, habe ich verkehrt gelesen.

Fred betrachte das rote Stoffärmchen in seiner Hand.
Hatte die ganze Puppe im Kopf.
Da sieht man mal, wie sich der Sinn einer Geschichte verändert, wenn man nicht richtig liest. :schiel:

Jetzt, nachdem ich alles in die richtige Reihe gekriegt habe, muß ich sagen: eine gute, leise Horrorgeschichte :)

 

Ach, Mensch, cerberus. Da hätte echt was draus werden können ...
Das war wieder mal so eine Geschichte, von der man (zumindest ich) sich erhofft hätte, sie höre nie auf.
Sehr schöne Detailtreue des Truckerdaseins. Realistische und in die Tiefe führende Dialoge. Eine Geschichte, in die man hineinlebt. Und dann isse zuende *sch...*

Deshalb schreib ich auch nicht mehr, außer: war schön und viel zu kurz. So!

Gruß! Salem

 

Hi Salem!

Freut mich, dass es dir bis zum abrupten Schluss so gut gefallen hat.

Aber es ist nunmal eine Pointengeschichte.

Zur Erklärung:

Ich habe vor längerem einmal einen Fernsehbericht über einen Autofahrer gesehen, der auf den Standstreifen den Autobahn gefahren ist, um zu pinkeln.
Dort entdeckte er eine verkohlte Frauenleiche, die er im ersten Augenblick für eine Schaufensterpuppe hielt.

Ich fand diesen Gedanken derart niederschmetternd, dass ich eine Geschichte um ihn herum gebastelt habe.

 

Moin Cerberus!
Hat mir gefallen, wirklich.
Eine schön aufgebaute Atmosphäre, ein für mich authentisch klingender Dialog (ich verkehre allerdings nicht allzu oft in Fernfahrerkneipen :D ) und eine gute, stimmige Pointe.
Was will man mehr?
Salem hat zwar Recht, die Geschichte hätte auch für meinen Geschmack ruhig länger sein können, allerdings weiß ich nicht, ob sie dann die selbe Wirkung hätte. So macht sie nämlich einen wirklich runden Eindruck, alles passt und nichts ist zu viel. Bei einer längeren Geschichte ist das, meiner Meinung nach, ungleich schwieriger, vor allem auch mit Hinblick auf die gut getimten Pointe.
So, und um mein Posting komplett zu machen, noch zwei Textanmerkungen:

"Seit zwei tagen."
Tagen
"Ich habe auch Feuer. Feuerzeuge habe ich immer."
:thumbsup:

Hat mir sehr gut gefallen, Cerberus.

Jorgo

 

Tach Cerb,

ich habe anstelle deines Lankowskis (schlag mich, wenn der Name falsch geschrieben ist) jetzt mal diese Story gelesen. Und irgendwie, ja, irgendwie will sie nicht so recht funktionieren, aus einem ganz einfachen Grund: für mich ist es keine Horrorstory, ich hätte sie in der Rubrik Gesellschaft belassen, vielleicht auch Alltag. Da hätte sie mir besser gefallen, nicht, weil ich Geschichten nach ihrer Etikettierung beurteile, sondern schlicht und einfach, weil ich dann mit einer anderen Erwartungshaltung an die Sache herangegangen wäre. So blieb es mir ein wenig zu beliebig, was den Horrorgehalt angeht. Die Pointe ist ein schnöder "Buh“-Effekt, in meinen Augen kein Horror (ja, natürlich isset Horror, wenn man eine verkohlte Frauenleiche beim Strullen findet, aber in einer Horrorstory erwarte ich als Leser mehr).

Losgelöst von der Genrezuordnung gefällt mir die Geschichte recht gut. Die Einschränkung deshalb, weil die Story für meinen Geschmack zu knapp geraten ist – mir fehlt so ein wenig der gesellschaftliche Kontext, der den Plot aus der Beliebigkeit herausholen könnte. So bleibt es im wesentlichen bei einigen wenigen Beobachtungen über das Fernfahrerleben, gewürzt mit einem Mord. Weiß nicht, da fehlt der Pfeffer.

Der Stil ist gut, wenn mir auch aufgefallen ist, dass du – im Vergleich zu anderen Stories von dir – hier mehr berichtartig schreibst.

Was mir echt töfte gefallen hat, war dieser Abschnitt:

Zuerst kam das Allmachtsgefühl; Trophäen, Dinge, auf die man besonders stolz war. Photographien von der Tochter, mit der Schultüte in der Hand, fast größer als sie selbst, oder ihr erster Freund, von dem sie einem am Telefon erzählt hat.
Dann folgte der Teil des Lebens, in dem man erkannt hatte, dass "King of the road" zu sein nicht spannend, und erst recht nicht lustig ist. Düstere Gegenstände, die irgendwann mal "aufgeschnappt" worden waren, und die man fürs Führerhaus ganz passend fand.
Gleich neben den Türen war das Armaturenbrett dann immer leer.
So weit kam keiner.
Das ist wirklich gut – nicht elend lang erklärt, wie sich das Leben als Fernfahrer für deinen Prot von anfänglicher Begeisterung in Ernüchterung und Desillusionierung gewandelt hat, sondern kurz und knapp in Bilder gepackt.
Doch, doch, echt gut!

MANFRED, stand auf dem Schild hinter der Windschutzscheibe.

Eigentlich hieß er nur Fred. Die ersten Buchstaben standen für den Hersteller des LKWs.
Damals hatte Fred das lustig gefunden, heute war ihm das angerostete Schild nur noch peinlich. Zu dem wurde er von den unbekannten Truckerkollegen auf den Raststätten dieser Welt ständig mit falschem Namen angesprochen,

„Zu dem“ -> Zudem
Mag nicht wirklich wichtig sein, aber mich hat folgendes gestört: wenn Fred dieses Schild wirklich so peinlich ist, warum wechselt er es dann nicht aus?

Waren die Buchstaben von bunten Glühbirnen umgeben, hatte man es stets mit einem Alteingesessenen zu tun, der sich die Fahrerkabine nicht bloß zum Wohnzimmer, sondern zum Abbild der eigenen Identität gemacht hatte.
Möglicherweise wieder eine Marginalie, aber Identität will mir hier nicht so recht passen. Wie bildet ein Raum/eine Fahrerkabine die eigene Identität ab? Etwas in Richtung „Innenleben“ würde mir entschieden besser gefallen.
Oder du belässt es dabei, die Fahrerkabine mit dem Wohnzimmer gleichzusetzen – das ist ausdrucksstark genug, finde ich.

oder ihr erster Freund, von dem sie einem am Telefon erzählt hat.
Kürzer kann man Entfremdung und Einsamkeit kaum darstellen. :thumbsup:

Dann ging sie, ein Schlachtfeld brutzelnder Mikrowellenmasse hinterlassend.
Jau, das nenn ich gut formuliert.

mit der quadratischen Brille über dem Schneuzer,
Schnäuzer (kommt ja von „Schnauzbart“)

"Tach auch. Ist ja ein netter Lader, nur deinen Namen konnte ich nirgends entdecken."
:D
Wie aussem (Ruhrpott-)Leben.

"Ich weiß", erwiderte Fred.
"Bin selbst mal für die gefahren."
Der Zeilenumbruch hat mich stutzen lassen, ich dachte erst, der Sprecher hätte gewechselt. Vorschlag:
„Ich weiß“, erwiderte Fred. „Bin selbst mal für die gefahren.“

Er sah auf seinen Teller. Die Nudeln erinnerten an Tentakel, und der Schinken wölbte sich wie verbranntes Blech.
Auch hier: echt gut beschrieben. Kohlrabischwarzen Wölbschinken kenne ich auch zur Genüge, hatte sofort das passende Bild im Kopf.

Es ist, als wäre man ein modernes Seeungeheuer. Man schwimmt mit dem Strom, achtet auf die Ladung, hat nie wirklich Pause, und die anderen Autos sind bloß Fische ohne Bedeutung, solange man ein Ziel vor Augen hat.
Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Achtet ein Seeungeheuer auf eine Ladung? Wartet auch ein Seeungeheuer darauf, dass es „morgens halb zehn in Deutschland“ wird, um mal Pause zu machen? Hat ein Seeungeheuer ein Ziel vor Augen?
Die Vergleiche hinken ein wenig.

"Oh, das meinst du."
Robert zündete sich selbst eine Kippe an.
"Verstehst du, ich bin kein Sammler. Immer nur eine Trophäe zur gleichen Zeit.
Vielleicht bin ich nur zu tumb, aber auch an dieser Stelle stockte mein Lesefluss erneut. Wer spricht? Vorschlag erneut:
„Oh, das meinst du.“ Robert zündete sich selbst eine Kippe an. „Verstehst du, ich bin kein Sammler. To be continued ...“

Einige Meter weiter lag eine verkohlte Schaufensterpuppe, die irgendwer hierher geschmissen hatte.
Der Nebensatz erscheint mir überflüssig.

Grüßkes,
Some

 

Hi cerberus!

Mir hatte die Idee und Umsetzung der Geschichte sehr gut gefallen. Auch wenn ich denke, dass man das mit der Leiche zum Schluss vielleicht ein wenig mehr hätte ausbauen können um den Schock beim Leser zu erhöhen. Aber sonst: Top!

Gruß, Scharker!

 

Moin Cerberus,

wie meine Vorredner schon sagten IST die Geschichte gut! Ich hätte nicht gedacht, dass mich eine Fernfahrergeschichte ansprechen könnte, aber du hast dies vor allem durch die sehr guten Dialoge geschafft.

Generell kann man nun doch sagen, dass jede Geschichte ihren Interpretationsspielraum braucht, aber irgendwie stört mich da ein "logischer" Aspekt. Robert ist also ein eiskalter Killer, der kein Problem damit hat 100 Meter neben seinem letzten Opfer friedlich zu futtern und sich weiter zu unterhalten. Trotzdem wirkt er auf mich nicht wie ein Dummkopf und somit frage ich mich, ob er gefasst werden will!? Denn dass er nun nicht mehr lange unterwegs sein wird ist ja klar. Wieso ist er also so unvorsichtig? Schließlich hat er dies ja nicht zum ersten Mal getan (also gemordet) wie die Anspielung "Immer nur ein Andenken auf einmal" verrät.

Allerdings ist dies mein einziger Kritikpunkt.
Handlung und Prots sind super gelungen und machen jetzt schon neugierig auf weitere Geschichten.

Gruß, Zensur83

 

Huuhu, Cerberus!

Gut an der Geschichte ist, daß ich sie, auch ohne die Erklärungen zu lesen, auf Anhieb verstanden habe, was bei deinen Geschichten ja nicht selbstverständlich ist (oder war, ich habe hier schon lang nicht mehr reingeschaut).

Ansonsten ist die Story etwas zu dünn geraten, als daß die Begeisterung mich überfallen könnte. Der Psycho mit dem LKW ist ein nettes und gern verwendetes Grundmotiv, aber ein bissel mehr als ein Bistrogespräch und das Auffinden einer Leiche im Gebüsch darf es ruhig sein.
Zumal mein erster Gedanke war: Wenn ihn die Polizei bislang nicht geschnappt hat, dann wird sie es jetzt auf jeden Fall.

Positiv hervorzuheben ist dein Spiel mit Details, wie z.B. das Armaturenbrett oder die Tentakel mit Blech aufm Teller. Wobei nicht jeder Schuß ein Treffer ist. Der Vergleich mit dem Seeungeheuer zum Beispiel ist irgendwie ... und wenn dann noch dazukommt, daß er eigentlich mehr ein Feuerteufel ist ...
Und der Satz "War er das etwa auch, eine verbrannte Puppe?" wirkt wie ein Fremdkörper. Nicht nachvollziehbar, wo dieser Gedanke plötzlich herkommt.

Metakritik:

Einige Meter weiter lag eine verkohlte Schaufensterpuppe, die irgendwer hierher geschmissen hatte.
Der Nachsatz ist wichtig, sonst riecht jeder Depp sofort Lunte, was Sache ist. (Horrorstory -> Nur noch wenige Zeilen -> Im Gebüsch muß die Pointe liegen)

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