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Das Stangenbrot
Es war eine lang gezogene Straße und die eintönigen grauen Häuser von einfacher, uniformer Beschaffenheit machten sie zu einem trostlosen Seitenweg. Die einzige auffrischende Note brachte das Schaufenster einer Bäckerei.
Hier bediente noch der Bäckermeister selbst. Man sagte ihm nach, dass er ein knickriger Mann wäre und sogar das Einwickelpapier seiner Brote sparsam stückeln würde. Aber Brot backen, das konnte er durchaus, besonders beliebt war sein Stangenbrot, das so genannte französische Baguette.
Doch heute stand der Meister grimmig und verlassen in seinem Laden, denn niemanden konnte er bedienen, wo er doch so gerne dem Klirren der Kasse zuhörte.
Er stand nur am Fenster und betrachtete den Himmel, der sich langsam mit dicken, schwarzen Wolken zuschnürte. Es wird bald regnen, dann bleibt die Kundschaft gänzlich aus, dachte sich der gewichtige Bäckermeister und beschloss zurück in die Backstube zu gehen. Doch dann, genau in dem Moment, bimmelte es im Laden.
Erwartungsvoll drehte er sich um und sah einen hageren Mann mit einem schwarzen Schlapphut eintreten. Der Brotmacher rieb sich bereits die klobigen Hände und trat energisch hinter die Theke. Draußen regnete es jetzt in Strömen, der dunkle Mantel des Kunden war bereits mit Regenspritzer bekleckst.
„Ein Sauwetter“, meinte der Bäcker ganz kurz und fragte sofort nach dem Belangen des Mannes. Dieser räusperte sich kurz, sah den Meister an und sagte mit mächtiger Stimme:
„Ich möchte ein Stangenbrot.“
Der Bäcker zeigte stolz auf ein langes Regal und fragte:
„Welche Sorte bevorzugen Sie, Weißbrot oder vielleicht ein ...“
„Die Zusammensetzung ist nicht wichtig, aber die Länge muss stimmen“, meinte der Kunde, als er das Ausstellregal begutachtete.
„Die Länge?“, wiederholte der Bäcker und sah den Mann überrascht an.
„Genau!“
„An welche Länge haben Sie gedacht, wir haben nämlich kleine, mittlere und normale Größen.“
„Nein, nein, … ich meine größer als die üblichen Längen.“
„Aha!“ Der Bäckermeister wunderte sich immer mehr und fragte den Kunden, wie groß nun das Stangenbrot sein soll.
„Zwei Meter lang und etwa acht Zentimeter im Durchmesser muss es schon haben“, meinte der dünne Mann ganz gelassen.
„Was! Zwei Meter lang, was wollen Sie denn mit solch einem Brot? “, fragte der Bäcker stutzig.
Der Kunde nahm nun den leicht durchnässten Filzhut ab und trat näher an die Theke ran.
„Na ja, … ich werde es in Stücke zerlegen und dann größtenteils im Tiefkühlfach einfrieren lassen.“
„Aber das ist doch absurd“, beteuerte der Bäcker „warum nehmen Sie denn nicht gleich, vier oder gar fünf normale Baguettes.“
Der Kunde kratzte sich nun am Schopf, verzog leicht die Mimik und sagte:
„Fünf Baguettes! Die brauche ich gar nicht. Wissen Sie … ich bin nämlich Single, das wäre für mich viel zu viel Brot.“
Draußen hatte es inzwischen aufgehört zu regnen. Die Sonne quetschte sich durch die Wolken und erhellte mit voller Wucht den Laden. Der hagere Kunde setzte nun seinen Hut wieder auf und schritt auf die Eingangstür zu. Der Bäckermeister sah seinen Kunden bereits verloren und rief ihn zurück.
„Hören Sie, wenn Sie schon alleine sind, warum haben Sie dann nicht gleich ein ganz gewöhnliches Stangenbrot verlangt?“, wollte er wissen.
„Viel zu kurz, das wäre viel zu kurz.“
„Das Brot?“, meinte der Bäcker.
„Nein, nein“, erklärte der Kunde „die Zeit, es wäre viel zu kurz gewesen.“
Der Brotverkäufer verstand die Welt nicht mehr, was meinte der verrückte Kunde damit.
„Naja, … wissen Sie Meister, wenn ich ein ganz normales Stangenbrot gekauft hätte, dann hätte ich höchsten eine Minute in ihrem Laden verweilt, und draußen erwartete mich doch ein Schmuddelwetter, wie Sie selbst treffend bemerkten. So aber konnte ich den Regenguss kostenlos in aller Ruhe abwarten“, erklärte der Kunde zufrieden, bedankte sich für die Aufmerksamkeit und verließ den Laden.