Mitglied
- Beitritt
- 07.01.2004
- Beiträge
- 63
Das Tier in mir
Soeben hat die Verwandlung begonnen. Blitze zucken hinter dem Regenschleier und der Donner mischt sich mit meinen Schreien. Hinter den Wolken spüre ich den Vollmond. Meine Haut zittert, dehnt sich und schmerzt. Haare drücken sich durch die Poren. Stellen sich auf. Alles brennt. Durch das Zahnfleisch dringen mit stechendem Schmerz gezackte Zähne. Der Regen prasselt gegen meine Augen.
Das Blut in meinem Mund schmeckt nach Leben, tanzt in meinem Rachen und wie ein Schwamm schlucke ich es und giere nach mehr.
Ich versuche zu denken, aber mit den Zähnen ist diese Übermacht gekommen. Ein Instinkt, der alles andere überschattet. Eine ungeheure Unruhe pocht in meiner Brust. Mein Herz giert nach Blut. Fremdem Blut. Ich will explodieren, wüten, meine Krallen in etwas schlagen und trinken.
Dort, was ist das? Ich rieche, ja, ich rieche Fleisch. Ein herber, süßer Duft dringt in meine Nase und bringt mich zur Raserei. Alles in mir bäumt sich auf, die Muskeln spannen sich und etwas in mir setzt zum Sprung an.
Muss mich zurückhalten nicht loszulaufen. Der Geruch windet sich tiefer in meine Nase. Es kommt näher. Schon höre ich, wie es keucht. Es ist ein Mensch, der da läuft und schwitzt. Noch ein paar Schritte in meine Richtung und ich werde springen.
Tief in mir drinnen heulen die Alarmsirenen. Nicht schon wieder. Blitze zucken und hinterlassen in meinen Lidern Erinnerungen an andere Vollmondnächte. Nicht noch ein Toter. Nicht noch eine übergroße Schuld. Versuche meinen schläfrigen Geist gegen den Instinkt aufzubringen, aber spüre, dass ich nicht kräftig genug bin. Das Tier in mir siegt und ich stehe, wie daneben und schaue hilflos zu.
Das Opferherz pocht in meinen Ohren. Ich springe. Mit meinen Krallen halte ich den Körper und schlage meine Fänge in den zuckenden Hals. Tief sauge ich den köstlichen, roten Strom in jede Zelle meines Körpers. Meine Zunge gleitet über die Wunde im Fleisch und leckt die Tropfen zusammen. Jeder Schluck zieht sich wie ein Energiestoß durch meinen Körper. Stärker beiße ich zu, meine verhornten Nägel haben Fetzen aus der Haut gerissen und langsam vergeht das Opfer. Das Zappeln hat aufgehört. Kein Widerstand mehr. Die Wärme in meiner Kehle ist wunderbar. Wie das Blut durch meinen Hals rinnt und in meinem Bauch eine Art von Orgasmus erzeugt. Meine Unruhe legt sich zum Schlaf. Leer sackt der Körper aus meinen Händen in die matschigen Pfützen.
Es geht mir besser. Eine übermächtige Kraft spüre ich in jeder Faser. Sogar die einzelnen Haare fühle ich genau. Der Wind der durch sie hindurchweht schmeckt nach Vollmond.
Mein Verstand kommt langsam wieder zu sich, genießt all die Energie mit einem bitteren Nachgeschmack. Entferne mich hastig von der menschlichen Hülle. Im Lauf richtet sich mein Rückrat auf, die Krallen ziehen sich langsam zurück und die Haare fliegen mit dem Wind in den Regen. Noch einmal blutet mein Zahnfleisch. Die spitzen, gezackten Zähne haben sich zurückgezogen.
Ich hab es wieder getan. Mein Gesicht ist blutverschmiert. Unter meinen Nägeln klebt Fleisch und die so übermächtige Energie ist mit dem Tier gegangen.
Ist hinaufgezogen zum Vollmond. Dahin, wo viele, viele Tierwesen darauf warten beim nächsten Vollmond wieder in einen Menschen zu fahren.