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Das Tor

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24.08.2003
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Das Tor

Ich fuhr jeden Tag daran vorbei. Ein kleiner Hohlweg, an dessen Seiten hohe Tannen standen. Der ganze Waldboden war mit abgefallenem Winterlaub bedeckt, außer jenem kleinen Korridor.
Die silbernen Gräser reckten ihre blassen Köpfe dem Mondlicht entgegen und warteten genau wie ich darauf, dass es Frühling wurde. Aber der Frühling ließ noch auf sich warten, nur ein seltsames Gefühl hing in der Luft, eine Ahnung auf mehr. Manchmal lachte ich laut auf, weil ich dieses Gefühl so mochte.

Ich hatte oft das Gefühl, wenn ich zwischen diesen Bäumen hindurchgehen würde, käme ich in eine andere Welt, nach Narnia, Phantasien, Mittelerde - besonders dann, wenn die Energie in der Luft beinahe knisterte und darauf wartete, die Bäume blühen zu lassen.
Ich nannte es Tor. Obwohl nichts zu sehen war, wusste ich, dass da ein unsichtbares Tor auf mich wartete, eine Schwelle, die ich nur durchschreiten musste, und schon war ich in einer anderen Welt.
Aber ich hatte immer Angst davor, es zu versuchen. Ich glaubte nicht, dass ich es ertragen könnte, wenn mein Traum erlöschen würde wie eine Kerzenflamme im Regen.

Die eigentliche Geschichte begann in einer Nacht im März. Es war Mittwoch, aus irgendeinem Grund bin ich nicht imstande, das zu vergessen. Ich hatte mich auf den Weg zum Bahnhof gemacht, um einen sehr guten Freund von mir zu treffen.
Damals dachte ich, das Kribbeln in meinem Magen sei Verliebtheit. Streng genommen war das nicht einmal falsch - es war nur mein Wille, der mich davon abhielt. Ich wusste, Liebe würde verloren gehen.
Ich schrieb ein Gedicht in dieser Zeit.

"Ein Kind, das nie geboren ist,
kann niemals sterben,
Eine Blume, die nie gepflanzt,
nicht verwelken,
Ein Stern, der nie geschaffen,
nie explodieren,
Die Bombe, nie gebaut,
wird niemals töten...
Und Liebe, nie entstanden,
kann niemals enden."

Ich hatte natürlich nur Angst davor, mit ihm zusammen zu sein. Es gefiel mir nicht, die Kontrolle über mich zu verlieren, und das wäre dann irgendwann der Fall. Er würde es schaffen, meinen Panzer zum Schmelzen zu bringen. Ich würde meine Abwehr fallen lassen und ihm vertrauen.
Wenn ich jemals eine Person getsehen habe, die mein Vertrauen verdient hat, dann ist es der Mensch, mit dem ich mich an diesem Abend getroffen habe. Und so erzählte ich auch von meinem Geheimnis, von meinem Tor.
"Ich glaube aber nicht, dass ich den Weg noch gehen kann", sagte ich zu ihm.
Er strich mir übers Haar. "Warum nicht? Meinst du, du bist schon zu erwachsen dafür?"
Ich antwortete mit einer Gegenfrage. "Meinst du nicht?"
Er lächelte, ich hörte es an seiner Stimme. "Du solltest es versuchen."
"Aber was wäre denn, wenn der Traum zerplatzen würde? Wenn meine Augen sich öffneten und ich noch in dieser Welt wäre?" Ich legte meinen Kopf an seinen Hals und schloß die Augen.
"Träume sind wichtig", sagte er. "Bewahre dir deinen."
Wir saßen im Wald, an einen Birkenstamm gelehnt. Es war sehr kalt, aber ich fror kaum. Meine Hände waren eiskalt, aber er wärmte sie. Auch mein Herz wurde warm. Es war ein unvertrautes Gefühl. Einst war das der Grund gewesen, aus dem ich Angst gehabt hatte.
Ich würde ihm noch einmal weh tun, obwohl ich das nicht wollte. Ich würde krampfhaft auf Distanz gehen, obwohl ich mich nach Nähe sehnte. Ich würde ihm ein paar Zeilen schreiben, und dann würde ich weinen. Später dann würde ich dann bei ihm übernachten und mich dabei an ihn kuscheln.
Aber jetzt war noch nichts davon zu merken. Jetzt war ich glücklich, und ich hoffe, dass er es auch war.

Es war Samstag, und der Mond war jetzt voll. Ich war auf dem Rückweg von einer Feier, hatte nur zwei Gläser Wein getrunken, aber ich hatte getanzt und danach Aspirin geschluckt. Wieder hämmerte mein Herz. In dieser Nacht war etwas anders als sonst, und es lag nicht am Mond.
Erst dachte ich an die Drogen, aber das war nicht so. Dann überlegte ich, ob es der Alkohol war. Oder der Alkohol und das Aspirin.
Es lag daran, dass ich glücklich war, beschloss ich schließlich.
Ich stellte das Fahrrad ab und machte ein paar zaghafte Schritte, in einen Wald hinein, den zu betreten ich mich nie getraut hatte. Mein Herz hämmerte, mein Mund war trocken. Wie im Traum tappte ich auf die silberne Stelle zu, die sich hell abhob zwischen dem Laub auf dem Boden, dem Moos und den verfaulten Baumstämmen. Dann schloss ich die Augen.
Am nächsten Morgen würden sie mein Fahrrad finden. Sie würden sich natürlich Sorgen machen, nach mir suchen. Die Polizei würde kommen und den ganzen Wald abgrasen. Sie würden Hunde haben. Meine Eltern würden weinen und sich Vorwürfe machen.
Ich blieb am Rand des silbernen Grases stehen. Es war von der Wintersonne gebleicht gewesen. Deutlich hing der Geruch nach Frühling in der mondlichtgeschwängerten Luft. Die Spitzen meiner Stiefel berührten Halme, die knisterten, als ich mich sanft bewegte. Ich befürchtete, ohnmächtig zu werden. Ich hyperventilierte. Alles um mich herum verschwamm.

Ja, sie würde um mich weinen, diese Familie, der ich schon so lange fremd geworden war.
Aber ein Mensch, der Mensch, auf den es ankam, würde wissen, wohin ich gegangen war.
Ich lächelte und trat einen Schritt vor.

 

Zum Gruss vita,

absolut tolle Geschichte ist dir da gelungen!! Ich nehme an, das die Story nicht ganz frei erfunden ist oder? Du hast die Story mit viel Gefühl und Feinsinn geschrieben, und ich hab sie unheimlich gern gelesen.

Das nur fürs erste! Ich muss jetzt los, aber ich schreibe später noch eine etwas ausführlichere Kritik. Da waren zwei, drei Sätze die ich nicht so schön fand.

Mfg Odin


:)

 

Hallo vita!

Die Gedanken, die du in dieser Geschichte verwoben hast, kennen vielleicht viele von uns, und du hast das Gefühl dieser Gedanken absolut passend mit eingeflochten. Wirklich schön. Muß den anderen da voll zustimmen.

Und eine Kleinigkeit anmerken, an der selben Stelle wie Illusionist:

"Ein Kind, das nie geboren ist, kann niemals sterben, eine Blume, die nie gepflanzt, nicht verwelken, ein Stern, der nie entzündet, nie explodieren, die Bombe, nie gebaut, wird niemals töten... und Liebe, nie entstand, würde niemals enden."

Dieses Gedicht liest sich wie eine schlüssige Folgerung -was sie auch ist-, aber warum wechselst du bei Liebe in den Konjunktiv? Ist sich die Sprecherin der eigenen Gedanken nicht sicher?
Wenn doch, würde ich das evtl. ändern.

Ansonsten nichts zu sagen.
Danke!

greetz, Oile

 

Hallo vita,

ich komme gerade wieder dazu, nach recht langer Zeit, auch mal wieder etwas zu lesen und hatte wohl gerade einen Glücksgriff gelandet. Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen - du hast eine wunderbare, gefühlvolle Schreibweise - und obwohl ich kein Monitor-Leser bin war sie geschwind verschlungen.

Eine Kleinigkeit habe ich gefunden:

Ich befürchtete, ohnmächgit zu werden.
ohnmächtig, oder?

Sebastian

 

Hallo vita,

ich beginne mit der Krittelei, dann hast Du es hinter Dir:

wenn ich zwischen diesen Bäumen hindurchgehen würde, würde ich in eine andere Welt kommen
ein würde würde ich ändern :D
und Liebe, nie entstand, würde niemals enden
wie schon meine Vorschreiber Stein des Anstoßes; meine Idee:
„und Liebe, nie entstanden, kann niemals enden“
Wenn ich jemals eine Person getroffen habe, die mein Vertrauen verdient hat, dann wäre es der Mensch
... habe ... hat, dann ist es der Mensch
Meinst du schon, du bist schon zu erwachsen dafür?
schmeiß das erste schon einfach weg

Gut geschrieben, die Gefühle eindeutig überzeugend, bewegend; so soll eine Geschichte sein. Aber auch die Überlegungen, Motive überzeugen mich, das macht es rund wie den Vollmond, den unschuldigen.

Der Schluss schlägt den Bogen zurück zum ersten Teil,
Zitat: „Aber ich hatte immer Angst davor, es zu versuchen“
doch nun wagt sie den Versuch, nach der Wärme, die sie gespürt hat und dem Vertrauen, das nicht enttäuscht wurde. Schön, dass die Geschichte an dieser Stelle endet, ganz wunderbares Gespür für den Moment ...

Doppeldaumen von mir!

LG Pied Piper :)

 

hallo,

vielen dank fuer eure lieben kritiken, das laesst das autorinnenherz hoeher schlagen :)
auf eure anmerkungen bin ich eingegangen und habe den buchstabendreher korrigiert. ich werde die geschichte eventuell noch ein bisschen ueberarbeiten, einige stellen sind mir noch zu flach, aber das mache ich, wenn ich wieder eigenes internet habe. bis dahin erhoffe ich mir noch mehr positive resonanz, das ist immer so gut fuers ego :)

glg, das vita

 

Hi Vita,

ich werde die geschichte eventuell noch ein bisschen ueberarbeiten, einige stellen sind mir noch zu flach,

mach das.
Insgesamt hat mir die geschichte, wie meinen Vorrednern, zwar gefallen, ich denke aber auch, dass Du noch mehr daraus machen kannst.

Gruß und schönes Wochenende
Jörg

 

Hallo vita!

Nachdem der Titel deiner Geschichte unter meiner ein paar mal genannt wurde (mensch, hab ich heute wieder ein tolles deutsch drauf... ) war ich neugierig, und musste deine Geschichte umbedingt lesen.
Sie hat mir sehr, sehr gut gefallen, dein Stil liest sich wirklich sehr schön flüssig und du erzählst wunderschön feinfühlig.

So far
Dark Demon Kairi

 

Hallo vita!
Ich habe deine Geschichte mit Ineteresse gelesen und mir hat besonders die Beschreibung dieser so besonderen Stelle im Wald gefallen. Da ich hier neu bin, habe ich noch eine Frage: Ist es hier immer so, dass die Geschichten von den Lesern auf Rechtschreibung und Grammatik geprüft werden, und wenn ja, wozu?
Liebe Grüsse
Catblue22

 

Hey vita,

tja ich wollte ja noch etwas mehr zu deiner Geschichte schreiben, aber ich bin wohl ein wenig zu spät :)
Weil im Grunde haben die anderen schon die Punkte angesprochen, die mir nich so gut gefallen haben.

So ansonsten kann ich nur nochmal wiederholen: Wunderbare Story!! :)

@Catblue22

Ist es hier immer so, dass die Geschichten von den Lesern auf Rechtschreibung und Grammatik geprüft werden, und wenn ja, wozu?

Nein, dass ist wohl nicht immer so, aber ziemlich häufig. Ich finde das ziemlich nett und auch sehr sinnvoll. Du musst zugeben, eine Geschichte die voller Fehler steckt, liest sich nicht so schön.

MFG Odin

 

Die Geschichte hat mir stilistisch gut gefallen, um nicht zu sagen sehr gut. Die Gefühle deiner Prot. hast du so schön rübergebracht, wie es nur möglich ist.

Von was für Drogen ist denn da die Rede?

Ich interpretiere die Geschichte so, daß die Prot. keinen Zauber vorfindet sondern eher eine Art Anfall hat. Irgendwie etwas traurig, falls sie wirklich diese Welt verläßt. Aber komischerweise erzeugt der Text fast schon eine Art Todessehnsucht.

Einen Hauch gelungener wäre es vielleicht, wenn sie nicht aus voller Gesundheit und Glück heraus da hin ginge.

r

 

hallo,

vielen lieben dank fuer die lieben kritiken, das hat mich sehr gefreut *freu*
auf die extrakte des bewert-o-maten bin ich eingegangen, vielen dank ;) ich freue mich, dass meine geschichte euch gefallen hat bzw gefaellt, und mehr weiss ich nicht zu sagen

glg, das vita

 

Wunderschöne Geschichte.

Es ist schön, durch eine Geschichte in die eigenen Träume entführt zu werden.
Verzaubernd, ohne sich in Luftschlösser zu flüchten und dadurch das Bild so real im Geiste.

Ich denke, dass jeder dieses Gefühl kennt, so ähnlich wie nachts bei der Fahrt auf einer leeren Straße, wenn der Gedanke an Substanz gewinnt, würde man bis an das Ende jener fahren, man irgendwo anders sein, eintreten in eine andere Realität.

Wirklich schön.

Iona

 

Hallo Iona,

viel etwas anderes als ein liebes "Danke" bleibt mir da ja nicht mehr... :shy:

gruß
vita
:bounce:

 

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