Das Werbegeschenk
Das Werbegeschenk
In ein paar Wochen fing für den sechs Jahre alten Marcel, den Sohn von Kathrin und Mark Bach die Schule an.
Die Schonzeit des Kindergartens war nun endgültig vorbei, jedoch freute sich Marcel, wie die meisten anderen Kinder in seinem Alter auch, auf die bevorstehende Grundschulzeit und seinen neuen Lebensabschnitt.
Er würde Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, doch zurzeit hatte er noch Ferien und ihm fehlten noch die meisten Schulsachen, die er für die erste Klasse brauchte.
Sein Vater war Chefredakteur bei einer angesehenen und gut gelesenen Zeitung und war nur selten zu Hause.
Marcels Mutter, die durch den Job ihres Mannes zwar zu Hause bleiben könnte, hatte jedoch einen Teilzeitjob als Verkäuferin in einem Modegeschäft in der Innenstadt.
Als Marcel vor knapp zwei Monaten noch zum Kindergarten ging, war sie meistens morgens an der Arbeit, holte ihren Sohn dann von dort aus ab, ging mit ihm irgendwo in der Stadt essen und brachte ihn danach zum Fußballtraining. In den meisten Fällen wurde er dann abends von seinem Vater abgeholt.
Marcel war voller Vorfreude auf seine anbrechende Schulzeit und das war ihm auch anzusehen.
An einem Vormittag gegen Mitte der Woche nahm sich Kathrin frei um mit ihrem Sohn die noch fehlenden Schulsachen kaufen zu gehen. Auf ihrer Fahrt durch die Innenstadt viel ihr ein Schreibwarengeschäft ins Auge.
Der Name des Geschäfts sagte Kathrin nichts und der Laden an sich war ihr auch noch nie aufgefallen.
Sie parkte den Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und nahm Marcel an die Hand. Die junge Frau vergewisserte sich ob ihr Sohn beim Überqueren der Straße auch alles richtig machte.
Als die beiden an der elektrisch aufgehenden Eingangstür des Ladens angekommen waren ließ sie ihn wieder los.
Marcel stürmte in das Geschäft und war sofort zwischen den Regalen verschwunden.
Kathrin war vor gut drei Wochen bei einem Elternabend an Marcels neuer Schule gewesen und hatte daher einen Zettel mit einer Übersicht der Dinge bekommen, die ihr Sohn brauchte.
Mark war zu dem Elternabend nicht mitgekommen, weil er am Telefon zu seiner Frau meinte, noch zu viel zu tun zu haben.
Kathrin schlenderte mit Ausschau haltendem Blick durch die Regale.
Eine freundlich aussehende Verkäuferin kam auf sie zu und bot ihr ihre Hilfe an.
Kathrin zeigte ihr den Zettel mit den Schulutensilien um den Einkaufsvorgang etwas zu beschleunigen. „Ja, ja, die Schule fängt wieder an“, nuschelte die ca. um die 40 jährige Frau vor sich hin als sie das Blatt Papier überflog, und Kathrin war sich halbwegs sicher, dass sie nicht direkt mit ihr geredet hatte, und so entgegnete sie ihr nur ein flüchtiges „Tja“.
Die Verkäuferin schaute zu ihr auf. „Zurzeit haben wir eine Sonderaktion.“, sagte sie. „Bei einem Warenwert von 50 Euro oder mehr erhalten Sie ein gratis Werbegeschenk dazu. Es handelt sich dabei um…“. Kathrin nickte zwar als hätte sie ihr zugehört, tat dies jedoch schon gar nicht mehr richtig, da Marcel wieder aufgetaucht war, an ihrem Sommerkleid zupfte und versuchte sie mit einem andauernd wiederholten „Mama, Mama, Mama“ auf den Ranzen aufmerksam zu machen den er sich ausgesucht hatte.
Es war ein Ranzen wie er für Grundschulkinder üblich war, bunt und nach Marcels Geschmack, mit einer Menge Dinosaurier verziert.
Die anderen Dinge, wie ein Federmäppchen, ein Farbmalkasten, ein Zeichenblock und diverse andere kleinere Dinge, wie ein Füller für Schreibanfänger und Tintenpatronen waren schnell gefunden und eingepackt.
Beim Bezahlen kamen sie auf einen Warenwert von 83,51 Euro.
Beim Verlassen des Geschäftes äußerte Marcel den Wunsch bei Mc Donalds vorbeizufahren, da es nun schon fast halb zwei war und beide noch nichts zu Mittag gegessen hatten.
„Wollen wir Papa auch etwas an die Arbeit bringen?“, fragte Kathrin ihren Sohn, „Er hat sicherlich auch Hunger und würde sich bestimmt freuen uns zu sehn.“
Marcel schaute zu ihr auf und strahlte: „Au ja! Dann kann ich Papa meinen neuen Ranzen vorführen!“ Kathrin schenkte ihrem Sohn ein Lächeln.
Sie fuhren zum nächstgelegenen Mc Donalds und gaben ihre Bestellung im Drive In auf.
Auf dem Weg zu Marks Arbeit hatte Kathrin kein großes Glück mit den Ampeln. Andauernd sprangen sie auf Gelb und dann auf Rot um, noch bevor die jeweilige Kreuzung überquert war.
Schon an der dritten war Kathrin sehr genervt und schaute zu den Cafés auf der linken Straßenseite hinüber.
Bei dem, das ihr am nächsten lag, öffnete sich die Tür und sie sah Mark herauskommen, der die Tür für eine junge, hübsche Frau aufhielt, die gleich nach ihm das Café verließ.
Kathrin fing an die Scheibe an der Fahrertür herunterzukurbeln um ihrem Ehemann ein „Hallo Schatz!“ entgegenzuwerfen.
Doch sie stoppte den Vorgang abrupt und ihr fiel die Kinnlade ein kleines Stück hinunter.
Sie musste sich beherrschen nicht zu auffällig zu reagieren da Marcel mit dem Spielzeug aus dem Kids Menü zu beschäftigt war, als dass er seinen Vater oder gar den Kuss zwischen ihm und der jungen Frau mitbekommen hätte.
Es wurde grün und trotz dem Chaos der Gefühle in das Kathrin gerade gestoßen wurde war ihre Selbstbeherrschung gut genug um sicher weiterfahren zu können. Sie stand unter Schock.
Hatte ihr Mann, den sie über alles liebte, trotz dass er kaum zu Hause war, gerade eine andere Frau geküsst?
Sie konnte das Bild nicht mehr aus ihrem Kopf bekommen, wie Mark der fremden Frau sanft seine Hand an den Hals legte und sie zu sich heranzog. Kathrin fuhr ruhig, doch ihr rann eine Träne übers Gesicht.
Ihr war auf einmal klar wieso Mark jeden Tag erst so spät kam.
Sie wendete und fuhr auf direktem Weg nach Hause.
Marcel der dies bemerkte sah von seinem Spielzeug auf und fragte ob sie denn nicht zu seinem Vater an die Arbeit fahren würden.
„Papa hat mir eben grade eine SMS geschrieben dass er schon gegessen hat, mein Schatz.“ Antwortete Kathrin mit leicht bebender Stimme, da ihr grad nichts Besseres einzufallen schien.
Marcel ließ es mit einem „Na gut“ darauf beruhen und wandte sich wieder seinem Spielzeug zu. Als sie zu Hause ankamen fuhr Kathrin das Auto in die Garage und bat ihren Sohn ihr beim Reinbringen der Schulsachen zu helfen. Marcel war Feuer und Flamme und zog sich gleich seinen Ranzen auf mit dem er ins Haus stürmte.
Kathrin war nach Außen hin ruhig und ließ sich von dem was sie gesehen hatte nichts anmerken. Doch in ihrem Inneren wurden tausend Fragen aufgeworfen.
Beim Ausladen einer Tüte fiel eine kleine Verpackung heraus und landete vor ihren Füßen. Sie war kaum zwei Zentimeter breit, hatte aber eine Länge von gut zwanzig.
Die von Gefühlen zerfressene Frau öffnete die Verpackung an einem Ende und zog das Werbegeschenk heraus. Sie festigte ihren Griff um den Gegenstand und nahm ihn an sich. Nun stand ihr die Wut auf ihren Mann ins Gesicht geschrieben.
Als Mark nach Hause kam hatte Kathrin Marcel schon lange ins Bett gebracht. Auch sie selbst lag bereits im Bett, jedoch bekam sie kein Auge zu. Die Stelle des Bettes auf dem ihr Gesicht lag war feucht, und hätte man das Licht im Raum angemacht, hätte man klar erkennen können, dass sie geweint hatte.
Sie hörte ihren Mann die Treppenstufen hochkommen und wie er sich im Bad neben dem Schlafzimmer bettfertig machte.
Kathrin Lag von der Tür weggedreht, deshalb konnte Mark sie nicht richtig sehen als er auf Fußspitzen das Zimmer betrat.
Er setze sich auf seine Seite des Bettes, beugte sich über sie und gab ihr mit dem Satz: „Schlaf schön mein Schatz! Ich liebe dich!“ eine Kuss auf die Wange.
Kathrin gab einen Schluchzer von sich und griff nach dem Werbegeschenk, das sie zuvor unter ihr Kopfkissen gelegt hatte.
Dass ihr Mann sie so anlog konnte sie ihm nicht verzeihen.
Sie erinnerte sich an die Verkäuferin in dem Schreibwarengeschäft. „Zurzeit haben wir eine Sonderaktion. Bei einem Warenwert von 50 Euro oder mehr erhalten Sie ein gratis Werbegeschenk dazu. Es handelt sich dabei um einen Brieföffner auf Edelstahl.“