- Beitritt
- 24.04.2003
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Das Werk des zerstörten Pinsels
Tau auf sattem Gras. Der Geschmack von Himbeeren im hellen Blau des Himmels. Es duftet nach Verlangen und Weiblichkeit. Schweiß auf heißer Haut. Ein resigniertes Seufzen.
Blut vermischt sich mit den Pastelltönen des Gedankengemäldes und ein Schrei der Qual verzerrt das Bild.
Dann sind da bloß noch wirre Farbflecken.
Es ist stets der selbe Traum, und er geschieht wieder und wieder. Jede Nacht.
Robert zupft nervös am Hemdkragen. Sein Therapeut schweigt noch einen Moment.
"Sie werden sterben", sagt er dann unvermittelt und Robert nickt.
"Ich weiß. Es ist, wie es ist."
Nach den Sitzungen kauft er sich immer einen Kaffee, um die Wartezeit auf den Bus zu überbrücken.
Manchmal glaubt er, die Menschen um ihn herum haben zu lachen aufgehört.
Robert fragt sich dann stets, ob das wohl endgültig ist.
Etwas Besonderes kann man nur festhalten, wenn es grausam war. Alles Schöne verschwindet und lässt bedeutungslose Schatten zurück.
Einmal, kurz vor Abschluss des Studiums, da hatte es geregnet. Ein völlig gewöhnlicher Tag. So gewöhnlich, dass man im Nachhinein eigentlich nur sagen kann: Es hat geregnet, so viel weiß ich noch. Aber ansonsten war da nichts.
Robert war auf dem Weg zur Universität. Er spannte den Schirm auf, und plötzlich, ohne jeden ersichtlichen Grund, da wurde ihm klar, dass ...
Der einfahrende Bus reißt ihn aus seinen Gedanken. Ein Kind schreit, eine Frau hustet, Türen öffnen sich, und ein kurzer Windstoß weht ein Blatt Papier davon.
Als er sitzt, kommt die Müdigkeit.
Eine Wiese flackert auf und es schmeckt nach Himbeeren.
Robert zuckt zusammen. Nicht einschlafen jetzt.
Er beobachtet es. Jeden Tag. Die Menschen lachen nicht mehr. Das Leben besteht aus schlechten Erinnerungen, Zwängen und Therapie.
Einmal wurde ihm ohne ersichtlichen Grund etwas klar. An jenem Tag hatte es geregnet.
Eine ganz einfache Schlussfolgerung, und innerhalb eines Augenblickes zerbrach Robert.
Zu Hause zupft er nervös an seinem Hemdkragen und hat Angst.
Sie werden sterben.
Kurz überlegt er, sich einfach einweisen zu lassen. Ihm wird warm. Schweiß auf heißer Haut.
Es gibt Verpflichtungen, Aufgaben. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen.
Man kann sich nicht einfach einweisen lassen. Wie würde das aussehen?
Weiblichkeit und Verlangen. Gedankengut in freundlichen Tönen, das sich nicht halten lässt und zu einem Schatten wird.
Natürlich wird er sterben, doch Angst vor dem Leben und gleichzeitige Angst vor dem Tod kann einen in ein ziemliches Dilemma bringen.
Eines Tages, es war ein völlig gewöhnlicher Regentag, wurde Robert bewusst, dass alles, was man macht, im Endeffekt keine Bedeutung hat.
Seitdem lachen die Menschen nicht mehr.
"Haben Sie jemals ein schönes Bild schreiend verbluten sehen?"
Sein Therapeut fasst sich an den Nasenrücken, als wolle er eine unsichtbare Brille nach oben schieben.
"Dieser Traum ... das sind Sie. Ich muss Ihnen das nicht sagen, weil Sie es wissen. Woher diese Angst kommt. Das Verwischen des Kontrastes ..."
Der Mund bewegt sich. Lippen werden geschlossen und geöffnet. Es ist ein resigniertes Seufzen, eingekleidet in wichtig klingende Worte.
Ohne Bedeutung im Endeffekt.
Nicht der Zwang als solcher ist am Schlimmsten, sondern der Zwang, ihn zu beenden.
Als Robert später im Badezimmer seiner Wohnung steht, schaut er in den Spiegel.
Der Schrei, den er plötzlich ausstößt, verzerrt das Bild.
Dann sind da bloß noch wirre Farbflecken.