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Das Wesen der Einsamkeit

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15.05.2002
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Das Wesen der Einsamkeit

Die Abendsonne erfüllte den versteckten Garten mit einem warmen Orangeton. Die Bäume am Rand des liebevoll gepflegten Stücks Natur seufzten in einer sanften Brise und Schmetterlinge umflatterten die vollen Blüten einer alles umschließenden Rosenhecke. In der Mitte dieses schönen Platzes hatte ein weißmarmorner Springbrunnen seinen Platz gefunden. In dem runden, auf einem Sockel ruhenden Becken, plätscherte Wasser, gespeist von einer kleinen Fontäne im Zentrum. Die Steinbank anbei war nicht leer. Ein Mann in seinen mittleren Jahren saß darauf und war in der Betrachtung eines nahen Blumenbeetes versunken. Er studierte mit verschwommenem Blick Wuchs und Form der Blüten. Die ganze Zeit trug er ein versonnenes Lächeln auf den Lippen.
Mit einer unbewussten Geste strich er sich die halblangen, dunklen Haare aus dem Gesicht und streckte seine Glieder. ‚Seine’ Nachtigall hatte eben ihren melodiösen Gesang aufgenommen. Das Herz des Mannes machte einen kleinen Hüpfer und seine Mundwinkel zogen sich noch etwas weiter auseinander. Er griff in seine Tasche und zog ein kleines, ledergebundenes Prosabändchen hervor. Die Zeit bis zur Dämmerung verbrachte er mit der Lektüre alter Lyrik.

Ein Garten, ein kleines Haus und ein Leben abseits der Aufmerksamkeit der Anderen.

Ein neuer Tag war angebrochen.
Er saß im Wohnzimmer und studierte die Zeitung des vorigen Tages, die er aus einem Papierkorb im Park des fernen Dorfes geklaubt hatte. – Kein Abonnement. Keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Keine weitere Flucht mehr.
Licht flutete durch breite Fenster in den Raum. Die alte Standuhr hatte gerade acht Uhr geschlagen und auf dem kleinen Beistelltischchen nahebei dampfte ein frischer Morgentee. Er stand auf und öffnete die Läden vollends. Luft – so frisch - strömte herein. Er ging wieder zurück, nahm die warme Tasse in beide Hände und begab sich nach draußen. Es dauerte eine Weile, bis er den bekannten Hügel hinter dem Haus erreicht und erklommen hatte. Oben angekommen setzte er sich auf einen Felsen, der sich hier inmitten des noch taufeuchten Grases wie ein alter Zahn aus dem Boden hervor geschoben hatte.
Von hier oben konnte der Mann die weite Landschaft, die Wiesen und Wälder seiner neuen Heimat unter einer nebligen Decke daliegen sehen. Er breitete die Arme aus, spreizte die langen Finger und konnte die unendliche Ferne fast greifen, an seiner Seele zupfen fühlen.

Zeit verstrich.

Die Nacht lullte seinen Körper in ihrer dunklen Umarmung ein und versuchte ihn in Vergessen machende Abgründe zu entführen. Seine Augen waren geschlossen, aber er schlief nicht. Auf eine gewisse Weise war sein Geist jedoch entrückt, strampelte an der materiellen Fessel seines Körpers und versuchte sich vom Fleisch zu lösen.
Monatelange Übung im Umgang mit der Selbsthypnose und das Studium der Welt des Spirituellen hatten seine geistigen Kräfte um ein Vielfaches erweitert und es ihm schließlich ermöglicht, sich selbst in einen Zustand der vollkommenen Beherrschung seines Bewusstseins zu versetzen. Es war ihm nun erlaubt, seine Träume zu kontrollieren und so in wunderbare Welten der Imagination zu entgleiten oder auch in tiefer Trance durch die Korridore seiner Vergangenheit zu wandeln, wo er lang vergessene Tage wieder erleben konnte.
Nun wollte er mehr – seine Grenzen erproben – die körperliche Hülle, welches alles so beschränkte, abstoßen und fort gleiten… sich selbst befreien; einfach nur frei sein.
Ein Kribbeln durchfuhr seine Nervenfasern, breitete sich über die Haut aus und konzentrierte sich letztlich in seinem Bauch zu einem gleichmäßigen, warmen Pulsieren. Langsamer und langsamer schlug sein Herz und verfiel endlich in einen langsamen Rhythmus.

Ein Funke, mehr nicht. Das war alles und doch so viel, was die Existenz eines einst regen, lebendigen Mannes nun ausmachte. Langsam schwebte er fort. Schwerelos durchströmte er die Wände seines Heims und taumelte, einem winzigen Falter gleich, durch die vom Mond erhellte Nacht. Das Fünkchen glitt hinauf zu den Sternen und mischte sich in die Milliarden zählenden Diamantenmeere, flog weiter und ließ die blaue Welt seiner Geburt hinter sich. Fünkchen wunderte sich nicht mehr ob der Tatsache, dass er nur an einen Ort denken musste, um dorthin zu gelangen. Schade war nur, dass er kein Gesicht besaß, welches das Schmunzeln ausdrücken konnte, das der gerade durch seinen Geist blitzende Gedanke ausgelöst hätte. Die Ewigkeit besaß keine Grenzen, aber Gedanken waren frei und schneller als ein flinker Sonnenstrahl und er würde sich ein Stück des Universums anschauen.
Er blickte zurück und sah den blaufunkelnd-flirrenden Silberfaden, der ihn mit seinem Körper verband und wieder in seine heimatliche Hülle zurückleiten würde.
Die verschieden Planeten des Sonnensystems zogen immer schneller an der kleinen Seele vorbei. Der Letzte, Pluto mit seinem Zwillingsmond Callisto, blieb als matt glitzernder Eisball in der leeren Schwärze zurück und die Sonne wurde zu einem Lichtfleck unter Unzähligen, reihte sich schließlich ein in die brillantenen Tentakel unserer Galaxis.
Er verharrte einen Moment, um in stiller Bewunderung das funkelnde Sternenmeer unter sich zu betrachten. Irgendwo dort unten…
Fünkchen driftete weiter, immer weiter fort zu einer Grenze, die es nicht gab, hinein in die Absolutheit des Nichts.

Es ähnelte keiner bekannten Farbe. Grau? Fast. Wie der Nebel, der manchmal über dem Ozean hing, an dem er seine Kindheit verbracht hatte. Die Weite, die sich jetzt um die kleine Seele dehnte war irgendwie… zerreißend schön. Er meinte den Nachhall rauschender Wellen zu hören, aber das waren nur Erinnerungen an eine schöne Zeit.
Schade, dass er keine Lungen hatte, um tief einzuatmen, aber im gleichen Moment bezweifelte ... Fünkchen, ja das war sein Name ..., dass es hier etwas wie Sauerstoff oder sonst etwas gab. Ob er wohl Salz auf seiner Zunge geschmeckt hätte?
Er flog ein Stück in irgendeine Richtung. Alles war in die gleiche Nebelsuppe getaucht, so dass es egal war, welchen Weg er einschlug. Nichts. Niemand, außer seiner eigenen, unterhaltsamen Wenigkeit. Er hatte sich selbst schon immer als Gesellschaft genügt und es als unangenehm empfunden, anderen Menschen gegenüberzutreten oder gar längere Zeit in der Nähe eines Anderen zu verbringen. Seine Kindheit war ein Fegefeuer an Demütigungen und zurückgezogener Selbstisolierung von einer bedrohlichen, einengenden Masse gewesen. Er glaubte nicht, dass ein Moment in seinem vergangenen Leben existierte, der jemals frei von diesem den Hals zuschnürenden, das Rückgrat heraufprickelnden Gefühl der Beklommenheit gewesen war. Im Hintergrund seiner Gedanken existierte immer irgendwo ein schattiger Winkel, in dessen Schutz eine neue Panikwelle langsam zur Reife heranwuchs, um dann unvorbereitet mit ihren scharfen Klauen das Herz seiner Angst aufzureißen und das daraus zu befreien, was den größten Feind seines Selbst darstellte…
Ein Flüstern umstrich Fünkchen wie ein unangenehmer Geruch. Plötzlich war es einfach da gewesen: eine leise gurrende Stimme, die fragend durch ihn hindurch schwirrte und unverständliche Fragen stellte; etwas wollte wohl Kontakt aufnehmen. War es eine ihm unbekannte Sprache oder befand sich der Inhaber zu weit ab von Fünkchens eigener Bewusstseinsebene, um sich klar ausdrücken zu können? Selbst hier, am fernsten aller Orte, ließ man ihm nicht den Frieden, welchen wohl nur der Tod endgültig zu bringen vermochte. Er schwieg und zog sich langsam zurück; unwillig, mit seinem nicht erwünschten Konterpart zu kommunizieren.
Die Wucht, mit der die mentale Attacke erfolgte, ließ ihn kurzzeitig vergessen, wo und wer er war. Die fremde Stimme brüllte mit einem von ungeheurem Schmerz erfüllten Tenor auf ihn ein. Bilder von seltsam deformiert wirkenden Wesen bestürmten Fünkchens Geist und erfüllten ihn mit einer tiefen, wütenden Traurigkeit. Er merkte schnell, dass dies nicht seine eigenen Emotionen waren, sondern fass diese zusammen mit den Gedankenbildern in ihn hinein projiziert wurden. Er versuchte sich zu lösen, folgte seinem blauen Lebensfaden und wollte nur noch in seinen ruhigen, warmen Körper zurücksinken und diese Hölle aus verdrehten Visionen hinter sich lassen. Das Grau des Raums wandelte sich nach einer unendlichen Weile wieder zu zusammenballenden Sternen und schließlich zum vertrauten Schlafzimmer seines Hauses.

Tom schlug die Augen auf und lauschte. Ihm war etwas schwindlig und in weiter Ferne vermeinte er den Nachhall einer brüllenden, unendlich einsamen Wesenheit zu vernehmen. Fröstelnd zog er die Schultern hoch und drehte sich zur Seite. Dort, auf dem Nachtschrank, stand ein Bild seiner Eltern mit ihm als kleinem Jungen mit zusammengepressten Lippen zwischen sich. Schon damals hatte er mit diesem gehetzten Blick in die Welt geschaut. Seine Mutter lächelte in die Kamera, während sein Vater eine ernste Miene zur Schau trug. Heute, wie einst, war es ihm nicht vergönnt, glücklich und im Reinen mit sich selbst zu sein. Er dachte über etwas nach, und obgleich es ein schwarzer Gedanke war, der jetzt in Tom aufblühte, lächelte er.

 

Hallo Marcus,

deine Geschichte lässt mich zwiegespalten zurück. Auf der einen Seite gelingen dir schöne Bilder, beschreibst du die Dinge, die Umgebung, die Atmosphäre so, dass man sich in die Geschichte hineingezogen fühlt. Auf der anderen Seite stehen schiefe Bilder, lange (und langatmige) Erzählstränge, ohne dass viel passiert oder die Beschreibungen dem Fortgang der Geschichte oder der Erzeugung von Atmosphäre dienlich wären.

Ich habe erst einmal ein Weilchen gebraucht, um mich in die Geschichte einzufinden. Die ersten beiden großen Absätze haben mich (obwohl sehr bildlich beschrieben) nicht besonders angesprochen. Auch im Nachhinein erscheinen sie mir nicht sonderlich notwendig für den Leser - oder besser: für die Geschichte.

Dann bleiben viele Fragen ungeklärt. Was ist das Geheimnis seiner Vergangenheit? Und welcher schwarze Gedanke kommt ihm am Ende? Hier würde die Geschichte eigentlich erst so richtig beginnen. Mit diesem Ende bleibt der Leser etwas unbefriedigt zurück.

Auf der Positiv-Seite stehen schöne Bilder und eine gute Idee. Die hätte man sicher noch ein wenig mehr ausbauen können - und zur Not dafür den Anfang kürzen.

Einige Anmerkungen:

Er studierte mit verschwommenem Blick Wuchs und Form der Blüten.
Woher weiß der Erzähler, dass der Blick verschwommen ist? Man kann etwas verschwommen sehen. Aber wie sieht ein verschwommener Blick aus?

- nahebei
- begab sich nach draußen
- erklommen
Diese Wörter hatte ich mir zu Anfang notiert, weil sie etwas antiquiert wirlken. Da aber der gesamte Erzählstil so gehalten ist, ist das natürlich kein Stilbruch und damit völlig in Ordnung. Ist man nur nicht mehr gewöhnt. ;)

die körperliche Hülle, welches alles so beschränkte abstoßen und fort gleiten…
Hülle, welche alles so beschränkte, abstoßen und fort gleiten…
(welche (- s); Komma hinter "beschränkte")

Fünkchen driftete weiter, immer weiter fort zu einer Grenze die es nicht gab
Grenze, die (Komma)

Die Weite, die sich jetzt um die kleine Seele dehnte war irgendwie…zerreißend schön.
dehnte, war (Komma)
Leerstelle vor "zerreißend"

Schade dass er keine Lungen hatte, um tief einzuatmen,
Schade, dass (Komma)

brüllte mit einem von ungeheurem Schmerz erfüllten Tenor auf ihn ein. Bilder von seltsam deformiert wirkenden Wesen stürmten auf Fünkchens Geist ein
auf ... ein / auf ... ein (wirkt beim Lesen wie eine Wiederholung; vielleicht eine Formulierung ändern?)

Das Gerau des Raums wandelte sich wieder
Grau (- e)


Viele Grüße
Kerstin

 

Hallo Katzano.

Danke erst mal für die konstruktive Kritik und die Veränderungsvorschläge. Bezüglich des abrupten Endes stimme ich Dir zu. Ich bin schon dabei die Geschichte etwas auszuweiten und werde die überarbeitete Fassung wohl in einigen Tagen ins Netz stellen.

MfG,
Marcus.

 

Ich bin auf ein paar Veränderungsanregungen meiner letzten Kritikerin eingegangen, um einen besseren Lesefluss zu gewährleisten.
Mit dem ausgearbeiteten Ende meiner Geschichte wird es, wie bereits gesagt, auch nicht mehr lange dauern. Danke auch schon im Voraus für weitere Verbesserungsvorschläge.

 

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