Das Zimmer der Wiedergutmachung
von Enni Schmal
Als Dr. Max Lennard aus seinem schlimmsten Alptraum erwachte, wünschte er sich, er würde sofort wieder einschlafen. Mit der Wucht einer Atombombe traf ihn der Schock. Unerwartet und rücksichtslos. Nur er und der Lauf einer Pistole, die direkt auf ihn gerichtet war, saßen in einem dunklem Raum fest. Der Träger der Beretta war nicht zu erkennen.
Wo bin ich nur?
Vor Furcht traute er sich nicht, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Ihm wurde fürchterlich kalt, obwohl der Raum eine feuchte Wärme verstreute. Gänsehaut bildete sich über seinem gesamten Körper.
„Können Sie sich vorstellen, warum Sie hier sind Dr. Lennard?“
Die Stimme hatte einen rauen, klangvollen Ton und hörte sich seltsam entspannt an. Völlig unpassend zu dieser skurillen Situation. Stumm schüttelte er den Kopf.
„Ich kann Ihre Antwort nicht verstehen Dr. Lennard?!“ Die Stimme des Fremden wirkte nun bedrohlich.
„äh…ich…wo…te…nu…“
„Sagen Sie bloß, es hat Ihnen die Sprache verschlagen?“
Und wie. In seinem ganzen Leben war ihm dies noch nicht wieder fahren.
Was zum Teufel wird hier gespielt?
Verzweifelt versuchte er sich an seine letzten Taten zu erinnern. Wie ein großes schwarzes Loch rankte die Leere über ihm.
„Wer sind Sie“, fragte Lennard zittrig. „Und wo zum Teufel haben Sie mich hingebracht?“ Jetzt brüllte er beinahe.
Langsam zog der Fremde den Lauf der Pistole näher an seine Stirn und drückte sie leicht dagegen. „Wie kommen Sie darauf, dass Sie hier die Fragen stellen können Doktor?“
Lennard spürte Panik in sich aufkommen.
In welch perverse Situation bin ich da nur rein geraten?
Krampfhaft versuchte er sich an die vergangenen Stunden zu erinnern. Der pochende, intensive Schmerz seines Hinterkopfes erschwerte ihm seine Gedankengänge.
„Also noch einmal“, begann der Unbekannte fordernd, „warum glauben Sie, sind Sie hier?“
Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Sein Herz schlug doppelt so schnell wie sonst und seine Hände trieften vor Nässe. Panische Angst hatte seinen Körper ergriffen und mobilisierte alle Kräfte um den Tod zu entrinnen…
…doch es klappte nicht! Seine Hände waren fest gebunden.
„I…ch…we…iß es…nic…ht“, stotterte er unsicher.
„Sagen Sie bloß Sie haben mal keine Ahnung worum es geht?“
Was will dieser Psychopath nur von mir?
„Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.“ Langsam fing er sich wieder.
„Ach kommen Sie Doktor. Sie wissen genau was Sie hier machen. Denn Sie selbst haben sich hierher gebracht. Wie gefällt Ihnen Ihr neues Zimmer? Es wird auch der Raum der Wiedergutmachung genannt.“
„Wovon reden Sie nur?“ Wut stieg in ihm auf. Brachiale Wut. „Sagen Sie mir doch endlich was Sie von mir wollen?“
Verächtlich lachte der Mann. Die Dunkelheit versteckte seine Silhouette. „Es sieht Ihnen ähnlich unkontrolliert zu reagieren Dr. Lennard. Exakt in der Art habe ich das von Ihnen erwartet.“
Stille trat ein. Tausend Gedanken schossen Max Lennard gleichzeitig durch den Kopf. Er konnte sich nicht erklären, was das ganze Theater sollte. Panisch zog Lennard an seinen Handschellen. Nichts öffnete sich.
„Glauben Sie wirklich, ich entführe Sie und vergesse dann auch noch Ihre Hände und Füße zu fesseln? Für wie amateurhaft halten Sie mich? Nein Doktor, Sie wissen wahrscheinlich wirklich nicht warum Sie hier sind. Aber hören Sie nur, ich werde es Ihnen durch Ihre eigenen Antworten näher bringen.“
Die rätselhaften Aussagen des Mannes ließen Lennards Panik größer werden. Sein Handy, welches er immer in seinem Jackett trug schien nicht mehr da zu sein. Bis auf seine Unterhose trug er keine Kleidung mehr am Leib.
„Was haben Sie mit mir vor?“
„Stop Doktor. Sie sind nicht derjenige, der die Fragen stellt. Das sagte ich bereits. Machen Sie mich verdammt nochmal nicht wütend, sonst erschieße ich Sie sofort und Sie werden Ihr jämmerliches Dasein mit vielen Fragen ohne Antworten beenden müssen. Haben Sie das verstanden?“
Er brachte nur ein Schluchzen als Bestätigung heraus.
„Wunderbar Dr. Lennard. Was haben Sie also bisher beruflich gemacht?“
Warum will er das wissen?
„Momentan bin ich Vorstand einer AG.“
„Richtig Dr. Lennard Sie sind nicht nur als Vorstand geholt worden. Sie hatten auch einen weiteren Auftrag, als man Sie zur IMA AG holte.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
Auf deinen Untergang, dachte der Unbekannte.
„Mit Ihrer Funktion haben Sie sich viele Feinde geschaffen. An sich pervers wenn man bedenkt, dass die Aktionäre Sie vergöttern, während die Belegschaft Sie am liebsten ins Jenseits verdammen würde.“
„Das ist sicherlich…“
„Seien Sie still Doktor. Sie sind nicht dabei eine unternehmenspolitische Rede zu halten, also verschonen Sie mich mit Ihren warmen Worten. Nein Dr. Lennard Sie kamen als Sanierer in die IMA AG. So wie es alle mittlerweile in den Konzernen dieser Welt halten, haben Sie tausende Arbeitsplätze gestrichen um die Kostensituation in den Griff zu bekommen.“
„Um unsere Position zu stärken war es notwendig…“
„HALTEN SIE IHREN MUND!“
Die Stimme des Mannes bebte durch den Raum nach.
„Trotz Rekordgewinn im vergangenen Jahr sahen Sie darin eine Notwendigkeit? Verschonen Sie mich mit Ihren Lügen.“
Lennard blieb still. Er spürte das es keinen Sinn hatte, sich gegen die Meinung seines Peinigers zu stellen.
„Sind die Aktionäre wichtiger als die Mitarbeiter unserer Firma?“
„Das kann man so nicht beantworten.“
„Wie dann?“
„Es muss auf beiden Seiten passen. Ohne die Aktionäre wäre die Firma nicht investionsfähig. Arbeitsplätze wären gar nicht möglich.“
„Haben Sie eigentlich mitbekommen, wen Sie da rausschmeißen lassen, als Sie die Vereinbarung unterschrieben haben, 4000 Leuten die vorzeitige Entlassung noch vor Weihnachten zu überbringen?“
„Ehrlich Mister, ich kann Ihren Unmut verstehen. Nur ist es mir unmöglich so viele Einzelschicksale nachzuvollziehen.“
„Falsche Antwort Doktor. Sie werden sterben.“
„Warum das? Welchen Sinn soll das haben?“
„Es wäre ein Zeichen“, meinte der Fremde voller Gewissheit. „Ein Zeichen dafür, dass es den Arbeitnehmern reicht, ständig der Spielball geldgeiler Vorstände und Aktionäre zu sein. Auf unserem Rücken wird der Dividendenkrieg ausgetragen und damit muss Schluss sein. Sie wissen nicht wirklich was draußen abgeht, aber woher auch? Die Medien haben seit Stunden nichts anderes gebracht, als über Ihre Entführung zu berichten. In den Augen der Wirtschaft sind Sie ein Held. Was für eine Zwiespältigkeit, wenn man bedenkt, wie vielen Menschen Sie Leid gebracht haben. Familien die nun ohne Einkommen Ihre eigenen vier Wände zwangsversteigern mussten, weil die Bank den Kredit verweigerte. Nein Dr. Lennard Sie können unserer Welt nicht noch mehr Leid bereiten.“
„Warten Sie bitte. Wieso tun Sie mir das an?“
„Ich habe Sie studiert, weil ich Sie verstehen wollte. Wochenlang bin ich Ihnen gefolgt. Nach meiner Entlassung hatte ich reichlich Zeit. Während Sie in Sauß und Brauß Ihre Millionen sinnlos in teuren Luxus steckten, fasste ich den Entschluss. Glauben Sie mir, es war keine leichte Entscheidung. Aber eine wie Sie schon vorher sagten. Notwendigkeit!“
Der Fremde drückte ab.