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Dazugezählt

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29.09.2004
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Dazugezählt

(Edit: Überarbeitete Version hier)

258 Fragebögen hat er heute erfasst. Eine gute Zahl. Michael verlässt seine Büronische im Demoskopischen Institut, so wie er sie an jedem Tag verlässt. Unauffällig, still und strebsam geht er durch den großen Raum auf den Ausgang zu. Stumm zählt er dabei jeden seiner Schritte mit und hält in Gedanken Antworten auf Abschiedsgrüße der Kollegen bereit: „Danke, ebenfalls.", „Ihnen auch.", „Bis morgen". Freundlich, souverän, selbstbewusst soll es klingen. Wie immer bemerkt ihn jedoch niemand und so verschwinden die Worte unbenutzt wieder in den Tiefen seines Verstandes. 38, 39, Doppelglasschwingtür, 40, 41, Treppe, rechter Fuß zuerst.

Natürlich würde Michael nur ungern Aufzug fahren und damit die Zählmöglichkeiten im Treppenhaus gegen Enge und Unbehagen eintauschen. 60, 61, 62, Treppenabsatz. An einem Tag wie heute, an dem so viele unvorhersehbare Wörter auf ihn warten, braucht er die Sicherheit der Numerik besonders. Die Gedanken an die Kindheit unter dem Tresen der Lotto-Annahmestelle, wo Mutter als Herrscherin über die Welt der Ziffern leberwurstfarbende Pullover strickte, die seinem Ansehen unter Gleichaltrigen den finalen Todesstoß versetzten. Endlose Stunden über Zahlenspielereien brüten und jeden Tag einen noch komplizierteren Schlüssel für den großen Gewinn ersinnen. Das gab ihm Geborgenheit und noch heute glaubt er daran, dass der Jackpot ihm gehören wird, wenn er eines Tags den Code des Lebens knacken kann. 104, 105, die Schwingtür zum zweiten Stockwerk öffnet sich.

„Hallo, Herr Schmid. Früher Feierabend heute?"
Michael hätte sich beinah beim Zählen verhaspelt. Woher kennt die freundliche Sophia aus der Kantine seinen Namen, wo einige der Kollegen im Büro ihn immer noch mit „Herr ... äh ... „ ansprechen? Ein einziges Mal hat er die Mittagspause in der Kantine verbracht, wo Sophia Charme und Wechselgeld aus ihrer Kasse verteilt und dieser eine Versuch hat genügt, ihm deutlich zu machen, dass der kollegiale Small-Talk heute wie in der Vergangenheit nicht seine Königsdisziplin war und er dort wie überall stumm und peinlich alleine sässe. War es die Schuld seiner Mutter, die kaum mit ihm gesprochen hatte, ihre Überfürsorge wegen seiner vermeintlich zarten Gesundheit oder das Fehlen von Vater, Geschwistern und Verwandten, das ihm die Unterhaltung mit anderen so erschwerte? Oder war er einfach ein Mensch, dem die Zahlen mehr bedeuteten als Sprache, der wie ein Mann aus fernem Land eine andere Muttersprache hatte und sich deshalb nur schwer verständigen konnte? Das „Warum" hatte er nie ergründen können.

„Gefälliges Lächeln" befiehlt Michael seinen Gesichtsmuskeln, aber sein Körper produziert statt dessen ein verräterisches Brennen auf die Wangen. Sein Verstand hat mal wieder die falsche Abzweigung erwischt.
„Hundertsieben" antwortet er betont freundlich.
Eine Sekunde lang sieht er die Irritation in Sophias Augen, dann ist sie wieder zurück im angenehm unverbindlichen Plaudermodus, der in Michaels Leben so unerreichbar scheint.

„Sie gehen auch zum Sport heute abend, stimmt‘s?"
Sophia hat ihre Schritte seinen angepasst und geht wie selbstverständlich neben ihm die Treppe hinunter. Michael schafft ein konzentriertes Nicken während er weiter damit beschäftigt ist, die Stufen zu zählen und sich wegen seiner Gesichtsfarbe zu verwünschen.
„Das ist doch endlich mal ein positiver Einfall der Institutsleitung, diese vergünstigten Mitgliedschaften im neuen Fitnessclub. Da geht man doch morgens gleich mit einer ganz anderen Einstellung zur Arbeit. Muß nur noch schnell meine Tasche holen. Also bis nachher ...", fröhlich zwitschernd hebt sie die Hand zum Gruß und verschwindet um die Ecke.

Michael bleibt stumm bei Schritt 127 stehen und wünscht sich zum siebzehnmillionsten Mal, so zu sein wie sie, oder wie seine Kollegen oder wie sonst jemand, der dazugehört. Das wäre sein Hauptgewinn! Im Leben dazuzugehören und in die Gesellschaft eingebunden zu sein. In jeder Situation den passenden Satz, die passende Reaktion liefern zu können, so dass die Menschheit nicht immer über seine Person stolperte. Wenn er heute alle Zahlen gemeistert bekäme, vielleicht würde er dann den Jackpot knacken.

Er nimmt seine Tasche, die Zahlenreihe und die Schritte wieder auf. Sophia hat richtig vermutet, er ist auf dem Weg zum Mitarbeiter-Ausgleichssport im Studio um die Ecke. Vorgestern hat er sich erstmals die Geräte zeigen lassen. Gewichte, Wiederholungen, jede Menge Zahlen dort. Jeder trainiert für sich selbst und doch ist man unter Leuten. Zudem erinnert er sich noch gut an die Studie vom letzten Herbst, in der Fitness-Einrichtungen bei den Kontaktmöglichkeiten seiner Altersgruppe in den obersten Rängen waren. Genau bei 258 Schritten betritt er das Studio. Die erste Übereinstimmung! Die Zahlen sind ihm wohlgesonnen heute, er wird sie bezwingen und sein Leben wird endlich eine Wendung erfahren.

***​

133, 134, 135 ... der Puls hämmert nun die neunte Minute mit über 140 Schlägen durch den ganzen Körper. Benommen sitzt Michael in der Ecke auf der obersten Saunabank, ganz auf das Pochen in seinem Kopf konzentriert. Seine Glieder fühlen sich ausgelaugt an von den ungewohnten Übungen. Sein Verstand schwirrt von Zahlen, Quersummen, Potenzen, Wurzeln in die er die einzelnen Stationen seines Trainings zerlegt hat. Die Welt außerhalb seines Körpers ist in einer anderen Galaxie. 138, 139 ... er wird es heute schaffen. Den ganzen Tag hat er gerechnet, verglichen, gezählt. Nur noch eine Minute, dann hat er die letzte selbstauferlegte Aufgabe bewältigt: 10 Minuten in der Sauna mit 140 Puls. 10.140 - Sophias Personalnummer, die er heimlich dem Computer entlockt hat. Noch einmal über sich selbst triumphieren, dann wird er Sieger sein. Akzeptiert. Mittelpunkt. Dazugehören. Alles, was er sich immer gewünscht hat. Letzte Runde: 55, 56, ... seine Haut brennt, sein Mund ist wie mit Watte gefüllt. Zahlen tanzen vor seinen Augen, legen sich über imaginäre weibliche Rundungen, deren Anblick er gleichzeitig sucht und flieht. Er giert nach Wasser, aber der Wille bleibt. 112, 113 ... was war das? Gestolpert beim Zählen? Jetzt nur keinen Fehler machen. Der Herzschlag will ihn narren. Ändert den Rhythmus, zögert, überspringt. 126, 127 ... Die Hitze nimmt ihm den Atem. Michael steht taumelnd auf, sein linker Arm schmerzt plötzlich stärker als alles andere. Er hält diesen Raum keine Sekunde länger aus, legt die Hand auf den Türgriff und drückt. 131, 132 ... nichts bewegt sich! Seine Muskeln sind wie Butter. Eingesperrt! Panisch verkrampft sich sein Herz. Plötzlich ein Ruck! Die Tür wird von außen aufgerissen. 133, 134 ... Sophia steht vor ihm, ein Handtuch lose um den Körper geschlungen. Sieht in seine Augen und lächelt.
Und Michaels Welt wird schwarz.

***​

Stimmen überschreien hektisch ein feines Piepen. Hastige Schritte. Worte ohne Sinn. Etwas klebt auf seiner Brust, Gummi schließt sich über seinen Mund, feucht-kühle Fliesen unter seinem Körper.
„Er ist wieder da! Puls ist schwach!"
Piep, piep ... 135, 136 ... Michael schlägt die Augen auf. Menschen stehen um ihn herum. Gesichter schauen auf ihn herab. Viele Menschen, die Kollegen - und Sophia. Piep, 137 Alle blicken nur auf ihn, er sieht Interesse in ihrem Blick, spürt Mitgefühl. Sophia ruft seinen Namen ... piep, 138 ... Er hat es geschafft! Piep, 139 ... Die Gesellschaft hat ihn aufgenommen! 140 ... Jackpot! Pieeeeeeeeeeeee....

 
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Hallo kira,

Du hast eine interessante Geschichte geschrieben, die mich durch deine Zahlenspielereien an vielen Stellen schmunzeln ließ. Du beschreibst den Charakter deines Protagonisten sehr exakt : ein Mensch, der sich mehr mit Zahlen verständigt, als mit Worten. Aus diesem Grund passt er nicht in die vorhanden Gesellschaftsstrukturen. Anfangs dachte ich, dass er Autist wäre, oder eine andere geistige Störung hätte, die ihn den ganzen Tag zählen lässt. So sieht er sein Leben als eine Herausforderung, "durchzuzählen" und Herr über die Zahlen zu werden, und gleichzeitig bei den Menschen "dazugezählt" (s.h. Titel) zu werden. Dies gelingt ihm aus seiner Sicht traurigerweise - dann stirbt er. Ich denke der Text spricht für sich. Du verpackst manch nützliche Anmerkungen, die das Verständniss erleichtern. Manchmal aber zerstörst du damit gegenläufige Gedanken und Verständnisbrücken beim Leser. Für diesen Fall gibt es einen Grundsatz : "Show don't tell.", soll heißen, dass du das nächste Mal mehr die Fantasie des Lesers durch Bilder anregst, und erzählende Elemente etwas vernachlässigst. Du könntest der Übung halber das Geschehen auch in einer Kneipe aus der Ich-Perspektive ablaufen lassen, und einen kürzeren Handlunsrahmen wählen. Auf diese Weise steigt der Leser eher in die Gedankenwelt des Protagonisten ein. Ich, für meinen Teil, konnte kein Mitleid für die Hauptperson in dieser Geschichte empfinden. War das von dir beabsichtigt ?

Liebe Grüße,
moonaY

 

Hallo kira,

liebenswert kauzig begibt sich dein Prot durch seine pedantische Zahlenwelt, klammert sich an ihren Hoffnungen fest, ohne den Schritt zu wagen. Das Leben soll zu ihm kommen, nicht er zum Leben.
Die Geschichte liest sich gut, melancholisch und doch mit leichtem Humor. Sie hat mir gut gefallen.

Du schreibst immer von "Worten", was auchwenn viele es von Klang her lieber mögen leider falsch ist. Um Worte handelt es sich nur bei Zitaten, also um weise Worte die gesprochen wurden. In der Mehrzahl muss es "Wörter" heißen.

Ein "er" ist dir eintfleucht.

Nur noch eine Minute, dann hat die letzte selbstauferlegte Aufgabe bewältigt:
dann hat er die ...
deren Anblick er gleichzeitig sucht und flieht
und hier bin ich nciht sicher, ob es nicht eigentlich "entflieht" heißen müsste.

Lieben Gruß, sim

 
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Hi moonaY,

danke fürs Lesen und deine netten Worte. Es ist eigentlich weniger Mitleid, was ich beim Leser erzeugen wollte, als eher Verständnis für jemanden, der feststellen muss, dass er sich irgendwie nicht in den Rhythmus der Gesellschaft einfügen kann und dann seine eigene Lösung des Problems ersinnt - sie bewältigt und gleichzeitig sein Leben dafür lässt. Welche Stellen empfindest du als "übererklärt" bzw. wo hattest du gegenläufige Gedanken? Wo genau hättest du den Grundsatz "Show - don't tell" angewandt? Sind diese Stellen der Grund, dass du mit dem Protagonisten nicht so mitempfinden konntest?

Hi sim,

freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat und danke für deinen Kommentar. "Worte" hat für mich eindeutig einen schöneren Klang als "Wörter". Aber wenn du sagst, es ist nicht korrekt, vertraue ich dir und ändere das. Muss wirklich an allen Stellen geändert werden? Auch hier

verschwinden die Worte unbenutzt wieder
und hier?
Worte ohne Sinn.
An diesen beiden Stellen würde es für mein Empfinden sehr komisch klingen "Wörter" zu sagen.

"... sucht und flieht" war mir irgendwie so als Redewendung im Kopf. Würd ich jetzt mal so lassen, mit der Option, dass ich den Satz vielleicht nochmal ganz umformuliere, weil ich mit ihm eh noch nicht recht zufrieden bin.

Danke für eure Mithilfe an meinem Text.

Gruß,

Kira.

 
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Hallo kira,

Ich verlange nicht von dir, dass du den Text vollkommen überarbeitest. In der Richtung möchte ich meine Kritik relativieren. Nur an zwei Stellen ist mir das sehr aufgefallen :

Oder war er einfach ein Mensch, dem die Zahlen mehr bedeuteten als Sprache, der wie ein Mann aus fernem Land eine andere Muttersprache hatte und sich deshalb nur schwer verständigen konnte?

Das hättest du nicht sagen brauchen. Im Dialog mit Sophia wird das schon deutlich. Seine Schwierigkeit, einen Small-Talk zu führen und Worte zu gebrauchen stellst du dort dar. Womöglich könntest, du um das noch stärker zu betonen, jenen Dialog noch etwas ausbauen, und lebhafter gestalten, beispielsweise ihn stolpern lassen. Oder sie möchte ihn näher kennenlernen und lädt ihn zu einem Rendezvous ein - auf seine Reaktion wäre ich gespannt.

Im Leben dazuzugehören und in die Gesellschaft eingebunden zu sein.

Das könntest du wiederum zeigen, indem du deine Hauptperson mit Sophia oder einen Kollegen konfrontierst. Will er ihr vielleicht einen Liebeserklärung machen, und scheitert er an seiner begrenzten Artikulationsfähigkeit ? Will er beim Chef mehr Gehalt erreichen, und verhält sich im Sportstudio vollkommen daneben ?

Die beiden Kernaussagen hätten so nicht im Text stehen müssen, sondern sollten vielmehr durch die Gedanken und Handlungsweisen des Protagonisten Ausdruck finden. Jedoch zählt immer noch der Gesamteindruck. Und da dieser in deiner Geschichte sehr humorvoll und spielerisch ausfällt, sind es eher marginale Fehler im Gesamtbild.

Man bedenke :

Der Schlüssel zur Gesellschaft ist auch heute noch die Sprache. :cool:

Liebe Grüße,
moonaY

 

Hi moonay,

danke, dass du deine Kritik nochmal detaillierter ausgeführt hast, so kann ich nachvollziehen, um welche Stellen es dir genau geht. Ich hatte deine Worte jetzt auch nicht so verstanden, dass ich alles nochmal neu schreiben müsste. ;)

Ich werd die von dir angemerkten Passagen mal im Hinterkopf behalten und sehen, ob ich da noch was verbessern kann. Der Hinweis war auf jedenfall schon mal sehr hilfreich für mich.

Gruß,

Kira.

 

Hi Kira,

bei beiden von dir genannten Stellen könnte es auch Worte heißen, da es sich aber nur um ungehörte Grüßeoder um zusammenhanglose Fetzen handelt, die dein Prot sagt oder hört, würde ich auch da zu Wörter tendieren, da es die Verlorenheit oder die Sinnlosigkeit besser darstellt.

Lieben Gruß, sim

 

Hi Kira

so, der Keller ist geheizt und ich hatte Lust, in deiner Geschichtenliste zu kramen. :)

Und ich muss sagen, ich bereue es nicht. :) Deine Geschichte fand ich ungewöhnlich und innovativ, ein wirklich interessanter Plot und ein liebenswerter Protagonist. Stilistisch finde ich es auch sehr schön stimmig und gut zu lesen - einige Stellen kannst du jedoch noch ausbauen (ich glaube, moonay bemerkte so etwas schon). Daran feilen kannst du sicher noch und ihr wie einem Diamanten den letzten Schliff verpassen - einfach nochmal Satz für Satz durchgehen... es kann sich nur lohnen! Immerhin gefiel mir deine Geschichte in der jetzigen Version auch schon sehr gut.
Gerne gelesen.

lg Anea

 
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Hallo kira :).

Deine Geschichte hat mich ziemlich fasziniert. Wie du hier die allernächste und intimste Gegenwart von Michael mit seiner Vergangenheit verknüpfst, finde ich einfach phänomenal-genial. Wir lernen ihn kennen als einen verschreckten Mann mittleren Alters, der sich in seine inneren Welt aus Zahlen und Rechenaufgaben verbarrikadiert hat, um sich gegen die äußere Welt abzuschirmen, gegen sie Schutz zu suchen. Wobei er sich, und dies ist das eigentliche Paradoxon der Geschichte, dennoch nach nichts mehr als danach sehnt, dazuzuzählen / "Jackpot", "Hauptgewinn".
Diese Schutzsuche steht, wenn ich mal interpretieren darf, eigentlich für die Suche nach der "verlorenen", unerreichbaren Mutter. Wenn er nämlich fortwährend rechnet und zählt, ist es ein folgerichtiger Gedanke, dass er damit vielleicht ein Gespräch mit seiner Mutter aufzunehmen trachtete, die ja ihrerseits nur Zahlen und Schlüsselformeln kannte, wogegen er sie noch nicht beherrschte und deshalb unter den Thresen abgeschoben wurde.

Andererseits ist es auch kein großer Hit, die Geschichte so zu interpretieren, denn

War es die Schuld seiner Mutter, die kaum mit ihm gesprochen hatte, ihre Überfürsorge wegen seiner vermeintlich zarten Gesundheit oder das Fehlen von Vater, Geschwistern und Verwandten, das ihm die Unterhaltung mit anderen so erschwerte?
ist da wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Um das abzuschwächen, würde ich diese fast triviale rhetorische Frage in tiefergründigere Aussagen verstecken. Das wäre der einzige größere Knacktpunkt in der Geschichte.

Nun noch ein bisschen Detailkritik zu Sprache und Stil:

ein Mann aus fernem Land
Gefällt mir nicht, und es ist wohl auch nicht sehr grammatikalisch. "Land" ist ein zählbarer Begriff, es müsste also - in diesem Sinne - aus einem fernen Land heißen.

Eine Sekunde der Irritation in Sophias Augen
Umgangssprachlicher Satzbau, da ohne Verb. Sollte das eine Ellipse werden, ist dies dir hier nicht so gelungen. Ich glaube, man kann keine Ellipsen mit Vollsätzen kombinieren.

Michael bleibt stumm bei Schritt Nr. 127 stehen und wünscht sich zum siebzehnmillionsten Mal...
Wenn er heute alle Zahlen gemeistert bekäme, vielleicht würde er dann den Jackpot knacken!
Ausrufezeichen unpassend, da zu unerwartet und penetrant, entweder Punkt oder Fragezeichen.

wird endlich eine Wendung erfahren.

-

133, 134, 135 ... der

Empfehlung:
***​

Zahlen tanzen vor seinen Augen, legen sich über imaginäre weibliche Rundungen, deren Anblick er gleichzeitig sucht und dem er dennoch entflieht.
Sieht in seine Augen und lächelt. Und Michaels Welt wird schwarz.
Den zweiteren Satz würde ich, da er gewissermaßen einen Schnitt darstellt, auf eine neue Zeile stellen. Dann Kapitelteilung wie oben, ein Strich ist unüblich.

Im Großen und Ganzen aber habe ich die Geschichte gerne gelesen. Dies sogar laut, um die Worte richtig auf der Zunge zergehen zu lassen; das mache ich bei weißgott nicht jeder Geschichte.


Bravissimo,
FLoH.

EDIT:
Da ich es das erste Mal geschafft habe, erst unvoreingenommen eine Kritik zu schreiben und dann erst die restlichen zu lesen: Krieg ich einen Holzroller? :D ;)

Anea schrieb:
Stilistisch finde ich es auch sehr schön stimmig und gut zu lesen - einige Stellen kannst du jedoch noch ausbauen (ich glaube, moonay bemerkte so etwas schon). Daran feilen kannst du sicher noch und ihr wie einem Diamanten den letzten Schliff verpassen - einfach nochmal Satz für Satz durchgehen... es kann sich nur lohnen!
:unterschreib:

 
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Hey Anea,

das lob ich mir, dass der geheizte Keller meiner Geschichte zugute kommt. Wem muss ich da danken, dem Bruder, der Familie, den Feiertagen? ;) Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat und nachdem die Story nun ziemlich genau einen Monat Ruhe hatte, ist auch gerade der richtige Abstand erreicht, um nochmal was dran zu verschlimmbessern. ;) Danke fürs Vorkramen.

Hi FLoH (musste nochmal wegen der Verteilung von Groß- und Kleinbuchstaben nachschauen ;) ),
danke für die feine ausführliche Kritik und die interpretatorischen Gedanken, die du dir gemacht hast. Im Vorfeld der Geschichte hab ich mir im Kopf das halbe Leben von Michael skizziert und könnte dir noch einiges über ihn erzählen, was dann doch nicht in die Endversion mit eingeflossen ist (warum er z.B. Rosenkohl hasst und ihn trotzdem jede Woche isst). Aber dass er über die Zahlenspielereien auch den Kontakt zur nicht mehr anwesenden Mutter sucht, darauf bin ich nicht gekommen. Scheint mir aber logisch durchaus nachvollziehbar. Da bist du doch wohl psychologisch versierter als ich. ;) (Übrigens tolle Marktlücke im Gesundheitswesen: Psychologische Betreuung von erfundenen Persönlichkeiten mit mentalen Defiziten :sick: )
Dass ich zu sehr den Hang hab, zu viel und zu deutlich zu erklären, wird mir langsam immer bewusster. Ich will in den nächsten Tagen versuchen, das eine oder andre nochmal zu überarbeiten.
Deine Sprach- und Stiländerungsvorschläge werd ich gleich noch in den Text einbauen. Die Formulierung "Mann aus fernem Land" werd ich erst mal lassen, weil ich sie a) schön finde und b) ja gerade diesen Absatz vielleicht eh nochmal ändere.
Könntest du mir noch netterweise erklären, was du im literarischen Sinne unter Ellipse verstehst? Muss es mir sehr peinlich sein, dass ich mir unter diesem Wort bisher ein eiförmiges Etwas vorzugsweise in mathematischem Zusammenhang vorgestellt habe? :confused:

Fühle mich geehrt, dass du meine Geschichte laut gelesen hast. Das hat mir noch nie jemand gesagt. Wo ist der Erröt-Smiley? Der? :o

Und - klar, kriegst du einen Holzroller. Sogar mit Hupe dran und bunten Tüddelbändchen an den Lenkergriffen! Ich hol gleich meinen Laubsägebogen aus dem Keller und bastel dir einen. :D

Gruß,

Kira.

 

:klug:
Eine Ellipse ist ein unvollständiger Satz. Meistens findet sie in mündlichen Ausrufen Verwendung. Beispiel: "Zu Hilfe!"
Häufig verwendete Ellipsen: Nicht schon wieder. | Je schneller, desto besser. | Noch jemand ohne Fahrschein? :Pfeif:
Sie dient aber auch der Verkürzung und Verdichtung von Textpassagen und einzelnen Sätzen. Beispiel: Hamburg hat mir nicht gefallen. Berlin schon.

 

Hey,
moonaY hilft immer gerne. Verbindlichsten Dank. Wieder was dazugelernt. ;) Bestimmt hatte ich das nur verdrängt, weil das Wort Ellipse so verdächtig nach Mathe riecht. :Pfeif:

 

Kommt ein Zaunpfahl geflogen...

Hi kira,

so packen wir´s an, ich glaube, so viel isses nicht:

Inhalt:
Sehr einfühlsam erzählst Du die Geschichte eines Mannes, der in einer eigenen Welt lebt. Ein Eigenbrötler, einerseits von der Welt nicht beachtet, der sich aber auch künstlich abschottet und so in einen Kreislauf gerät, dem er zu entfliehen versucht.
Eine Strategie ist, das firmeninterne Fitnessprogramm zu nutzen, um so Kontakte zu knüpfen.
Auf dem Weg trifft er Sophia aus der Kantine, die das Gegenteil von ihm zu sein scheint. Offen, Kommunikativ, Fröhlich.
Und doch verbindet die beiden etwas. Er hat sich mit ihr beschäftigt. Und auch sie hat offenbar einige Infos über ihn gesammelt oder erhalten. Somit gibt es ein unsichtbares Band zwischen beiden.
In der Sauna verausgabt er sich so sehr, daß er zusammenbricht und so unbeabsichtig das erreicht, wonach er sich sehnt.
Ob er dabei stirbt, wird nur angedeutet, wäre ein kleiner zynischer Schlenker, den man diskutieren könnte.

Vorgehensweise:
Ich finde die Geschichte bis zum Fitnessstudie sehr ausgewogen und behutsam erzählt. Vor allem die Charakterisierung des Protagonisten gefällt mir schon recht gut.
Jedoch habe ich auch was zu bemängeln. Und wie immer die Hinweis, daß dies jetzt stark subjektiv ist und wohl mit meiner Art zu schreiben zusammenhängt.

Ich finde, an einigen Stellen gibst Du Dir zu viel Mühe, den Protagonisten dem Leser näher zu bringen. D.h. Du verwendest sowohl die charakterisierende Darstelung von Handlungen als auch die Beschreibung mittels Adjektiven und so ergibt sich für mich eine Doppelung, die unnatürlich bzw. zu sehr gewollt.

Beispiele:

258 Fragebögen hat er heute erfasst. Eine gute Zahl. Michael verlässt seine Büronische im Demoskopischen Institut, so wie er sie an jedem Tag verlässt.
Wenn er da arbeitet und das bekommt man auf jeden Fall raus, dann macht er das jeden Tag. Evtl. Würde ich die Uhrzeit als Zahl einfließen lassen und wenn es heute eher ist (kommt ja unten raus), dann kannst Du auch hier noch ein paar Zahlenspielereien einbauen z.B.

258 Fragebögen hat er heute erfasst. Eine gute Zahl. Um 17:34 und damit 26 Minuten eher als sonst verlässt Michael seine Büronische im Demoskopischen Institut.

Unauffällig, still und strebsam geht er durch den großen Raum auf den Ausgang zu. Stumm zählt er dabei jeden seiner Schritte mit und hält in Gedanken Antworten auf Abschiedsgrüße der Kollegen bereit: „Danke, ebenfalls.", „Ihnen auch.", „Bis morgen". Freundlich, souverän, selbstbewusst soll es klingen.
Strebsames Gehen? Habe ich noch nicht gehört. Hier wechselst Du in die Außensicht, um sein Gehen zu betrachten. Würde ich nicht machen. Indem Du aus seiner Sicht weiter beobachtest, kann man sich das Bild zusammenzimmern. Die wörtliche Rede würde ich rauslassen auch hier kann man sich ein paar Abschiedsformeln selber hinlegen, die charakterisieren ihn auch nicht besser. Wichtig ist eher, daß er nicht armeschlenkernd rausläuft und die Leute offen angrinst, so daß überhaupt eine Möglichkeit des Verabschiedens vorhanden ist.
Also z.B.
Mit gesenktem Kopf läuft er zielstrebig auf den Ausgang des Großraumbüros zu. In Gedanken hält er Antworten auf mögliche Abschiedsgrüße bereit. 37 Schritte. Wie immer bemerkt ihn jedoch niemand und so verschwinden die Worte unbenutzt wieder in den Tiefen seines Verstandes. 38, 39, Doppelglasschwingtür, 40, 41, Treppe, rechter Fuß zuerst.

Natürlich würde Michael nur ungern Aufzug fahren und damit die Zählmöglichkeiten im Treppenhaus gegen Enge und Unbehagen eintauschen.
Konjunktive Verneinung? Wichtig ist wohl, daß hier herausscheinen soll, daß er die Sicherheit des Zählens schätzt und heute ganz besonders braucht. Die zusätzlichen klaustrophoben Anwandlungen...mmh ja passen irgendwie rein, tauchen aber in der Sauna nur kurz auf (entweder deutlicher oder raus).
Also evtl.

Ohne aufzublicken geht er vom Fahrstuhl die 15 Schritte bis zum Treppenhaus. Abgestandener Rauch schlägt ihm entgegen. Doch das montone Klacken seiner Absätze und die regelmäßigen Zahlenfolgen der Etagen haben für ihn immer etwas Beruhigendes.

Den Abschnitt mit der Kindheit reinzubauen, ist gewagt, da ziemlich plakativ. Und jemand, der sowas jeden Tag macht, wird sich nicht bei einer alltäglichen Tätigkeit an seine Kindheit erinnern. Noch dazu über einen längeren Zeitraum (mehrere Bilder von der Mutter, Hänseleien, Brüten für den Jackpot).
Entweder die Infos dosiert irgendwo einstreuen (wie unten der Hinweis mit der Mutter) oder weglassen -> ich würde nicht versuchen zu erklären, warum er so ist.

Hallo, Herr Schmid. Früher Feierabend heute?"
Michael hätte sich beinah beim Zählen verhaspelt. Woher kennt die freundliche Sophia aus der Kantine seinen Namen, wo einige der Kollegen im Büro ihn immer noch mit „Herr ... äh ... „ ansprechen? Ein einziges Mal hat er die Mittagspause in der Kantine verbracht, wo Sophia Charme und Wechselgeld aus ihrer Kasse verteilt und dieser eine Versuch hat genügt, ihm deutlich zu machen, dass der kollegiale Small-Talk heute wie in der Vergangenheit nicht seine Königsdisziplin war und er dort wie überall stumm und peinlich alleine sässe.
Entweder bleibt er stehen oder er verhaspelt sich. Das geht nicht, daß er sich beinahe verhaspelt, denn damit würdest Du ihre Wichtigkeit sehr reduzieren. Und ich würde ihn stehen bleiben, 3 Schritte zurückgehen, lassen, damit er bei 110 stehen bleiben kann, einer Zahl, die man sich merken kann (auch prima, weil da der Polizeinotruf drin ist). Dann kannst Du die Erinnerung, seine Wahrnehmungen reinbauen und ihn dann mit "Hundertzehn" oder "Hundertsieben" weiterlaufen lassen (ohne die plötzliche Makroskopische Sicht auf den Verstand).
Das mit der Röte im Gesicht, würde ich lassen. Jemand, der so konzentriert ist, wird das Brennen nicht bemerken.
Eher würde ich ihn ohne Befehl lächeln zu lassen, was aber wegen der Konzentration nicht gelingt.
Auch glaube ich nicht, daß er sie lange anschaut, eher sollte er ihre Irritation gar nicht bemerken.

Für mich sind eher zwei Fragen wichtig:
1. Woher weiß sie als Kassiererin seinen Namen?
2. Woher weiß sie, wann er sonst Feierabend macht?

Das impliziert, daß sie sich informiert hat, was unwahrscheinlich ist und erklärt werden müßte oder es ist eher Zufall, dann reicht das Kennen des Namens als Zeichen von überdurchschnittlichem Interesse aus. Den Namen könnte sie ja auf seiner Chipkarte in der Kantine gesehen und sich gemerkt haben, was schon eine Leistung ist, bei einem Mal.

Also bis nachher ...", fröhlich zwitschernd hebt sie die Hand zum Gruß und verschwindet um die Ecke.
"Zwitschernd" raus oder umformulieren z.B. zwitschert sie fröhlich (was aber aus meiner Sicht nicht passen würde). Zwitschernd verwendet man eher, wenn danach noch etwas kommt, aber hier ist es scheinbar eine Art Abschied und da könnte man sagen: "flötet/zwitschert sie fröhlich zum Abschied", was aber nicht zu dem Bild passen würde, das ich von Ihr habe. Die Hand würde ich rauslassen, da er ja eigentlich mit den Blick konzentriert am Boden hängt.

Finde das Bild stark, wie er verzweifelt versucht, in der ungewohnten Situation seine routinierte Zählerei aufrechtzuhalten und sie unbekümmert ihre Meinung kundgibt, um dann wieder abzubiegen und ihn unvermittelt dastehen zu lassen.

Michael bleibt stumm bei Schritt 127 stehen und wünscht sich zum siebzehnmillionsten Mal, so zu sein wie sie, oder wie seine Kollegen oder wie sonst jemand, der dazugehört. Das wäre sein Hauptgewinn! Im Leben dazuzugehören und in die Gesellschaft eingebunden zu sein. In jeder Situation den passenden Satz, die passende Reaktion liefern zu können, so dass die Menschheit nicht immer über seine Person stolperte. Wenn er heute alle Zahlen gemeistert bekäme, vielleicht würde er dann den Jackpot knacken.
Das ist ein heikler Abschnitt, da er wohl die innersten Motivationen von ihm darstellt. Aber ich bin skeptisch, daß jemand in solch einer Situation solche Ziele formuliert:
- ich möchte im Leben dazugehören
- ich möchte in die Gesellschaft eingebunden sein

Sondern es ist doch eher so, daß man sich dann eher situativ fragt:
-Warum kann ich sie nicht anschauen?
-Warum fällt mir nix passendes ein?

Und eben nicht pauschal:"Warum bin ich so anders als die andern?"

Das suggeriert, daß der Autor noch mal pauschal für sich und den Leser die Zweifel des Prots aufkocht, sie sowieso herausscheinen und das paßt aus meiner Sicht nicht zum Stil der Geschichte.

Jeder trainiert für sich selbst und doch ist man unter Leuten. Zudem erinnert er sich noch gut an die Studie vom letzten Herbst, in der Fitness-Einrichtungen bei den Kontaktmöglichkeiten seiner Altersgruppe in den obersten Rängen waren. Genau bei 258 Schritten betritt er das Studio. Die erste Übereinstimmung! Die Zahlen sind ihm wohlgesonnen heute, er wird sie bezwingen und sein Leben wird endlich eine Wendung erfahren.
Auch hier sind dies für mich eher die Gedanken des Autors, als des Prots.
Die Zahlen und verschiedenen Möglichkeiten der Fitnessübungen ja.
Aber die Kontaktmöglichkeiten, die Leute - das würde er sich evtl. unterbewußt wünschen, aber niemals vor sich zugeben (siehe unten).

133, 134, 135 ... der Puls hämmert nun die neunte Minute mit über 140 Schlägen durch den ganzen Körper. Benommen sitzt Michael in der Ecke auf der obersten Saunabank, ganz auf das Pochen in seinem Kopf konzentriert.
Darüber haben wir schon diskutiert. Mir ist nicht klar, was er hier zählt.
Sind das die Pulsschläge pro Minute oder einfach der Herzschlag?
Bei ersterem wären das also Zahlen im Abstand von 1 Minute (wenn es nur 30 sek oder 15 sek Abstände wären, müßten die Zahlen entsprechende Teiler sein, also durch 2 oder 4 Teilbar).
Außerdem würde es die 140 negieren, den offensichtlich ist der Puls (Herzschläge pro Minute) noch unter 140.

Also ist es der ganz normale Herzschlag und er fängt jede Minute neu an zu zählen, dann würde ich die ersten Zahlen so bei 121 anfangen lassen, damit der Leser in Echtzeit dabei ist, als während er liest verstreicht die neunte Minute.

Außerdem wäre hier das genaue Aufzeigen seiner Berechnungs- bzw. Zählmethode vorteilhaft, um sich seine Situation besser vor Augen zu führen. Also der Sekundenzeiger (den er durch das Fenster evtl. sieht), der sich in dieser Zeit ebenso schleppend vorwärtsbewegt.
Denn bisher hat er immer alles addiert und das ist eine neue Zählweise, die man erstmal einführen muß (für mich wäre das klarer).

Dadurch würde auch erklärt werden, warum es dann plötzlich wieder bei 112 ist.

Stimmen überschreien hektisch ein feines Piepen. Hastige Schritte. Worte ohne Sinn. Etwas klebt auf seiner Brust, Gummi schließt sich über seinen Mund, feucht-kühle Fliesen unter seinem Körper.
„Er ist wieder da! Puls ist schwach!"
Piep, piep ... 135, 136 ... Michael schlägt die Augen auf. Menschen stehen um ihn herum. Gesichter schauen auf ihn herab. Viele Menschen, die Kollegen - und Sophia. Piep, 137 Alle blicken nur auf ihn, er sieht Interesse in ihrem Blick, spürt Mitgefühl. Sophia ruft seinen Namen ... piep, 138 ... Er hat es geschafft! Piep, 139 ... Die Gesellschaft hat ihn aufgenommen! 140 ... Jackpot! Pieeeeeeeeeeeee

Hier ist die Realität möglicherweise ein bissl außen vor.
Also wenn er bewußtlos (fehlende Vitalfunktion) ist, spürt er gar nix. Also nix hören und auch kein Kleben an der Brust und auch kein Gummi.
Ich würde also eine Andeutung machen, daß er wieder zu sich kommt und dies auch gleich mit Kombinieren mit dem Weiterzählen, das für mich keineswegs natürlich ist, denn nach einer Ohnmacht da weiterzumachen, wo man aufgehört hat...mmh da fehlt mir das Fachwissen aber man müßte
a) sich erinnern, was man gemacht haben
b) sich erinnern, wie man gezählt hatte
c) so beisammen sein, um den Herzschlag gleich wieder auszumachen

Du könntest es ja tatsächlich einige male Piepen lassen und somit
a) verdeutlichzen, daß er wieder irgendwas zählbares wahrnimmt
b) er seine eigenen Regeln durchbricht, denn es sind ja mehr Herzschläge vergangen, als er erfaßt hat, außerdem ist er von seinem Ziel abgewichen, da er ja nur die Pulsschläge in denc 10 Minuten Saune zählen wollte.

und damit
c) verdeutlichen, daß sein Zählen eigentlich sinnlos ist

Allerdings ist es trotzdem schon ein Wunder, wenn man bedenkt, daß es immerhin mehr als 2 Schläge pro Sekunde sind und die mußen man erstmal spüren/ hören und damit zählen. Auch die Frage, ob man nach einer Reanimation gleich wieder so hohen Puls hat, kann ich hier nicht beantworten.


Das Finale erscheint mir also ein bissl überstürzt. Denn obwohl sich hier die Ereignisse überschlagen, so steuert die ganze Geschichte darauf zu und man muß genau schauen, was man hier auflöst und was nicht.
Löst man also auf, daß er:

a) es nicht geschafft hat, seine Zahlen durchzuziehen und es sogar nicht merkt
b) ihm die Zahlen und seine Prinzipien plötzlich egal sind und er beginnt, sich etwas vorzumachen
c) er am Ende glaubt, gewonnen zu haben und gar nicht merkt, daß er verloren hat

Fazit:
Für mich eine interessant und gehaltvolle Geschichte, die einen Außenseiter charakterisiert. Die Geschichte steigert sich von einer Alltäglichkeit hin zu einem dramatischen Ende, was aber irgendwie logisch erscheint.

Mir wäre ein nüchterner, distanzierterer Erzählstil lieber. D.h. der Charakter wird vom Autor durch die Geschichte begleitet, der aus Sicht des Prot. die Ereignisse nüchtern beobachtet.
Die Motive, Ziele und Wünsche sollten zwischen den Zeilen zum Vorschein kommen, ohne daß sich der Autor nach vor drängelt und noch mal für alle zusammenfaßt, worum´s geht.

Wichtig wäre mir eine konsistente Figur.
Aus meiner Erfahrung sind diese Menschen, die so introvertiert sind selten in der Lage, sich selber zu reflektieren. Wer dazu in der Lage ist, seine Lage zu analysieren, kann sie oftmals auch selber ändern.
Eher bewegen sich diese Menschen am Rande der Gesellschaft, weil sie sich ihre Außenseiterrolle angenommen haben bzw. hineingewachsen sind (wie Du auch durch seine Biographie verdeutlichst) und eher in einer Scheinwelt leben, nicht in der Lage ihren realen Status zu ändern. Eher verfestigen sie die Fronten und ziehen sich immer mehr zuürck, als das sie proaktiv versuchen, es zu ändern (es sei denn es kommt Hilfe von Außen). D.h. er geht nicht ins FS, um Kontakt zu suchen, jedenfalls nicht mit diesem Bewußtsein. Sondern, vielleicht, weil es dem Körper nutzt, weil man da interessant Wiederholen machen kann, weil man sonst einen Bonus der Firma ungenutzt verstreichen läßt und weil Sophia hingeht (kann mir schon vorstellen, daß er sich wegen ihr da anmeldet und z.B. versucht herauszufinden, welchen Kreislauf sie durch die Geräte nimmt und welche Zahlen sie bei den Wiederholungen macht z.B. um sich an Parallelitäten zu erfreuen. Das er sie im Treppenhaus zum ersten Mal so nahe trifft, würde somit doppelt einschneidend sein und logischer.

Der Kontakt mit der Realität bzw. das Eindringen derselben bringt sie eher durcheinander, einen Zustand, den sie nicht sehr leiden können, da es ihre Scheinwelt stört.
Den Menschen ist oft eine Verbissenheit anzumerken, eigene Regeln einzuhalten, koste es was es wolle.
Letzteres bringst Du ja sehr gut zum Ausdruck, indem Du ihn bis zur totalen Erschöpfung da drin läßt. Allerdings sollten sich dann auch die anderen Symptome zeigen.
Wichtig ist, daß Dir und auch uns als Leser bewußt wird, was er warum will.

Gut, wie ich sehe, isses doch umfangreicher geworden, als gedacht :)
:klug:
Bedenke, daß ich versuche, ein für mich konsistentes Bild zu erzeugen und somit viele subjektive Annahmen zugrunde lege.
Es existiert also immer die Gefahr, daß beim Verwerfen bestimmter Annahmen, das gesamte Bild von mir keinen Sinn mehr macht.
Hoffe, daß trotzdem einige interessante und nutzbringender Gedanken drin stecken. Auch wenn´s nicht so aussieht, so sehe ich die Geschichte schon sehr weit, letztendlich sind´s Details, die alle aufzuschreiben nur so viel Platz wegnimmt ;)

bis denn
mac

 

Moin kira,

Ich sollte öfter in Gesellschaft lesen. Die zweite Geschichte heute und der zweite Treffer...

Hat mir sehr gut gefallen.
Auf Interpretation und Stilverbesserungen hab ich grad keine Lust, das haben meine Vorredner auch schon genug getan (vor allem macsoja... wie steh ich nach diesem Monsterkommentar mit meiner kurzen Äußerung denn jetzt da? ;)) - Konstruktivität ist eh für Weicheier...
Ich wollte nur kurz sagen, daß mich deine Geschichte wirklich unheimlich gut unterhalten hat. Kauzig, liebenswert, mit genau richtig dosiertem Humor und dennoch irgendwo traurig (nicht nur das Ende). Supi.

Die Gedanken an die Kindheit unter dem Tresen der Lotto-Annahmestelle, wo Mutter als Herrscherin über die Welt der Ziffern leberwurstfarbende Pullover strickte, die seinem Ansehen unter Gleichaltrigen den finalen Todesstoß versetzten.
Okay... wenn du mir noch einmal sagst, daß du nix lustiges schreiben kannst, dann werde ich dich an diesen Satz verweisen. Der ist nämlich großartig. Und witzig.
10 Minuten in der Sauna mit 140 Puls. 10.140 - Sophias Personalnummer, die er heimlich dem Computer entlockt hat.
Süß. Echt süß.

 

Hey mac,

ufff!

so viel isses nicht
Danke für deine Kurzkritik. ;) Nun bist du endlich die lästigen Zaunpfähle los. :Pfeif:
Auch wenn ich durchaus raushören kann (was hoffentlich beabsichtigt war), dass dir die Geschichte im Prinzip gefällt, sehen deine Verbesserungsvorschläge nach sehr viel Arbeit aus. Ich muss zugeben, dass mich das Ausmaß im Moment dezent erschlägt und werd mich mal eben galant in einen Zeitmangel-Ausrede flüchten, wenn du erlaubst. :dozey:
Aber du weißt ja, dass ich mir Gedanken mache, über das was man mir schreibt und so werd ich mich (hoffentlich im Lauf der Woche) mit deinen Anregungen beschäftigen - sehen was ich umsetzen kann oder dir meine Sicht der Dinge dagegenhalten. Danke für die Zeit, die du meinem Text gewidmet hast. :)

@ gnoebel:
Danke für deinen netten Kommentar, du bester aller Aufschneider (Brötchen-Aufschneider, versteht sich!). :kuss:
Und das, wo ich dir doch eben erst so an deiner Schnulze rumgemosert hab. ;) (Muss ich nochmal dort graderücken.)
Ich werd mir die Humorschreibfähigkeitsbescheinigung vom Meister himself sofort ausdrucken, rahmen und ins Klo hängen. :D
Btw. sagte ich nicht, ich könnte nix lustiges schreiben. Ich sagte höchstens, bei kg.de kämen meine lustigen Sachen bisher nicht so wirklich an - speziell bei gewissen Humor-Mods. :Pfeif:
Hat mir sehr gut getan.

Gruß,

kira.

 

@mac nochmal:
Ich will schon mal auf die Fragen in deinem Kommentar ein wenig eingehen. An die Änderungen mach ich mich später. Das ist für mich immer eine heikle Angelegenheit, weil ja irgendwie auch die Sorge aufkommt, dass vermeintliche Korrekturen nach hinten losgehen können oder man beim Einfügen nicht mehr die gleiche Stimmung trifft, wie anfangs und damit das Ding eher verschlimmbessert. Deshalb zögert es mich ein wenig, da dranzugehen.

Für den Moment also erst mal die diskussionswürdigen Punkte:

Das ist ein heikler Abschnitt, da er wohl die innersten Motivationen von ihm darstellt. Aber ich bin skeptisch, daß jemand in solch einer Situation solche Ziele formuliert:
- ich möchte im Leben dazugehören
- ich möchte in die Gesellschaft eingebunden sein

Ich bin immer noch überzeugt, von diesen Gedankengängen. Aber ich frage mich, ob unsere unterschiedlichen Ansichten dieser Passage in der unterschiedlichen Denkstruktur von Mann und Frau beheimatet sind. Schließlich weiß man ja nun nach erschöpfender Lektüre zum Thema, dass Frauen eher beziehungsorientiert und Männer eher problemlösungsorientiert denken. Könnte sein, dass ich meinem männlichen Prot hier meine weibliche Denkstruktur aufgezwungen habe ... könnte sein. :dozey: Ist aber schwer für mich, da rauszukommen.

Nochmal zu der Zählerei in der Sauna:
Er sitzt also da und zählt Minute für Minute jeden Pulsschlag, den man ja, wenn man schön ordentlich schwitzt, auch spürt, ohne am Handgelenk oder am Hals zu fühlen. Er zählt erst die 9. Minute durch und ist hier

Letzte Runde: 55, 56, ...

dann in der 10. Ich hab mir das so als Echtzeit für den Leser vorgestellt.

Hier ist die Realität möglicherweise ein bissl außen vor. Also wenn er bewußtlos (fehlende Vitalfunktion) ist, spürt er gar nix. Also nix hören und auch kein Kleben an der Brust und auch kein Gummi.
Ich würde also eine Andeutung machen, daß er wieder zu sich kommt und dies auch gleich mit Kombinieren mit dem Weiterzählen

Also, ich stell mir das so vor: Michael quält sich durch die letzten Sekunden in der Sauna. Hat sich beim Training eh verausgabt und jetzt noch die Hitze. Er kriegt ein paar hübsche Herzrhythmusstörungen und spürt die ersten Symptome eines herrannahenden Herzinfarkts (Schmerzen im linken Arm). Das kommt medizinisch einigermaßen hin. Hab das mit einem Fachmann diskutiert. Er kippt dann weg. Liegt im Sauna-Vorraum auf den Fliesen. Der Rettungsdienst kommt, legt das EKG an. Ob sie nun reanimieren oder ob er einfach so wieder Puls bekommt, lasse ich offen. Die Ohnmacht ist also genau in der Zeit, die nicht erzählt wird. Er kommt mit den Empfindungen der Klebepads auf seiner Brust und der Fliesen im Rücken langsam wieder zu sich ... hört das Piepen des EKG's und macht an der Stelle weiter, wo er aufgehört hat. Das Zählen und der Wunsch nach Akzeptanz ist alles, was in dem Moment in seinem Kopf noch übrig ist. Die Umstände, die sein Scheitern belegen würden, haben zu wenig Gewicht. Er erreicht die magische 140 während Menschen (UND Sophia) um ihn herumstehen, ihm Beachtung und Interesse entgegenbringen. Das Ziel ist erreicht und gleichzeitig ins Gegenteil verkehrt, aber er stirbt, bevor er das bemerken kann.

Ok, ich gebe zu, dass ich keine Erfahrung habe, ob es möglich ist, nach Ohnmacht/Herzinfarkt mit solchen Gedankengängen wieder zu sich zu kommen. Das ist rein fiktiv, für mich aber vorstellbar und auch mein erstlesender Fachmann aus dem Rettungsdienst hat hier nicht gemeutert.

Ich will in den nächsten Tagen versuchen, mich als Autor noch mehr aus der Geschichte rauszunehmen, ein bißchen Tell durch Show zu ersetzen und hoffe, dass sie dann hoffentlich noch besser wird. :schiel:

Gruß,

kira.

 

Tach Kira,

da du mich ja ohnehin festgenagelt hast, hier also meine geklaute 3-Zeilen-Kritik. :D (Scheinen ja neuerdings eine Vorliebe für Zahlengeschichten zu haben, vielleicht doch noch mal den Authismus-Faktor bestimmen :dozey: ):

Kauzig, liebenswert, mit genau richtig dosiertem Humor und dennoch irgendwo traurig (nicht nur das Ende). Supi.
Zitat:
Genau!

Ich finde, an einigen Stellen gibst Du Dir zu viel Mühe, den Protagonisten dem Leser näher zu bringen. D.h. Du verwendest sowohl die charakterisierende Darstelung von Handlungen als auch die Beschreibung mittels Adjektiven und so ergibt sich für mich eine Doppelung, die unnatürlich bzw. zu sehr gewollt.
Und das unterschreibe ich auch. :deal:

Liebe Grüße! :)

Dante

 

Wow,
du bist ja schell. Sehr schnell. Oder du hast eine kurze To-do-Liste. :naughty:

Freut mich, dass es dir soweit schon mal gefällt. An den Mängeln werd ich noch arbeiten.

Danke fürs Lesen.

Gruß,

kira.

 

Ich sagte höchstens, bei kg.de kämen meine lustigen Sachen bisher nicht so wirklich an - speziell bei gewissen Humor-Mods
Ja, Alisha ist wirklich verdammt schwer zufriedenzustellen.

 

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