Kommt ein Zaunpfahl geflogen...
Hi kira,
so packen wir´s an, ich glaube, so viel isses nicht:
Inhalt:
Sehr einfühlsam erzählst Du die Geschichte eines Mannes, der in einer eigenen Welt lebt. Ein Eigenbrötler, einerseits von der Welt nicht beachtet, der sich aber auch künstlich abschottet und so in einen Kreislauf gerät, dem er zu entfliehen versucht.
Eine Strategie ist, das firmeninterne Fitnessprogramm zu nutzen, um so Kontakte zu knüpfen.
Auf dem Weg trifft er Sophia aus der Kantine, die das Gegenteil von ihm zu sein scheint. Offen, Kommunikativ, Fröhlich.
Und doch verbindet die beiden etwas. Er hat sich mit ihr beschäftigt. Und auch sie hat offenbar einige Infos über ihn gesammelt oder erhalten. Somit gibt es ein unsichtbares Band zwischen beiden.
In der Sauna verausgabt er sich so sehr, daß er zusammenbricht und so unbeabsichtig das erreicht, wonach er sich sehnt.
Ob er dabei stirbt, wird nur angedeutet, wäre ein kleiner zynischer Schlenker, den man diskutieren könnte.
Vorgehensweise:
Ich finde die Geschichte bis zum Fitnessstudie sehr ausgewogen und behutsam erzählt. Vor allem die Charakterisierung des Protagonisten gefällt mir schon recht gut.
Jedoch habe ich auch was zu bemängeln. Und wie immer die Hinweis, daß dies jetzt stark subjektiv ist und wohl mit meiner Art zu schreiben zusammenhängt.
Ich finde, an einigen Stellen gibst Du Dir zu viel Mühe, den Protagonisten dem Leser näher zu bringen. D.h. Du verwendest sowohl die charakterisierende Darstelung von Handlungen als auch die Beschreibung mittels Adjektiven und so ergibt sich für mich eine Doppelung, die unnatürlich bzw. zu sehr gewollt.
Beispiele:
258 Fragebögen hat er heute erfasst. Eine gute Zahl. Michael verlässt seine Büronische im Demoskopischen Institut, so wie er sie an jedem Tag verlässt.
Wenn er da arbeitet und das bekommt man auf jeden Fall raus, dann macht er das jeden Tag. Evtl. Würde ich die Uhrzeit als Zahl einfließen lassen und wenn es heute eher ist (kommt ja unten raus), dann kannst Du auch hier noch ein paar Zahlenspielereien einbauen z.B.
258 Fragebögen hat er heute erfasst. Eine gute Zahl. Um 17:34 und damit 26 Minuten eher als sonst verlässt Michael seine Büronische im Demoskopischen Institut.
Unauffällig, still und strebsam geht er durch den großen Raum auf den Ausgang zu. Stumm zählt er dabei jeden seiner Schritte mit und hält in Gedanken Antworten auf Abschiedsgrüße der Kollegen bereit: „Danke, ebenfalls.", „Ihnen auch.", „Bis morgen". Freundlich, souverän, selbstbewusst soll es klingen.
Strebsames Gehen? Habe ich noch nicht gehört. Hier wechselst Du in die Außensicht, um sein Gehen zu betrachten. Würde ich nicht machen. Indem Du aus seiner Sicht weiter beobachtest, kann man sich das Bild zusammenzimmern. Die wörtliche Rede würde ich rauslassen auch hier kann man sich ein paar Abschiedsformeln selber hinlegen, die charakterisieren ihn auch nicht besser. Wichtig ist eher, daß er nicht armeschlenkernd rausläuft und die Leute offen angrinst, so daß überhaupt eine Möglichkeit des Verabschiedens vorhanden ist.
Also z.B.
Mit gesenktem Kopf läuft er zielstrebig auf den Ausgang des Großraumbüros zu. In Gedanken hält er Antworten auf mögliche Abschiedsgrüße bereit. 37 Schritte. Wie immer bemerkt ihn jedoch niemand und so verschwinden die Worte unbenutzt wieder in den Tiefen seines Verstandes. 38, 39, Doppelglasschwingtür, 40, 41, Treppe, rechter Fuß zuerst.
Natürlich würde Michael nur ungern Aufzug fahren und damit die Zählmöglichkeiten im Treppenhaus gegen Enge und Unbehagen eintauschen.
Konjunktive Verneinung? Wichtig ist wohl, daß hier herausscheinen soll, daß er die Sicherheit des Zählens schätzt und heute ganz besonders braucht. Die zusätzlichen klaustrophoben Anwandlungen...mmh ja passen irgendwie rein, tauchen aber in der Sauna nur kurz auf (entweder deutlicher oder raus).
Also evtl.
Ohne aufzublicken geht er vom Fahrstuhl die 15 Schritte bis zum Treppenhaus. Abgestandener Rauch schlägt ihm entgegen. Doch das montone Klacken seiner Absätze und die regelmäßigen Zahlenfolgen der Etagen haben für ihn immer etwas Beruhigendes.
Den Abschnitt mit der Kindheit reinzubauen, ist gewagt, da ziemlich plakativ. Und jemand, der sowas jeden Tag macht, wird sich nicht bei einer alltäglichen Tätigkeit an seine Kindheit erinnern. Noch dazu über einen längeren Zeitraum (mehrere Bilder von der Mutter, Hänseleien, Brüten für den Jackpot).
Entweder die Infos dosiert irgendwo einstreuen (wie unten der Hinweis mit der Mutter) oder weglassen -> ich würde nicht versuchen zu erklären, warum er so ist.
Hallo, Herr Schmid. Früher Feierabend heute?"
Michael hätte sich beinah beim Zählen verhaspelt. Woher kennt die freundliche Sophia aus der Kantine seinen Namen, wo einige der Kollegen im Büro ihn immer noch mit „Herr ... äh ... „ ansprechen? Ein einziges Mal hat er die Mittagspause in der Kantine verbracht, wo Sophia Charme und Wechselgeld aus ihrer Kasse verteilt und dieser eine Versuch hat genügt, ihm deutlich zu machen, dass der kollegiale Small-Talk heute wie in der Vergangenheit nicht seine Königsdisziplin war und er dort wie überall stumm und peinlich alleine sässe.
Entweder bleibt er stehen oder er verhaspelt sich. Das geht nicht, daß er sich beinahe verhaspelt, denn damit würdest Du ihre Wichtigkeit sehr reduzieren. Und ich würde ihn stehen bleiben, 3 Schritte zurückgehen, lassen, damit er bei 110 stehen bleiben kann, einer Zahl, die man sich merken kann (auch prima, weil da der Polizeinotruf drin ist). Dann kannst Du die Erinnerung, seine Wahrnehmungen reinbauen und ihn dann mit "Hundertzehn" oder "Hundertsieben" weiterlaufen lassen (ohne die plötzliche Makroskopische Sicht auf den Verstand).
Das mit der Röte im Gesicht, würde ich lassen. Jemand, der so konzentriert ist, wird das Brennen nicht bemerken.
Eher würde ich ihn ohne Befehl lächeln zu lassen, was aber wegen der Konzentration nicht gelingt.
Auch glaube ich nicht, daß er sie lange anschaut, eher sollte er ihre Irritation gar nicht bemerken.
Für mich sind eher zwei Fragen wichtig:
1. Woher weiß sie als Kassiererin seinen Namen?
2. Woher weiß sie, wann er sonst Feierabend macht?
Das impliziert, daß sie sich informiert hat, was unwahrscheinlich ist und erklärt werden müßte oder es ist eher Zufall, dann reicht das Kennen des Namens als Zeichen von überdurchschnittlichem Interesse aus. Den Namen könnte sie ja auf seiner Chipkarte in der Kantine gesehen und sich gemerkt haben, was schon eine Leistung ist, bei einem Mal.
Also bis nachher ...", fröhlich zwitschernd hebt sie die Hand zum Gruß und verschwindet um die Ecke.
"Zwitschernd" raus oder umformulieren z.B. zwitschert sie fröhlich (was aber aus meiner Sicht nicht passen würde). Zwitschernd verwendet man eher, wenn danach noch etwas kommt, aber hier ist es scheinbar eine Art Abschied und da könnte man sagen: "flötet/zwitschert sie fröhlich zum Abschied", was aber nicht zu dem Bild passen würde, das ich von Ihr habe. Die Hand würde ich rauslassen, da er ja eigentlich mit den Blick konzentriert am Boden hängt.
Finde das Bild stark, wie er verzweifelt versucht, in der ungewohnten Situation seine routinierte Zählerei aufrechtzuhalten und sie unbekümmert ihre Meinung kundgibt, um dann wieder abzubiegen und ihn unvermittelt dastehen zu lassen.
Michael bleibt stumm bei Schritt 127 stehen und wünscht sich zum siebzehnmillionsten Mal, so zu sein wie sie, oder wie seine Kollegen oder wie sonst jemand, der dazugehört. Das wäre sein Hauptgewinn! Im Leben dazuzugehören und in die Gesellschaft eingebunden zu sein. In jeder Situation den passenden Satz, die passende Reaktion liefern zu können, so dass die Menschheit nicht immer über seine Person stolperte. Wenn er heute alle Zahlen gemeistert bekäme, vielleicht würde er dann den Jackpot knacken.
Das ist ein heikler Abschnitt, da er wohl die innersten Motivationen von ihm darstellt. Aber ich bin skeptisch, daß jemand in solch einer Situation solche Ziele formuliert:
- ich möchte im Leben dazugehören
- ich möchte in die Gesellschaft eingebunden sein
Sondern es ist doch eher so, daß man sich dann eher situativ fragt:
-Warum kann ich sie nicht anschauen?
-Warum fällt mir nix passendes ein?
Und eben nicht pauschal:"Warum bin ich so anders als die andern?"
Das suggeriert, daß der Autor noch mal pauschal für sich und den Leser die Zweifel des Prots aufkocht, sie sowieso herausscheinen und das paßt aus meiner Sicht nicht zum Stil der Geschichte.
Jeder trainiert für sich selbst und doch ist man unter Leuten. Zudem erinnert er sich noch gut an die Studie vom letzten Herbst, in der Fitness-Einrichtungen bei den Kontaktmöglichkeiten seiner Altersgruppe in den obersten Rängen waren. Genau bei 258 Schritten betritt er das Studio. Die erste Übereinstimmung! Die Zahlen sind ihm wohlgesonnen heute, er wird sie bezwingen und sein Leben wird endlich eine Wendung erfahren.
Auch hier sind dies für mich eher die Gedanken des Autors, als des Prots.
Die Zahlen und verschiedenen Möglichkeiten der Fitnessübungen ja.
Aber die Kontaktmöglichkeiten, die Leute - das würde er sich evtl. unterbewußt wünschen, aber niemals vor sich zugeben (siehe unten).
133, 134, 135 ... der Puls hämmert nun die neunte Minute mit über 140 Schlägen durch den ganzen Körper. Benommen sitzt Michael in der Ecke auf der obersten Saunabank, ganz auf das Pochen in seinem Kopf konzentriert.
Darüber haben wir schon diskutiert. Mir ist nicht klar, was er hier zählt.
Sind das die Pulsschläge pro Minute oder einfach der Herzschlag?
Bei ersterem wären das also Zahlen im Abstand von 1 Minute (wenn es nur 30 sek oder 15 sek Abstände wären, müßten die Zahlen entsprechende Teiler sein, also durch 2 oder 4 Teilbar).
Außerdem würde es die 140 negieren, den offensichtlich ist der Puls (Herzschläge pro Minute) noch unter 140.
Also ist es der ganz normale Herzschlag und er fängt jede Minute neu an zu zählen, dann würde ich die ersten Zahlen so bei 121 anfangen lassen, damit der Leser in Echtzeit dabei ist, als während er liest verstreicht die neunte Minute.
Außerdem wäre hier das genaue Aufzeigen seiner Berechnungs- bzw. Zählmethode vorteilhaft, um sich seine Situation besser vor Augen zu führen. Also der Sekundenzeiger (den er durch das Fenster evtl. sieht), der sich in dieser Zeit ebenso schleppend vorwärtsbewegt.
Denn bisher hat er immer alles addiert und das ist eine neue Zählweise, die man erstmal einführen muß (für mich wäre das klarer).
Dadurch würde auch erklärt werden, warum es dann plötzlich wieder bei 112 ist.
Stimmen überschreien hektisch ein feines Piepen. Hastige Schritte. Worte ohne Sinn. Etwas klebt auf seiner Brust, Gummi schließt sich über seinen Mund, feucht-kühle Fliesen unter seinem Körper.
„Er ist wieder da! Puls ist schwach!"
Piep, piep ... 135, 136 ... Michael schlägt die Augen auf. Menschen stehen um ihn herum. Gesichter schauen auf ihn herab. Viele Menschen, die Kollegen - und Sophia. Piep, 137 Alle blicken nur auf ihn, er sieht Interesse in ihrem Blick, spürt Mitgefühl. Sophia ruft seinen Namen ... piep, 138 ... Er hat es geschafft! Piep, 139 ... Die Gesellschaft hat ihn aufgenommen! 140 ... Jackpot! Pieeeeeeeeeeeee
Hier ist die Realität möglicherweise ein bissl außen vor.
Also wenn er bewußtlos (fehlende Vitalfunktion) ist, spürt er gar nix. Also nix hören und auch kein Kleben an der Brust und auch kein Gummi.
Ich würde also eine Andeutung machen, daß er wieder zu sich kommt und dies auch gleich mit Kombinieren mit dem Weiterzählen, das für mich keineswegs natürlich ist, denn nach einer Ohnmacht da weiterzumachen, wo man aufgehört hat...mmh da fehlt mir das Fachwissen aber man müßte
a) sich erinnern, was man gemacht haben
b) sich erinnern, wie man gezählt hatte
c) so beisammen sein, um den Herzschlag gleich wieder auszumachen
Du könntest es ja tatsächlich einige male Piepen lassen und somit
a) verdeutlichzen, daß er wieder irgendwas zählbares wahrnimmt
b) er seine eigenen Regeln durchbricht, denn es sind ja mehr Herzschläge vergangen, als er erfaßt hat, außerdem ist er von seinem Ziel abgewichen, da er ja nur die Pulsschläge in denc 10 Minuten Saune zählen wollte.
und damit
c) verdeutlichen, daß sein Zählen eigentlich sinnlos ist
Allerdings ist es trotzdem schon ein Wunder, wenn man bedenkt, daß es immerhin mehr als 2 Schläge pro Sekunde sind und die mußen man erstmal spüren/ hören und damit zählen. Auch die Frage, ob man nach einer Reanimation gleich wieder so hohen Puls hat, kann ich hier nicht beantworten.
Das Finale erscheint mir also ein bissl überstürzt. Denn obwohl sich hier die Ereignisse überschlagen, so steuert die ganze Geschichte darauf zu und man muß genau schauen, was man hier auflöst und was nicht.
Löst man also auf, daß er:
a) es nicht geschafft hat, seine Zahlen durchzuziehen und es sogar nicht merkt
b) ihm die Zahlen und seine Prinzipien plötzlich egal sind und er beginnt, sich etwas vorzumachen
c) er am Ende glaubt, gewonnen zu haben und gar nicht merkt, daß er verloren hat
Fazit:
Für mich eine interessant und gehaltvolle Geschichte, die einen Außenseiter charakterisiert. Die Geschichte steigert sich von einer Alltäglichkeit hin zu einem dramatischen Ende, was aber irgendwie logisch erscheint.
Mir wäre ein nüchterner, distanzierterer Erzählstil lieber. D.h. der Charakter wird vom Autor durch die Geschichte begleitet, der aus Sicht des Prot. die Ereignisse nüchtern beobachtet.
Die Motive, Ziele und Wünsche sollten zwischen den Zeilen zum Vorschein kommen, ohne daß sich der Autor nach vor drängelt und noch mal für alle zusammenfaßt, worum´s geht.
Wichtig wäre mir eine konsistente Figur.
Aus meiner Erfahrung sind diese Menschen, die so introvertiert sind selten in der Lage, sich selber zu reflektieren. Wer dazu in der Lage ist, seine Lage zu analysieren, kann sie oftmals auch selber ändern.
Eher bewegen sich diese Menschen am Rande der Gesellschaft, weil sie sich ihre Außenseiterrolle angenommen haben bzw. hineingewachsen sind (wie Du auch durch seine Biographie verdeutlichst) und eher in einer Scheinwelt leben, nicht in der Lage ihren realen Status zu ändern. Eher verfestigen sie die Fronten und ziehen sich immer mehr zuürck, als das sie proaktiv versuchen, es zu ändern (es sei denn es kommt Hilfe von Außen). D.h. er geht nicht ins FS, um Kontakt zu suchen, jedenfalls nicht mit diesem Bewußtsein. Sondern, vielleicht, weil es dem Körper nutzt, weil man da interessant Wiederholen machen kann, weil man sonst einen Bonus der Firma ungenutzt verstreichen läßt und weil Sophia hingeht (kann mir schon vorstellen, daß er sich wegen ihr da anmeldet und z.B. versucht herauszufinden, welchen Kreislauf sie durch die Geräte nimmt und welche Zahlen sie bei den Wiederholungen macht z.B. um sich an Parallelitäten zu erfreuen. Das er sie im Treppenhaus zum ersten Mal so nahe trifft, würde somit doppelt einschneidend sein und logischer.
Der Kontakt mit der Realität bzw. das Eindringen derselben bringt sie eher durcheinander, einen Zustand, den sie nicht sehr leiden können, da es ihre Scheinwelt stört.
Den Menschen ist oft eine Verbissenheit anzumerken, eigene Regeln einzuhalten, koste es was es wolle.
Letzteres bringst Du ja sehr gut zum Ausdruck, indem Du ihn bis zur totalen Erschöpfung da drin läßt. Allerdings sollten sich dann auch die anderen Symptome zeigen.
Wichtig ist, daß Dir und auch uns als Leser bewußt wird, was er warum will.
Gut, wie ich sehe, isses doch umfangreicher geworden, als gedacht
Bedenke, daß ich versuche, ein für mich konsistentes Bild zu erzeugen und somit viele subjektive Annahmen zugrunde lege.
Es existiert also immer die Gefahr, daß beim Verwerfen bestimmter Annahmen, das gesamte Bild von mir keinen Sinn mehr macht.
Hoffe, daß trotzdem einige interessante und nutzbringender Gedanken drin stecken. Auch wenn´s nicht so aussieht, so sehe ich die Geschichte schon sehr weit, letztendlich sind´s Details, die alle aufzuschreiben nur so viel Platz wegnimmt 
bis denn
mac