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- 23.01.2007
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Dein Retter in der Nacht
Der See ist gefroren und du tanzt darauf, die Schlittschuhe graben sich tief ins Eis, wenn du deine Kurven fährst. Ich beobachte dich vom Ufer aus, gebe acht, dass dir nichts passiert. Denn ich weiß, dass das Eis dünn ist an der Stelle, an der der kleine Bach in den See mündet. Ich fühle ein Kribbeln auf der Haut, wenn ich daran denke, dass du einbrechen könntest und ich möchte dir zurufen, pass auf, aber ich tue es nicht. Stattdessen sehe ich zu, wie deine blonden Haare fliegen, höre dein Lachen und lache mit. Klatsche sogar. Schneller, rufe ich.
Als ich die Augen öffne, sehe ich die Zimmerdecke, braune Holzflächen greifen ineinander. Mir ist warm und ich schlage die Decke zurück. Ein Zug fährt durch die Nacht, irgendwo in der Ferne hupt ein Auto.
Aber ich möchte zurück zu dir, schließe die Augen und du ziehst weiter deine Kreise auf dem Eis. Dieses Mal hast du das Eisloch gerade noch verpasst. Du bist zu fröhlich, um es zu erkennen. Wie ein kleines, dummes Mädchen denkst du, nichts könnte dir passieren, die Welt läge dir zu Füßen. Aber das tut sie nicht. Nicht, wenn ich die Augen schließe.
Und du lachst und du drehst dich und das Eis knackt unter deinem Fuß und du bemerkst es noch nicht, aber ich weiß, dieses Mal ist es soweit. Ich sehe das Eis brechen, noch bevor du es selbst spürst. Dein Fuß sinkt in das Eiswasser und ich beobachte, wie das Lächeln von deinen Lippen verschwindet und du die Augen aufreißt. Das Eis ist zu dünn – einmal gebrochen, wird es deinen schmalen Körper nicht mehr halten können. Noch einen Moment zögere ich, während dein Bein tiefer einsinkt und du mit den Armen ruderst. Erst als deine Haare untertauchen, laufe ich los. Jetzt, endlich, ist mein Augenblick gekommen.
Von der sicheren Seite her nähere ich mich der Stelle, an der du eingebrochen bist. Du kommst hoch und prustest, dein Gesicht ist weiß und deine Lippen blau. Wie ein wildes, verwundetes Tier siehst du mich an und ich rede beruhigend auf dich ein, lege mich flach auf das Eis und schiebe mich auf dich zu.
Deine Hand kommt hoch und ich ergreife sie, fühle, wie du dich an mich klammerst. Deinen Handschuh hast du verloren und deine eiskalten Finger graben sich tief in mein Fleisch.
Ich ziehe dich hoch, vorsichtig, ganz langsam krieche ich zurück, deine Lippen beben, deine Augen weit aufgerissen gierst du nach Luft.
Du zitterst, als wir am Ufer ankommen. Ich sage dir, dass du dich hinlegen sollst, die nasse Kleidung muss weg, sie würde in der Kälte starr werden und dich umbringen. Daraufhin öffne ich deine Jacke, knöpfe deine Hose auf und schiebe sie dir vom Leib. Wie weiß deine Haut ist. Bläulich zeichnen sich Adern darunter ab. Ich spüre, wie kalt dir ist.
Aber ich habe eine Decke bei mir und nun öffne ich auch meine eigene Jacke. Breite den Stoff über uns aus und drücke deinen weichen, zitternden Körper an mich. Fühle, wie meine Wärme auf dich übergeht und rede ruhig auf dich ein. Fahre dir durchs Haar, drücke dein Gesicht an meine Brust und umfasse deinen Kopf mit meinen Armen. Ich spüre den Druck deiner Schenkel an meinen und rieche dein nasses Haar. Mit einem Finger wische ich eine Träne von deiner Wange, dann küsse ich deinen Mund und du klammerst dich an mich und sagst, du möchtest nie wieder ohne mich sein.
Es wird alles gut, sage ich dir. Du hast noch einmal Glück gehabt.
Ich öffne meine Augen und verlasse dich. Aber wir werden uns wiedersehen. Und auch wenn du morgen im Büro nichts davon weißt, wenn du zu mir kommst, den Aktenstapel nimmst und meine Blicke nicht bemerkst - spätestens in der Nacht wirst du wieder bei mir sein.
Ich habe noch viel vor mit dir. Morgen werden wir einen Ausflug mit dem Fahrrad machen. Es kann so viel passieren. Und du wirst froh sein, dass ich in deiner Nähe bin.