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Dem Leben hinterher
Er stand vor dem letzten Abgrund.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Kate war tot. Sie war tot, sie würde nie zurückkehren. Dabei hatte es doch noch gar nicht richtig angefangen.
Sie war einzigartig. Sie war die Frau seines Lebens, das hatte er von Anfang an gewusst. Wie hatte er das zulassen können? Wieso hatte er sich darauf eingelassen? Luis dachte zurück. An damals, als alles begann. Sie hatten sich in einer Bar kennen gelernt. Sie war die Schwester eines Freundes. Die beiden waren praktisch sofort wie alte Freunde. Kate verstand einfach alles. Sie musste eine Seelenverwandte sein. Ein lilafarbenes Kleid hatte sie getragen an jenem Abend; er hatte diesen Anblick immer vor Augen gehabt, wenn er sie wieder sah. Bis zu jenem Moment vor drei Tagen. Er hatte eine schwere Entscheidung zu treffen und sie schon zu lange vor sich hergeschoben. Ein ehemaliger Kumpel und später "Arbeitgeber" hatte ihn gebeten, wieder mit ihm zu arbeiten. Dummerweise nur hatte er Luis einst hintergegangen, und seitdem wollte dieser sich rächen. Sollte er lieber verzeihen und sich auf den Deal einlassen? Oder sollte seiner Wut Luft machen, jetzt, wo TJ angreifbar war? Er wusste es nicht, und so rief er sie an. Kate, diese weise Frau, die weiseste, die er kannte. Außer seiner Mutter. Wusste sie, dass er mehr wollte? Natürlich, das wussten sie beide. Kate hatte ihm damals geraten, das zu tun, was er für richtig hielt; sie meinte, das sei, "nicht alles durchgehen zu lassen". Ja, Luis hatte ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt. Er hatte verschwiegen, dass es dabei um Drogen ging, um seinen ehemaligen Boss und vor allem - um sehr viel Geld. Er hatte ihr nur gesagt, er müsse entscheiden, ob er einem alten Freund einen großen Fehler verzeihen oder ihm lieber nicht alles durchgehen lassen solle - den Kontakt zu ihm abbrechen sozusagen. Sie wusste auch nicht, dass er mit "Kontakt abbrechen" aus dem Weg räumen meinte. Luis entschied, sie als Frau könne da vielleicht nicht wirklich die richtige Wahl treffen. Er befolgte ihren Rat nicht.
Er ließ sich auf den Deal ein. Es war ein Hinterhalt, TJ hatte ihn verraten - mal wieder. Er hätte es wissen müssen, doch am Ende kam Luis mit dem Geld davon. Die Drogen wollte er sowieso niemals haben. Er selbst hatte dafür keine Verwendung.
Es schien vorbei zu sein. Alles war überstanden. Jetzt konnte das Leben anfangen. Und das sollte es - Luis war zur Hochzeit ihres Bruders eingeladen. Er holte sie ab. Wieder trug sie dieses wunderschöne Kleid, und sofort dachte er an damals. Er glaubte, dies würde der schönste Tag in seinem Leben werden. Oh ja, nichts würde das toppen können. Sie fuhren zur Kirche, und auf dem Weg wurde Luis klar, dass nicht nur Gefühle für Kate hatte - umgekehrt verhielt es sich ähnlich. Während der Zeremonie lächelte Kate ihn die ganze Zeit an. Er war der glücklichste Mann auf der Welt.
Wie vergänglich doch Glück war.
Braut und Bräutigam liefen lachend aus der Kirche, es war fast zu kitschig, um real zu sein. Luis fühlte sich wie in einer Seifenoper, aber vor allem fühlte er sich butterweich gebettet in einer nie dagewesenen Sicherheit, die ihm Kate, ihre Familie, die Hochzeit und der sonnige Tag gaben. Er würde alles vergessen können. All das, was passiert war. Stets war er hinter etwas hergelaufen, was er nicht einholen konnte, hatte etwas gesucht, was er nie finden konnte. Jetzt stand er hier - und fühlte sich, als wäre er angekommen.
Und plötzlich fiel Kate um. Blutflecken erschienen auf ihrem Kleid, auf ihrem wunderschönen Dekolleté, überall. Sie war blutüberströmt, und Luis war es auch, als er sich über sie beugte und ihren Namen rief. Sie hatte keinen Puls mehr. Sie war sofort tot gewesen. Es war ein Scharfschütze gewesen.
Seitdem gab es keinen Moment mehr, in dem er nicht an Kate in ihrem lilafarbenen Kleid denken konnte. An das Kleid, wie es blutverfärbt an ihrem leblosen Körper klebte.
Ihm stand der Sinn nur nach einem - Rache! Rache an diesem Bastard nehmen, er sollte bezahlen dafür, dass er alles ruiniert hatte. Und er nahm Rache. Es gelang ihm, TJ auszuschalten, ein für alle mal. Er wird nie wieder jemanden hintergehen. Das war das Einzige, das er seither gedacht hatte. Seit er TJ's Kopf im Ozean versenkt hatte. Und jetzt?
Warum hatte er nicht auf sie gehört? Warum hab ich nicht auf sie gehört?
Er stand vor dem letzten Abgrund. Und er sprang. Seinem verlorenen Leben hinterher.