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Den Vater den ich hatte habe
Ich weiss nicht mehr all zu viel über Dich und doch scheinst Du einen Rieseneinfluss auf mein Leben zu haben. Warum? Ich kann es Dir nicht sagen, vielleicht weil Du nicht mehr für mich da sein konntest, wo ich dich doch so gebraucht hätte und immer noch brauche. Weißt Du, vor kurzem war ich auf dem Friedhof, keine Ahnung warum ich da hin wollte, aber wo sonst soll ich dich besuchen? Ich stand da vor diesem Grab, diesem schmucklosen Grab, das nicht einmal einen Stein hat oder Blumenschmuck. Unkraut, überall Unkraut, was war ich sauer, also habe ich angefangen den Löwenzahn auszureissen. In die Wut mischte sich Trauer und schon bekam ich einen Kloß im Hals, die Tränen waren nicht mehr zurückzuhalten. Das hast Du nicht verdient!!!
Was habe ich als Kind deine Nähe geliebt, wenn ich die Augen schließe, kann ich mir fast vorstellen wie Du riechst. Ich weiss, ich war immer das Papakind, doch hat das nicht auf Gegenseitigkeit beruht? Wen hast Du denn immer mitgenommen, wenn Du Samstags auf dem Fußballplatz warst oder in der Kneipe? Ein paar Besuche an deiner Arbeitsstelle, vielleicht auch noch ein gemeinsames Abendessen und dein Fahrrad, an viel mehr kann ich mich nicht mehr erinnern, ich war doch erst acht, als Du gestorben bist.
Den Tag, an dem alles losging habe ich allerdings nie vergessen. Du bist morgens aufgewacht und hattest Bauchschmerzen, furchtbare Bauchschmerzen, zum Arzt wolltest Du nicht, typisch. Selbst als Inge einen Krankenwagen gerufen hat, hast Du dich geweigert. Abends wurden die Schmerzen so schlimm, dass Du doch ins Krankenhaus gegangen bist, mit Krankenwagen und Notarzt. Zurück blieben nur ein paar verstörte Kinder, die nicht wussten was los ist. Das letzte was Du zu deiner Frau gesagt hast war: Ich will nicht aufgeschnitten werden. Wusstest Du was kommt? Du solltest nie mehr erwachen. Sieben Wochen künstliches Koma, sieben Operationen, Wochen des Bangens und Hoffens. Eine Mutter hatten wir in den Wochen kaum mehr, denn sie war ständig bei Dir. Du hast mir so verdammt gefehlt, aber zu Dir wollten sie mich nicht lassen, ich war schließlich nur ein Kind. Nachdem ich nur noch Theater gemacht habe, hat der Kinderarzt ein paar Hebel bewegt und ich durfte auf die Intensivstation zu meinem Papa.
Ein paar Tage später war es soweit, Mama, meine Tante und ich gingen ins Krankenhaus um dich zu sehen. Gruselig so eine Intensivstation, aber schließlich wollte ich zu Dir. Wir gingen einen langen Gang entlang, überall nur piepsen, komische Geräte, aber keine Patienten. An deinem Zimmer angekommen sah ich aus der Ferne nur ein Bett, mit einem dünnen ausgemergelten Mann, Schläuche, Spritzen, Automaten. Wo warst DU? Ich sollte hinein gehen zu meinem Vater, aber er war nicht da. Dieses Etwas was dort im Zimmer lag warst nicht Du. Ich bin an diesem Tag nicht in dieses Zimmer gegangen, meine letzte Chance dich lebend zu sehen.
Ein paar Tage später kam ich aus der Schule und es hieß Du bist gestorben, friedlich eingeschlafen. Verstanden habe ich das alles nicht und erklärt hat es mir eigentlich auch niemand. So kam es, dass ich den ersten toten Menschen in meinem jungen Leben zu sehen bekam. Dich! Kein schöner Anblick, aber auch nicht wirklich mein Vater, den ich da sah. Irgendwie habe ich das alles nicht verstanden und habe einfach versucht Alltag zu leben. Weinen konnte ich damals nicht, ich habe es einfach nicht verstanden, weißt Du.
Immer wieder habe ich die Frage gestellt bekommen, ob ich das verarbeitet habe, aber ich habe keine Antwort darauf, wann hat man denn etwas verarbeitet? Wenn man nicht mehr dran denkt? Wie kann man aufhören an den wichtigsten Menschen in seinem Leben zu denken? Dann habe ich es wohl noch nicht verarbeitet.
Niemand hat mir erklärt, was es heißt erwachsen zu werden oder wie man sich rasiert. Was ist wichtig im Leben? Was war Dir wichtig? Welche Werte hast Du gelebt? Wie bist Du aufgewachsen, wie war dein viel zu kurzes Leben? Dinge die ich wohl nie erfahren werde. Zurück bleibt der achtjährige Junge in mir, der sich nur noch einmal wünscht mit Dir sprechen zu können. So viele Fragen die ich noch stellen möchte, so viele Dinge, die es noch zu erfahren gibt. Inzwischen bist Du über zwanzig Jahre tot und doch fehlst Du mir so sehr. Ich werde wohl damit Leben müssen, aber verstehen werde ich es nie. Papa, ich liebe Dich!!!