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Der Überfall
Es war etwa drei Uhr morgens als Harry B. schweissgebadet in seinem Bett aufwachte. Wieder einmal hatte er geträumt, bei einem Banküberfall ums Leben gekommen zu sein. Er zitterte am ganzen Körper, als er nur daran dachte, wie er im Traum immer und immer wieder den Schuss aus einer Pistole hörte. Selbst jetzt, als er schon wach war, hallte er noch in seinen Ohren.
Die Träume begannen, als Harry sich vorgenommen hatte eine Bank auszurauben. Eigentlich wollte er es nicht, doch er schuldete Männern Geld, mit denen er heute für nichts auf der Welt, Geschäfte machen würde. Er wusste nicht einmal mehr warum, doch er hatte es getan und einen sehr hohen Preis dafür bezahlen müssen.
Seine Frau und seine Kinder hatten ihn verlassen, mehr noch, sie verabscheuten und fürchteten ihn. Selbst seine besten Freunde wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Und als er sich dann mehr und mehr dem Alkohol zugewand hatte, hatte er auch noch seinen Job verloren. Und alles nur wegen der verdammten Drogen.
Das einzige was er noch hatte, war sein Leben, und das wollte er mit allen Mitteln verteidigen. Notfalls auch mit einem Verbrechen. Wenn er bloss das verdammte Geld beschaffen könnte, er hätte endlich wieder Ruhe von diesen Schlägertypen und alles würde sich wieder zum Besseren ändern. Doch in seinem tiefsten Inneren wusste er bereits, dass das nicht stimmte. Nichts konnte sein Verhalten ungeschehen machen, oder gar sein scheinbar unbekümmertes Leben zurückgeben. In manchen Nächten war er sich nicht mal mehr sicher gewesen, ob er das Bankgebäude lebend verlassen wollte, oder nicht. Irgendwann war Harry dann wieder eingeschlafen.
Ein schrilles Läuten riss ihn aus dem Schlaf, es war sein Wecker. Draussen war es bereits hell geworden und das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Doch das alles interessierte ihn heute nicht. Denn heute wollte er seinen Alpträumen entgültig ein Ende setzen. So stand er auf, zog sich an und machte sich auf den Weg, das letzte Verbrechen seines Lebens zu begehen. Sein Ziel war eine Bank in der Nachbargemeinde.
Auf dem Weg zu seinem Auto zeigte sich Harry wie immer höflich und zuvorkommend. Er grüsste alle Passanten und auch die Hausmeisterin, die, wie immer, an ihrem Küchenfenster sass und den Garten beobachtete, und keiner ahnte nur im Leisesten was er heute vorhatte. Je näher er seinem Wagen kam, desto nervöser wurde er. Bei jedem zweiten Schritt drehte er sich um, fast so, als fühle er sich verfolgt. Und er wunderte sich immer mehr, denn es schien keinem aufzufallen. Erleichterung machte sich breit, als er endlich im Auto sass und losfahren konnte. Nie wieder würde hier her zurückkehren, wo ihn jeder vorwurfsvoll anschaute, weil sie ja alle wussten, was er getan hatte. Jeder wusste es besser, aber vielleicht war es nur eine Abwehreaktion, da sie Angst hatten dasselbe auch mal zu erleben. Es dauerte nicht lange bis er den Platz erreicht hatte, an dem er schon vor Wochen geplant hatte, sein Auto abzustellen. Nah genug zur Flucht, und weit genug entfernt um nicht gleich Verdacht zu erregen.
Harry merkte, wie ihm langsam am ganzen Körper Schweissausbrüche heimsuchten, doch er wusste genau, dass das heute seine einzige Möglichkeit war, das Geld vor Ablauf der Frist einzubringen. Also biss er die Zähne zusammen und machte sich auf den Weg zu seinem Zielobjekt. Kurz vor der Bank bog er in eine dunkle Seitengasse ein um seine Skimaske aufzusetzten. Alles lief nach Plan, denn keiner hatte ihn bis jetzt bemerkt. Und auch als er wieder aus der Seitengasse hervorkam, bemerkte keiner die Gefahr, die von ihm ausging. Aber vielleicht wollte es auch bloss keiner merken.
Schritt für Schritt näherte er sich der Bank. Als er den Eingang erreicht hatte, zog er die Pistole, die er bis jetzt unter seiner Jacke im Gürtel eingeklemmt hatte. Er versicherte sich noch mal, ob Magazin leer war, da er niemanden gefährden wollte. Dann holte er noch einmal tief Luft, riss die Eingangstüre auf, und stürmte in den gähnend leeren Schalterraum. Die einzigen Anwesenden waren die zwei Bankangestellten hinter den Schaltern.
Noch ehe er die Worte: "Geld her das ist ein Überfall!" zu Ende gesprochen hatte, fing eine der Angestellten wie panisch an zu schreien: "Bitte tun sie mir nichts, ich tu alles, was sie wollen!". Der zweite Mitarbeiter hatte inzwischen die Hände über den Kopf genommen und versuchte seine Kollegin mit Gesten etwas zu beruhigen. Doch die Angst war auch ihm deutlich anzusehen. Und wieder einmal hatte er Menschen dazu gebracht, nur noch mehr Angst und Verachtung für ihn zu empfinden. Er war doch nur gekommen um sein Leben zu retten, auch wenn es vielleicht gar nicht wert war, gerettet zu werden. Auf jeden Fehler den er machte schien anderer zu folgen. Nur um cool und in zu sein hatte er damals Drogen probiert, doch was war nun aus ihm geworden? Er war ein Monster vor dem sich Jedermann fürchtete.
Trotz allem wusste er, dass es immer wichtig war ums Leben zu kämpfen, und dazu brauchte er das Geld. So schritt er auf die Jüngere zu und sagte mit einer fast beruhigenden Stimme: "Es wird dir nichts geschehen."
Er wollte ihr einen Plastiksack reichen, in den sie das Geld geben sollte, als plötzlich die Eingangtürre von aussen geöffnet wurde. Es dauerte nicht lange, bis er merkte, dass es sich bei seinem Gegenüber um einen Polizisten handelte. Harry versuchte mit allen Mitteln, die Waffen irgendwie aus seiner Hand zu kriegen, doch es wollte ihm einfach nicht gelingen. Und je mehr er sich quälte, desto fester schlossen sich seine Finger um die Pistole in seiner Hand. Der Polizist hatte inzwischen auch seine Waffe gezogen, und schien nicht wirklich Herr der Lage zu sein. Nach nur wenigen Sekunden durchbrach ein Donner die Stille, die in der Bank herrschte. Der Polizist hatte abgedrückt und Harry im Bereich des Brustkorbes getroffen. Doch kurz bevor er sein Leben aushauchte, war er sich dann endlich sicher, dass er nie vorgehabt hatte, dieses Gebäude lebend zu verlassen. Denn ihm fiel ein, dass der übernervöse Polizist jeden Tag um diese Uhrzeit der Bank einen Besuch abstattete. Irgendwie war er sogar glüklich darüber, denn jetzt würde nie mehr jemand Angst vor ihm haben.