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Der Abgrund
Ich stehe ganz nahe am Abgrund, blicke nach unten in die tosende See. Weit, weit unter mir rennt, rollt die Brandung gegen den Fels an. Sie versucht ihn zur Seite zu schieben. Zur Seite zu drücken. Dem Gestein eine andere Form zu geben. Es sind gewaltige Kräfte, die da frei gesetzt werden. Urkräfte. Es hat auf mich die Wirkung eines nie enden wollenden Kampfes. Eines nie enden wollenden Krieges. Wasser gegen Erde. Element gegen Element. Nur wenn die Strömung das Wasser mit sich zieht, eine neue Welle herannaht, kehrt für ein paar Sekunden Ruhe ein, unterbricht sich der Kampf der Giganten. Dann ziehen sie sich zurück, schöpfen neue Kraft um wenig später wieder mit markerschütterndem Getöse anzugreifen und die Erde erneut erbeben zu lassen! Ich staune, bin überwältigt. Ich denke nach, versuche herauszufinden wie lange diese Schlacht schon dauern mag. Finde keine endgültige Antwort. Plötzlich erinnere ich mich wieder weshalb ich eigentlich hierher gekommen bin. Ich will etwas beenden. Eine aus Gold geschmiedete Halskette, die sich bis zu diesem Zeitpunkt in meiner Jackentasche befand, wird von mir ans Dämmerlicht befördert. Nachdem ich sie eine Weile im spärlichen Glühen, dass mir die am Horizont versinkende Sonne noch zu spenden vermag, betrachtet habe, nehme ich Anlauf und werfe sie in hohem Bogen in die Weiten des Meeres. Es ist wie ein leiser Abschied. Nur noch kurz, falte ich meine Hände für ein stilles Gebet, bevor ich mein Vorhaben in die Tat umsetze. Dann richte ich mein Augenmerk noch einmal auf das Naturspektakel dass sich mir, in unendlicher Tiefe bietet, tue entschlossen einen Schritt nach vorne und falle, falle in mein nasses Grab.