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Der alte Maler

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04.04.2007
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Der alte Maler

Der alte Maler
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Durchschritte man den lodernden Regen und die sternlose Nacht, und ginge man die schmale Gasse zur alten Scheuer hinauf; und ließe man die hölzernen Truppenstufen unter der Schwere der Schritte erknarren und die ersten zwei Stockwerke hinter sich liegen, dann beträte man jene Welt, in der jetzt, tief in der Nacht, noch immer ein leises Licht brennt.

Es ist kalt dort in der dunklen Kammer, die nur vom fahlen Lichtschein einer einzigen Kerze erhellt wird. Auf dem Boden liegen Unmengen von Unrat; man müsste es unwillkürlich für das Zimmer entweder eines Genies oder eines Chaoten halten. Die Mitte dieses völlig unbeheizten Raumes bildet ein mannshoher Leinwandständer, der fast die Decke berührt. Ein altes Modell anscheinend; sein hölzernes Gerippe ist über die Jahrzehnte ebenholzfarben geworden. Vor ihm ragt eine Gestalt in den Raum, die, eingehüllt in einen schweren Mantel, einen Pinsel in ihren drahtigen, fast zerbrechlich wirkenden Fingern hält und diesen - als Dirigerstab und Schwert zugleich - über das Feld der Leinwand führt. Wie Tropfen, die sich langsam zu einem Rinnsal, dann zu einem See ausbreiten, lässt sie die angemischte Farbe auf die Fläche fallen; das Weiß schwindet mehr und mehr und wird mit dunklen Flecken gefüllt.

Das Gesicht des alten Mannes ist grau wie die Nacht, die hinter den sorgsam verschlossenen Fensterläden mit schweren Schritten vorüberzieht. Nur wenige, erblasste Haare fallen auf seine von ständigem Gewicht geschwächten Schultern.
Seine Augen beobachten jede Bewegung seiner dünnen Finger, doch sie sehen sie nicht. Ein altes, schmutziges Tuch schmückt den Platz unter seiner Stirn. Nie saß dort etwas anderes. Was das Fenster und die Kerze sagen, weiß er nicht, es geht ihn nichts an.
Überhaupt geht ihn wenig an. Vor der Tür zu der kleinen Dachstube türmen sich die Zeitungen. Wozu sollte er sie lesen, selbst wenn er lesen könnte.
Der Wind trägt die Geräusche eines vorbeifahrenden Zuges zu ihm hinüber. Aus der Ferne mischt sich der Lärm der Stadt in das Plätschern des Regens. Er überhört es. Es sind die Abfälle von anderen. Manch einer kam und brachte ihm ein Radio. Er braucht es nicht. Die Medien haben in ihm keinen Kunden, die Leute keinen Gesprächspartner.
Nie hat ihn das Leben der anderen interessiert. Nie hat ihn das Leben an sich interessiert. Keine Liebe füllte je sein Leben, doch so blieb ihm auch jeder Hass fern. Er schlug dem Glück die Türen zu und ließ das Pech nicht herein. Es gibt welche, die sich fragen, warum er so alt werden konnte, wo er doch keiner Arbeit nachgeht, sich um keine Familie sorgt und überhaupt so ein ganz unerfülltes Leben führt.
Das trug ihm den Namen Eremiten zu. Dabei sind wir doch alle Eremiten (sagt er in seltenen Momenten, wenn er seine Stimme erhebt) und er sei es nicht mehr als irgendjemand sonst.

War er jemals jung? Sicher war er das, aber er kann sich nicht mehr daran erinnern. In seinen Gedanken gibt es weder das Gestern noch das Morgen; es gibt nicht einmal das Heute. Wenn er hier steht und seinen einzigen, befleckten Pinsel führt, dann gibt es für ihn nur die Bewegung, die er vollendet, und die neue, die er beginnt. Dann spürt er nicht einmal die klamme Kälte, die ihm schleichend ins Gebein fährt, oder den Nagelkopf im Boden, auf den sich sein nackter Fuß presst. Dann versinkt er in den Melodien, die ihm seine Bilder malen, und ertrinkt in der Fülle von Farben, die ihm die Welt vor Augen führen. Das Alter spielt keine Rolle. Er war so wenig jung, wie er jetzt alt ist; er war immer nur Maler.

Irgendwann, wenn Stunden vergangen sind und die Kerze auf einen spärlichen Rest hinuntergebrannt ist, setzt der alte Meister mit einem befriedigten Gefühl dern Pinsel ab. Ein Tropfen Farbe fällt auf seinen Fuß. Dann betrachtet er sein Bild und lächelt.

Auf der Leinwand, aus der nun jeder Rest des Weißen verbannt wurde, fällt lodernder Regen in eine sternlose Nacht.

Das Werk des alten Malers ist gelungen.

 

Hallo ad-noctum,

deine Beschreibung dieses alten Malers hat mir gut gefallen, du beschreibst sein Leben sprachlich so gelungen, dass es mich berührt hat. Zu einer Kurzgeschichte fehlt mir allerdings die Handlung, ich könnte mir deinen Text gut als Rahmen für eine Geschichte vorstellen. Eine solche ist sie für mich deshalb noch nicht, weil nicht wirklich etwas passiert, sein Leben nicht mit der Außenwelt konfrontiert und in Frage gestellt wird.

Deine Sprache hat mir gefallen. Sie war sehr opulent, bild- und adjektivreich. Nur manchmal wirkte es auf mich unpassend oder übertrieben ("lodernder Regen", "erblasste Haare"). Am Ende bleibt bei mir aber dennoch die Frage nach der Aussage, der Botschaft dieses Textes.

Einige Details:

Durchschritte man den lodernden Regen und die sternlose Nacht, und ginge man die schmale Gasse zur alten Scheuer hinauf; und ließe man die hölzernen Truppenstufen
Treppenstufen, außerdem würde ich aus dem Semikolon ein Komma machen - das dachte ich bei den anderen Stellen im Text, an denen Du ein Semikolon benutzt hast, auch.
Ein altes, schmutziges Tuch schmückt den Platz unter seiner Stirn.
tatsächlich die Augen?
Das trug ihm den Namen Eremiten zu.
Nicht eher Eremit?
Irgendwann, wenn Stunden vergangen sind und die Kerze auf einen spärlichen Rest hinuntergebrannt ist, setzt der alte Meister mit einem befriedigten Gefühl dern Pinsel ab.
den Pinsel

Da werde ich mal schauen, was Du sonst noch so geschrieben hast.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi!

Auch hier vielen Dank für deinen Kommentar.

Zu einer Kurzgeschichte fehlt mir allerdings die Handlung

Muss es tatsächlich bei Kurzgeschichten immer eine "Handlung" geben? Ich schreibe gerne Geschichten, - oder nennen wir sie mal "Texte" - die sich nicht an das starre "Handlungs"-Schema halten und in denen auch einfach mal nicht viel passiert. Hier soll der Schwerpunkt auf der Beschreibung der Situation und des Protagonisten liegen und weniger in einer Handlung in dem Sinne. Man kann die Handlungsarmut auch mit dem Leben des Protagonisten vergleichen, wie ich es versucht habe darzulegen. Dann ist die Form m.E. in sich stimmig. Vielleicht ist es auch eine Geschmacksfrage.

Am Ende bleibt bei mir aber dennoch die Frage nach der Aussage, der Botschaft dieses Textes.

Tja, wäre ja langweilig, wenn ich die Aussage hier herauspauken würde. Darüber sollte sich jeder selbst Gedanken machen und zu eigenen Lösungen kommen. Ich wollte etwas schreiben, bei dem der Sinn nicht sofort ins Auge springt, und das auch Spielraum für mehrere Möglichkeiten bietet.

Es kommen aber auch noch Texte mit mehr Handlung. Ich schreibe nur so verdammt langsam. ;)

Viele Grüße
adn

 
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Ergänzungen

Treppenstufen, außerdem würde ich aus dem Semikolon ein Komma machen - das dachte ich bei den anderen Stellen im Text, an denen Du ein Semikolon benutzt hast, auch.

Hmm, ich finde das Semikolon passend. Ich benutze diese Zeichen einfach recht gern, die finden sich in jedem Text von mir. Ebenso wie Gedankenstriche oder Klammern. Würde man statt dem Semikolon ein Komma einsetzen, hätte man eine störende Abfolge von vielen "unds". Es zeigt also eine Pause im Satzgefüge an.

Aber natürlich nehme ich deinen Ratschlag ernst und bedanke mich für ihn.

adn

 

Hallo nochmal,

ich denke, eine Kurzgeschichte braucht tatsächlich einen Handlngsverlauf, einen Wendepunkt. Ich kenne das Problem von mir, dass mir zwar oft eine gute Stimmungsbeschreibung gelingt, aber das Handlungsdefizit ein Problem ist. Von daher: Weitermachen, wie langsam auch immer ;)

Meine Frage nach der Botschaft hängt damit zusammen. Ich will keinesfalls, dass Du sie mir auf dem Tablett präsentierst. Aber dadurch, dass der Text so gleichmäßig daherkommt, frage ich mich tatsächlich: Warum wird mir das erzählt?

Aber wie gesagt: Hat mir dennoch gefallen.

Liebe Grüße
Juschi

 

Lodernd verbinde ich immer mit etwas Heißem, Feuer und Begeisterung lodern. Einen lodernden Regen brächte ich höchstens mit Napalm in Verbindung. Das scheinst Du aber nicht zu meinen in Deinem ersten Satz.

Natürlich spricht kein Mensch von einem "lodernden Regen". Na und? Was ist mit Oxymora? Pleonasmen? Neologismen? Es ist für mich ein Stilmittel (ebenso wie die "erblassten Haare").

Erst war es ein [...] leises Licht [...], jetzt ist es eine fahl brennende Kerze.

Tut mir Leid, ich sehe den Widerspruch nicht.

Ich finde es schon erstaunlich, was man alles in einer dunklen Kammer mit einer einzelnen Kerze sehen kann: Unmengen von Unrat auf dem Boden.

Schonmal in einer 12qm-Wohnung mit einer einzigen Kerze gelebt?

Blind ist der Maler doch nicht etwa?

Warum nicht?

Das Wort 'Beobachten' schließt ein Wahrnehmen ein. Der Maler könnte auf seine Finger starren und sie doch nicht sehen.

Richtig.

Nicht mal eine Fußbekleidung. Erstaunlich, dass er körperlich nicht krank wird.

Vielleicht ist er's ja.

Ich danke dir dennoch für deinen Kommentar, obwohl ich denke, dass diese Geschichte (vielleicht eher Erzählung) etwas missverstanden wird. Womöglich ist die Erwartung an eine unterhaltsame Geschichte höher als jene an einen Text, der zwischen den Zeilen etwas zu sagen hat. Ein wenig interpretieren ist manchmal nicht verkehrt (womit ich, wohlgemerkt, die Geschichte nicht schlauer machen möchte, als sie ist).

Viele Grüße
adn

 

Hallo Rosta!

Freut mich, dass du den Text nun mit etwas anderen Augen siehst. Vielleicht ist er auch in der falschen Kategorie ("Gesellschaft").

Aber falls Du sie als Experiment gedacht hast, um die Geschichte zu verdichten – na ja, wäre ein Versuch. Aber es kommen zu viele Möglichkeiten in Frage, welches Gewicht auf Schultern lasten kann: der schwere Mantel, ein schwerer Kummer/Sorge/Stress, Folgen ungesunder Ernährung fallen mir da ein.

Ja, so war das tatsächlich gedacht. Mit dem Gewicht auf den Schultern wollte ich die Belastung generell darstellen: Die vielen Schwierigkeiten, mit denen man im Laufe des Lebens konfrontiert werden kann.

Danke für deinen Kommentar und viele Grüße
adn

 

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