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Der Amerikaner

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04.07.2006
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Der Amerikaner

Der Amerikaner

Heute Abend würde es wieder soweit sein. Den ganzen Tag schon, war ihr schlecht. Den ganzen Tag konnte sie es kaum aushalten. Unruhig war sie. Nervös. Dieses Kribbeln im Bauch. Dieses Gefühl der Schwäche, das sich breit machte, wenn sie an ihn dachte. Sie musste sich zur Ruhe zwingen. Musste IHN aus ihren Gedanken streichen. Jedes Mal, wenn sein Gesicht vor ihrem inneren Auge auftauchte und das war praktisch in jeder Minute dieses Tages so, schob sie ihn wieder weg. Sie musste sich zusammen nehmen. Um nicht laut zu schreien, biss sie sich auf die Lippen. In ihrem Kopf drehte sich alles. Er, er und immer wieder und immer nur ER! Sie versuchte sich sein Gesicht ins Gedächtnis zu rufen, seine Bewegungen, versuchte seine Stimme zu hören, diese Stimme so, leicht heiser. Er rauchte einfach zu viel. He smokes a butt. Das machte ihr Sorgen! Er war doch so krank gewesen. Da hatte sie Angst um ihn gehabt. Grosse Angst. Gehirntumor, sagten die einen. Ihr Gedanke war nur: Bitte nicht lieber Gott! Bitte, bitte nicht. Alles, aber das nicht. Kokainmissbrauch, hieß es. Sie suchte in seinem Gesicht, in diesem wunderschönen Gesicht, nach Spuren. Nein, sie sah nichts. Er war so schön wie immer. Keine Spuren von Drogen. Warum sollte er so etwas auch tun? Er hatte Stress. Zuviel Arbeit. Er war einfach nur ausgebrannt. Zweimal war er zusammen gebrochen. Einmal zu Hause. War jemand bei ihm, als es passierte? War jemand da, um einen Krankenwagen zu rufen? Er hatte sich eine Woche lang ausgeschlafen. Wie gerne wäre sie bei ihm gewesen. Sie hätte seinen Schlaf bewacht, hätte seine Hände gehalten. Seine Hände. So kraftvoll, so wohlgeformt. Diese großen Hände. Mit den langen, schlanken Fingern. Stundenlang konnte sie seine Hände betrachten. Wenn er über eine Buchseite strich, ein Tablettenröhrchen gedankenverloren zwischen den Fingern drehte. Sie konnte sich nicht satt sehen, an diesen Händen. Wie er den Kopf zwischen diese Hände legte, wie sie einen Kugelschreiber hielten, wenn er mit ihnen gestikulierte.
Aber nicht nur seine Hände waren perfekt. Auch seine Füße, seine langen Beine, seine muskulösen Arme. Wenn er die Arme vor der Brust verschränkte, dann spannte sich der Bizeps. Wenn sie sich das ansah, begann sie zu zittern. Welche Kraft steckte in seinen Armen. Festhalten sollte er sie damit. Ganz fest sollte er sie in diese Arme nehmen.
Sie wollte sich an seine Brust lehnen. Die Augen schließen. Spüren wie sich der enorme Brustkorb hob und senkte. Wenn sie an seine nackte Brust dachte wurde ihr wieder schwindelig. Sie liebte es über alles, seinen Körper zu betrachten. Seine Brust, mal glatt rasiert, mal dunkel behaart. Wenn die Härchen oben am Rand des T-Shirts oder aus dem geöffneten Hemd hervor lugten. Das machte ihn so männlich, so ungeheuer männlich. Er war ein Mann, ein ganzer Mann. Es gab keinen Mann, der es mit ihm aufnehmen konnte. Keiner kam ihm gleich. Er war ihr Mann! Ihr Gott! Und sie war seine Priesterin.
Sie war mittel alt, mittel groß, mittel schwer. Eine reife, intelligente Frau. Sie ging ihrer Arbeit nach. Versuchte ein ganz normales Leben zu leben. Aber ER war immer da. Sie stand morgens auf und ihr erster Gedanke gehörte ihm. Sie überstand irgendwie den Tag und er war ihr ständiger Begleiter. Abends, wenn sie allein war, war er an ihrer Seite. Er begleitete sie ins Bett und vor dem einschlafen, sprach sie mit ihm. Lachte mit ihm. Er war ihr Liebhaber. Mit ihm konnte sie sich alles vorstellen. Er würde ihr alles zeigen und sie war bereit, sich auf alles einzulassen. Er war auch in dieser Hinsicht perfekt. Manchmal, wenn sie Glück hatte, großes Glück, war er in ihren Träumen. Sie erinnerte sich an einen Traum, in dem sie seinen Namen gerufen hatte. Nicht seinen richtigen. Den traute sie sich kaum auszusprechen. Sie ließ ihn gerne über die Zunge gleiten. Er klang so melodisch, wie Musik. So fremd, so exotisch. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, wenn sie nur an seinen Namen dachte. Seine Kinder trugen seinen Namen, nicht seine Frauen. Sie hätte seinen Namen mit Stolz getragen. Sie sprach ihn lautlos aus, ihren Vornamen und seinen Nachnamen. Dabei sah sie sein Gesicht vor sich. Sein über alle Maßen schönes Gesicht. Die vollen Lippen, die manchmal so spröde waren. Diese Lippen, die sie küssen wollte, die sie in ihren tagtäglichen Gedanken schon so oft geküsst hatte. Sie wusste, dass diese Lippen schon alles geschmeckt und gefüllt hatten. Frauenlippen, Männerlippen. Diese sinnlichen Lippen hatten andere Körper erforscht und liebkost.
Sie hatte es selbst gesehen. Sie hatte keine Eifersucht gespürt. Neid vielleicht. Ein bisschen. Aber sie hatte sich nicht losreißen können. Nicht von seinem Körper, nicht von seinem Gesicht. Wenn sie die Augen zu machte, war sie die andere Frau. Sie würde von ihm geliebt. Sein starker, großer Körper würde ihren Körper bedecken. Sie sehnte sich danach, so sehr, dass ihr Körper schmerzte.
Sie sah in seine Augen. Sein Gesicht war ganz nah vor ihrem. Die braunen Augen, umkränzt von Fältchen, die sich jetzt, in seinen reifen Jahren immer mehr vertieften. Diese jungen, unschuldigen Augen. In diesen Momenten war er ihr großer, kleiner Junge. Die langen Wimpern. Die runde, kräftige Nase. Sein Kinn, offiziell immer glatt rasiert. Aber sie liebte seine Stoppeln. Drei oder vier Tage alt. Schwarz, aber heute mit grauen Fäden durchzogen. Genauso wie sein Haar. Es war kürzer heute. Nicht mehr so ungestüm und lockig. Sie wollte mit beiden Händen durch dieses Haar streichen. Sie stellte sich vor, diese Haare zu waschen, seinen Kopf sanft zu massieren. Er würde lächeln, wie nur er lächeln kann. So verlegen, so jungenhaft, so unschuldig. Aber auch so herausfordernd. So wissend. Seine schönen, ebenmäßigen Zähne. Sie mochte seine Zähne wie sie früher waren. Schief und von vielen Zigaretten bräunlich verfärbt. Aber sein Lächeln war damals noch unschuldiger, noch jungenhafter. Wie ein Engel sah er aus. Damals, in den späten Achtzigern. Da hatte es angefangen. Sie hatte ihn gesehen und wusste, dass er sie nie wieder loslassen würde. Es war seine Männlichkeit, sein Charme, seine Ausstrahlung, die sie gefangen hielt. Bis heute. Sie las einen Bericht über den weiblichen Orgasmus und musste sofort an ihn denken. ER würde jede Frau glücklich machen. ER hätte damit keinerlei Probleme. Zärtlich war er und verschmust. Verspielt und in Ansätzen auch brutal und fordernd. Aber er würde niemals einer Frau ernsthaft Schmerzen zufügen.
Manchmal fragte sie sich, ob es nur eine ewige Verliebtheit war oder doch eine Besessenheit. Sie kam nie richtig zu Ruhe. Sie musste ihn sehen. Sie musste. Nichts half. Sie suchte sich Hobbys, machte Bekanntschaften, aber alles nutzte nichts. ER war immer gegenwärtig. ER war immer da. Und es wurde schlimmer im Laufe der Jahre. Sie begann, sich in ihrer Freizeit nur mit ihm zu beschäftigen. Erst ein wenig, dann immer mehr und mehr. Wie eine Süchtige, immer auf der Suche nach der Droge. Er war ihre Droge. Wenn sie diese Droge nicht bekam, ging es ihr schlecht. Miserabel. Einmal, als die Vorfreude auf den Abend so groß war, das sie den ganzen Tag wie im Trance erlebt hatte, klappt es nicht. Ihre Verzweiflung kannte keine Grenzen. Sie weinte, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie empfand nie gekannte Wut und Trauer, versuchte mit Gott zu sprechen, fragte warum sie, ausgerechnet sie, soviel erdulden musste. Haderte mit dem Schöpfer, verfluchte ihn zum Schluss.
Aber auch glücklich und unendlich dankbar war sie. Wenn sie seine Kleidung tragen durfte. Es reichte ihr schon, das schwarze T-Shirt nur ausgebreitet auf ihrem Bett zu sehen. Es war ihr viel zu groß. Sie war doch nur mittel groß, er aber fast zwei Meter. Sie hatte es kaum über sich gebracht, das T-Shirt anzuziehen. Zu groß war ihre Beklommenheit. Zu groß ihre Ehrfurcht. ER hatte es tatsächlich getragen. Sie konnte sich nicht daran satt sehen. Wenn er es trug, sah es einfach umwerfend aus. Das war nicht mehr von dieser Welt. Seine breiten Schultern, die schmalen Hüften, die muskulösen Oberarme. Er hatte es tatsächlich getragen. In diesem Begleitschreiben stand es schwarz auf weiß. Aber es war gewaschen. Sie hatte ihre Nase, ihr Gesicht in dieses Stück Stoff vergraben. Aber es roch einfach nur neutral. Wie gerne hätte sie seinen Geruch in sich aufgesogen. Wie oft hatte sie versucht, ihn zu riechen. Sie hatte an unzähligen Rasierwasserflaschen gerochen, bis sie eine fand, von der sie meinte, ja, das könnte es sein. Ja, so könnte er riechen. Herb, männlich, kraftvoll.
Sie sah ihn gerne nackt. Sie hatte extra Tage eingerichtet, an denen sie ihn nur nackt sah. Freitags und sonntags waren ihre „nackten Tage“. Sonntags machte sie sich nicht mehr die Mühe, aus dem Bett aufzustehen. Es war schön, sich wohlig zu räkeln, die Wärme zu spüren, die wenn sie sich konzentrierte, sein Körper ausstrahlte. Die Zeit spielte keine Rolle mehr. Nur das hier und jetzt. Nur sie und ER. Jede Bewegung seines Körpers genoss sie. Jedes Spannen der Muskeln. Sie konnte stundenlang nur das Spiel seiner Zunge beobachten. Wie sie über die Lippen strich, in den Mund einer Frau glitt oder wenn er wütend wurde, zwischen seine Zähne stieß.
Lange hatte sie mit ihrer Passion alleine gelebt. Er gehörte nur ihr. Sie war allein auf dieser Welt. Nur er existierte in dieser Welt. Doch sie wollte es jemandem erzählen. Wollte, dass ein anderer davon wusste. Es drängte sie, irgendjemandem von diesem Leben zu erzählen. Von ihrem Baby, von ihrem Boy, diesem amerikanisch – italienischen Traum! Zögernd vertraute sie sich an. Doch keiner konnte nachvollziehen, wie sehr sie liebte. Keiner hatte Verständnis für sie und ihn. Hinter vorgehaltener Hand sprach man über sie. Lachte über sie. Bedauerte sie. Das Wort Einsamkeit stand immer im Raum.
Sie suchte und fand einen Weg, sich mitzuteilen. Ihr Computer wurde ihr Vertrauter, ihr Ventil. Sie begann Tagebuch zu führen. Erst verhalten, vorsichtig. Sie schrieb über sich und ihn. Geriet immer mehr ins Schwärmen. Zeigte ihn der anonymen Welt. Zeigte ihren Mann. Und fand andere. Dieser Mann war auch ihr Mann. Dieser Mann hatte noch andere Priesterinnen. Sie beteten ihn an. Verstanden sie. Sie sprachen miteinander, tauschten sich aus. Bekamen nie genug. Alle, die nicht so dachten und fühlten, gehörten nicht in ihre Welt. Wie die, die ihn „Gay“ nannten. Er war ein „Frauenmann“, kein „Männermann“. Sie war zum ersten Mal in ihrem Leben richtig glücklich. Sie wusste, wenn sie ihn sah, dann sahen die anderen ihn auch. Und sie wusste auch, die anderen dachten und fühlten dasselbe wie sie. Sie lernten sich kennen, halfen sich bei Problemen, trösteten sich gegenseitig, gaben sich Halt, wenn die Verzweiflung zu groß wurde. Die Verzweiflung darüber, niemals mit ihm in der Realität zu leben.
Er war ihr Gott, ihr Amerikaner mit den italienischen Wurzeln. Der Mann, der sie
glücklich machte. Sie konnten ihn anschauen, wann immer sie wollten. In ihrer Phantasie war er perfekt und vollkommen, dieser Mann, der niemals sterben würde.

 

Guter Stil. Aber...(sorry, muss sein) ... es ist, als ob man auf etwas wartet, das nicht kommt. dieses hinhalten und das fehlen des happy ends ist schön, was denkst du darüber, es ein wenig dramatischer, heftiger zu gestalten? soll keine kritik sein, die kg ist gut, nur ein gedanke. stark. wenns dir keine mühe macht, bewerte mal bitte meine letzte story (die heilige nutte) danke

 

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