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Der August, die Wahrheit

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28.12.2009
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Der August, die Wahrheit

Ich liege auf dem Bett im dunklen Zimmer. Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist immer noch bei mir. Dann strecke ich meine Hand aus und will ihren atmenden Körper berühren. Doch neben mir ist nur die kühle Decke, es ist eine Bewegung ins Leere, aus Erwartung wird Enttäuschung, und mir fällt wieder ein, dass sie weit weg ist. Ich streiche mit der Hand über die Kissen und fühle glatte, warme Haut, aber das ist nicht sie, das bin ich, es ist mein atmender Körper, den ich da berühre. Ich lege die Hand auf meine Brust und lasse sie langsam bis zum Bauch gleiten, halte über der Narbe an, meine Fingerspitzen auf der Naht, sie ist so breit wie ein Daumen, wie mein Daumen. Manchmal spüre ich noch Schmerzen, kurz und leise, ein Stechen und Brennen, heiße Nadelstiche. Es ist guter Schmerz, denn er erinnert mich an sie.

Ich stehe auf. Ich gehe durch die Diele ins Bad und schaue in den Spiegel, sehe die Umrisse, mein Gesicht im Halbdunkel, grau und ebenmäßig und fast schön. Ich schließe die Augen und höre in die Stille, das Haus ist jetzt ganz ruhig, es ist spät, alle sitzen in ihren Zimmern und essen und trinken und sehen fern, oder sie reden und schweigen und starren vor sich hin. Dann zischt es irgendwo in den Rohren und in den Leitungen gluckert es und weit entfernt beschleunigt ein Zug. Ich spüre Sandkörner unter meinen Füßen und bewege meine Zehen vorsichtig hin und her, sie graben sich in den Sand, der fein und leicht feucht ist. Woher kommt dieser Sand? Wie kommt er ins Bad?, und als ich die Augen öffne, bin ich gar nicht mehr im Bad, ich bin nicht mehr in dem stillen Haus in der Friedrich-Ebert-Straße, sondern an einer Küste. Sie steht neben mir, ihr Haar ist offen und ausgebleicht von der Sonne, fast blond, ein Schweißfilm auf ihrem Rücken, und wir beide blicken schweigend über das Meer auf einen flirrenden Punkt am Horizont. Ich will etwas sagen, doch sie sieht mich nur an und lächelt und legt mir den Zeigefinger über die Lippen, ich spüre ihn an meinen Zähnen, die Haut ist glatt und weich und schmeckt nach Salz. Frag nicht, sagt sie leise, und ich sehe dabei auf ihre Lippen, die sich nur ganz wenig öffnen, so dass ich schon denke, vielleicht ist das nur eine Stimme in meinem Kopf, aber nein, das stimmt nicht … Frag nicht. Nein, das ist sie, die spricht, sie sagt das, und ich schweige, weil sie mir immer noch den Finger auf meine Lippen drückt. Es war August. Im August suchen wir nach Wahrheit.

Der Sand unter meinen Füßen, ihr warmer Körper neben mir, der Finger über meinen Lippen, dann zischt es wieder in dem Rohr und der Zug kommt zum Stehen, das Bremsen zerreißt die Stille und das Gesicht im Spiegel ist nicht mehr schön, es ist leer und alt und verloren, es ist mein Gesicht, und da ist auch kein Sand mehr, nur noch Kacheln, hart und glatt und kalt.

Im August suchen wir nach Wahrheit. Im August haben wir ihre Tabletten vergraben, draußen im Garten unter der großen Linde. Wir vergruben sie unter den Wurzeln, tief in der Erde. Wir beerdigten die Wahrheit und die Vergangenheit und die Zukunft; alles wurde eins und sollte nie vergehen. Aus August wurde September wurde Winter, und dann fanden wir die Wahrheit, nein, die Wahrheit fand uns, sie ließ sich nicht beerdigen. Die Wahrheit wird immer wieder auferstehen. Wir zählten die Tage und flüchteten in diesen einen August, den es nicht mehr gab, den es vielleicht nie gegeben hatte, den es nie geben wird.

Ich höre jemanden parterre lachen, danach geht das Licht im Hausflur an und ich spüre ein Pochen unter der Narbe, als sei es eine offene Wunde, als sei sie ganz frisch, als würde der harte, kalte Stahl immer noch in meinen Eingeweiden stecken. Ihr Finger liegt schon lange nicht mehr über meinen Lippen, sondern auf der Narbe, die so lang wie ihr Daumen ist, doch es ist nicht ihr Daumen, es ist ein Messer, ein Messer mit gerader Klinge, sie hält es in der Hand und dreht sich um und sticht zu, sie sticht es in meinen warmen Körper, der ihr eben noch so nah war, wir waren uns eben noch so nah, wir haben eben noch nach der Wahrheit gesucht in diesem August, und wie lange ist das her?, Jahre, nein Tage, nein Jahre, nein … Blut rinnt über den Griff und tropft auf den Boden, ein Tropfen, zwei Tropfen, ich sehe sie fallen wie schweres Öl, das Blut ist so dunkel wie die Nacht in der wir die Tabletten vergraben haben, und da ist kein Schmerz, nur eine seltsame Kälte, die mich in langsamen Wellen durchströmt, und als ich sie ansehe ist da wieder der flirrende Punkt, doch der Punkt ist nicht am Horizont, er ist in ihrem Kopf, in ihrem Kopf springt er hin und her und weiß nicht wohin. Wir schweigen, bis ich die Augen schließe, nur für einen Moment, für einen kurzen Moment, einmal durchatmen, und als ich sie wieder öffne, ist sie nicht mehr da, auch das Messer ist weg, da ist nichts mehr, keine Friedrich-Ebert-Straße, kein Haus, kein Zischen in den Rohren, keine Züge, nur ein heller, weißer Raum, hell und weiß und kühl und still.

Ich liege lange in diesem hellen, weißen Raum, und als ich ihn schließlich verlassen darf, stellt jemand alles um mich herum wieder auf; den August, die Friedrich-Ebert-Straße, das Haus, das Zischen in den Rohren, die Züge, die Wahrheit. Nur sie ist nicht mehr da. Sie ist weg. Jemand hat die Tabletten ausgegraben und sie damit gefüttert. Jemand hat ihr die Lippen geöffnet und sie ihr auf die Zunge gelegt. Der flirrende Punkt in ihrem Kopf ist weggegangen und dann hat sie hat das Messer aus mir herausgezogen und ist auch weggegangen. Sie hat dabei etwas von mir genommen und von sich dagelassen, und jetzt stehe ich vor der großen Linde, und das Loch ist so leer wie ihr Blick, als sie weggeschlossen wurde und mich alleine zurück ließ, alleine mit der Suche nach dem August und der Wahrheit.

Ich warte, ich warte. Manchmal denke ich, sie kommt zurück, bestimmt kommt sie zurück, und dann wird alles wieder wie früher, wie damals, wie in diesem August, aber ich weiß, es stimmt nicht. Ich strecke meine Hand aus und da ist sie, gleich hinter dem Spiegel, ich fasse durch das Glas wie durch eine Flüssigkeit, und ihr Körper ist warm und und weich und ich weiß, wir werden uns wieder nah sein, so nah, wir werden beide an der Küste stehen und auf das Meer hinausblicken, wir werden das Zischen in den Rohren hören, wenn es ganz still im Haus ist und auch die Züge auf den Gleisen, die in der Nacht durch lange, verborgene Tunnel fahren.

Ich warte und suche diesen August und warte und suche die Wahrheit.

 

Tag @jimmysalaryman,

ich habe den Eindruck, du probierst mit diesem Text etwas aus. So eine Art lyrisches Stakkato. Das neu Ansetzen, die Wiederholung, um sich zu vergewissern, sich (Protagonist) selbst bekräftigen, was war und was ist. Ein durchschrittenes Meer aus Impressionen.

Mir gefällt es gut. Als Bub hab ich mal alte Bücher aus Opas Buchregal gelesen, 20er-Jahre-Romane. Da habe ich einen ähnlichen Sprachstil entdeckt. Gedehnte, weite Ebenen der Vorstellung und inneren Sicht auf Vergangenes, Gegenwart und den Gefühlen dazwischen. Landschaftsbilder aus Seele, Emotion, Erlebtem. Versehen mit einem sprachlichen Schlüssel, der nur wenigen das Tor dazu öffnet.

Was fiel mir auf?

das letzte Licht des Tages hinein
Vielleicht liege ich falsch ... von außen hinein, von drinnen herein ...

Ich stehe auf. Ich gehe durch die Diele ins Bad
Der Punkt hat mich aus dem Tritt gebracht, aus dem Fluß. Vielleicht verbinden und das zweite "Ich" weg?

Ich steheauf, Ich gehe durch die Diele ins Bad, und schaue in den Spiegel, sehe Umrisse, mein Gesicht im Halbdunkel, grau und ebenmäßig und fast schön. Ich schließe die Augen
... und hab dann weitergelesen. Auch hier bin ich aus dem Fluß geraten, weil es mir als Ganzes näher geht, ein Schwung sozusagen ... Der Abschluss mit "schließe die Augen kommt dann wie ein Treffer.

Ich will etwas sagen, doch sie sieht mich nur an, und lächelt, und legt den Zeigefinger auf meine Lippen, und ich mag, wie sie das macht, so entschlossen und streng. Drückt mir den Finger ins weiche Fleisch, spüre ihn an meinen Zähnen; glatte, weiche Haut, die nach Salz schmeckt.
Nur eine Eingebung, die Kombination oben ...

Nein, esdas ist sie, die spricht
Verdeutlicht das "es" hier noch einmal? Es kommt mir so vor ...

jemand hat ihr den Mund geöffnet, alle Tabletten mitten auf die Zunge gelegt
Mund nur deshalb, weil Lippen öffnen immer noch geschlossene Zahnreihen bietet. Dann noch etwas komprimierter, weil es ja was Brutales hat.

Ich warte. Manchmal denke ich, sie kommt zurück. Ich warte. Bestimmt kommt sie zurück, und dann wird alles wieder wie früher,
Das verlängert das Warten etwas, dehnt es. Für ihn ist es eine gedehnte Zeit.

Vielleicht ist die Wahrheit auch in mir, unter meiner Narbe, zwischen Sehnen und Muskeln, Leber und Milz und ich muss sie wieder herausholen
Über die Schleimhäute bin ich voll gestolpert.

Insgesamt ein sehr ruhiger Text. Man muss sich drauf einlassen. Sich ihm 'ergeben', wenn ich das mal so sagen darf. Man muss auch selbst zur Ruhe kommen und den sich aufbauenden Bildern zusehen. Ihnen Zeit geben. Also ein sehr meditativer Text (was heutzutage ja eher selten ist). Aus meiner Sicht sehr gelungen. Dabei ist es gar nicht wichtig, den Schlüssel zu finden, Interpretationen zu suchen, zu analysieren ... ist eher wie ein großes Bild im Louvre. Du gehst in den Raum, siehst das Bild und setzt dich davor. Betrachtest jede Ecke, jeden Farbpunkt und denkst drüber nach ... und am Ende denkst du über dich selbst nach.

Grüße
Morphin

 

Hallo @Morphin,

Ein durchschrittenes Meer aus Impressionen.
Klingt gut, kaufe ich. So nenne ich diesen Text jetzt: ein zu durchschreitendes Meer aus Impressionen.

Der Punkt hat mich aus dem Tritt gebracht, aus dem Fluß. Vielleicht verbinden und das zweite "Ich" weg?

Ich denke, diese beiden knappen, aufeinanderfolgenden Sätze passen so ganz gut, auch vom Klang, ich weiß nicht, vielleicht ein bißchen hart und direkt. Also, so war das gedacht. Hab ein paar Sachen von dir übernommen, aber gerade diese und-Konstruktionen finde ich rhythmisch, die fließen irgendwie so ineinander, normalerweise bin ich selbst kein Freund von und-s, aber bei solchen Passagen passt es irgendwie organisch zusammen, ich weiß nicht. Ich überlege noch. Es ist geändert. Mund ist übernommen und Schleimhäute raus - das klang ja wirklich vollkommen behämmert, was hab ich mir da nur bei gedacht?

Also ein sehr meditativer Text (was heutzutage ja eher selten ist). Aus meiner Sicht sehr gelungen. Dabei ist es gar nicht wichtig, den Schlüssel zu finden, Interpretationen zu suchen, zu analysieren ... ist eher wie ein großes Bild im Louvre.
Ist ein schöner Vergleich. Natürlich etwas trügerisch, weil hier sehr viel Oberfläche ist, ist dem Maskenballtext nicht ganz unähnlich, nicht ganz so großspurig und derb vielleicht, aber schon auch in diese Richtung. Ja, ist ein bißchen auch ein Experiment. Hatte was Längeres beendet und will einfach flexibel im Hirn bleiben, und so arbeite ich an so kleinen Skizzen, die immer so was verspielendes haben.

Danke für deine Zeit und deinen Kommentar!

Gruss, Jimmy

 
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Hey Jimmy,

mal ein ganz anderer Ton. Habe ich sehr gerne gelesen.

es ist mein atmender Körper, den ich da berühre

Würde schreiben:
es ist nur mein atmender Körper, den ich berühre

das "da" ist wichtig, aber in der Form klingt es zu plump, finde ich.

Ich lege die Hand auf meine Brust und lasse sie langsam bis zum Bauch gleiten, halte über der Narbe an, meine Fingerspitzen auf der Naht, sie ist so breit wie ein Daumen, wie mein Daumen. Manchmal spüre ich noch Schmerzen, ganz kurz und leise, ein Stechen und Brennen, heiße Nadelstiche. Es ist guter Schmerz, denn er erinnert mich an sie.

Das erklärt vielleicht etwas zu viel. Andererseits fehlt mir hier Info, um da richtig mitzufühlen. Der Text schwebt hier in einer eigenartig selbstreferenziellen Melancholie, die etwas sehr Geheimnisvolles und Anziehendes hat. Warum werte ich das als "erklärt zu viel?" – ich bekomme hier kurz das Gefühl, dass der Text hier an eine Grenze stößt, die der Dringlichkeit, die ewige "warum wird mir das erzählt?"-Frage. Der Text behauptet hier: "warte, hier gibt es ein Geheimnis, etwas Schweres, schwerer als du dir vorstellen kannst". Aber als erfahrener Leser und vor allem aus Autorenperspektive kenne ich diese Beteuerungen und erwache kurz aus meiner Trance, frage mich umgekehrt – "Erzähler, wenn du mir das beteuerst, du wirst doch nicht bluffen, oder?" Mich rettet hier das Vertrauen in den, der erzählt, in die Sprache und feinziselierte Geheimnisumwobenheit. Ich weiß, ich werde hier nicht enttäuscht werden, selbst wenn ich den Text beim ersten Lesen nicht ganz verstehe.

So viel und wahrscheinlich doch nicht auf Punkt – was mir zu der Stelle durch den Kopf geht.

Wie kommt er ins Bad?, und als ich die Augen öffne, bin ich gar nicht mehr im Bad, ich bin nicht mehr in dem stillen Haus in der Friedrich-Ebert-Straße, sondern an der Küste.

Der Name Friedrich Eberts wird hier kurz ganz gewaltig aufgeladen, als ein ganz konkreter Verweis. Ich vermute zunächst einen politischen Kontext. Dann wieder ein kurzes Erwachen aus der Trance. Wollte der Erzähler mir hier gerade ein Detail verkaufen? Und dann wieder: "Erzähler, wenn du mir ein Detail verkaufen willst, bluffst du dann am Ende und das ganze ist überhaupt nicht so wahr, wie es sich anfühlt?" – Und wieder rettet mich mein Vertrauen und die allgemeine Stimmung und Sprachlust des ganzen.

wir beiden schweigen, wir beide

müsste auch im ersten Satz "wir beide schweigen" heißen, wenn ich nicht ganz falsch liege.

Aus August wurde September wurde Winter

wurde September, wurde Winter

wir gruben ein Grab und beerdigten die Wahrheit und die Vergangenheit und die Zukunft

Das ist schon sehr viel. Hier denke ich: Also, lieber Erzähler, warum tischst du mir das so dick auf, glaubst du, dass ich so einen Kohldampf habe? Glaubst du nicht, dass der Rest mich schon genug gesättigt hat (hat er).

als sei es eine offene Wunde, als sei sie noch ganz frisch

als "wäre". Ist ja irreal

Das nur als so eine kleine, miese Stimme aus dem Off, die hoffentlich bald mal wieder mit Zeit und auch Texten zurückkehrt. Gerade ist daran leider noch gar nicht zu denken. Ref ist anstrengend ...

Ich wünsch dir noch eine sehr gute Restwoche
Beste Grüße
Carlo

Zusätzlich: Was Morphin zu dem Text schreibt, dass man sich ihm ergeben sollte, ihm vertrauen und die Bilder, die er sorgfältig aufbaut, in Ruhe widmen sollte, kann ich unterschreiben.

 

Hallo @jimmysalaryman und natürlich @Carlo Zwei,

was mir gerade einfiel und über was ich schon länger grüble ... die alte Formel: show, don't tell. Gerade in letzter Zeit - so mein Eindruck - wird sie als Rahmen für manch Text genommen und hat für viele der Plots die ich in der letzten Zeit hier gelesen habe, ihre eindeutige Berechtigung.

Aber warum?

Weil sie es den Schreibenden und Lesenden einfacher macht. Aber in diesem Text hier haben wir das nicht. Hier lesen wir eine wirkliche Erzählung. Großvater sitzt am Lagerfeuer und erzählt Geschichten, und wenn Großvater das kann, dann starren alle gebannt durch die züngelnden Flammen auf seinen weißen Bart und vergessen das Atmen. Sozusagen. KANN jemand erzählen, dann hebelt er show, don't tell aus. Zu einem großen Teil liegt die Macht der Worte nun in seinem Mund - also seiner Feder.

Es ist also gut, wenn Schreibende auch den tell-Teil lernen, den Umgang mit Worten die sie zu einem Erzähl-Opiat formen können. Ich schätze, nur wenige können diesen Weg erfolgreich beschreiten.

Deshalb ist dieser Text sehr wichtig, weil er ein Gleichgewicht herstellt.

Bis dann
Morphin

 

Hallo Jimmy,

ein impressionistischer Text, in dem sich der Erzähler assoziativ und ausprobierend vorantastet. Wie ein Zeichner/Maler, der eine Linie zieht, nicht ganz zufrieden ist, sie nochmal drüberzieht, dann nochmal, bis ihm die Form schließlich gefällt, dann mit der nächsten Stelle weitermacht, und dabei auch in so einen Flow kommt. Stellenweise hat es mich fast an Lyrics erinnert, und insgesamt finde ich es auch etwas meditativ und experimentell.
Einerseits bin ich dem gerne gefolgt, weil mir da verschiedene Sachen gefallen haben, andererseits war es für mich stellenweise ein bisschen so, wie jemandem zuzuhören, der sich selbst gerne reden (bzw. denken) hört. Also manchmal fand ich es durch die leicht variierten Wiederholungen etwas ‚drauf rumgeritten‘, und dachte so in die Richtung: Komm zum Punkt.
Aber das ist denk ich recht subjektiv; der eine genießt den Flow dieses Introspektiven, Stream-of-Consciousness-Mäßigen, der nächste mag es lieber, die Produkte davon vorgesetzt zu bekommen. Bei mir war es von beidem was. ;)

Gerne gelesen, mal was anderes.
Viele Grüße
Maeuser

 

"Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
..."
Walther (von der Vogelweide), ca. 1200​

Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist immer noch hier.
...
Sie hat etwas dagelassen, in diesem Loch unter der Linde, und niemand kann es für sie finden, es ist einfach weg, fort für immer.

Naja, nach Lyrik klingt das eher nicht und gegenüber dem letzten Kapitel des Ulysses (James Joyce) traut es sich zu wenig, denn nicht nur der Traum folgt seiner eigenen Grammatik (ohne dass ihn das Institut für deutsche Sprache oder Konrad Duden da zähmen und zäumen können) ohne Punkt und Komma und statt die Konjunktiefen (hätte) auszuloten, obsiegt der Indikativ (… habe … ist …) - selbst die kurze Szene Gefühlswelt ...
Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist immer noch hier.
Traut sich nix, deshalb sollte auch hier

..., der sich ganz schnell bewegt, einmal in diese Richtung, dann wieder in eine andere, es ist ein PunktKOMMA der nie stillsteht.

Hier wirstu – wahrscheinlich unfreiwillig - experimentell
Der Sand unter meinen Füßen, der warme Körper neben mir, ihr warmer Körper neben mir, der Finger über meinen Lippen, über unseren Lippen, wir beiden schweigen, wir beide, und ich weiß, ….
welche Schreibweise der beiden korrekt ist ...
Findestu selber raus ...

Ich höre jemanden parterre lachen, danach geht das Licht im Hausflur an, und ich spüre ein Pochen unter der Narbe, als sei es eine offene Wunde, als sei sie noch ganz frisch, als würde der harte, kalte Stahl immer noch in meinen Eingeweiden stecken.
Typische als-ob-Situation, die eher nach Konj. II - wäre - ruft. Und ohne würde-Konstruktion entstünde m. E. eine interessante Situation, wenn der Konj. II von stecken identisch bleibt mit dem Prät: "als steckte der harte ... noch in meinen Eingeweiden."

So viel oder doch eher wenig für heute vom

Friedel

 
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Das erklärt vielleicht etwas zu viel. Andererseits fehlt mir hier Info, um da richtig mitzufühlen. Der Text schwebt hier in einer eigenartig selbstreferenziellen Melancholie, die etwas sehr Geheimnisvolles und Anziehendes hat.

Hallo @Carlo Zwei

danke dir für deinen Kommentar. Nachher wird es ja erklärt bzw gezeigt, was genau passiert ist - sie hat ihn mit einem Messer angegriffen. Warum genau erfahren wir nicht als Leser, aber man kann annehmen, durch das eigenmächtige Absetzen der Medikamente kommt es zu einer erneuten Pyschose. Wäre jetzt spontan mal meine Interpretation, aber das ist sicherlich nicht die einzige. Der Text rekurriert um dieses Motiv herum, das stimmt schon, und dadurch erzeugt er so eine gewisse Form der Melancholie, die Jim Harrison auch immer gerne benutzt hat (als Wort einfach), nämlich saudade. Das schließt das Unwiederbringliche mit ein und macht die Last größer, aber auch verzehrender.

Wollte der Erzähler mir hier gerade ein Detail verkaufen?
Jeder Autor verkauft seinen Leser in jedem seiner Texte andauernd Details, oder? Sind sie gut, nehmen wir sie als authentisch wahr, sind sie das nicht, wirken sie ausgestellt oder manieriert. Dadurch, dass dieser Text halt sehr dicht ist, kann das etwas gestaucht klingen, ich werde den auch nochmals durchforsten auf Verzichtbares. Friedrich-Ebert-Straße ist einfach die Straße, in der ich tatsächlich wohne und die musste aufgrund einer Verortung herhalten.
Das ist schon sehr viel. Hier denke ich: Also, lieber Erzähler, warum tischst du mir das so dick auf, glaubst du, dass ich so einen Kohldampf habe?
Hast Recht, ist raus und geändert. Ist immer schwer, einzuschätzen, wann etwas zu viel ist und wann nicht, man braucht da Abstand, also ich zumindest. Ich bin ja sehr anfällig für Kitsch und Pathos, deswegen ist da genaues Arbeiten in cold blood immens wichtig, damit es nicht alles zu einer zerschmelzenden Tränendrücker-Nummer wird.

Gruss, Jimmy

was mir gerade einfiel und über was ich schon länger grüble ... die alte Formel: show, don't tell.

Hallo @Morphin,

ich sehe show, don't tell einfach als ein Werkzeug im Kasten der Erzählkunst an. Ich muss natürlich unumwunden zugeben, dass ich selbst es sehr gerne und oft benutze, einfach weil ich gerne die Erzählinstanz so neutral wie möglich halte und gerne den Figuren den Vortritt lasse - die sollen agieren, reagieren, reden, tun, machen. Es ist auch eine Frage der Ethik - möchte ich lieber, dass der Leser sich an die Sprache erinnert oder an die Figuren eines Romans? Im besten Falle an beides. Vieles bleibt halt aber auch an der Oberfläche, dann hat man eine Textstruktur, die auf den ersten Blick unheimlich beeindruckend ist, aber dennoch bleibt das Eigentliche leer, eine Hülse - natürlich kann man argumentieren, na ja, solche Texte muss es auch geben, und erschaff doch DU erstmal einen solchen Text, aber sicherlich hat es auch etwas mit unserer gewohnten Rezeption von Literatur zu tun. Hängt irgendwo in der Stadt eine Leinwand, denken alle gleich: Oh, Kunst! Bei der Literatur ist das eben bei einer bestimmten Form der Sprache so.

Außerdem denke ich, show don't tell funktioniert deswegen so gut unserer Zeit, weil die Literatur in direkter Konkurrenz zum Medium Film steht. Schnitte, Bewegungen, Perspektiven nah, fern, Totale, das sorgt für Dynamik. Wenn man sich einen alten Schinken aus dem Regal nimmt und reinliest, spürt man erstmal, wie langsam das erzählt ist. Übrigens auch beim Film: letztens erst wieder Rififi angesehen, da dachte ich dann auch, das dauert aber, meine Herren! Heute ist es auch das Tempo, was oft zählt, und ich will da gar nicht urteilen, ob richtig oder falsch, ich denke, auch hier gilt, passendes Werkzeug für passende Sujets. Der Text hier oben ist auch kein Lagerfeuertext, so redet ja niemand in echt, niemand spricht so, das ist einfach ein vollkommen artifzielles Teil, das aber gar nicht den Anspruch hat, etwas einzulösen, es ist eine Spielerei.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @Maeuser

Einerseits bin ich dem gerne gefolgt, weil mir da verschiedene Sachen gefallen haben, andererseits war es für mich stellenweise ein bisschen so, wie jemandem zuzuhören, der sich selbst gerne reden (bzw. denken) hört. Also manchmal fand ich es durch die leicht variierten Wiederholungen etwas ‚drauf rumgeritten‘, und dachte so in die Richtung: Komm zum Punkt.
Hahaha, verstehe ich total. Ja, ist ja ein wenig das Prinzip, das Repetitve, die Wiederholung, das Kreisen. Also, länger als fünf Seiten kann ich das auch nicht lesen, aber es ist ein wenig wie der Hill Country Blues finde ich, reduziert und hypnotisch, es soll einen reinziehen und dann bis zum Ende nicht mehr loslassen. In der Theorie! Ist ja auch immer ein wenig Experiment, wie weit der geneigte Leser da mitgeht oder nicht, aber deswegen sind wir ja hier, ich verstehe das Forum auch als Spielwiese, um genau diesen Impulsen nachzugehen.

Danke dir sehr für deine Zeit und deinen Kommentar!

Naja, nach Lyrik klingt das eher nicht und gegenüber dem letzten Kapitel des Ulysses (James Joyce) traut es sich zu wenig, denn nicht nur der Traum folgt seiner eigenen Grammatik (ohne dass ihn das Institut für deutsche Sprache oder Konrad Duden da zähmen und zäumen können) ohne Punkt und Komma und statt die Konjunktiefen (hätte) auszuloten, obsiegt der Indikativ (… habe … ist …) - selbst die kurze Szene Gefühlswelt ...

Hallo @Friedrichard

ich kann deinem Kommentar, um ehrlich zu sein, nicht so ganz folgen. Mit Lyrics meinte Maeuser wahrscheinlich eher Songtexte und Zeilen, und ich habe auch nie behauptet, dass dieser Text lyrisch klingt oder klingen sollte. Und was James Joyce und das letzte Kapitel von Ulysses jetzt mit meinem Text zu tun hat, müsstest du mir auch mal erklären; scheint mir schon ein wenig vermessen zu sein, jetzt direkt jeden Text mit sogenannter Weltliteratur zu vergleichen, ich meine, was soll das bringen? Auch was sich der Text traut oder nicht - ich meine, wie will man das denn bewerten. Wann wäre das denn deiner Meinung nach ein Text, der sich was trauen würde? Das müsstest du mir, ernst gemeint, wirklich mal erklären, denn ich verstehe es einfach nicht. Ein wenig ratlos, dennoch danke.

Gruss, Jimmy

 
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Ist ja auch immer ein wenig Experiment, wie weit der geneigte Leser da mitgeht oder nicht, aber deswegen sind wir ja hier, ich verstehe das Forum auch als Spielwiese, um genau diesen Impulsen nachzugehen.
Auf jeden Fall!

Gerade kürzere Texte kann man da schon irgendwo mit einem Song vergleichen, finde ich.
Mir fällt da übrigens Chuck Palahniuk ein, der arbeitet gerne mit (ggf. leicht variierenden) Wiederholungen (und hat sich das wohl von Kurt Vonnegut abgeguckt), die werden dann zu einer Art Refrain. In seinem Buch Consider This: Moments in My Writing Life after Which Everything Was Different geht er darauf ein.
Hier ein kleiner Online-Artiel darüber: How Chuck Palahniuk Uses Repetition & Short Sentences In “Fight Club” To Establish Tone.
Es gibt sogar ein Paper dazu (wahrscheinlich nicht das einzige): "A Copy of a Copy of a Copy": Productive Repetition in Fight Club.

Mir ist das auch bei Ultra Fuckers von Carlton Mellick III begegnet, da wird oft ein Satz(teil) wiederholt: [...] and they are [Zeitangabe] late for a dinner party. Wobei die Zeitangabe im Verlauf der Geschichte immer höher wird (weil die Protagonisten das Haus der Gastgeber nicht finden).
(Und siehe da: Der hat mal einen writing workshop von Palahniuk besucht.. ;))

Wobei das hier bei dir ja schon stärker und vielfältiger in diese Richtung geht.
Schon interessant, was man so machen kann und wie das dann wirkt..

VG
Maeuser

 

ich kann deinem Kommentar, um ehrlich zu sein, nicht so ganz folgen.

muss und sollte auch keiner,

jimmy,

wenn der Schreiberling am folgenden Tag erst (er)nüchtert ist und um Entschuldigung bittet.

Einzig die Anmerkung hinsichtlich des Konjunktivs II bliebe heute übrig ...

Friedel

 

Hallo @jimmysalaryman =),

ich glaube, man kann deinen Text sehr unterschiedlich lesen, ohne dass er an sprachlicher Quali verliert. Die, so empfinde ich es ganz platt, ist exzellent.

Ich schließe die Augen, höre in die Stille, das Haus ist jetzt ganz ruhig, es ist spät, alle sitzen in ihren Zimmern und essen und trinken und sehen fern, oder sie reden und schweigen und starren vor sich hin, es zischt irgendwo in den Rohren und in den Leitungen gluckert es und weit entfernt beschleunigt ein Zug auf alten Gleisen.
Sowas hypnotisches hat deine Erzählweise, ein Wiederdenken und Wieder-Wieder-Denken und manchmal hatte ich das klassische Dichterbild vor Augen: Das Wort öffnet die Emotion und die Emotion überwältigt ihn, den Dichter, er krümmt seinen Rücken in einer einsamen Hütte im Wald, aus ganzer Tiefe quillt das Wort und er schreibt sie, die Wörter, die vielen Wörter, im Rausch der Muse auf ein Stück Pappe nieder, die Wörter. Bitte nicht falsch verstehen, ich will mich nicht lustig machen. Hat mich, wenn auch inhaltlich ganz, ganz anders gelagert, ein wenig an Thomas Bernhard erinnert. Kein Beginn, kein Ende, der Text ist ein kleiner Schaukasten in einem viel, viel größeren Strom an Worten. Dieses ganze Klangbild deines Textes, diese Harmonie zwischen den Sätzen, reflektiert ja auch diese unbedingte Liebe. Ich finde es sehr geschickt, wie deine Sprache an dem Messerstich oder der Imagination vom Meer nicht bricht, was auf mich einfach richtig, richtig gut wirkt. Ich gebe aber auch zu, dass dein Text einer ist, den ich sehr gut finde, ich würde ihn aber nicht weiterlesen: Alte Gleise, Wahrheit, hell und kühl, mir ist das an einigen Stelle zu kitschig, glatt, da hilft auch keine akute psychotische Episode. Aber der Kitschvorwurf ist ein Geschmacksvorwurf und so subjektiv, so extrem subjektiv, dass er mit der Quali deines Sprachbildes nichts zu tun hat. Das liest sich flüssig und rauschaft, harmonisch, exzellent geschrieben. Gelegentlich frage ich mich trotzdem, ob es "zu viel" ist:
Ich lege die Hand auf meine Brust und lasse sie langsam bis zum Bauch gleiten, halte über der Narbe an, meine Fingerspitzen auf der Naht, sie ist so breit wie ein Daumen, wie mein Daumen.
oder auch das Meermotiv, der Sand, die flirrenden Punkte am Horizont. Oder "die Wahrheit", schon im Titel. Vielleicht hätte hier ein profaneres "Im August" ausgereicht. Oder, schon erwähnt, die "alten Gleise".
Es war August, das weiß ich noch. Im August suchen wir nach Wahrheit.
Hier habe ich nicht verstanden, warum im August überhaupt die Wahrheit gesucht wird. Auf mich wirkt die Suche durch das Präsens wiederholend und bezieht sich nicht auf das Einzelereignis am Meer. Anders ausgedrückt: Dein ganzer Text wäre in englischer Sprache in der -ing-Form geschrieben, immer und immer wieder wird dieses und jenes gedacht und dazu zählt auch die Suche nach der Wahrheit. Aber warum dann im August? Das klingt für mich, vorsicht, nicht als Vorwurf verstehen, nach poetischem Weichzeichner.

Kurz zurück zur ersten Zeile:

Über mir, das ist ein Trapez, aber ich bin mir nicht sicher. Sie hätte so etwas gewusst.
Mit dem Trapez bin ich mir unsicher. Hier fragte ich mich, wie ernst ich den Erzähler nehmen kann. Ist ja eine geometrische Form, die relativ leicht zu erkennen ist. Das hat in mir latent den Gedanken geweckt: Ver***** der Erzähler mich als Leser? Oder meint er seine Worte wirklich ernst? Mein subjektives Problem ist einfach, dass ich pathetische Texte oft nicht wirklich ernst nehmen kann, weil sie für mich so leicht parodierbar sind. Ich will mich überhaupt nicht lächerlich machen, jimmysalaryman, überhaupt nicht. Es ist ein reiner Eindruck und dabei belasse ich es auch. Inwiefern kann ich dem Erzähler vertrauen? Das war für mich die Leitfrage, da geriet ich in ein ganzes anderes Fahrwasser.

Zum Inhalt, zur Psychose. Weniger eine Kritik, eher eine Ergänzung. Dein Text funktioniert (was auch immer das im Detail bedeutet, vielleicht, wenn verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Leseverständnis alle zum Ergebnis kommen, dass der Text passt). Und auch die Motive funktionieren. Ihr habt euch über show don't tell unterhalten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass dabei Klarheit und Vereinfachung verwechselt werden. Hier, in deinem Text, ordnet doch ein Mensch seine Gefühle, Gedanken, Empfindungen einer Person gegenüber ein. Nicht irgendeiner sondern einer sehr, sehr wichtigen Person. Da wird es mit einfachen Punkten eher schwierig. Da ist auch nichts klar. Und vielleicht hat man als Autor manchmal die Aufgabe, sich dieser Unklarheit sprachlich anzunähern. Wer soll denn sonst die vielen Halbschatten, Nebenbrüche, vernarbte Verletzungen und unmoralische Sehnsüchte beschreiben als die Schriftsteller oder so ein guter Schreiberling wie du? Wer liebt denn schon immer gleich und absolut. Ich hatte bei deinem Stil den Eindruck, dass er diese Zwischenräume sehr gut ausleuchten könnte. Dein Klangbild ist so harmonisch, dass moralische Brüche oder die Anziehung zu einer anderen einfach realistisch und nah am Leben wirken, weil dieser Stil Widersprüche verbinden kann. Es gibt in deinem Text keine Ereignisfolge, bei der A zu B führt, die Perspektive und der sprachliche Aufbau sind ganz anders. Du hast dich für einen anderen Inhalt entschieden, es gibt ein großes Ereignis, die Psychose. Alles gut, klappt sehr gut, der Text ist super geschrieben. Inhaltlich bin ich trotzdem skeptisch, weil diese Psychose für mich die ganze Beziehung nicht kompliziert macht, sondern sehr simpel. Er liebt sie trotz Psychose. Krass, denke ich da als Leser. Mich entfernt das vom Erzähler und ich schaue ihn an wie ein Sozialarbeiter co-abhängige Angehörige eines Alkoholikers, ach interessant, ach wie bitter, mehr nicht. Wie gesagt, keine Kritik, eine reine Ergänzung, vielleicht hilft sie dir ja.

Lg, heute mal aus Husum,
kiroly

 
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Hallo @kiroly


Bitte nicht falsch verstehen, ich will mich nicht lustig machen.
Na ja, schon ein wenig. Aber meine Kommentare werden auch oft genug als arrogant und überheblich wahrgenommen, deswegen kann ich damit gut leben.
Hat mich, wenn auch inhaltlich ganz, ganz anders gelagert, ein wenig an Thomas Bernhard erinnert.
Ich hab da wen ganz anders im Kopf gehabt, dessen Stil ich auch mehr oder weniger bewusst kopieren wollte, aber ich sag natürlich nicht wen. Deiner Expertise nach wahrscheinlich ebenfalls nur ein Schreiberling und kein Schriftsteller, aber das tut der Sache ja keinen Abbruch.
Ich gebe aber auch zu, dass dein Text einer ist, den ich sehr gut finde, ich würde ihn aber nicht weiterlesen: Alte Gleise, Wahrheit, hell und kühl, mir ist das an einigen Stelle zu kitschig, glatt, da hilft auch keine akute psychotische Episode.
Ja, Kitsch. Ich habe so das Gefühl, momentan ist das hier so die Sau, die durchs Forum getrieben wird. Hach, kaum wird ein Text ein wenig sentimentaler, eröffnet eine andere Ebene, wird weicher, steht man direkt unterm Kitschverdacht. Ich sehe das ähnlich, und sicher ist dieser Text weichgezeichnet, aber Kitsch? Na ja, stimmt schon. Das ist wahrscheinlich mein Versuch gewesen, einen süßlichen Wettbewerbstext zu schreiben, der irgendwie tief sein soll aber dennoch gut goutierbar.
Hier habe ich nicht verstanden, warum im August überhaupt die Wahrheit gesucht wird.
Nun, ich hätte auch Dezember nehmen können oder einen Dienstag. In meiner Vorstellungen haben sich diese beiden eben entschieden, dass sie die Medikamente in einem August absetzen wollen, vielleicht eine gemeinsame Entscheidung, es ist Sommer, man hat Wein getrunken und so und ist fürchterlich ineinander verliebt, auf eine jugendlich naive Art und Weise ... nein, es spielt aber an sich keine Rolle, es könnte auch einfach jeder andere Monat sein. Ich glaube sogar, ich habe das mit August und Wahrheit explizit in einem Americana-Song als Textzeile gehört und mir das notiert. Das ist meine Ausrede! Americana ist ja auch ganz oft weichgezeichneter Cowboykitsch von vermeintlich harten Männer gesungen.
Mit dem Trapez bin ich mir unsicher. Hier fragte ich mich, wie ernst ich den Erzähler nehmen kann. Ist ja eine geometrische Form, die relativ leicht zu erkennen ist. Das hat in mir latent den Gedanken geweckt: Ver***** der Erzähler mich als Leser?
Ist seltsam, dass du das sagst, denn ich wüsste nicht auf Anhieb, wie ein Trapez aussieht. Ich frage mich auch wirklich, was das damit zu haben sollte, ob man den Erzähler ernst nimmt oder nicht? Ab welchem Wissenstand wird der denn ernstgenommen und wann nicht? Wenn er weiß, was ein Trapez ist, dann ja, aber bei einem Kubus oder einem gleichschenkeligen Dreieck noch etwas mehr? Gibt es da Regeln für? Das sind doch so viele Variablen ... scheint mir relativ aus der Luft gegriffen, ein wenig gegenstandslos im großen Fluss der freien Kunst, findest du nicht? Ich meine, ist das wirklich wichtig? Was heißt hier auch: ernst nehmen? Glaubwürdig oder richtig motiviert oder nur eine Strohpuppe, um auf die Tränendrüsen zu drücken? (Was auf keinen Fall ganz verkehrt wäre, nebenbei!)
Mein subjektives Problem ist einfach, dass ich pathetische Texte oft nicht wirklich ernst nehmen kann, weil sie für mich so leicht parodierbar sind. Ich will mich überhaupt nicht lächerlich machen, jimmysalaryman, überhaupt nicht. Es ist ein reiner Eindruck und dabei belasse ich es auch.
Ist etwas widersprüchlich deine Aussage, denn du implizierst ja schon, dass dieser Text eben auch parodierbar ist. Nein, für dich leicht parodierbar. Dann ist es mehr als ein reiner Eindruck, sondern ein Urteil, was ja vollkommen in Ordnung ist. Du kannst den vorliegenden Text eben nicht so ganz ernst nehmen. Geht mir übrigens ganz ähnlich. Ich kann 99% der geschriebenen Literatur auch nicht so ganz ernst nehmen. Nun, sagen wir 90%, aber nur, weil ich heute gnädig bin.
Inhaltlich bin ich trotzdem skeptisch, weil diese Psychose für mich die ganze Beziehung nicht kompliziert macht, sondern sehr simpel.
Nun ja, darauf basiert ja der ganze Text. Da gibt es ja keine conlusio, das ist einfach eine Darstellung, die fix ist. Ich finde, es geht auch weniger um die Beziehung, als um das Vermissen, sein Vermissen, und auch um das Mißlingen ihrer Liebe, vielleicht auch aus eigener Dummheit heraus, aus törichter Ignoranz, und auch ein wenig um Demut. Du sagst ja vorher das hier:
Nicht irgendeiner sondern einer sehr, sehr wichtigen Person. Da wird es mit einfachen Punkten eher schwierig.
und demnach ist dieser Text für dich doch viel eher gescheitert, wenn die Psychose die ganze Beziehung sehr simpel macht, oder nicht?
Mich entfernt das vom Erzähler und ich schaue ihn an wie ein Sozialarbeiter co-abhängige Angehörige eines Alkoholikers, ach interessant, ach wie bitter, mehr nicht.
Würde mich mal interessieren, warum das so ist? Ich finde das auch schon ein wenig schade, klingt sehr abgestumpft gegenüber der Schicksalshaftigkeit des Lebens. Ich kenne das natürlich auch, wenn gute Kunden die man Dekaden begleitet hat, plötzlich sterben, dann war das anfangs noch nah, später ist es kaum mehr ein Achselzucken, man wird ein zynischer und sarkastischer Arsch im Grunde, den nichts mehr bewegen kann. So geht es mir jedenfalls. Mich lockt kaum noch etwas hinter dem Ofen hervor, und das finde ich irgendwie schade, weil wir natürlich so auch viel der sooft beschrieenen Menschlichkeit verlieren. Die Frage ist ja auch eine andere: Wie möchtest du denn von einem Text angesprochen werden? Was soll er denn in dir auslösen? Was wäre denn dein: mehr, anstatt mehr nicht. Das klingt so lapidar und esoterisch, aber wir sind ja auch alle schon so eiskalte Schweine geworden, das uns fast nichts mehr anficht. Jede menschliche Regung ist ein Effekt, jede Emotion birgt Kitsch, jeder Ausdruck ist eine läppsche Variante des Immergleichen, alles entlockt uns nur noch ein höhnisches Hach ja, aber jetzt bitte!, jetzt mal ... ja, was eigentlich? Was anderes? Was Echtes? Was lässt uns nicht herzhaft gähnen, sondern beschäftigt unsere Synapsen etwas länger als, sagen wir, drei Sekunden? Genug moralisiert jetzt!
Ich hatte bei deinem Stil den Eindruck, dass er diese Zwischenräume sehr gut ausleuchten könnte.
Könnte. Aber eben nicht kann bzw gekonnt hat. Insofern ist das keine Ergänzung, da hast du wohl Recht, sondern die Demontage des ganzen Textes samt Inhalt. Übrig bleibt nur die super geschriebene Sprache.

Noch ein Nachtrag:

Er liebt sie trotz Psychose
Ich würde nicht so konstatieren wie du, nämlich dass er sie trotz Psychose liebt, das wäre mir dahingehend doch zu unterkomplex und auch ein wenig abgekürzt gedacht. Hier ist es doch so, dass es vor allem die Unmöglichkeit dieser Liebe ist, die er gedanklich umkreist, darauf spielen ja auch etliche Vanitas-Motive an, wie er sein Gesicht aus dem Halbschatten sieht, die Wunde, ein moribunder Beweis der eigenen Verletzlichkeit und auch einer gewissen Gefährlichkeit, Unberechenbarkeit, die sie ja schlussendlich verkörpert, es ist auch immer ein Was wäre wenn, das ja implizit ist, eine Liebe fernab dieser Diagnose, die sie ja auch versucht haben, aber gescheitert sind. Literaturkritiker würden wahrscheinlich sagen, es ist eine Meditaton über eine scheiternde Beziehung oder etwas ähnlich wohlfeil intellektuell klingendes.

Ihr habt euch über show don't tell unterhalten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass dabei Klarheit und Vereinfachung verwechselt werden.

Ist aber doch schön, wenn es wenigstens einer verstanden hat.

Zum Text nochmal abschließend. Sagen wir so, ich habe in der letzten Zeit an Texten gebastelt, die offensichtlich anders sind, als die, die ich sonst schreibe. Mir geht es ganz ähnlich wie dir, ich habe auch einen sehr sensibel eingestellten BS-Detektor, bin aber zeitgleich anfällig für Texte, die mit einer beeindruckenden Sprachoberfläche operieren; da zucke ich erstmal zusammen und stelle den Text nicht weiter in Frage, also: was wird wie verhandelt, sondern sauge die Sprache auf und bin erstmal zufrieden, gesättigt, begeistert. Dann stellt sich jedoch irgendwann die Grundfrage ein: Was wird mir hier eigentlich erzählt? In den allermeisten Fällen ist das ein jazzed up drama, so wie hier im Text, das hast du genau richtig erkannt, wahrscheinlich auch, weil du damit beruflichen bzw professionellen Umgang hast oder ganz generell unbestechlich bist. Nun könnte man dagegen halten, dass im Grunde jede gute Geschichte irgendwo auch immer ein Drama ist, sonst würden wir dem wahrscheinlich nicht unsere Aufmerksamkeit schenken. Und wahrscheinlich sind Autoren in Wahrheit oft relativ schäbige Charaktere, die sich unschuldige Figuren ausdenken und sie dann aus einer möglichst radikalen Fallhöhe abstürzen lassen. Ethisch vertretbar? Manchmal bekomme sogar ich schon ein schlechtes Gewissen. Spaß beiseite. Natürlich stelle ich mir die Frage, wie erzähle ich möglichst naturalistisch, einfach aus dem Grund, nicht eine spiegelglatte Oberfläche zu produzieren, die vornehmlich aus sprachlicher Opulenz besteht, wie auch immer die gestaltet sein mag. Um auszutesten, ob ich überhaupt in der Lage bin, so etwas zu schreiben, habe ich diesen Text und auch den Maskenballtext verfasst, die sich ja beide schon recht deutlich von dem unterscheiden, was ich sonst schreibe, die flüssger sind und auch etwas weniger minimalistisch. Ich wollte verstehen, wie diese Art von Text im Kern funktionieren. Es scheinen Texte zu sein, die eine gewisse Harmonie besitzen, die nicht krass drüber sind, die immer irgendwie mit Verlust oder aber einem unerhörten Ereignis zu tun haben, das darf aber nie wirklich auserzählt werden, es muss vage und luftig bleiben, es darf nur eine Ahnung von Wahrhaftigem besitzen, den Leser nicht zu sehr ranlassen, es darf nie wirklich physisch werden, nie so wirklich wehtun, alles muss hinter einem Schleier liegen. So operiert dieser Text ja auch. Deswegen stehe ich dem Text auch selbst etwas zwiespältig gegenüber, ich mag ihn so, wie er ist, aber ich verstehe auch, wenn man ihn hassen und verachten würde. Ich glaube, ich würde einen solchen Text von einem anderen Autoren hassen, weil er mir wie ein einziger Trick vorkommt. Na ja, so richtig weiß ich es auch nicht. Hat auf jeden Fall Spaß gemacht, den zu schreiben und das mal auszuloten.

Gruss, Jimmy

 
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Schon interessant, was man so machen kann und wie das dann wirkt..

Danke für deine Rückmeldung @Maeuser

Ja, das ist spannend, wie und warum Texte wirken und welche Werkzeuge da benutzt werden. Ich denke ja, es gibt keinen Text, den man nicht irgendwie angreifen könnte. Man kann immer hingehen und einen Text auseinandernehmen, wenn man das möchte, man kann ihn auf Klischees, oft verwendete Tropen, Kitsch, Sozialkitsch, Trigger, Manipulation, Effekt, Tricks, man ihn auf alles abklopfen und wird immer etwas finden. Man kann auch jede individuelle Erfahrung, die in einem Text verarbeitet wurde, trivialisieren und sie der Lächerlichkeit preisgeben, obwohl man im Grunde nicht mal deren Authentizität überprüfen kann, aber so ist das eben mit dem Neid der Erfahrungslosen. Es gibt keinen nicht angreifbaren Text. Jeder Text lebt durch bestimmte Effekte oder eben durch die Auslassung dieser. Ich hatte hier eine bestimmte Textform im Auge, die ich mehr oder weniger simulieren wollte, eine etwas getragenere, elegantere Form, ich nenne sie mal Wettbewerbsliteratur - einfach eine gewisse Art der Sprache, die scheinbar als sehr literarisch wahrgenommen wird, dabei ist es vollkommen egal, was erzählt wird, in Deutschland geht immer: was mit Nazis, was mit Rechts, Tod der Eltern/Bruder/Schwester, Krankheit und Migration und neuerdings auch mit dabei im Themenbingo: Klasse, Habitus, Herkunft. Das ist erstmal wertfrei, aber es sind Themen, die so und durch diese Texte rezipiert werden. Ist auf jeden Fall interessant, wie man auch handwerklich an so etwas geht, ich habe gelesen, es gab mal einen Bachmanntext, der sogar gewonnen hat, der aber von einem Kollektiv geschrieben wurde, die sich anhand der zeitgeistigen Themen diesen Text entworfen haben, das muss rein, und davon ein wenig, und noch etwas Depression hier. Man kann über soviel Bestechlichkeit natürlich spotten, aber man kann sich auch fragen, warum sich so viele Leser, und das sind ja auch viele angebliche Profis bei, doch so leicht auf links ziehen lassen, so wachsweich werden, sich im Grunde betrügen lassen? Man muss das auch können, so einen Text schreiben der das vermag, der die Lüge gut aufrecht erhält, das hat mich interessiert.

Gruss, Jimmy

 
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Servus @jimmysalaryman,

Ich liege auf dem Bett im fast dunklen Zimmer. Durch die Falten im Vorhang scheint das letzte Licht des Tages und zeichnet Muster an die Decke. Über mir, das ist ein Trapez, aber ich bin mir nicht sicher. Sie hätte so etwas gewusst.
Gefällt mir sehr.

Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist immer noch hier. Dann strecke ich meine Hand aus und will ihren atmenden Körper berühren - sie ist nah bei mir, sie war immer nah bei mir, sie liegt da in der Dunkelheit und wartet, sie wartet auf mich.
Was mir an der Sprache nicht ganz zusagt, ist, dass der Erzähler immer noch eins drauf setzen will: sie ist nah bei mir - sie war immer nah bei mir Dann: sie liegt da in der Dunkelheit und wartet - sie wartet auf mich

Das wirkt - für mich - in Teilen redundant und ein wenig so, als ob der Erzähler die großen Gefühle, den Pathos sucht. Wenn sie in ihrem Ehebett in der Dunkelheit liegt und wartet - natürlich wartet sie auf ihn, auf wen sonst? (Einzige Ausnahme: Sie wartet auf ihr Kind. Das wäre die einzige Person, die in diesen intimen Bereich noch eindringen dürfte.)

Noch ein Punkt: Wenn er alleine im Bett liegt, in Traumbilder versinkt, die Hand ausstreckt, weil er das Gefühl hat, sie wäre noch hier und er dann sagt: "Sie ist nah bei mir" finde ich es wieder redundant zu erwähnen, dass: "sie war immer nah bei mir". Wenn sie in dieser Situation, in der sie nicht existent bei ihm ist, nah bei ihm ist, finde ich es selbsterklärend, dass er dieses Gefühl, sie sei bei ihm, stetig hat.

Aber der Text widerspricht sich hier auch - womöglich - selbst:

Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist immer noch hier.
sie war immer nah bei mir
Da ist nicht ganz klar, ob das "immer" sich darauf bezieht, dass er konstant das Gefühl hat, von ihr umgeben zu sein, auch wenn sie nicht da ist (dann wäre es ein Widerspruch), oder ob das "immer" sich darauf bezieht, dass sie immer nah bei ihm im Bett gelegen hat, wenn sie physisch anwesend neben ihm lag.

Ich finde das so ein wenig schwierig an der Sprache des Erzählers hier im Text, dass sie uneindeutig, nebulös bleibt.

Doch neben mir ist nur die kühle Decke, es ist eine Bewegung ins Leere, aus Erwartung wird Enttäuschung und dann fällt mir wieder ein, warum sie nicht da ist, nicht da sein darf, und dass sie weit weg ist, unerreichbar.
Das Fette ist für mich ein Streichkandidat - wieder etwas drüber, für mein Geschmack. Ich denke auch: Wenn sie wieder in der Psychiatrie ist, wieso ist sie unerreichbar? Er kann sie anrufen, besuchen, wenn sie jetzt kein Hardcorefall ist, kommt sie auch wieder raus ... aber ja, was mit ihr passiert ist, bleibt offen. Ich finde das schwierig in dem Fall, dass ich der Sprache bzw. dem Gesagten des Prots nicht ganz vertrauen kann, weil wenn sie wirklich unerreichbar ist, hat sie entweder lebend den Kontakt gänzlich zu ihm abgebrochen, oder sie ist tot. Zu tot passt aber wieder nicht: "Sie ist weit weg", bzw. das wäre dann sehr nebulös ausgedrückt, dass sie tot ist. Eigentlich müsste es heißen: "Sie ist weg." Hier widerspricht sich der Text mMn wieder: "sie ist weit weg" und "unerreichbar" sind - meiner Lesart nach - eigentlich paradox. Wenn jemand weit weg ist, ist er trotzdem erreichbar; wenn jemand unerreichbar ist, ist er nicht nur weit weg, sondern komplett weg.

Ich streiche mit der Hand über die Kissen und fühle glatte, warme Haut, aber das ist nicht sie, das bin ich, es ist nur mein atmender Körper, den ich da berühre.
Fett

Ich lege die Hand auf meine Brust und lasse sie langsam bis zum Bauch gleiten, halte über der Narbe an, meine Fingerspitzen auf der Naht, sie ist so breit wie ein Daumen, wie mein Daumen.
Dein Erzähler kommt mir wie jemand vor, der beim Erzählen herausfindet, was er erzählen möchte, der mehr oder weniger teilweise blind ist: Es ist so breit wie ein Daumen - hoppla!, wie mein Daumen!
Wertfrei gemeint, nur eine Beobachtung. Es passt ja zum Psychotischen, zum Liegen in der Dunkelheit, aber beim Lesen finde ich diesen Effekt oder Trick (wieder absolut wertfrei gemeint, Jimmy, mir fällt kein anderes Wort hierfür ein...) etwas überdosiert. An einigen Stellen, zum Betonen und Lenken fände ich es sehr gut, aber in der Dosierung finde ich es etwas zu viel.

Manchmal spüre ich noch Schmerzen, ganz kurz und leise, ein Stechen und Brennen, heiße Nadelstiche. Es ist guter Schmerz, denn er erinnert mich an sie.
Gefällt mir

Woher kommt dieser Sand? Wie kommt er ins Bad?, und als ich die Augen öffne, bin ich gar nicht mehr im Bad, ich bin nicht mehr in dem stillen Haus in der Friedrich-Ebert-Straße, sondern an der Küste.
Streichkandidat. Es passt zum Psychotischen, dass der Erzähler sich das fragt, aber ohne wäre es entschlackter, der Leser fragt sich das ohnehin: Wo kommt jetzt dieser Sand her?

Sie steht neben mir, ihr Haar ist offen und ganz ausgebleicht von der Sonne, fast blond, ein dünner Schweißfilm schimmert auf ihrem Rücken, und wir beide blicken über das Meer auf einen flirrenden Punkt am Horizont, der sich ganz schnell bewegt, einmal in diese Richtung, dann wieder in eine andere, es ist ein Punkt der nie stillsteht. Ich will etwas sagen, doch sie sieht mich nur an und lächelt und legt mir den Zeigefinger auf die Lippen, ich mag das, wie sie das macht, so entschlossen und streng, sie drückt mir den Finger ins weiche Fleisch, ich spüre ihn an meinen Zähnen, die Haut ist glatt und schmeckt nach Salz.
Frag nicht, sagt sie leise, ich sehe dabei auf ihre Lippen, die sich nur ganz wenig öffnen, während sie spricht, so dass ich schon denke, vielleicht spricht gar nicht sie, vielleicht ist das nur eine Stimme in meinem Kopf, vielleicht bin ja ich verrückt, wahnsinnig, aber nein, das stimmt nicht, denn sie ist doch verrückt, sie ist …
Die Szene mit ihr am Strand ist wirklich schön geschrieben.
Aber das Fette: Würde ich kicken. Es ist mir zu sehr mit dem Holzhammer, dass er denkt: Hoppla! Bin ich jetzt verrückt? Das fragt sich der Leser ohnehin. Weniger wäre hier mehr, meine Meinung.

Im August suchen wir nach Wahrheit.
Das kann man nebulös ausgedrückt finden oder kitschig oder sonstwas, aber ich finde es sehr schön. Ich connecte damit beim Lesen, ich verstehe das. August ist ein besonderer Monat, diese Hitze, der Höhepunkt des Sommers, und gleichzeitig neigt sich alles schon dem Winter entgegen. Natürlich sucht man da nach Wahrheit, hinterfragt sich. Auch im Dezember könnte man nach Wahrheit suchen, die Dunkelheit, die Kälte, schon vorchristliche Religionen haben in dieser Zeit die Götter ganz nah bei den Menschen gesehen. Mir gefällt das sehr gut.

Der Sand unter meinen Füßen, der warme Körper neben mir, ihr warmer Körper neben mir, der Finger über meinen Lippen, über unseren Lippen, wir beide schweigen, wir beide, und ich weiß, was sie sonst noch alles mit den Lippen kann, und dann zischt es wieder in dem Rohr und der Zug kommt zum Stehen, die Bremsen zerreißen die Stille und das Gesicht im Spiegel ist nicht mehr schön, es ist leer und alt und verloren, es ist mein Gesicht, und dann ist da auch kein Sand mehr, nur noch die Kacheln, ganz hart und kalt.
der Finger über meinen Lippen, über unseren Lippen,
Der Finger über unseren Lippen? Wie soll das gehen? :D Außer, nacheinander ... würde den zweiten Teilsatz kürzen, das ist wieder so ein too-much-Effekt für mich ... Frage: Was würde es ändern, wenn nicht gesagt würde, dass der Finger "über unseren Lippen" gelegen wäre? Sondern nur über seinen? Im Endeffekt ändert das gar nichts, außer, dass der Erzähler weniger sentimental, nenne ich es mal, wirkt ... man kann ihn natürlich so zeichnen, aber man muss sich im Klaren sein, finde ich, dass dieser zweite Teilsatz - meiner Meinung nach - eigentlich nichts beiträgt im Text, was Inhalt oder Beziehung zwischen den Figuren angeht, als dass er den Erzähler charakterisiert

Im August suchen wir nach Wahrheit. Im August haben wir ihre Tabletten vergraben, draußen im Garten unter der großen Linde in einer heißen, trockenen Nacht,
Ich finde: Die große Linde braucht es nicht. Es wirkt - für mich - etwas pathetisch, ohne wäre mehr, mMn. Aber das Bild der Vergrabens der Tabletten ist schön. Trotzdem frage ich mich hier als Leser: Wieso vergraben sie die Tabletten? Was steckt dahinter? Wieso nicht einfach Müll oder Toilette runterspülen, wenn sie sie loshaben wollen? Es wirkt wie ein Ritual, aber es wird nicht weiter darauf eingegangen, wieso. Hier könnte man noch Bedeutung reinbringen, haben sie ihr Kind begraben müssen und danach die Tabletten angefangen, zu nehmen? Dann hätte es was Mächtiges, das Bild. Aber ist Genörgel auf hohem Niveau. Nur eine Beobachtung.

wir vergruben sie unter den Wurzeln, tief in der Erde, wir gruben mit den Händen, wir gruben und beerdigten die Wahrheit und die Vergangenheit und die Zukunft;
Spitzfindigkeit: Mit den Händen im Garten unter einen Baum unter die Wurzeln graben - das ist brutal! Das habe ich gerade mit dem Spaten geschafft, als ich früher beim Landschaftsgärtner gejobbt habe. Schafft man das mit den Händen? Die Erde ist doch hart wie Beton.

alles wurde eins und sollte nie vergehen. Aus August wurde September, wurde Winter, dann fanden wir die Wahrheit, nein, die Wahrheit fand uns, sie ließ sich nicht beerdigen, denn die Wahrheit wird immer auferstehen, wir zählten die Tage und flüchteten in diesen einen August, den es nicht mehr gab, den es vielleicht nie gegeben hat, den es nie geben wird.
Auch interessant: Vielleicht hat es diesen Augusttag nie gegeben. Vielleicht ist das Graben, das physisch nicht möglich ist, ein Indiz darauf, dass es diesen Tag nie gegeben haben kann. Dann fände ich die Unlogik des Grabens sehr geil.

Sprachlich: Das Fette ist mir wieder drüber, es wirkt pathetisch.

Ich höre jemanden parterre lachen, danach geht das Licht im Hausflur an, und ich spüre ein Pochen unter der Narbe, als wäre es eine offene Wunde, als wäre sie noch ganz frisch, als steckte der harte, kalte Stahl immer noch in meinen Eingeweiden. Ihr Finger liegt schon lange nicht mehr über meinen Lippen, sondern auf der Narbe, die so lang wie ein Daumen ist, doch es ist nicht ihr Daumen, es ist ein Messer, ein Messer mit gerader Klinge, sie hält es in der Hand und dreht sich um und sticht zu,
sie sticht es in meinen warmen Körper, der ihr eben noch so nah war, wir waren uns eben noch so nah, wir haben eben noch nach der Wahrheit gesucht in diesem August, und wie lange ist das her?, Jahre, nein Tage, nein Jahre, nein …
Das Fette ist für mich wieder Streichkandidat. Den erste Teil des Absatzes finde ich gelungen, den zweiten hätte es für mich nicht gebraucht.

und Blut rinnt über den Griff und tropft auf den Boden, ein Tropfen, zwei Tropfen, ich sehe sie fallen wie schweres Öl
Streichkandidat

aber das Blut ist nicht rot, es ist dunkel, fast schwarz, so dunkel wie die Nacht in der wir die Tabletten vergraben haben,
Streichkandidat

weil sie so nicht mehr weitermachen wollte, konnte, sollte,
Nee, ich weiß nicht, ich finde, das wirkt etwas hingerotzt, nimm es mir nicht übel ...

da ist kein Schmerz, nur eine seltsame Kälte, die mich in langsamen Wellen immer weiter durchströmt,
Ich finde, das klingt aber doch nach Schmerz
Wieso nicht: da ist eine seltsame Kälte, die mich in langsamen Wellen immer weiter durchströmt,

und als ich sie ansehe ist da wieder der flirrende Punkt, doch der flirrende Punkt ist nicht am Horizont, sondern in ihrem Kopf, in ihrem Kopf springt er hin und her und weiß nicht wohin,
Rein sprachlich: Das Fette Streichkandidat

in ihrem Kopf springt er hin und her und weiß nicht wohin, überallhin, nirgends,
Nimm es mir nicht übel, ich meine es nicht despektierlich und vielleicht sehe ich hier etwas nicht, vielleicht auch Geschmacksfrage, aber das Markierte wirkt für mich wieder "hingerotzt", also im Sinne davon, dass der Erzähler hier einfach mal große Worte benutzt: überall - nirgends, aber der Sinn erschließt sich mir nicht, es hört sich groß und pathetisch an, aber es wirkt so leer: Der Punkt in ihrem Kopf will überallhin und nirgendwohin? Mir ist das persönlich zu vage, gerade weil ich weiß, wie messerscharf du schreiben kannst, und wie du auch im Vagen eine große lyrische Bedeutungsfülle intendieren kannst

als ich sie ansehe ist da wieder der flirrende Punkt, doch der flirrende Punkt ist nicht am Horizont, sondern in ihrem Kopf, in ihrem Kopf springt er hin und her und weiß nicht wohin, überallhin, nirgends, der flirrende Punkt ist es, der sie verrückt macht, der sie …
Der flirrende Punkt als Symbol des Durchdrehens der Frau. Ich weiß nicht, ich möchte nicht überkrass kritisch sein, und ich hoffe, dass du dich nicht persönlich angegriffen fühlst, just my own honest opinion hier, aber ich denke mir: Was sagt mir dieser Absatz Neues? Ich wusste als Leser bereits, dass die Frau psychisch über den Rand gekippt ist. Sie ist weg. Womöglich tot oder absolut unerreichbar, psychisch oder physisch. Der Flashback hier, er sagt mir nur, was ich bereits weiß. Viel interessanter wäre für mich szenisch zu sehen, wie sie das erlebt, was hier metaphorisch versucht wird, auszudrücken. Der zitierte Absatz lässt mich auch deswegen seltsam kalt, weil ich das Leid und die Person nicht sehe. Würde ich sie sehen, wie sie dasitzt und weint und beide nicht weiterwissen, würde ich wissen, warum sie weint, hat sie ihr Kind verloren oder ist sie fertig, weil sie aus der Depression nicht rauskommt und keinen Ausweg mehr sieht ... dann würde ich krass mitfühlen. Das geht in die Richtung, die du und @kiroly besprochen habt, warum ist man manchmal so verdammt abgebrüht? Ich denke, weil man nur mitfühlen kann, wenn man selbst "dabei" war und eine Sache selbst "gesehen" hat (auch als Leser kann man ja über die Schulter schauen und "dabei sein"). Eine Vergewaltigung als Randnotiz in den Nachrichten. "Frau wurde vergewaltigt in XY." Lässt mich absolut kalt. Würde ich als Film sehen, was der Frau passiert ist, wäre mein Tag danach im Arsch. Mir wäre schlecht.
Hier der flirrende Punkt: Er heißt im Endeffekt nur, die Frau ist durchgedreht. Das lässt mich seltsam kalt. Würde ich die Misere sehen, wäre das anders. Aber ich hab gerade beim Schreiben das Gefühl, das weißt du alles, ich will hier nicht belehrend rumkommen, nur meine Gedanken ...

Wettbewerbskultur: Ich finde, da sollte man einen Fick drauf geben. Nichts für ungut natürlich. Wenn jemand Wettbewerbe gewinnt und die Dinge auf die Art schreibt, die er will und gut findet, super geil. Herzlichen Glückwunsch, unironisch. Aber die Art von Literatur, die dort verhandelt und gekürt wird, sollte kein Maßstab sein, finde ich. Von den literarischen Storys, die mich in den letzten Jahren am meisten gecatched, ergriffen und durchgeschüttelt haben, hat kein einziger einen deutschen Wettbewerb gewonnen. Das ist so ein seltsamer Mikrokosmos mit einem speziellen Duktus, der es auch nie über die Grenzen dieses Mikorkosmoses schafft, selbst, wenn dieser Mikorkosmos durch staatliche Förderungsgelder bis an die Ladentheken von Buchhandlungen reicht. Meine bösartige Meinung. :D

Jimmy, du weißt, ich bin Fan, und einige der Storys, die mich richtig gepackt haben, stammen aus deiner Feder. Mit dem Text hier werde ich persönlich nicht ganz warm. Er ist jetzt nicht schlecht oder so, aber ich denke die ganze Zeit, dein natürliches Level liegt eigentlich höher. Das liegt zum einen an der Sprache, die ich etwas überladen finde, und zum anderen daran, dass ich nicht ganz mit dem Leid bzw. den Emotionen des Textes connecten kann. Die Figuren kommen mir nicht nahe, ich verstehe und spüre ihr Leiden nicht auf die Art, wie ich es oft bei anderen Figuren aus deinen Storys gespürt habe.

Beste Grüße
zigga

 
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also im Sinne davon, dass der Erzähler hier einfach mal große Worte benutzt: überall - nirgends, aber der Sinn erschließt sich mir nicht, es hört sich groß und pathetisch an, aber es wirkt so leer:

Hallo @zigga,

ich glaube, das oben zititierte fasst so die Prämisse dieses Textes zusammen. Ich glaube, man darf den Text nicht chronologisch lesen in dem Sinne, dass er vergleichbar mit anderen Texten sein soll, die ich geschrieben habe; das sollte er nicht. Der Pathos, die vielen Worte, dieses Rauschhafte, aber natürlich auch das vollkommen Vage und im Grunde die Leere sind ja hier in diesem Text mehr oder weniger Programm. Es ist eine Aneinanderreihung bestimmter Trigger, bestimmter Muster, die alles in allem eine, wie ich finde, relativ glatte und hübsch-harmlose Oberfäche ergeben und dabei so etwas wie Tiefe simulieren, anttäuschen. Ich gebe dir ja vollkommen Recht, wenn du sagst: szenisch wäre das näher, besser, intensiver. Aber dann wäre das ja ein vollkommen anderer Text und würde meiner Zielsetzung widersprechen.

Die Figuren kommen mir nicht nahe, ich verstehe und spüre ihr Leiden nicht auf die Art, wie ich es oft bei anderen Figuren aus deinen Storys gespürt habe.
Ganz ehrlich, ich denke, mir geht das ja genauso. Deswegen habe ich ja auch in einem anderen Kommentar bereits erwähnt, wenn dieser Text nicht von mir wäre, würde ich ihn sicher hassen, nein, doppelt hassen! Weil er eben ein einziger Trick ist, eigentlich ein Surrogat für eine Geschichte, die aber einfach nicht erzählt wird.

Es ist interessant, wie dieser Text von unterschiedlichen Leuten aufgenommen wird: Leute aus dem Betrieb finden den fast alle sehr gut, die stellen auch gar nicht diese Fragen, sondern da ist es: toll geschrieben, stille Tragik etc. Eine andere real life Schreibgruppe auch, alles junge, urbane Autoren, die viel bei Open Mics und so lesen. Hier im Forum sieht das anders aus, weil hier die Streuung breiter ist. Wenn du gerne Breece DJ Pancake liest oder Walker Percy oder Larry Brown, dann steht du sicher relativ unbeeindruckt da und denkst, what the fuck? Oder: Kitsch. Und tatsächlich, klar ist das ein Kitschtext. Ich würde das sofort unterschreiben. Wir denken hier schon sehr viel über Kitsch und Klischee nach, und das tut den Texten ja auch sehr gut, weil man den Blick schärft und alles permanent anaylsiert. Man ist nicht mehr naiv. Aber mir ging es ja genau darum. Ich habe das wirklich eher als eine Art Experiment gesehen, weil ich verstehen wollte, ob und wie solche Texte funktionieren und ob ich in der Lage bin, annähernd so zu schreiben. Das ist eine interessante Erfahrung.

Zu Wettbewerbstexten. Ich finde da nicht alles scheiße. Man spürt aber, dass da immer auch große Gesten verhandelt werden und es da auch ein Format gibt, das sehr oft bedient wird. Szenisches Schreiben gilt da zum Beispiel prinzipiell als konventionell und wird mehr oder weniger belächelt. Mir ist auch bei Lesebühnen mit vorwiegenden jüngern Autoren die alle aus den Schmieden kommen, Leipzig, Hildesheim, aufgefallen, dass die ihre Texte lesen und ich nach drei Minuten nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht. Die klingen alle gut, aber da scheint es nie um irgendetwas zu gehen, oder es ist so vage, so septisch, dass ich mich erinnern kann oder gar nie begreife, was mir da erzählt wird. Ich habe diese Texte jetzt nicht alle gesammelt und analysiert, sondern versucht, so einen ähnlichen Klang zu erzeugen, der dich gar keine Fragen mehr stellen lässt. Das ist also eher ein technischer Versuch gewesen als die Erweiterung meines Repertoires.

Ich weiß nicht, ich möchte nicht überkrass kritisch sein, und ich hoffe, dass du dich nicht persönlich angegriffen fühlst, just my own honest opinion hier
Du kannst mich persönlich angreifen, so viel wie du willst, solange du den Kasten Reckendorfer Dunkel besorgst.

Gruss, Jimmy

 
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Ich hatte bei deinem Stil den Eindruck, dass er diese Zwischenräume sehr gut ausleuchten könnte.
Könnte. Aber eben nicht kann bzw gekonnt hat. Insofern ist das keine Ergänzung, da hast du wohl Recht, sondern die Demontage des ganzen Textes samt Inhalt. Übrig bleibt nur die super geschriebene Sprache.
@jimmysalaryman : Da bleibt aber sehr viel übrig. Wenn du Neuschwanstein sprengst, bleibt immerhin der schöne Berg.

Ich wollte nicht etwaige Selbstzweifel an deinem eigenen Text auslösen. Ich kann nur immer und immer wieder auf die eigene, subjektive Perspektive verweisen, aus der ich deinen Text sehe, jeden Text sehe, anders geht es nicht. Ich habe nicht deine Expertise und Erfahrung. Ich habe eine ganz andere Lebenserfahrung, die natürlich bei Themen wie Psychose anders reagiert. Du bist zu hart mit dir selbst. Kraft deiner sprachlichen Gewalt wirst Du eine Ausrede finden, warum das sein muss. Aber jetzt unterstelle ich. Du jedoch auch:

Bitte nicht falsch verstehen, ich will mich nicht lustig machen.
Na ja, schon ein wenig. Aber meine Kommentare werden auch oft genug als arrogant und überheblich wahrgenommen, deswegen kann ich damit gut leben.
Nächster Punkt:
Deiner Expertise nach wahrscheinlich ebenfalls nur ein Schreiberling und kein Schriftsteller, aber das tut der Sache ja keinen Abbruch.
Ist für mich kein Unterschied.
Ja, Kitsch. Ich habe so das Gefühl, momentan ist das hier so die Sau, die durchs Forum getrieben wird. Hach, kaum wird ein Text ein wenig sentimentaler, eröffnet eine andere Ebene, wird weicher, steht man direkt unterm Kitschverdacht.
Ja, den Eindruck habe ich auch manchmal. Ich habe dir aber auch geschrieben, dass das für mich eine reine Geschmacksfrage ist. Mehr nicht. Mehr als einen subjektiven Eindruck deines Textes kann ich dir nicht geben. Du hast daraus ein Scheitern des Textes geschlussfolgert. Ich denke, es gibt eine Grenze zwischen Eigengeschmack und dem Gefühl, es hier und da anders machen zu können, eine Empfehlung, einen Tipp zu geben. Wie gesagt, ich habe nicht deine Erfahrung, deine sprachliche Gewalt und dein literarisches Können, fertig. Aber du stellst deinen Text in dieses Forum, also darf jeder reagieren und das habe ich getan.
Mich entfernt das vom Erzähler und ich schaue ihn an wie ein Sozialarbeiter co-abhängige Angehörige eines Alkoholikers, ach interessant, ach wie bitter, mehr nicht.
Würde mich mal interessieren, warum das so ist? Ich finde das auch schon ein wenig schade, klingt sehr abgestumpft gegenüber der Schicksalshaftigkeit des Lebens.
Ich bin mal connewitz-provokant: Weil die Psychose sehr wenig ändert. Weil ich die Gewalttat nicht als grundsätzlich, ursprüngliches, basales Ereignis empfunden habe, das tief in die Identität, Seele, in das Dasein des Ich-Erzählers eingreift. Weil hier ein Ereignis ohne Relevanz stattgefunden hat. Weil sich weder Sternenbilder, Koordinaten, magnetische Pole oder Erdachsen verschoben haben. Aber: Andere Kommentatoren sehen das anders und das ist gut so. Es bleibt meine Sicht.
Das klingt so lapidar und esoterisch, aber wir sind ja auch alle schon so eiskalte Schweine geworden, das uns fast nichts mehr anficht.
Hör mit deinem Zynismus aus. Ich kann dieses Kulturpessimismuskritik von der Abgestumpftheit der modernen Gesellschaft und dem angeblichen Nie-Zulassen-Können von intensiven Gefühlen nicht mehr hören. Ja, Team Bitchface rappt Schwesta Ewa und so, null Vertrauen, Empathie für Deponie, so ein Mist . Erinnert mich plötzlich an Blade Runner und Gropiusstadt.
Mit dem Trapez bin ich mir unsicher. Hier fragte ich mich, wie ernst ich den Erzähler nehmen kann. Ist ja eine geometrische Form, die relativ leicht zu erkennen ist. Das hat in mir latent den Gedanken geweckt: Ver***** der Erzähler mich als Leser?
Ist seltsam, dass du das sagst, denn ich wüsste nicht auf Anhieb, wie ein Trapez aussieht. Ich frage mich auch wirklich, was das damit zu haben sollte, ob man den Erzähler ernst nimmt oder nicht? Ab welchem Wissenstand wird der denn ernstgenommen und wann nicht? Wenn er weiß, was ein Trapez ist, dann ja, aber bei einem Kubus oder einem gleichschenkeligen Dreieck noch etwas mehr? Gibt es da Regeln für?
Oh okay. Da kommt meine langjährige, langweilige Erfahrung als Colorama - Spieler zum Vorschein. Tja. Damit kann man ein ganzes Förderschulpraktikum füllen, nur mit Trapezen und Rechtecken. Ich klinge gerade sehr spöttisch, okay, moment: Ich meine das wirklich ernst. Mir war das nicht bewusst. Jetzt fühle ich mich überheblich.
Er liebt sie trotz Psychose
Ich würde nicht so konstatieren wie du, nämlich dass er sie trotz Psychose liebt, das wäre mir dahingehend doch zu unterkomplex und auch ein wenig abgekürzt gedacht.
Absolut, da hast du recht. Mich hat eben das Motiv der Psychose gestört. Ich schätze deine Texte sehr, und ich schätze sie nicht für einzelne, große, fest umrissene Objekte und Motive, aus denen das Handeln und Denken des Protagonisten erklärbar wird oder die alles andere im Text überstrahlen. Vielleicht hat es auch mit meinem Beruf zu tun, dass ich erst die Psychose, dann den Betroffenen und dann die Angehörigen sehe. In dieser Reihenfolge. Kann gut sein, dass ich diese Hierarchie abgespeichert habe, will ich nicht abstreiten.

Du schreibst:

Es scheinen Texte zu sein, die eine gewisse Harmonie besitzen, die nicht krass drüber sind, die immer irgendwie mit Verlust oder aber einem unerhörten Ereignis zu tun haben, das darf aber nie wirklich auserzählt werden, es muss vage und luftig bleiben, es darf nur eine Ahnung von Wahrhaftigem besitzen, den Leser nicht zu sehr ranlassen, es darf nie wirklich physisch werden, nie so wirklich wehtun, alles muss hinter einem Schleier liegen.
Ich sehe das mit dem Ereignis anders. Natürlich kannst du das Ereignis auserzählen. Ich würde eher die Frage stellen, worin das Ereignis verortet wird. Rombo z.B. von Esther Kinsky erzählt von einem Erdbeben und wie die Menschen auf das Erdbeben reagieren, wie sie die neue, alte Landschaft betrachten und wie es ihr eigenes Denken verändert . Ellenlange Passagen über etwaige Vorboten, merkwürdiges Licht oder Hunde, die lauter bellen. Jetzt erzähle ich das etwas lächerlich. Aber man spürt in diesem Text, dass mit dem Erdbeben die Koordinaten des eigenen Lebens verschoben wurden, nicht durch den Verlust von Häusern oder Angehörigen, sondern durch die neu-verworfene Landschaft. Ich weiß auch nicht, warum solche Texte nicht wehtun sollen. Vielleicht reden wir auch aneinander vorbei.

Ergänzung: @zigga hat viel präziser das zur Aussprache gebracht, was ich aussprechen wollte

Lg von Sylt
kiroly

 

Du bist zu hart mit dir selbst. Kraft deiner sprachlichen Gewalt wirst Du eine Ausrede finden, warum das sein muss.
Die kommt jetzt: Alles gut. Ich teile aus und kann demnach auch einstecken. Kleine Spitzen seien mir und dir verziehen. Ich persönlich empfinde einen solchen Austausch als viel fruchtbarer, als wenn man ewig nett und freundlich seine klare Meinung verpacken möchte. Austeilen, einstecken, wie beim Sparring, je härter man draufgeht, desto härter kommt es zurück. Und sich ein wenig lustig machen ist vollkommen in Ordnung. Danach ist alles gut und man trinkt ein Bier. Oder eine Sojamilch. Ich bin auch nicht nachtragend oder sonstwas, man kann mich so schnell nicht beleidigen. Ich unterstelle dir auch nichts. Du hast mit scharfer Klinge den Text filettiert, und das ist genau der Grund, warum wir hier sind.
Wie gesagt, ich habe nicht deine Erfahrung, deine sprachliche Gewalt und dein literarisches Können, fertig. Aber du stellst deinen Text in dieses Forum, also darf jeder reagieren und das habe ich getan.
Du solltest dich unter keinen Scheffel stellen. Ich habe ebensoviel oder ebensowenig Erfahrung wie du und die meisten anderen hier auch. Jeder bringt seine eigene Vita mit, seine eigene literarische Biografie, und wir alle kämpfen um unsere eigene Sprache und unsere eigenen Texte.
Ich kann dieses Kulturpessimismuskritik von der Abgestumpftheit der modernen Gesellschaft und dem angeblichen Nie-Zulassen-Können von intensiven Gefühlen nicht mehr hören.
Das bezog sich explizit auf uns Autoren. Natürlich ist es vollkommen richtig, Kitsch zu finden, ihn zu benennen, weil es den Text ohne jeden Zweifel in den meisten Fällen besser macht, wenn er nicht präsent ist. Vielleicht war das auch ein wenig der Hitze des Augenblicks geschuldet; ich lasse mich schnell zur Rührseligkeit hinziehen und bin dann von mir selbst erstaunt, wie ich auf so billige Taschenspielertricks hereinfalle, ich bin also selbst sehr anfällig für Kitsch, und auch für den richtig schlechten. Manchmal stelle ich mir jedoch die Frage, inwieweit man versucht, Texte zu schreiben, die nicht mehr angreifbar sind. Ob man sich da nicht selbst etwas nimmt, eine Möglichkeit des Ausdrucks. Ich habe da mit Peter schon diskutiert, wie weit einen die Analyse der eigenen Texte bringen kann: manchmal an den Rand des Verstummens. Das sind existenzielle Fragen, die man sich ständig neu und immer wieder beantworten sollte, weil sie direkt die eigene Wahrnehmung beeinflussen. Wie lese ich, wie schreibe ich? Wieviel will ich preisgeben? Was sind meine eigenen Kriterien? Ich habe da keine Antwort drauf, es sind aber Fragen, die ich mir zurzeit eben stelle. Ist jede Darstellung von Emotion Kitsch oder steht schon unter dem Kitschverdacht? Ist jede sinnliche Beschreibung eine Manipulation? Das treibt mich um, und vielleicht habe ich auch deswegen diesen Text hier so proppenvoll gemacht, so überbordernd, um zu sehen, wie weit man gehen kann. Da gibt es kein richtig oder falsch, aber es gibt vielleicht eine Tendenz.
Ich wollte nicht etwaige Selbstzweifel an deinem eigenen Text auslösen.
Ich habe diesem Text gegenüber keine Selbstzweifel, weil ich ihn als Experiment betrachte, und das ist vollkommen losgelöst von jeder Emotion. Du hast ja alle wunden Punkte offengelegt, ähnlich wie Zigga, und das vollkommen zurecht. Ich habe diesen Text unter einem anderen Gesichtspunkt geschrieben, nämlich wie manipulativ oder glatt es werden kann, wieviel tearjerker sein darf, es sollte ein Text werden, wie ich ihn selbst schon oft in Literaturmagazinen gelesen und auf Lesebühnen gehört habe. Ich empfände es sogar als erfrischend, wenn du sagst, nee, hör mal, das is n Text, der ist voll daneben gegangen. Lass den Scheiß lieber. Es gab einen Text, den ich vor einiger Zeit gelesen habe, der mit ähnlichen Themen und einem ähnlichen Stil operiert, wie dieser hier. Der ist mir empfohlen worden, ganz groß, stark, wortgewaltig, sprachmächtig. Ich habe den gelesen und dachte: so what. Das bleibt ja immer an der Oberfläche, es ist voller Worte, es ist gut geschrieben und sehr klangvoll, aber ich habe gespürt, das da nichts Echtes drunterliegt, es war eine Schablone, die geschickt die richtigen Stränge gezogen hat, auf Effekt geschrieben, im Grunde pseudo-literarisch, auch wenn das vielleicht ein böses Wort ist. Ich habe dann lange nachgedacht und überlegt, wie solche Text funktionieren und warum. Ich bin sonst einer der ersten, die Trick! oder Effekt! oder so schreien, weil ich daran glaube, dass Texte eine gewisse Aufrichtigkeit haben und der Autor sich nicht durch seine Sprache aufdrängen sollte; denn das zeugt von einer gewissen Eitelkeit, du liest einen Text in dem es um etwas geht oder gehen sollte, der Schwerkraft hat, aber vordergründig ist da immer der Autor, der mit dem Zeigefinger imaginär auf die Zeilen zeigt und dir zu verstehen gibt - das war ich, und hier das, das war auch ich, ich bin hier der große Magier, ich, ich, ich. Vielleicht bin ich auch vollkommen bescheuert und das stimmt alles gar nicht und ich erliege hier einer riesigen literarischen Verschwörung, aber so nehme ich das nun einmal wahr. Und vielleicht wollte ich mir mit diesem Text beweisen, dass ich das auch bedienen kann, es war diesbezüglich eine Herausforderung für mich, sagen wir es mal so. Deswegen habe ich da auch nicht die Emotionen drin wie bei anderen Texten, die viel mehr von mir als Person und Charakter enthalten.
Ich weiß auch nicht, warum solche Texte nicht wehtun sollen. Vielleicht reden wir auch aneinander vorbei.
Ich glaube, wir meinen einfach andere Texte. Ich habe mal in das Buch reingelesen, Rombo, das ist etwas vollkommen anderes, als das, was ich meine. Ich glaube, was ich meine, ist größtmögliche Gefälligkeit bei gleichzeitiger Tiefe, die wahrscheinliche keine ist, sondern nur simuliert ist; ein als ob, ein Scheintext, mit scheinbarem Drama. Du hast das mit der Psychose sehr gut erkannt, die ist hier einfach ein device, es könnte auch eine Alkoholsucht oder Eifersucht oder niedere Beweggründe sein, es spielt im Grunde keine Rolle, es ist austauschbar. Im Grunde vielleicht sogar ein Gegenentwurf zu den Texten, die ich sonst schreibe, wo ich tatsächlich etwas ausloten möchte und will, was für mich wahrhaftig ist, den Kern erfassen, durch diese Schichten dringen, auch in einer gewissen Linearität.

Nun, viel geschrieben. Was ich noch sagen will: Ich schätze deine Texte und deine Kommentare sehr, das weißt du auch. Und manchmal reibt man sich, piekt den anderen, fordert ihn heraus - und ich denke, nur so findet man die Wahrheit in einem Text, und schlussendlich auch die Wahrheit in sich selbst. Zweifel haben wir sowieso immer, aber denen muss man sich halt stellen. Jetzt wird es wieder rührselig. Ich geh rauchen.

Gruss, Jimmy

 

So, ich habe den Text mal ent-schmalzisiert und komprimiert, vielleicht ist er so noch einmal lesbarer geworden. Eventuell mag jemand den Text nochmals lesen.
Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman!

Das erste was mir zu dem Text einfällt ist "wow". Er gefällt mir sehr gut. Ich habe viele Fragen, kann mir Gedanken machen und kaum etwas wird klar beantwortet, aber ich denke, das hat der Text auch nicht nötig. Mir gefällt wie du die - ich nenne es mal - "geistige Verwirrtheit" des Protagonisten darstellst. Die teilweise doch recht wirren Gedankengänge, denen ich aber gut folgen konnte. Auch die wiederkehrenden Elemente: der Finger auf den Lippen, die Wichtigkeit des Augusts, die Tabletten und das Messer (das ich mit der Narbe in Verbindung gebracht habe). Du lässt mir als Leser viel Freiraum bei dem "Schlussfolgern". Mir gefällt das sehr gut. Ein paar Kleinigkeiten:

Ich stehe auf. Ich gehe durch die Diele ins Bad und schaue in den Spiegel, sehe die Umrisse, mein Gesicht im Halbdunkel, grau und ebenmäßig und fast schön.
Hier beginnst du zweimal hintereinander einen Satz mit "Ich", was sich aus meiner Sicht ein wenig mit dem Stil beißt. Ich würde daher empfehlen, ihn vielleicht folgendermaßen umzubauen: "Ich stehe auf, gehe durch die Diele ins Bad und schaue in den Spiegel. Ich sehe die Umrisse, mein Gesicht im Halbdunkel, grau und ebenmäßig und fast schön."

und legt mir den Zeigefinger über die Lippen
Kann sein, dass es Geschmackssache ist, aber ich finde "auf die Lippen" passt besser als "über die Lippen". Ich habe auch die anderen Stellen rausgesucht, bei denen du "über" schreibst. Falls das bewusst so gewählt ist, kannst du die weiteren Zitate, die "über" durch "auf" ersetzen, getrost ignorieren.

dabei auf ihre Lippen, die sich nur ganz wenig öffnen
Hier würde ich das "ganz" streichen. oder vielleicht schreiben "nur ein Stück weit" - irgendetwas an dem Satz hat mich gestört.

so dass ich schon denke, vielleicht ist das nur eine Stimme in meinem Kopf,
Hier würde ich das "schon" streichen.

Frag nicht.
Du schreibst zweimal "Frag nicht" einmal sagt sie es direkt und einmal denkt er nocheinmal darüber nach, ich würde beides Kursiv setzen, aber das ist Geschmackssache.

Der Sand unter meinen Füßen, ihr warmer Körper neben mir, der Finger über meinen Lippen,
Hier wieder das "über meinen Lippen" zu "auf meine Lippen"

Ihr Finger liegt schon lange nicht mehr über meinen Lippen
"auf meine Lippen"

wie lange ist das her?, Jahre, nein Tage,
Hier vor Jahre das Komma weg.

Insgesamt ein schöner Text, den ich gerne gelesen habe.

LG Luzifermortus

 

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