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Der Bäckereiverkäufer
Elektrisches Licht strömt aus dem Fenster, berührt die Holzbalken des Fachwerkhauses, in dem seit achtzig Jahren die Bäckerei beheimatet ist, und erleuchtet es im Dunkel der Nacht. Die Strahlen spiegeln sich auf den nassen Pflastersteinen und erwecken in mir den Eindruck eines gelborangenen Lichtkegels, der sich aus der Straße emporhebt. Ich liebe diesen Anblick, der an etwas Magisches grenzt. Mir ist in diesem Moment, als würde eine Verbindung zwischen der Bäckerei und mir entstehen; als hätten wir ein geheimes Abkommen, dass sie für mich da sein wird und wir gemeinsam die Zeit überdauern.
Das Geräusch meiner Turnschuhe unterbricht dieses Gefühl der Zeitlosigkeit. Sie quietschen leise wie Gummi; auch wenn es kaum hörbar ist, kommt es mir in der Stille laut vor. Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf den vor mir liegenden Arbeitstag und drücke die Glastür auf. Meine Kollegin nickt mir freundlich zu, während ich die Holztreppe in unseren Arbeitsraum ersteige, der für Kunden nicht zugänglich ist. Dort hänge ich meine Jacke auf und ziehe meine Arbeitskleidung an: Ein weißes Polohemd mit dem Logo der Bäckerei auf meiner Brust und dem Werbeslogan auf meinem Rücken „Gutes Brot, Guter Tag.“; dazu eine weiße Schürze, die über meine Jeans fällt, aber den Boden nicht berührt. Als ich wieder unten angelangt bin, hieve ich die umgedrehten Stühle von den Tischen und platziere sie sorgfältig auf dem Fußboden, dann verteile ich die vorgebackenen Brötchen auf dem Blech, um sie in den Ofen zu schieben. Als ich zum Fenster hinausschaue, geht draußen die Sonne auf: Gleich eines impressionistischen Bildes zerfließt das Schwarz der Nacht zu einem tiefen, satten Violett.
Der erste Kunde kommt um Punkt sieben Uhr. Er hat einen stechenden Blick, trägt einen Mantel, und mir fällt auf, dass seine Maske nur Kinn und Mund bedeckt. Ich schlage einen höflichen Tonfall ein.
„Guten Morgen, bitte die Maske auch über die Nase ziehen.“
Er schaut mich an und in seine Augen schiebt sich ein Ausdruck, der mir nicht gefällt: Seine Brauen ziehen sich zusammen und er schaut herablassend auf mich herab. Doch dann zieht er seine Maske hoch.
Ich entspanne mich etwas und füge hinzu: „Danke. Wie kann ich weiterhelfen?“
„Zwei Erdbeerkuchen, drei Normale und einen Cappuccino zum Mitnehmen“, sagt er.
In Gedanken füge ich hinzu: „Und wie heißt das Zauberwort?“ Die Kaffeemaschine dröhnt, Espresso läuft in den Becher und ich gieße warme Milch darauf; danach folgt der Milchschaum, auf den ich ein fächerartiges Muster mit einer Schablone und Kakaopulver stäube. Stolz stelle ich mein Kunstwerk auf den Tresen, nur um zu bemerken, dass er einen Plastikdeckel auf den Becher drückt.
„Zwei Erdbeerkuchen“, wiederholt er geringschätzig.
„Ich bin schon dabei.“
„Beeilen Sie sich einfach, ich bin gleich in einer wichtigen Besprechung. Ich frage mich, wozu es überhaupt noch Verkäufer gibt. Man sollte diesen Job wirklich automatisieren.“
Während die Brötchentüte, die er sich in seine Tasche packt, leise raschelt schaut er sich mit geschürzten Lippen in unserer schnuckeligen Bäckerei um und ich habe das Gefühl, dass er sich wegen der Maske rächen will. Unter Anstrengung meiner gesamten Willenskraft lege ich die beiden Erdbeerkuchen auf die weiße Pappe, reiße Kuchenpapier von der Rolle und forme auf beiden Seiten ein Dreieck, das dafür sorgt, dass die Verpackung nicht auseinanderfällt.
„Was macht das?“, fragt er ungeduldig.
„Sieben-neunzig, bitte.“
„Sieben-neunzig? Letztes Mal habe ich Sieben-fünfzig bezahlt!“
„Die Preise sind erhöht worden, wegen der Pandemie und den steigenden Einkaufspreisen."
Er schaut mich aus kleinen Augen an und sagt, als wäre ich der Verantwortliche: „Unverschämt.“
„Ich kann da nichts machen“, gebe ich zurück.
„Sie können da nichts machen? Ich sag Ihnen mal, was Sie machen können: Stellen Sie sich mal die großen Fragen, zum Beispiel, wie lange sie das hier noch machen wollen. Erbärmlich.“
„Was haben Sie da gerade gesagt?“ Meine Stimme zittert vor Wut und ich lasse es zu.
„Sie vergreifen sich im Ton“, antwortet er.
„Nein, Sie vergreifen sich im Ton. Egal, was sie von meinem Job halten, ich habe ein gutes Recht, selbst zu entscheiden, was mir gefällt und was nicht. Es gibt Grenzen, wissen Sie? Nur weil Sie unzufrieden mit was auch immer sind, können Sie das nicht an mir oder meinem Job auslassen. Ich liebe meinen Job und solange die Kündigung nicht vorliegt oder eine Maschine meinen Job macht, werde ich jeden Tag mein Bestes geben. Ich lasse mich von Ihnen nicht einschüchtern.“
Wir taxieren uns mit den Augen. Er bezahlt schweigend, schüttelt den Kopf und geht hinaus.
„Schönen Tag noch“, rufe ich ihm hinterher.