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Der Bücherbrenner
„Na ja …“ Er fing an, seine Fingerkuppen gegeneinander stoßen zu lassen. „Ich will es mal so sagen: … Das, mein Herr, gehört zugekackt.“
Das hatte ich so nicht erwartet. Und es saß. Treffer – versenkt – schachmatt – deklassiert – in die Kreisliga geballert – ins Gagaheim verbannt – Schuss ins Herz – ausgerottet.
Sieben lange Jahre hatte ich mich also umsonst in einer abgelegenen Berghütte im Süden der Ruhrpotts verkrochen und an meinem Werk gearbeitet. Es gehört also ein Haufen drauf gemacht, auf sieben Jahre voller Aufopferung für die Literatur, voller Hunger und Hoffnung, Kälte und Schmerz, Selbstzweifel und Depression, Telefon und Fernsehen.
„Tut mir leid, Herr Klitschraff, tut mir wirklich leid. So ist es nun mal; da kräht der Hahn den Tag auch nicht schneller herbei.“
Mit geschundenem Haupt und herabhängenden Schultern kroch ich aus meinem mit grünem Leder überzogenen und aus edlem Kirschholz gefertigten schweren Stuhl. Herr Rokals Blicke verfolgten mich und er seufzte. Vielleicht ging es ihm doch sehr zu Herzen, dass ich mich nicht, wie erhofft, aus dem Fenster warf.
„Herr Klitschraff?!“
Behäbig erhob er sich aus seinem Sessel um interessiert näher an mich heran zu treten und trotzdem zwischen uns noch immer einen gebührenden Abstand zu wahren, den er vor öffentlichen Pissrinnen wahren würde.
Hoffung – vielleicht hatte er nur einen Scherz gemacht – ich würde ihm die Füße lecken – er vielleicht die meinen – sieben stolze Jahre – sieben stolze Jahre sollten also doch noch belohnt werden.
Ja ja: Man erntet eben, was man sät; man erntet, was man sät.
Dann wieder Ernüchterung. Meine innere Sinuskurve schlängelte sich um Haarnadelköpfe: „Seien Sie doch bitte so freundlich und verbrennen Ihr schauderhaftes Manuskript sogleich?“
Innerlich war ich in diesem Augenblick bereits tot. Nur meine Beerdigung wurde noch zu einer Lachnummer gestaltet. Ohne zu antworten nahm ich das Manuskript, zückte mein Feuerzeug, welches wider jedwede Erwartung funktionierte, und entflammte mein Lebenswerk.
Da sprang der dynamische und drahtige Geschäftsmann auf und klatschte in die Hände, formte ein Lachen, ein Strahlen in sein Gesicht. Ich war am Ende; was kam nun wieder?
„Bravo! Bravo, Herr Klitschraff. Besser hätte man es nicht machen können.
Seit Alfonso Zuhalicka habe ich niemanden mehr so wunderbar ein Manuskript entflammen sehn. Diese Genauigkeit, diese Proffesionalität. Sagen Sie, junger Mann, wo haben Sie so gut Buchbrennen gelernt?“
„Na ja, mein Uropi war in der SS … Oberst Klitschraff … dritte Sektion in Chemnitz … spezialisiert auf Belletristik war er. Gott hab ihn selig!“, stotterte ich.
„Ah, die gute alte Schule! Da rochen Bücher noch nach Asche, wenn sie verbrannten.“ Herr Rokal trat ans Fenster, während er ins Schwärmen geriet. „Bei dieser stolzen Vergangenheit, da muss ich Ihnen doch direkt …“
Den Rest des Satzes bekam ich nicht mehr mit, da ich das brennende Manuskript zwischen meinen Fingern vergessen hatte, trat es in den scheinbar dafür vorgesehenen Eimer und fing an, mich wohl zu fühlen.
„Ich will es Ihnen einmal erläutern,“ sprach Herr Rokal mit schwitziger Stirn und einer Hand auf meiner Schulter. „Der Beruf des Buchbrenners wurde ja, wie Sie vielleicht wissen, vor einigen Jahren wieder eingeführt. Leider ist es unserem Verlag nicht möglich, so viele Leute einzustellen, wie wir Bücher verbrennen müssen. Leute wie Sie sind da selten. Glauben Sie denn, dass von diesen ehemaligen Suhrkamp Autoren auch nur einer weiß, wie man ein Buch richtig anzündet? Oben zünden Sies an, oben!
Wir sind da einfach nicht produktiv genug. Im 21. Jahrhundert wurde so viel Scheiße gedruckt, das stellt sich ja heutzutage keiner mehr unters Tischbein. Wir kommen da einfach nicht hinterher! Jeder Vollidiot, der auch nur drei Sätze einigermaßen interessant gestalten konnte, durfte gleich eine Trilogie veröffentlichen. Selbst Paul Brodowski! Hat ein Foto von sich im Bucheinband gehabt, vom Vater gemacht. Wer will denn so einen Dödel lesen, frage ich Sie!“
Ich vermutete nicht, dass eine Antwort erwartet wurde. Ansonsten hätte ich vermutlich blauäugig und achselzuckend „Nachfahren von Else Lasker Schüler vielleicht?“ geantwortet, es wohl unmerklich mehr zu einer fragenden Antwort formuliert, wie sie für Bankdrücker üblich ist, die sich zu einer Antwort genötigt, gar penetriert fühlen, und hätte damit sogleich, ebenfalls unmerklich, und, im Nachhinein betrachtet, genial, auf die unnötig reichen Nachfahren der Tante Schüler kritisch hingewiesen. Max Goldt, Godt hab ihn selig, hätte einmal kurz aufgeblickt und geschmunzelt, wäre er zugegen gewesen.
„Stuckrad Barre hat geschrieben, wie andere Leute scheißen! Wer soll denn so schnell brennen können?“
Um ehrlich zu sein, war es mir nicht bewusst, dass wieder Bücher verbrannt werden und ich fragte unschuldig wie Lisa aus der zweiten Reihe, ob man die erwähnten Bücher nicht einfach wegschmeißen oder in den Weltraum schießen könne.
„In den Weltraum will er’s schießen! Einfach wegwerfen will er’s!“ Der bisher sehr seriös wirkende Geschäftsmann war außer sich. „Und wenn so was dann in die Hände von Kindern gerät? Was sind Sie überhaupt für ein Mensch?“
Auch diese Frage erschien mir rein rhetorisch.
„Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen eine Anstellung als Chefbuchbrenner anbieten würde?“
Aufgrund der ganzen rhetorischen Fragen vergaß ich das Antworten und fand mich schon bald im Souterrain des Rokal Verlags wieder; ich trug eine feuerfeste schwarze Weste mit meinem Namen eingestickt und hielt eine schwere Schaufel in den Händen, einen Helm mit Lampe auf dem schwitzenden Kopf. Um mich herum Feueröfen.
Nachdem ich tagelang Taschenbücher von anscheinend wohl einst bekannten Rowohlt Autoren von einem schier endlos wirkenden Haufen ins glühende Feuer geschippt hatte, erhielt ich letzten Mittwoch unter gleißendem Applaus meiner Kollegen den Befehl, Tageslichtarbeit zu verrichten. Seitdem beschäftige ich mich mit den ganz großen Schinken: Tolstoi, Krieg und Frieden, wie oft das gedruckt wurde, glaubt man kaum, usw. Es ist wichtig, die fetten Werke nicht einfach so von oben in den brennenden Haufen fallen zu lassen, wie man es bei Sachbüchern vielleicht noch machen kann. Viel mehr muss man sie unten in den Haufen einkehren, mit viel Schwung und Kraft. Kein Zuckerschlecken ist das, kann ich Ihnen sagen.
Neben dem tosenden Lärm der Hörbuchbrennerei unterhalte ich mich mit meinem Vorarbeiter Volker und mampfe mein Pausenbrot auf einem zum Tode verurteilten Stapel Bibeln. Ich verstehe ihn kaum, da gerade die gesamte Sammlung „Kinski ließt …“ verfeuert wird. Das nervt mehr als Karl Klammer!
Apropos: Volker erklärt mir gerade, was in dem Wolkenkratzer zu unserer Linken von statten geht. Dort werden ebooks vernichtet. Ganz schön frickelige Angelegenheit, sagt er, die ganzen Texte in den letzten Winkeln und Schlupflöchern des worldwideweb ausfindig zu machen. Die besten Informatiker der Nation seien dort am Werk, was auch die allnächtliche Lastwagenlieferung Pizzas erklärt.
Plötzlich falle ich von meinem Bücherstapel. Wieder einmal will einer dieser „Leser“ eine der rar gewordenen Exemplare der Bibel stehlen. Schnell spuckt Volker in seine Pfeife und aus mehreren Winkeln des Geländes stürmen Muskelprotze herbei und überwältigen den Dieb durch übertrieben häufige Hodentritte.
„Das war ja noch mal knapp“, schnaubt Volker.
Sie hätten sich zu einer Riege zusammengeschlossen, erklärt er mir, die sich „die Leserschaft“ nennen würde.
Obwohl die Mittagspause noch nicht zu Ende ist, verschwindet Volker in einer der kleineren Brennstuben. Er besucht dort seinen Sohn, der bei uns zurzeit ein Praktikum in der Lesezeichenbrennerei absolviert. Ca. 300 Stück schafft er pro Werktag, jedes einzeln mit dem Feuerzeug, ein Knochenjob für so einen blutjungen Burschen.
Das Gespräch mit Vorarbeiter Volker hat sich als sehr informativ erwiesen. Wie ich jetzt weiß, werden nicht grundsätzlich alle Bücher verbrannt. Viele Ausgaben des Duden werden zuToilettenpapier verarbeitet, damit die Sprache der Bevölkerung nicht zu schnell verarmt und auf ein angemessenes Minimum reduziert wird und die greifbare Literatur nur langsam von der Bildfläche verschwindet, um langsam aber sicher den neuen Medien Platz zu machen. So den Himmelsprojektoren, die schon in Berlin und Hamburg Gang und Gebe sind, Tagesblattbrötchen, die alle wissenswerten Ereignisse bequem, zeitsparend und schmackhaft bereits beim Frühstück initiieren, (viele bevorzugen die Bildsemmel, während ich auf die zugegeben schwer verdaulichen Zeitsesambrötchen zurückgreife) oder das Informationsnasenspray, welches dem Bürger erlaubt, geeignetes und staatlich geprüftes Wissen über die korrekte und sichere Verwendung zum Beispiel einer Bohrmaschine nasal zu konsumieren.
Vor den Wikipediacroissants muss ich zugleich warnen: Sie sind zwar gut bekömmlich und locker leicht, entfalten einen beruhigenden Geschmack und bieten den Informationsaufnahmepartikeln in der Schleimhaut des Mundes nur wenig Gegenwehr, beinhalten allerdings nicht immer korrekt übermittelte Informationen, da die Wikibächerei mit illegalem Syntaxmehl und Wahrheitsgehaltwasser aus unbekannten Quellen, oft aus dritter Hand, arbeitet. Möge der semantische Zucker noch so deliziös sein, ist er doch zu stark beigemengt und hindert die Wertigkeitshefe am Eindringen in die Aufnahmepartikel.
Am Wochenende bin ich übrigens zu einer Demontage in Kiel eingeteilt. Alle bereits leerstehenden Bibliotheken sollen dem Erdboden gleich gemacht werden. Bei den Unibibliotheken ist mit leichtem, bekifftem Widerstand zu rechnen.