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Der Begleiter
V 1.2
Gleißendes Licht! Frank riss eine Hand vom Steuer und hielt sie sich schnell vor sein Gesicht. „Mach das Fernlicht aus, du Idiot!“, schrie er sinnlos durch das geschlossene Fenster seines Wagens. Der Fahrer des ihm entgegenkommenden Autos konnte sein Fluchen nicht gehört haben, doch Frank meinte trotzdem, ein schadenfrohes Grinsen auf dem Gesicht des Fahrers im Sportwagen auf der linken Spur wahrgenommen zu haben. Möglicherweise bildete er sich das in seiner Wut aber auch nur ein. Er nahm seine linke Hand wieder ans Lenkrad und bedachte den Mann mit einem Blick, der Feuer zu Eis hätte erstarren lassen. Normalerweise war Frank die Ruhe selbst. Er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen und war stets zu Scherzen aufgelegt. Doch heute nicht.
Sandra hatte Schluss gemacht! Einfach so aus dem Nichts!
Dabei hatte der Tag eigentlich so gut angefangen: Frank war Montags Morgens eigentlich immer mies gelaunt, weil er ein Morgenmuffel war seit er denken konnte und ihn seine Arbeit als Streifenpolizist vor allem zuletzt sehr gestresst hatte. Und zusätzlich hatte er Frühschicht! Heute jedoch hatte er gut geschlafen und nach dem vergangenen Wochenendausflug mit Sandra konnte er gar nicht anders als von ganzem Herzen fröhlich sein.
Sie waren in den Bergen gewesen und hatten sich benommen wie frisch Verliebte. Es war wie ihr erstes, gemeinsames Wochenende damals in Paris gewesen. Wochenlang hatte er sich um sie bemüht. Es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen, doch nach den ersten gemeinsamen Abenden mit Freunden war Frank schnell klar geworden, dass er für sie mehr als nur freundschaftliche Gefühle entwickelt hatte.
Damals hatte er seine Angebetete mit der Reise überrascht und auch heute, nachdem sie nun mittlerweile zwei Jahre zusammen waren, dachten beide immer noch gern an diesen Ausflug zurück. Wenn er so überlegte, war es kaum möglich, eine glücklichere Beziehung zu führen als er und Sandra es taten. Sie hatte ihm auch schon mehrere Male vorgeschlagen, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen, doch bei seinem momentanen Stress wollte er nicht Gefahr laufen, ihn an ihr auszulassen und so ließen sie dieses Thema zur Zeit ruhen.
Nachdem Frank also so gut gelaunt aus dem Bett gestiegen war, dass er das Zimmer schon allein mit seinem Lächeln erhellen hätte können, hatte er seinen normalen Tagesrhythmus begonnen. Er hatte geduscht, sein allmorgendliches Müsli zu sich genommen und dann die Zeitung gelesen. Erstaunt hatte er seinen Blick im Lokalteil über einen Artikel schweifen lassen, der seine Wache betraf. Er hatte sich erinnert, Zeitungsjournalisten ein Interview gegeben zu haben, doch das dieses eine halbe Seite füllen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Sichtlich zufrieden hatte er den Artikel gelesen, in dem zusätzlich seine Arbeit der letzten Wochen besonders anerkannt wurde um kurz darauf seine Wohnung zu verlassen.
Sein Arbeitstag war sehr ruhig gewesen, was Frank nach den zuletzt hektischen Wochen sehr genossen hatte. Als seine Arbeit getan war und er immer noch seliger lächelte als die Mona Lisa, war er noch mit ein paar Kollegen von der Wache auf den Tennisplatz gegangen. Er hatte sowohl sein Hobby als auch seine Freunde seit einiger Zeit etwas vernachlässigt und ein Tag wie heute bot sich bestens dazu an, das nachzuholen.
Als er dann spät abends nach Hause gekommen war, hatte er sofort das rote Licht seines Anrufbeantworters blinken sehen. Auf seinem nach dem Sport erschöpften Gesicht war sogleich wieder ein Lächeln erschienen, denn ihm war gleich klar gewesen: ‚Das muss ein Anruf von Sandra sein’. Schwungvoll hatte er seine Sporttasche im Flur abgestellt und elegant, fast tanzend, den Knopf zum abhören seiner Nachrichten gedrückt. Doch dann hatte sich sein Lächeln schnell zu einer Grimasse verzogen und eine Sekunde später hatten seine Mundwinkel beinahe zwischen den Kniekehlen gehangen, zumindest hatte es sich so angefühlt.
„Hallo Frank“, hatte es kaum verständlich aus dem Gerät gerauscht: „Es...tut mir leid, es dir nur auf diesem Wege mitteilen zu können. Ich kann unsere Beziehung nicht fortführen. Das Wochenende mit dir war sehr schön, doch es ist nicht mehr, wie es war. Wir haben uns auseinander gelebt...Ich kann es dir leider nicht weiter erklären. Es tut mir wirklich sehr leid...“ Noch einige Sekunden lang hatte es weiter gerauscht, dann hatte der Anrufbeantworter den Anruf mit einem Piepen abgebrochen. Mit Tränen in den Augen hatte Frank sich jetzt auf die Tasche, die er kurz zuvor im Flur abgestellt hatte, gesetzt. Diese Nachricht war wie ein Schlag vor den Kopf gewesen. Er hatte eine gewisse Trauer gefühlt, doch eigentlich hatte in ihm ein Gefühl der Wut vorgeherrscht. Sandra hatte am Apparat irgendwie niedergeschlagen geklungen, doch das musste Frank sich einbilden. Sie hatten gerade ein Wochenende zusammen verbracht, dass schöner nicht sein konnte und einen Tag später musste er solch eine Nachricht von einer kalten Maschine entgegennehmen? Sie sollten sich auseinander gelebt haben? Er hatte das einfach nicht glauben können!
‚Möglicherweise hat sie ja einen Anderen und ist mit ihm schon auf dem Weg auf die Bahamas’, dachte Frank spöttisch. Deswegen war er jetzt auf dem Weg zu ihr, wütend ob ihrer Feigheit, die er so nicht von ihr kannte. Wieso sagte sie es ihm nicht persönlich?
Deutlich über dem Tempolimit raste Frank die Straße hinunter. Wahrscheinlich war es sinnlos, zu ihr zu fahren, wenn sie bereits vom Flughafen aus angerufen hatte, aber irgend etwas musste Frank jetzt tun. Die Landstraße war schlecht beleuchtet und es war tiefste Nacht, doch er spürte eine Wut in sich, wie er sie noch nie gespürt hatte. Er ließ die Minute, in der er den Anrufbeantworter abgehört hatte, noch einmal vor seinem geistigen Auge ablaufen und trieb seinen Ford wutschnaubend weiter an.
Bernd fuhr nun schon seit 10 Jahren LWK und nichts hasste er mehr, als einen Umweg zu fahren, weil die Autobahn gesperrt war. Seit einigen Wochen schien sich die Zahl der Raser verzehnfacht zu haben. Zumindest kam es ihm so vor, denn er musste in der letzten Zeit beinahe täglich auf Landstraßen ausweichen. Und heute war es auch noch stockdunkel! Schlimmer konnte es fast nicht mehr kommen. Zumindest war die Kurve, die er knappe hundert Meter vor sich sah, auch schon die letzte gefährliche Stelle auf diesem Weg, danach müsste es nur noch geradeaus gehen. Langsam fuhr er in die Biegung ein. Trotz der Lautstärke seines Wagens meinte er, das Geräusch eines völlig überanstrengten Motors zu hören.
Fünf Sekunden später starrte er fassungslos und kreidebleich auf eine Ziehharmonika aus Glas und Metall herab.
Ungläubig blickte Frank auf die Unfallstelle. Das, was einmal sein Wagen gewesen war, sah jetzt mehr aus wie ein Metallblock aus einer Schrottpresse. Er machte zwei Schritte darauf zu. Der Fahrer des LKW war bereits ausgestiegen und betrachtete das, was einmal...er gewesen war mit sichtlichem Entsetzen. Dennoch erkannte er wohl, was geboten war und zückte ein Handy. Vermutlich verständigte er einen Krankenwagen, doch das war Frank momentan ziemlich egal. Sein Mund stand immer noch weit offen. Er konnte kaum ein Stück von sich selbst entdecken. Sein Wagen musste ihn innerhalb eines Lidschlages zerdrückt haben! Aber....wieso konnte er sich, also seinen Körper, eigentlich betrachten? War das da im Wagen er? Oder war das alles nur ein schrecklicher Albtraum, aus dem er ganz bald verschreckt und mit klopfendem Herzen aufwachen würde? Das Bild von dem Unfall verblasste langsam. Frank war erleichtert. In wenigen Sekunden würde er aufwachen und alles war vorbei. Er wäre immer noch mit Sandra zusammen, weil er diesen ganzen Tag nur geträumt hatte.
Leider wartete er vergeblich darauf, seinen eigenen Augenaufschlag wahrzunehmen in einem von einer warmen Daunendecke verhüllten Körper. Stattdessen schien er sich jetzt in einer Art Leere zu befinden. Es war kein weißer Raum, sondern einfach nichts. Panik ergriff ihn so schnell, wie im Moment zuvor noch Erleichterung. Hätte er Hände gehabt, die schwitzen konnten, so wären sie nun klatschnass gewesen. Zum ersten Mal in der letzten Minute wurde er sich seiner eigenen Substanzlosigkeit bewusst und seine Panik schien sich ins Unermessliche zu steigern. Er wollte sie hinausschreien. Hinaus ins Nichts. Doch so wenig seine Hände schwitzen konnten, so wenig konnten seine Stimmbänder einen Ton herausbringen. Möglicherweise konnte er deshalb nichts sehen? Wer nicht schreien oder schwitzen kann, ist es dem möglich, zu sehen? Und wieso konnte er noch denken? Er zwang sich, ruhiger zu werden. Panik führte nur dazu, dass sich seine Gedanken überschlugen.
Aber er hatte ja auch allen Grund dazu. Immerhin war er gerade gestorben, wie er sich jetzt fast selbstverständlich und in einem erneuten Anfall von Schrecken, Trauer und Wut selbst eingestand.
In den nächsten Stunden entspannte er sich soweit er konnte. In ihm, oder in dem, was von ihm übrig war, herrschte jetzt ein Gefühl der Hoffnungs- und Hilflosigkeit vor. Noch immer nahm er nichts wahr. Nichts schien mehr zu sein außer seinen Empfindungen und seinem Verstand. Doch da! Schien es ihm nur so, oder nahm er tatsächlich ein leises Flüstern war? Und er spürte auch etwas. Es war unbeschreiblich. Wie ein Kribbeln, doch es war mehr als das. Ein Gefühl, dass fernab jeder Substanz entstand und existierte. Das Flüstern steigerte sich mehr und mehr. In gleichem Maße verstärkte sich auch das unbeschreibliche Gefühl in ihm. Beides stieg immer weiter an, bis es zu einem Chor unaufhörlicher Qual anschwoll. Es war, als wenn tausend, abertausend Stimmen leise in sein Ohr sprechen würden, doch sie sprachen nicht mit Stimmen, sondern mit Nadeln. Nach einigen Sekunden (oder waren es Minuten, vielleicht Stunden?), wurde es so unerträglich, dass es schrecklichere Pein wurde als sie ihm zu Lebzeiten je widerfahren war. ‚Zu laut! Zu laut!’, wollte er immer wieder schreien, doch er konnte nicht. Dennoch schien etwas verstanden zu haben, was er dachte, denn recht bald ebbte der Chor ab, verstummte aber nicht. Nun war es nur noch eine einzelne Stimme, die zu ihm sprach, seinen Namen rief. Und er kannte diese Stimme.
‚Sandra?’, murmelte er leise in Gedanken zu sich selbst.
Es war ganz sicher Sandra’s Stimme. Doch die leichte Freude, die sich in Frank ihren Weg bahnen wollte, erlosch sogleich wieder und machte dem Gefühl der Enttäuschung Platz und Frank gewahrte zum ersten Mal das Gefühl des Verlustes, als er die Worte der warmen Stimme seiner großen Liebe vernahm: „Nein, Frank. Ich bin nicht deine Sandra.“ „Aber....wer oder...was bist du dann?“, stammelte er verloren. „Bist du...ein Engel?“ „Wenn du mich so nennen möchtest. Andere sahen in mir auch schon Gevatter Tod, den Sensenmann oder Charon, den Fährmann. Doch meine eigentliche Bezeichnung ist ‚Der Begleiter’“, antwortete die Stimme, die Frank mehr als Säuseln wie Blätter im Wind wahrnahm. „Wo bin ich? Was bin ich? Was...sind all diese Stimmen? Und wieso sprichst du mit Sandra’s Stimme zu mir?“, brachen plötzlich wie ein Wasserfall Fragen aus ihm heraus. Ruhig antwortete der Begleiter auf jede einzelne: „Würde ich dir einen Einblick in das ermöglichen, was ich bin, würdest du dem Wahnsinn anheim fallen, auch jetzt nach deinem Tode noch. Ich begleite alle Existenz auf ihrem Weg vom Leben in den Tod und spreche mit einer Stimme zu dir, welche ich in deinen Gedanken als für dich angenehm erkannt habe. Eigentlich ist dies hier noch die Welt, in der du gelebt hast. Du kannst sie nur nicht mehr wahrnehmen, denn all deine Sinne, dein Körper, deine Substanz sind nicht mehr. Nur das ist geblieben, was dich ausmacht. Deine Gefühle und dein Verstand. Deine Seele, wenn du so möchtest. Die Stimmen, die du hörst, sind die Stimmen der ruhelosen Verstorbenen. Sie finden keinen Frieden, denn den können nur diejenigen finden, die alles loslassen, was sie mit der körperlichen Welt verbindet. Aber sie sind auch einsam. Es sind mehr als du dir vorstellen kannst und sie versuchen, mit jedem, der die Schwelle zum Tod überschritten hat, zu sprechen.“ Frank wollte ihn unterbrechen, doch der Begleiter sprach gelassen weiter: „Erst dann, wenn sie bereit sind, loszulassen, dürfen sie diese Welt verlassen und in ‚das Reich der Toten’, den ‚Himmel’ oder welche Bezeichnung dir immer dafür beliebt, einkehren. Für die Meisten ist dies nicht leicht und nur sehr wenige von ihnen bringen die Kraft mit sich, es zu schaffen.“
Angst machte sich in Frank breit. Er hatte nicht viel, was ihn mit seinem alten Leben verband. Seine Freunde waren eigentlich nicht mehr als gute Bekannte, Geschwister hatte er nicht und seine Eltern waren schon vor Jahren gestorben. Aber das hieß, er müsse sich auch von Sandra lösen. Von der Frau, die für ihn ein und alles war! Dafür war er noch nicht bereit...jetzt noch nicht. Erst musste er Gewissheit haben. Gewissheit darüber, wie sie zu dem Entschluss gekommen war, sich von ihm zu trennen. Er musste noch einmal zurück.
Der Begleiter schien sein Begehr schon geahnt zu haben, denn in gleichbleibender Ruhe sprach er weiter: „Auch wenn ich schon vor der Zeit hier war und auch nach der Zeit hier verweilen werde, ist meine Kraft nicht unerschöpflich. Eine einzelne solche Bitte schwächt meine Kräfte nur sehr geringfügig. Die Zahl derer, die einen solchen Wunsch äußern, ist jedoch größer als die von Sandkörnern in einer Wüste. Trotzdem gewähre ich jedem, der diese Ebene betritt, eine kurze Weile in der Welt, die er verlassen hat.“ Das hörte sich nach nicht mehr als ein paar Minuten an. In Anbetracht der Zeit, die der Begleiter allerdings bereits existierte, könnte ‚eine kurze Weile’ aber auch mehrere Jahre bedeuten.
Frank blieb nichts übrig, als es darauf ankommen zu lassen. „Was kann ich tun während dieser Zeit? Kann ich jederzeit zurückkehren?“, fragte er skeptisch. Auch diese Frage schien der Begleiter erahnt zu haben: „Du wirst alles sehen und hören können, was um dich herum ist und du kannst auch jederzeit zurück, aber du kannst nicht mit den Lebenden sprechen. Nun....zumindest wurde das erst wenige Male versucht. Nur indirekt ist es möglich und erfordert ein hohes Maß an Konzentration.“ Indirekt? Frank verstand nicht sofort, was der Begleiter ihm mit diesen Worten sagen wollte. „Wo werde ich sein, wenn du mir meine Bitte erfüllst?“ „Ich kann dich an jeden beliebigen Ort und in jede beliebige Zeit schicken, die in deiner Erinnerung ist. Doch wähle mit Bedacht, denn dir bleibt nur dieses eine Mal!“ Dessen war Frank sich bewusst, aber er musste trotzdem nicht lange darüber nachdenken, wohin er wollte und wann er dorthin wollte.
„Komm schon! Beeil dich ein bisschen, die Aussicht hier oben ist grandios!“ Schleppend, sehr schleppend arbeitete Frank sich die letzten Vorsprünge nach oben. Völlig außer Atem stellte er sich neben Sandra und blickte ebenfalls in die Richtung, aus der sie beide gekommen waren und sie hatte Recht. Der Ausblick war grandios. „Wirklich wunderschön...fast so schön wie du“, sagte Frank, der wieder leicht zu Atem gekommen war, mit einem Lächeln in ihre Richtung. Sie sahen sich einige Sekunden an und küssten sich leidenschaftlich.
‚Auseinander gelebt!’ Dachte der Geist wenige Meter hinter ihnen spöttisch. Hätte er noch einen Körper gehabt, hätte er jetzt mit dem Kopf geschüttelt. Es war eine Qual für ihn, diese Szene noch einmal mit ansehen zu müssen, doch nur auf diese Weise konnte er herausbekommen, warum Sandra so plötzlich einen Schlussstrich unter ihre doch ganz offensichtlich idyllische Beziehung gemacht hatte. Zumindest hoffte er das. Er war sich keinesfalls sicher, dass seine Vermutung richtig war, die ‚kurze Weile’ auf dieser Ebene für einige Tage oder noch länger zu halten. Er verbrachte mit den Beiden die restliche Zeit in den Bergen und begleitete dann Sandra auf ihrem Weg nach Hause. Jede Sekunde, die er sie ansah, wuchs seine Qual. Er bedauerte es nun fast, dass sie noch nicht zusammengezogen waren, bevor all das geschah. Bis jetzt konnte er allerdings noch keinen Grund finden, warum sie aus heiterem Himmel diese schreckliche Entscheidung hatte treffen können.
Ein weiterer Tage verging. ‚Wenigstens scheint die Zeit zu reichen’, dachte Frank bei sich. Während er es kaum noch ertrug, Sandra so nah und doch so fern zu sein, grübelte er viel darüber nach, was der Begleiter mit seinen Worten über die ‚indirekte’ Kommunikation gemeint haben könnte.
Urplötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Er saß mit Sandra im Bus, der sie wie jeden Abend von der Arbeit nach Hause brachte. Er war fast leer, denn die Buslinie fuhr nur durch wenig bewohnte Gegenden. Außer Sandra saßen nur noch der Fahrer und zwei zwielichtige Gestalten im Fahrzeug. Drohend kamen sie jetzt auf Sandra zu und Frank nahm ein Messer unter dem Mantel des Kleineren der beiden Männer wahr. ‚Nein! Sie können doch nicht...’ erschrocken, halb in Panik, versuchte er zu schreien: „Sandra! Renn weg!“, doch er konnte nicht. Und wohin hätte sie auch laufen sollen? Er versuchte, Sandra zu berühren, sie irgendwie zu warnen oder zu beschützen, dann, die Gestalten irgendwie aufzuhalten, doch was er auch versuchte, seine Mühe war vergeblich.
Frank musste mit ansehen, wie die beiden hoch gewachsenen Männer Sandra erst ausrauben wollten und dann, als sie sich erbittert wehrte, mit dem Messer bedrohten. Einer der Beiden hielt ihr den Mund zu, der Andere wollte ihr die Tasche entreißen. Der Fahrer schien von all dem nichts mitzukriegen. Trotz der Androhung des Todes wehrte Sandra sich weiter. In diesem Moment fuhr der Bus über eine Unebenheit. Der Kerl mit dem Messer stolperte und stach mit dem Messer direkt in Sandra’s Brust. Frank wollte schreien, versuchte, mit seinem nicht vorhandenen Körper immer wieder, auf die Finsterlinge einzuschlagen. Sein Leid hätte nicht größer sein können. Die zwei Gestalten blickten sich entsetzt an. So weit hatten sie anscheinend nicht gehen wollen. Trotzdem riss einer der Beiden jetzt die Handtasche an sich. Sie hatten sich recht schnell wieder gefangen, liefen jetzt nach vorne und bedrohten nun den Fahrer mit ihrer Waffe und befahlen ihm, sofort anzuhalten. Kreidebleich gehorchte der Fahrer und öffnete die Türen. Als die Männer Hals über Kopf den Bus verlassen hatten und der Busfahrer den Schrecken verdaut hatte, sah er endlich in den Rückspiegel und entdeckte nun Sandra, die mittlerweile von ihrem Sitz gerutscht war und in einer Pfütze aus Blut unter ihrem Sitz lag.
Der Fahrer konnte es nicht wahrnehmen, doch neben ihr war ein Geist und weinte tränenlos.
Frank blieb nicht länger an diesem Ort. Die Qualen waren unerträglich und lange konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Warum hatten sie das getan? Warum musste seine Sandra sterben? Einige Zeit schlugen diese Fragen wie Fäuste auf ihn ein. Irgendwann wurde er langsam wieder Herr seines Verstandes. Je ruhiger er wurde, umso stärker kroch still und leise eine andere Frage in ihm hoch. In der ganzen Zeit, die er wieder auf der Erde war, hatte Sandra nicht bei ihm angerufen. Weder mit ihrem Handy, noch mit ihrem Telefon oder von einer Telefonzelle aus. Wieso aber hatte er dann diese unseligen Worte auf seinem Anrufbeantworter?
Und dann begriff er.
Sobald er die Antwort auf seine Frage erkannt hatte, begann die Welt ähnlich dem Erlebnis kurz nach seinem Tod zu verblassen und er kehrte zurück in die Welt des Begleiters. „Du hast gefunden, was du suchtest“, stellte dieser sogleich und in gewohnter Ruhe fest. Frank war nicht erstaunt und entgegnete entschlossen: „Ja, das habe ich. Nun bin ich bereit!“ Der Begleiter antwortete nicht mehr. Im nächsten Moment begann die Leere um Frank herum zu schwinden. Wie Schlieren verformte sie sich. Anscheinend hatte sein Weg begonnen. Ruhig und ohne Angst ließ Frank seine Gedanken frei.
Sandra würde auf ihn warten...