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Der Beobachter

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01.08.2020
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Der Beobachter

1

Agathe knotete ihre Stoffhaube unter ihrem Kinn zusammen und öffnete die Tür zum Garten. Ein für diese Jahreszeit ungewohnt kalter Wind stieß ihr entgegen. Beinahe hätte er ihr die schwere Eichentür aus der Hand gerissen, die sie nur mit einer Hand gehalten hatte. In der anderen hielt sie den Topf mit den Essensresten des Vortages. Sie stemmte sich gegen den Wind und bewegte sich auf die rissige Tonschüssel zu, die einsam inmitten des Gartens lag. Der Boden war bedeckt vom Laub der Bäume und Agathe verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, dass sie sich wohl in nächster Zeit zum zusammenharken dieser Blätter aufraffen musste. Doch vorerst musste sie wohl warten, bis das Wetter besser werden würde. Die starken Regenfälle der letzten Tage hatten den Boden schlammig werden lassen und verhinderten die Arbeit. Mit knackenden Knien bückte sie sich nach der Schüssel, die überraschender Weise sauber geleckt worden war.
Nachdem sie die Schüssel diesmal mit einer extra großen Portion für ihren sehr hungrigen Besucher gefüllt hatte, erhob sich Agathe mühselig und begab sich, diesmal mit dem Wind im Rücken, zurück ins Haus. Sie drehte sich noch einmal um, um vielleicht einen Blick auf ihren gefräßigen Gast zu erhaschen, doch sie konnte keine Bewegung im Garten feststellen. Sie schloss die Tür hinter sich und spähte ein letztes Mal neugierig, aber dennoch erfolglos durch das gesprungene Fenster in der Tür. Die Sonne ging bereits unter und ließ das kleine, etwas in die Jahre gekommene Haus ungemütlich düster und trostlos wirken.

Die kleine Frau mit den scharfen Gesichtszügen und der spitzen Nase hatte inzwischen ihre Haube abgenommen und legte noch ein Holzscheit in den Kamin, bevor sie sich in Ihrem Sessel niederließ und ihr abgegriffenes Buch zur Hand nahm. Ihr Blick wanderte noch einmal zu dem aufgestapelten Brennholz das neben dem verrußten Kamin lag.
Bald würde sie neues Holz hacken müssen. Früher hatte Richard das übernommen, doch nachdem er im letzten Jahr der Grippe erlegen war musste sie das selbst erledigen. Das Haus verfiel, trotz Agathas Pflege zusehends. Sie tat was sie konnte, doch handwerklich legte sie kein halb so großes Geschick wie Richard an den Tag. Sein plötzlicher Verlust hatte sie hart getroffen, dennoch war die inzwischen sechsundsechzig Jährige stets pragmatisch veranlagt und war sich bewusst darüber, dass ihr das Hinterhertrauern der alten Zeiten nichts brachte und dass ihr niemand die anstehende Arbeit abnehmen würde.
Morgen würde sie das Laub zusammenharken und Brennholz hacken. Aber für heute gab es nichts weiter zu tun als auf das abflauen des Windes zu warten, das Kaninchen zu braten, bevor es verdarb, ihr Buch weiterzulesen, das sie noch immer liebte obwohl sie es schon mindestens ein dutzend Mal gelesen hatte und zu hoffen, dass kein erneuter Regen einsetzen würde.
Doch schon nach wenigen gelesenen Zeilen übermannte sie erneut die Neugier und sie blickte über die mit Blumen bestickte Gardine hinweg nach draußen.
Kein Anzeichen von Bewegung. Nur die abgestorbenen Blätter wehten umher und die Baumkronen bogen sich im Wind. Ihre Augen rollten von links nach rechts, wie bei einem Raubtier, das sich auf der Jagd befand. Sie schaute in die Büsche und in den rötlich gefärbten Wald, der direkt hinter ihrem Haus begann. Vielleicht saß er hinter einem Baum oder im Unterholz und wartete nur darauf, dass die Luft rein war …
Noch immer nichts.
Seit vielen Jahren fütterte sie schon die Tiere, die sich hin und wieder in ihren Garten verirrten. Meist waren es Katzen, manchmal ein Igel oder ein Fuchs, die sich aber für längere Zeit in der Gegend aufhielten. Umso mehr Freude bereitete es ihr, wenn sie doch mal die Gelegenheit bekam eines der Tiere zu beobachten.
Die Gegend war einsam, was ihr jedoch erst seit Richard weg war so richtig bewusst geworden war. Fast vierzig Jahre hatten sie hier gemeinsam gelebt. Zwar waren ihnen nie Kinder vergönnt gewesen, doch war das nie etwas dem Agathe nachgetrauert hätte. Sie mochte die Ruhe und Abgeschiedenheit, auch wenn sie lieber noch einige Jahre die Zweisamkeit mit ihm genossen hätte. Aber es war wie es nun einmal war.

2
Die ersten Sonnenstrahlen trafen bereits auf das kleine Haus, während Agathe die Blechkanne mit dem heißen Kaffee vom Ofen nahm. Der angenehme Duft vermischte sich mit dem Geruch des brennenden Kamins und schuf eine wohlige, gemütliche Atmosphäre. Der Wind hatte inzwischen nachgelassen und so stand der anstehenden Arbeit nichts mehr im Wege. Nach dem Frühstück griff sich Agathe den Topf mit den Resten und machte sich auf den Weg nach draußen.
Die Augenbrauen vor Überraschung hochziehend stellte sie fest, dass die Schüssel nicht nur restlos geleert worden war, sondern auch verkehrt herum in einer völlig anderen Ecke des Gartens lag. Sie verwarf schnell den Gedanken daran, dass der Wind die Schüssel weggeweht haben könnte. Dafür war sie einfach zu schwer. Ein hungriges Tier musste diese dorthin geschleppt haben. Somit schloss ein Igel schon mal als Besucher aus und auch eine Katze schien Ihr unwahrscheinlich.
Die Schüssel ungläubig in ihren Händen drehend (sogar eine Ecke war herausgebrochen) fiel ihr Blick auf ihr Beet das sie schon zum Pflanzen vorbereitet hatte. Das gestrige Wetter hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht und sie hatte beschlossen erst heute die Saat aus zu bringen. Nun kam ihr eine andere Idee.
Auf einen Tag mehr kommts wohl auch nicht an.
Dachte Agathe und schaute sich die feuchte, frisch umgegrabene Erde an. Sie stieg mit großen Schritten in die Mitte des Beetes. Die matschige Erde quoll um die Sohle ihrer ledernen Stiefel heraus und ein saugendes Geräusch begleitete jeden ihre Schritte. Dort angekommen, stellte sie die Schüssel ab, die sie zuvor mit den Resten gefüllt hatte. Dabei hinterließ sie tiefe Abdrücke in dem schlammigen Untergrund und fühlte sich dadurch in der Annahme bestätigt, dass wohl auch der nächtliche Besucher seine Fußabdrücke dort hinterlassen müsste. Sie schob den Gedanken daran was Richard wohl zu einer solch unsinnigen Unternehmung gesagt hätte beiseite (sie konnte ihn förmlich den Kopf schütteln sehen) und widmete sich wieder ihren eigentlichen Arbeiten.

Das Feuerholz lag säuberlich gestapelt neben dem Kamin. Im Garten lagen zwei große Laubhaufen die nur darauf warteten entzündet zu werden und die kleine Frau, die dafür verantwortlich war, lag leise schnarchend in dem Stoffsessel, in dem sie vor einigen Stunden eingeschlafen war. Der dunkle Kater, der bis gerade eben noch den Kopf in der Schüssel mit den Essensresten vergraben hatte, bewegte sich langsam rückwärts davon weg. Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich, seine Haare stellten sich auf und er krümmte seinen Körper um bedrohlicher zu wirken. Dennoch bewegte er sich rückwärts. Er wusste, dass er nicht halb so bedrohlich wirken konnte, wie das, was sich geradewegs auf den Napf zu bewegte. Er wäre längst geflüchtet, hätte er dafür der Bedrohung nicht den Rücken zuwenden müssen. Erst als er erkannte, dass das Interesse des Besuchers nicht ihm, sondern allein der Schüssel galt, wandte er sich um und schoss wie ein Pfeil davon.
Nun begann jemand anders die kleine Schüssel zu leeren. Jemand der keinerlei Notiz von dem Kater nahm, der noch rannte als die Gefahr schon längst außer Sicht war und der so lange weiter rannte, bis er durch die völlige Erschöpfung gezwungen sein sollte mit dem Laufen aufzuhören.
Jemand der zwar aufmerksam seine Umgebung beobachtete, dem aber nichts bekannt war, dass er fürchten müsste.
3
Es war Mittag und Agathe wusch gerade das Geschirr vom Mittagessen ab, als die ersten Tropfen des einsetzenden Regens gegen das Küchenfenster prasselten. Sie blickte auf, ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen und sah aus dem Fenster. Es dauerte einen Moment bis sie jedoch realisierte was dies bedeutete.
“Ach verdammt!”, rief Agathe und ließ ihren Spüllappen achtlos in das Waschbecken fallen. Sie hatte ihre kleine Falle völlig vergessen und erst jetzt, da der Regen drohte alles wegzuspülen, dass ihr Besucher hinterlassen haben könnte, fiel es ihr wieder ein. Schnell schlüpfte sie in ihre noch immer dreckigen Stiefel und eilte nach draußen. Nur mit einem Nachthemd bekleidet stieg sie die Stufen vor dem Haus hinunter. Der kalte Regen peitschte ihr gegen die Waden, welche nicht von Stoff bedeckt waren und der Wind wirbelte das Nachthemd auf, als wolle er es ihr vom Leib reißen. Sie erreichte den mit Matsch beschmierten Napf und suchte die unmittelbare Gegend ab. Im Schlamm waren viele Abdrücke zu sehen, doch Agathe konnte keinen davon zuordnen. Zu schnell hatte der Regen sie mit Wasser gefüllt und unkenntlich gemacht. Es hätte alles gewesen sein können. Ihre dünne Kleidung war inzwischen klatschnass und klebte an ihrem Körper. Die Kälte zog ihr in die Knochen und es schien ihr aussichtslos weiter zu suchen. Enttäuscht griff sie nach Schüssel, welche allem Anschein nach schon wieder von irgendetwas umgestoßen worden war und hob sie aus dem Dreck.
Gerade als sie im Begriff war ins Haus zurück zu kehren machte sie doch noch eine Entdeckung. Unter der Schüssel, geschützt vor Wind und Wasser, war ein Abdruck zu erkennen.
Ungläubig starrte Agathe auf den Boden vor ihr. Der Napf war ungefähr zwei Hand breit, dennoch hatte er den Abdruck nur zur Hälfte abgedeckt. Die Zehen und ein Teil des Fußes waren zu sehen, der Rest verlief sich im Schlamm. Was sollte einen solch großen Abdruck hinterlassen haben. Er war viel zu groß für eine Katze und selbst Hunde oder Wölfe hinterließen wesentlich kleinere Spuren. Die Zehen waren lang und schmal und der Teil des Fußes, der zu erkennen war schien auch eher länglich zu sein. Da er sich tief in den Matsch gedrückt hatte, vermutete Agathe, dass das Tier außerdem recht schwer gewesen sein musste. Vielleicht war es nur mehrfach in die gleiche Spur getreten und hatte diese dabei vergrößert, kam es ihr in den Sinn, doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Was in Gottes Namen hatte sie da besucht? Ihr Magen verkrampfte sich vor Anspannung und Unbehagen. Nervös schaute sie sich um, während sie sich schnellen Schrittes zurück ins Haus begab. War die Kreatur gefährlich? Wie lang schlich dieses Wesen wohl schon in ihrem Garten umher?
Hastig schloss sie die Tür hinter sich und begann ihn ihrem Bücherregal zu wühlen. Sie griff sich ihr Tierlexikon, welches sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt hatte und blätterte in den vergilbten Seiten, um herauszufinden zu welchem Tier der Abdruck passen könnte. Die Größe war ähnlich der eines Bären, aber der Umriss und die Anzahl der Zehen passte nicht. Die langgezogene Form erinnerte eher an einen Hasen oder eine Ratte, doch eine riesige Ratte schien eher unwahrscheinlich. Agathe stelle das Buch nach mehrmaligem Durchblättern zurück und fühlte sich nun nur noch unwohler als vorher.
Mit einer Tasse Tee an ihrem Küchentisch sitzend begann sie darüber zu grübeln, wobei ihre Finger nicht nur vor Nervosität, sondern auch vor Neugier begannen auf der Tischplatte zu klopfen.

Die folgenden Tage verbrachte Sie damit, herauszufinden um welche Zeit die Kreatur sie besuchte. Da sie sie nie zu Gesicht bekommen hatte, musste sie nachts auftauchen wenn Agathe bereits schlief. Sie begann die Schüssel erst sehr spät raus zu stellen. Ihr Schlaf war sowieso so unruhig geworden, dass es ihr nicht schwer fiel länger aufzubleiben. Ihr nächster Schritt war es, die Schüssel in den frühen Morgenstunden aufzustellen und so konnte sie irgendwann grob eingrenzen, wann das Wesen aktiv war. Stellte sie die Schüssel nach fünf Uhr morgens raus, so wurde diese nicht angerührt. Ebenso fraß das Tier nicht vor dreiundzwanzig Uhr. Es hatte sie viel Überwindung gekostet, das Futter so spät nachts in der Dunkelheit zu servieren, doch die Neugier zwang sie dazu. Leider war es nicht sicher, dass immer das unbekannte Tier das Futter fraß, doch es gab ja auch nichts zu verlieren. Irgendwann würde sie es schon erwischen.

4
Heute wollte sich Agathe auf die Lauer legen. Sie hatte relativ lang geschlafen und der Tag war bisher ereignislos vergangen. Die Sonne ging bereits unter und tauchte den Garten in ein rötliches Licht, das über das noch immer frostige Wetter hinwegtäuschte.
Sie wartete bis kurz vor dreiundzwanzig Uhr und bereitete dann ihren Köder, bestehend aus den Resten ihres gestrigen Mahls vor. Diesmal platziere sie die Schüssel so, dass sie sie auch vom Wohnzimmerfenster aus gut sehen konnte und machte es sich anschließend in ihrem Sessel am Feuer bequem.
“Heute krieg ich dich”, sprach sie zu sich selbst und nickte zufrieden, während sie ihr Kissen richtete und sich dadurch in eine gute Position zum Spionieren brachte.

Die Standuhr im Wohnzimmer läutete. Agathe schreckte hoch und brauchte einen Moment um sich zu orientieren. Sie realisierte das Läuten und versuchte die Zeit im Schein des Kamins zu erkennen. Null Uhr. Sie war eingeschlafen. Sich selbst verfluchend richtete sie sich auf und schob ihr Gesicht an der Gardine vorbei vor die Scheibe.
Nichts zu erkennen.
Der Garten lag im Dunkel. Das wenige Mondlicht wurde von den Wolken geschluckt und sie konnte nicht einmal den Napf erkennen. Nun verlor sie endgültig die Geduld. Noch immer wütend auf sich selbst schlüpfte sie in ein paar leichte Pantoffeln und stieß die Tür zum Garten auf. Sie übersah die letzte der drei Stufen zum Garten und schürfte sich die Ferse auf, als sie von dieser abrutschte. Schmerzvoll verzog sie das Gesicht, konnte jedoch einen Sturz gerade noch abwenden. Sie schritt auf die Schale zu und musterte ihren Inhalt.
Zwar war die Schale nicht leer, dennoch war eindeutig weniger darin als zuvor. Agatha stand auf. Der Besucher musste gerade erst weg sein. Vielleicht hatte sie ihn sogar aufgeschreckt. Wütend, enttäuscht und mit einer schmerzenden Ferse ging sie zurück zum Haus und schwor sich selbst, dass nun Schluss mit diesem Unsinn sein sollte. Sie zog die schmutzigen Pantoffeln am oberen Treppenabsatz aus, tastete nach ihrer verletzten Hacke und wollte sich soeben umdrehen, als sie etwas bemerkte.

Es war nur eine kurze Bewegung. Wie ein Schatten der ein Stück entfernt an der Waldgrenze vorbei huschte. Reglos blieb Agathe stehen und versuchte etwas zu erkennen. Langsam suchte sie die einzelnen Bäume mit den Augen ab, als ihr Blick an etwas Undefinierbarem hängen blieb. Eine dunkle Silhouette, die am Boden zwischen zwei Bäumen hockte. Sie versuchte zu erkennen worum es sich dabei handelte. Es war zu dunkel um eine Form darin zu erkennen, aber irgendetwas sagte ihr, dass dies nicht die Umrisse eines Busches waren. Reglos stand sie dort, für eine gefühlte Ewigkeit, um sicherzugehen, dass sie sich nicht täuschte, bevor die Wolken etwas mehr des Mondlichts durchließen. Zwar konnte sei noch immer nicht genau erkennen worum es sich handelte, doch die Konturen wurden deutlicher. Dann hob es den Kopf. Dabei fiel das Mondlicht in seine Augen und ließen diese gelblich Aufleuchten. Agathe stockte der Atem. Noch immer sah sie nur die dunkle Masse, doch was auch immer es war, es starrte sie an. Es regte sich nicht. Es starrte sie einfach an. Was für ein Wesen saß dort einfach herum und starrte sie an? Und was waren das für Augen? Agathe packte die Angst. Sie stieß mit dem Rücken lautstark gegen die Tür. Der Kopf des Wesens machte eine kurze ruckartige Bewegung, fixierte die alte Dame aber weiterhin an. Dann erhob es sich. Was eben noch wie ein grauer Haufen ausgesehen hatte, streckte sich nun in die Höhe und wurde zu einem drahtigen, bedrohlich anmutenden Ding. In dem Moment in dem in Agathe bewusst wurde, dass es sich schneller werdend auf sie zu bewegte, packte sie die blanke Panik. Hektisch drehte sie sich um und rüttelte heftig an der Tür bis sie die Klinke erwischte und diese aufsprang. Sie warf die Tür mit einer solchen Wucht hinter sich ins Schloss, dass die ohnehin schon gesprungene Scheibe laut klirrend zersprang. Die Scherben verteilten sich auf der Treppe und der Wind ließ die Gardine wild flattern. Ohne einen Blick an all dies zu verschwenden rannte Agathe durch die kleine Stube zur Kellertür, welche sie ebenso heftig aufriss wie sie die Haustür zugeworfen hatte. Sie schloss die Tür und zog sich in eine Ecke des Kellers zurück. Dort verharrte sie, im Dunkeln, ohne einen Laut von sich zu geben und versuchte zu hören ob ihr die Bestie ins Haus gefolgt war.

5
Die Uhr im Wohnzimmer schlug fünfmal. Mit zittrigen Händen hielt Agathe den schweren rostigen Hammer, der ihr momentan als Waffe diente. Sie hatte sich mehrere Stunden absolut still verhalten, konnte in der gesamten Zeit jedoch keinen Laut von außerhalb des Kellers hören. Nun schien es ihr an der Zeit ihr versteck zu verlassen. Sie hatte eine Kerze entzündet, die sie wohlbedacht für Notfälle hier deponiert hatte und sich den Hammer gegriffen. Nur um sicherzugehen presste sie nun ihr Ohr gegen die Tür.
Kein einziger Laut.
Langsam drückte sie die Klinke nach unten und brachte mit der anderen Hand den Hammer in eine Position, von der aus sie sofort zuschlagen konnte. Ihr Herz schien gleich zu explodieren. Sie konnte ihren eigenen Puls hören und versuchte ihn mit gleichmäßigem Atmen in den Griff zu bekommen. So leise sie nur konnte öffnete sie die viel zu laut knarrende Tür und ging hindurch.

Im Haus schien alles unberührt. Die Haustür mit der kaputten Scheibe war noch immer geschlossen. Alles andere war intakt und es sah nicht aus als wäre ihr das Wesen überhaupt ins Haus gefolgt. Vorsichtig durchsuchte sie alle Räume. Die Sonne strahlte fröhlich und offensichtlich vollkommen unbeeindruckt von den Geschehnissen der gestrigen Nacht und hätte Agathe nicht gerade die schlimmste Nacht ihres Lebens im dunkelsten Eck des Kellers verbracht, hätte der Tag wunderschön beginnen können.
Nachdem sie sich sicher war, dass im Haus keine Gefahr bestand, spähte sie aus verschiedenen Fenstern in den Garten. Dabei mied sie jedoch die zerstörte Scheibe der Haustür, grad so als befürchte sie etwas könne sie durch sie hindurch packen.
Natürlich erspähte sie auch Draußen nichts. Tagsüber gab es so etwas nicht. Solche Wesen konnten nur nachts erscheinen. Agathe schüttelte sich vor Abscheu. Die ganze Nacht hindurch hatte sie die Umrisse der Bestie vor Augen gehabt, doch nun, da die Sonne dem dunklen Haus und Garten den Schrecken genommen hatte, schien ihr alles surreal und sie schämte sich. Vielleicht war das, was sie gestern als undeutlicher Schatten in Panik versetzt hatte, nichts weiter als die verzerrte Silhouette eines normalen Tieres gewesen. Die Fußabdrücke waren womöglich tatsächlich nur verlaufen oder einfach nur mehrfach in den Schlamm getreten worden. Aber... was war mit diesen Augen. Sie wusste, dass sie das leuchten darin gesehen hatte. Als hätte es sich ihr in ihre Netzhäute eingebrannt. Kein ihr bekanntes Tier hatte solche Augen. Sie schienen nicht das Licht reflektiert zu haben, vielmehr wirkte es als würden sie von innen heraus leuchten.
Doch nun war es weg und was immer es war, es war durch das Futter angelockt worden. Damit war nun Schluss. Entschlossen und sehr aufmerksam ging Agathe dorthin wo sie gestern die Schüssel aufgestellt hatte. Erneut war sie restlos geleert worden. Während sie voller Panik im Keller zwischen Mäusescheiße und Spinnweben gehockt hatte, hatte sich das Biest den Bauch vollgeschlagen. Allein sich selbst konnte sie die Schuld daran geben und das ärgerte sie am meisten. Zu allem Übel kam dann auch noch die Scham dazu. Richard hätte ihr Beine gemacht, wenn er sie dabei erwischt hätte, wie sie sich wie ein kleines Kind im Keller versteckte. Er wäre, abgesehen davon das er nie irgendwelche wilden Tiere angefüttert hatte, mit seiner Axt hinausgestürzt und hätte das Vieh in Stücke geschlagen.
Agathe nahm die in Mitleidenschaft gezogene Schüssel und brachte sie nach drinnen. Diese Nacht würde niemand eine kostenlose Mahlzeit erhalten.
6
Es dauerte zwei Tage, bis sich Agathe wieder in ihrem Garten aufhalten konnte, ohne sich ständig nervös umzusehen und fast eine Woche bis das mulmige Gefühl nachließ, dass sie immer dann überkam, wenn die Sonne unterging und den angrenzenden Wald in Schatten tauchte. Das Füttern hatte sie komplett sein lassen und das kaputte Fenster mit einigen alten Brettern vernagelt. Inzwischen war der “Vorfall” fast zehn Tage her und es war wieder Normalität in Agathes Leben eingekehrt.
Wieder lag ein arbeitsreicher Tag hinter der alten Dame, welche sich gerade bettfertig machte. Sie betrachtete ihr gealtertes Gesicht im Spiegel, während sie sich ihre dünnen, grauen Haare bürstete. Die Ereignisse hatten zwar kein Trauma bei ihr verursacht, dennoch war sie in letzter Zeit sehr nachdenklich. Nie zuvor war sie sich so hilflos vorgekommen. Es war nicht nur das Erscheinen des Wesens gewesen, dass dieses Gefühl verursacht hatte. Es war ihre allgemeine Situation, die ihr momentan zu schaffen machte. Richard war weg und niemand war da. Sie war völlig auf sich allein gestellt. Was wenn sie stürzte und sich etwas brach? Wenn ihr Herz sie im Stich ließ oder sonst etwas geschah. Es würde nicht einmal bemerkt werden. Sie schob die schlaffe Haut an ihren Schläfen nach hinten, woraufhin sich die tiefen Falten in ihrem Gesicht etwas strafften und einen Ausblick auf das Gesicht gaben, dass sie früher einmal gehabt hatte. Mit einem Seufzen ließ sie die Haut erschlaffen und ging hinauf in ihr Schlafzimmer. Sie grübelte noch eine Weile nach, bevor sie schließlich die Kerze, die auf ihrem Nachtschränkchen stand, löschte und kurz darauf einschlief.

Wie so oft in den letzten Jahren weckte sie der Harndrang. Schlaftrunken setzte sie sich in dem laut knarrenden Bett auf und wühlte in der Kommode nach den Streichhölzern, um damit ihren Leuchter anzuzünden.
In der hinteren Ecke des Raumes knarrten die Bodendielen.
Dies erregte Agathes Aufmerksamkeit, weil es nicht wie das übliche nächtliche Knarren des alten Hauses klang. Sie kannte jedes Geräusch das es erzeugte und die meisten von ihnen nahm sie nicht einmal mehr wahr. Noch sitzend rieb sie sich die schläfrigen Augen und blickte dann in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Der Raum war jedoch zu dunkel, um etwas zu erkennen und sie kramte erneut in der Schublade nach den Zündhölzern, bis sie diese endlich in die Finger bekam. Gerade entzündete sie eines davon, als sie erneut ein Geräusch hörte. Erschrocken hielt sie die kleine Flamme in die Richtung, aus der sie die Ursache vermutete und spähte in die Dunkelheit. Jedoch war der Lichtschein viel zu gering um etwas zu erkennen. Doch da war doch etwas...ein kleines glänzendes Objekt am anderen Ende des Raumes. Das Hölzchen war inzwischen so weit heruntergebrannt, dass Agathe die Hitze der Flamme spürte und es mit einem schnellen wedeln löschte. Mit einem weiteren entzündete sie die Kerze, die sie in ihren Leuchter steckte und stand aus dem Bett auf. Sie ging auf das glänzende Ding zu. Die kleine Kerze erzeugte kaum mehr Licht als das Streichholz und sie hatte sich schon bis auf eine kurze Distanz dem Objekt genähert, als plötzlich ein zweites auftauchte.
Verwundert hielt sie die Kerze näher ran und in diesem Moment erkannte sie was das Licht gespiegelt hatte. Ein schmaler länglicher Kopf dreht sich in den Lichtschein des Leuchters, welcher die Objekte, die sie nun als Augen erkannte zum Aufleuchten brachte. Im schwachen Licht erkannte Agathe eine langgezogene, schmale Schnauze, die zum Ende hin breiter wurde. Helle, spitze Zähne, die nicht von Lippen bedeckt waren, wurden sichtbar und erschienen ihr wie ein verzerrtes Grinsen. Ein kurzes Fell bedeckte Gesicht und Körper des Wesens das an einigen Stellen so ausgedünnt war, dass die Haut darunter zum Vorschein kam. Es blies feuchte Luft durch die Nasenöffnungen, die wie schmale Schlitze auf der Spitze der Schnauze saßen.
Agathe schrie entsetzt auf und stürzte mitsamt des Leuchters nach hinten um. Die Kerze fiel zu Boden und bevor das Licht erlosch, konnte sie erkennen wie sich die Kreatur vornübergebeugt, ähnlich einer Hyäne, auf allen Vieren Richtung Tür bewegte. Der schlanke, drahtige Körper schob sich an der halb geöffneten Schlafzimmertür vorbei und verschwand in den Schatten. Die Kerze ging aus und ließ Agathe in der Dunkelheit zurück, doch diese hatte bereits das Bewusstsein verloren und bemerkte davon nichts. Mühsam und mit schmerzenden Gliedern, stemmte sich die alte, graue Dame mit dem von blauen Flecken übersäten Körper hoch. Die Sonne hatte das Zimmer bereits erhellt und nachdem ihr Gedächtnis die gestrige Nacht rekonstruiert hatte, begab sie sich vorsichtig aus dem Zimmer heraus und nach unten. In ihrem jetzigen Zustand hätte sie keinerlei Gegenwehr leisten können. Doch in gewisser Weise beruhigte sie der Gedanke daran, dass sie selbst keinen Einfluss auf das nehmen konnte, was nun auch immer folgen würde. Als wäre eine Last von ihr genommen worden, die ihr immer nur befohlen hatte in jeder Situation stark zu sein. Wenn das Monster noch da wäre, würde es sie zerreißen und damit dem Ganzen ein Ende setzen.
Vielleicht verlor sie auch einfach ihren Verstand. Sie konnte sich nicht erklären was sie aufgesucht hatte, warum es da war oder wieso es sie gottverdammt zu Tode ängstigte ohne ihr tatsächlich etwas anzutun. Mit zittrigen Beinen stieg sie die steile Treppe hinab. Die ohnehin schon abgetretenen Holzstufen wiesen viele frische Kratzer auf, die auf die Krallen der Bestie hindeuteten. Unten angekommen, bot sich ihr fast das gleiche Bild wie beim letzten Mal. Nichts war berührt worden. Alles war intakt. Zu ihrer Überraschung war die Haustür geschlossen. Wie war es ins Haus gekommen? Es hatte wohl kaum die Tür hinter sich geschlossen. War dies alles überhaupt real? Vielleicht war es eine Arte Dämon oder eine andere geisterhafte Erscheinung...oder...hatte sie sich das alles nur in ihrem weicher werdenden Hirn zusammengesponnen?
“Alles Schwachsinn!”
Fluchte Agathe. Weder wurde sie senil, noch war ihr ein Geist erschienen. Sie hatte gesehen, was sie gesehen hatte.
Also suchte sie weiter nach der Lösung dieses Rätsels. Diese fand sie schließlich im Keller.

Die Tür stand offen, ebenso die Luke der Kohlenrutsche, die von draußen hineinführte. Es hatte sich durch die beiden Holzklappen gezwängt, die die Rutsche von außen verschlossen, die aber kein Schloss besaßen und war so in den Keller gelangt. Vermutlich hatte sie die Tür, die vom Keller ins Haus führte nicht richtig geschlossen oder sie nur angelehnt. Sie durchsuchte alles und stellte fest, dass einige ihrer Vorratssäcke aufgerissen worden waren. Ein Sack Kartoffeln war überall verteilt und zum Teil angefressen worden. Karotten, Kohl und einige Konserven lagen ebenfalls am Boden und der Speck der an einem Haken von der Decke gehangen hatte, war verschwunden. Nachdem es den Keller verwüstet hatte, war es einfach durch die offene Tür nach oben gelangt.
Agathe setzte sich auf die unterste steinerne Treppenstufe und ließ entkräftet den Kopf in ihre Hände sinken.
Sie selbst hatte das Böse angelockt und nun wurde sie es nicht mehr los.

Sie saß einige Zeit auf der kalten Treppe und zerbrach sich den Kopf über ihre Lage. Sie verwarf den Gedanken an eine skurrile, übersinnliche oder dämonische Macht. Es war kein Geist oder Teufel, der sie hier heimsuchte. Auch wenn das Wesen ihr unbekannt war und sie nie auch nur etwas ansatzweise Vergleichbares gesehen hatte, so wusste sie doch, dass es im Grunde nur ein Tier war. Es folgte seinem Instinkt, stillte seine Bedürfnisse und reagierte auf seine Umwelt. Es war nur ein fremdartiges Lebewesen. Agathe strich sich nachdenklich durch ihre zerzausten Haare. Wenn es nun, da war sie sich sicher, ein Lebewesen war, so musste es, so wie jedes andere Lebewesen auch sterben können. Das einzige Problem dabei schien, dass es aber weder von allein, noch freiwillig sterben würde. Das letzte Mal war sie kalt erwischt worden, doch das würde ihr nicht noch einmal passieren.
Mit neuerlichem Tatendrang, durchsuchte sie den alten Bretterschuppen, der neben dem Haus stand und als Werkzeuglager diente nach etwas, was ihr zur Verteidigung dienen könnte. Das einzig Nützliche schien ihr ein schweres, altes Beil zu sein. Dieses hatte zwar schon einige Jahr auf dem Buckel, trotzdem war noch in einem überraschend gutem Zustand.

Kaum war es Abend geworden, machte sich Agathe an die Vorbereitungen. Sie konnte natürlich nicht wissen wann und ob das Biest überhaupt auftauchen würde, aber keinesfalls wollte sie wieder von ihm überrascht werden. Davon abgesehen hatte sie ein merkwürdiges, kaum definierbares Gefühl, dass es nur auf die Dunkelheit wartete, um zurückzukehren. Diesmal wollte sie ihm keine Gelegenheit geben ins Haus zu gelangen. Sie schloss die Haustür wie gewohnt und versicherte sich auch davon, dass die Kellertür diesmal geschlossen war. Den Schlüssel zum Keller hatte sie schon vor Jahren verloren, doch sie vertraute darauf, dass das Tier nicht in der Lage sein würde eine Klinke zu betätigen. Zwar gab es kein Schloss bei den Türen der Kohleschütten, doch sollte es ruhig im Keller hocken, wenn es erneut dort eindrang. Zur Sicherheit stellte sie noch eine Vase (eine die sie schon immer hässlich fand) auf einen Schemel und platzierte diesen genau vor der Tür zum Keller. Sollte es, wie auch immer in der Lage sein die Kellertür zu öffnen, so würde sie wenigstens lautstark davon informiert werden.
Einigermaßen beruhigt ging Agathe früher als gewohnt zu Bett. Das Einschlafen fiel ihr diesmal schwerer als üblicherweise. Sie hatte stets das Gefühl, als würde sie Bewegungen oder Geräusche im Raum wahrnehmen. Sie versicherte sich mehrfach davon, dass sich nichts heimlich eingeschlichen hatte und schlief schließlich doch ein. Das Beil lag griffbereit an ihr Nachtschränkchen gelehnt.

7
Wie einstudiert griff Agathe zielsicher nach dem Beil und schwang sich aus dem Bett, nachdem ein lautes Klirren sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Sie war sofort wach und ihr Puls raste. Einen Moment war sie sich nicht sicher ob sie tatsächlich etwas gehört hatte oder ob es nur ihre Einbildung gewesen war. Doch egal was von beiden zutraf, sie konnte sich definitiv nicht wieder hinlegen bevor sie es überprüft hatte. Den Gedanken an die Angst, die sich vermutlich verspüren würde, hatte sie bei ihren Vorbereitungen nicht berücksichtigt, doch nun war es zu spät dafür. Ihre zittrigen Hände hielten das Beil und den eben entzündeten Kerzenleuchter. Sie schob den Riegel der Tür mit dem Fuß des Leuchters zur Seite und öffnete leise die Tür. Das Treppenhaus lag im Dunkeln vor ihr und die flackernde Kerze schaffte es gerade eben dieses bis zur Hälfte zu beleuchten. Langsam und auf ihre Schritte bedacht stieg sie die Treppe herunten. Sie drückte den Stiel des Beils so fest, dass ihr die Finger schmerzten, jederzeit bereit das zu zerhacken, dass ihr vor die Augen trat. Sie hatte den Flur bis zur Kellertür durchquert. Der Schemel war tatsächlich umgestoßen worden. Die Scherben der hässlichen Vase waren weit über den Boden verteilt und beinahe wäre Agathe hineingetreten. Mit dem schwachen Licht versuchte sie den vor sich liegenden Weg auszuleuchten, um nicht von der Bestie aus einer dunklen Ecke angesprungen zu werden. Sie ging an der geschlossenen Tür zur Küche vorbei in Richtung des Wohnzimmers. Das nur noch glimmende Feuer im Kamin erhellte nur einen kleinen Bereich vor diesem und so schritt sie langsam den ansonsten schwarzen Raum von Ecke zu Ecke ab.
Nichts…
Es war nicht hier.
Vielleicht war es vom zerschellen der Vase aufgeschreckt worden und durch den Keller zurück nach Draußen geflohen. Vielleicht saß es aber auch noch dort unten. Agathe konnte vor Anspannung und Furcht kaum noch die Kerze halten, so stark zitterte ihre Hand. Nur das Beil hielt sie nach wie vor so fest, als wäre es ein Teil ihres Armes. Noch einmal schritt sie den Flur in Richtung der Kellertür ab. Sie hielt die Kerze nah am Boden, um diesen gut auszuleuchten und nicht doch noch in eine der Scherben zu treten. Sie passierte erneut die Küchentür und blieb abrupt stehen.
Die Tür stand offen.
Sie war sich fast sicher gewesen, dass die Tür geschlossen gewesen war, als sie den Flur das erste Mal durchquert hatte. Sie streckte den Arm mit der Kerze aus um den Bereich aus der Entfernung auszuleuchten, als etwas aus der Dunkelheit heraus ihren Arm packte. Erschrocken ließ sie den Leuchter fallen, als sie auch schon an ihrem Arm in den Raum gezogen wurde. Sie konnte sich gerade so auf den Beinen halten und hob das Beil, dass sie noch in der anderen Hand hielt. Sie holte damit aus um auf die Hand, die sie am Arm gepackt hatte und noch immer festhielt einzuschlagen, als das Beil in der Abwärtsbewegung aufgehalten wurde. Eine Zweite kräftige Hand hatte den Stiel ergriffen. Ihr Arm wurde kräftig hin und her geschüttelt, doch sie hielt mit aller Kraft ihre Waffe fest. Dies war ihre einzige Chance. Würde sie sie loslassen wäre sie erledigt. Sie stemmte sich mit aller Kraft gegen ihren Angreifer und versuchte ihren Arm frei zu bekommen. Doch das angreifende Wesen war zu stark. Es hob ihren Arm so weit nach oben, dass es die kleine Frau fast von den Füßen hob. Dann drückte es ihn mit einem starken Ruck nach hinten. Der hintere Teil des Beils traf Agathe kräftig oberhalb der Augenbraue. Ihr Griff löste sich und sofort wurde ihr ihr letztes Mittel zur Verteidigung entrissen. Der Schlag warf sie nach hinten um und sie schlug hart auf dem Küchenboden auf. Der Kerzenleuchter lag auf der Seite, etwa einen Meter von ihr entfernt am Boden. Die Kerze war, trotz des Aufpralls in ihm stecken geblieben und brannte noch. Benommen griff sie sich ins Gesicht und spürte das warme Blut, dass bereits über die Braue in ihr Auge lief. Sie stemmte ihren Oberkörper nach oben und schob sich mit den Beinen von ihrem Angreifer weg, bis sie mit dem Rücken gegen den Küchenschrank stieß. Im Schein der Kerze vor sich, konnte sie die Füße des Angreifers sehen. Doch sie sah keine langgezogenen, Fell bedeckten Füße, sondern zwei lederne Stiefel vor sich stehen. Sie Blickte nach oben, sah das gesenkte Beil in der rechten Hand des Angreifers und sein schwach beleuchtetes Gesicht. Ungläubig bewegten sich ihre Lippen, ohne dass sie etwas herausbrachte…
Was geschah hier?
Sie hatte eine tierische Bestie erwartet und nun stand plötzlich ein Mensch vor ihr. Dieser war jedoch kaum weniger bedrohlich als das Biest.
Wie war das möglich?
Sie starrte in die groben Gesichtszüge des Mannes vor sich. Sein Blick fixierte die am Boden liegende Frau und langsam näherte er sich ihr. Sein Ausdruck war eiskalt und ließ keine Gefühlsregung erkennen. Seine kräftige Hand umschloss den Griff des Werkzeugs und er wiegte es von auf und nieder, als er sich ihr näherte. Er schritt an der Kerze vorbei, die ihr Wachs auf den Küchenboden tropfen ließ. Sein Gesicht verdunkelte sich wieder, als ihn das Licht nur noch von hinten anstrahlte. Er hatte sie erreicht und beugte sich langsam zu ihr runter. Seine linke Hand schloss sich um ihren Hals und hob sie mit großer Kraft nach oben, bis ihre Füße in der Luft baumelten. Agathe keuchte und ihre schwachen Hände krallten und kratzen an seiner, um ihre Kehle frei zu bekommen, doch konnten sie nichts ausrichten. Schwarze Handschuhe schützten seine Haut, doch selbst ohne diese hätte sie wohl kaum nennenswerten Schaden angerichtet.
Sie hatte nie eine Chance gehabt. Der Mann, der hier eingedrungen war, war groß, breitschultrig und kräftig. Mühelos hatte er ihr die Waffe abgenommen und genauso mühelos würde er ihrem Leben nun ein Ende setzen. Um sie herum wurde es leiser. Die kleinen Äderchen in ihren Augen begannen zu platzen und verfärbten das Weiße darin rot. Ihre Arme erschlafften ... da sah sie einen Schatten der sich hinter dem Angreifer aufbaute, der gerade das Beil erhob um es Agathe in den Schädel zu schlagen.
Lange, spitze, weiß glänzende Zähne gruben sich tief in den rechten Arm des Angreifers. Die linke ließ sofort vom Hals der alten Dame ab, welche nach Luft schnappend zu Boden fiel.

Vor dem Küchenschrank zusammengesunken, konnte sie beobachten wie die Kreatur den Arm des Mannes, den sie fest in ihren Kiefern hielt mit einem kräftigen Ruck verdrehte. Das dumpfe Knacken war nicht zu überhören, ebenso wie das schmerzerfüllte Schreien des Mannes. Das Beil war zu Boden gefallen und die Hand, welche es gehalten hatte, zeigte in einer unnatürlichen Richtung vom Rest des Armes weg, als die Kreatur diesen los ließ. Mit in Panik aufgerissen Augen starrte der Einbrecher erst seine verdrehte Hand und dann das Wesen an. Es stand auf den Hinterläufen und überragte ihn damit um einiges. Das lippenlose Grinsen blitzte ihn an und die starren Augen fixierten ihn. Wie versteinert stand er da, während das Blut seines Armes auf den Boden floss. In dem Augenblick in dem ihm seine Beine wieder zu gehorchen schienen, wandte er sich um und stolperte zur Küchentür. Er trat auf den Kerzenleuchter, welcher unter seinen Füßen hinweg rollte und ihn damit aus dem Gleichgewicht brachte. Er stürzte der Länge nach schwer hin. Der kaputte Arm, mit dem er unbedachter Weise versucht hatte sich abzufangen, knickte beim Aufprall nur noch weiter zur Seite. Gequält schrie er erneut auf und versuchte nun kriechend zu entkommen. Seine Stiefel fanden auf dem blutverschmierten Untergrund keinen Halt, was seine verzweifelte Flucht noch mehr erschwerte. Die Kreatur ließ sich herab und schritt mit einer beinahe katzenartigen Eleganz auf ihn zu. Der Einbrecher wimmerte vor Schmerz und Angst. Speichel tropfte zwischen seinen hämmernden Atemzügen aus seinem Mund und floss in langen Fäden nach unten.
Er spürte wie sich sie spitzen Zähne von hinten in seinen Nacken legten. Dann der Schmerz als diese langsam die Haut durchstießen und zuletzt das knacken seiner eigenen Halswirbel, als die Bestie diese mit dem gewaltigen Druck seiner Kiefer brach. Sein Körper erschlaffte. Das Wesen hielt ihn noch einen Moment fest, bevor es sein Maul öffnete und ihn zu Boden sinken ließ.
Agathe hatte alles beobachtet. Noch immer benommen, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Eingesunken saß sie vor dem Küchenschrank, die Arme schlapp nach unten hängend. Die Kerze war inzwischen erloschen und sie konnte nur schemenhaft erkennen was nun passierte. Die grauenhaften Geräusche hatte sie jedoch mehr als deutlich vernommen.

Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit und das Tier, dass sich ihr auf allen vieren näherte wurde deutlicher.
Sie war ruhig.
Vielleicht war es die Benommenheit durch den Schlag oder einfach die Akzeptanz für das, was nun folgen würde, aber auf jeden Fall gab es keinen Grund mehr für Angst. Es lag nicht mehr in ihrer Macht. Das Wesen hatte sie erreicht und ließ sich vor ihr auf dem Boden nieder. Es schaute sie mit seinen durchdringenden Augen an, doch Agathe erkannte nichts Bedrohliches in ihnen. Das Tier saß, die Luft aus seinen Nasenschlitzen pustend vor ihr und musterte sie. Seine Zähne und das kurze Fell um sein Maul waren von Blut bedeckt. Eine Weile blickten sie sich so an. Agathe sah, dass das Monster, welches sie gefürchtet hatte, gar keines war. Es war tatsächlich nur ein Tier ... und es schien keinerlei Interesse daran zu haben ihr etwas anzutun. Irgendwann erhob es sich wieder, schritt an dem toten Einbrecher vorbei und verschwand wieder in der Dunkelheit.

8
Agathe wrang den blutigen Lappen über dem verbeulten Metalleimer aus. Sie würde einen weiteren Eimer Wasser benötigen, um das Blut vollständig los zu werden. Sie hatte einen großen Verband um ihren Kopf gewickelt, der ihre aufgeschlagene Braue verdeckte. Es sah schlimmer aus als es war. Die Wunde würde gut verheilen und das riesige Blaue Fleck würde verschwinden.

Sie war am Morgen erwacht, nachdem sie vor Erschöpfung neben dem Küchenschrank eingeschlafen war. Der Anblick den die Küche bot war alles andere als schön, doch verglichen der Furcht, die sie so lange verspürt hatte, war es nichts. Der Körper des Mannes, der in ihr Haus eingedrungen war, lag reglos am Boden. Eine große Blutlache hatte sich um ihn gebildet, die bereits zu trocknen begonnen hatte. An den Füßen hatte sie ihn ins Freie geschleppt und mit einer Schubkarre in den Wald gebracht. Sie war noch zu angeschlagen um ein Loch für ihn auszuheben, also musste er wohl im freien liegen bleiben. Aufgrund der Tatsache, dass der Mann nur in ihr Haus gekommen war um sie zu berauben und zu töten, verspürte sie kein schlechtes Gewissen dabei ihn hier draußen von Tieren zerfetzen zu lassen. Niemand würde nach ihm suchen und selbst wenn doch, würden in ein paar Wochen nichts außer ein paar Knochen von ihm geblieben sein. Danach begann sie mit dem säubern des Hauses.
Am späten Nachmittag füllte sie eine neue Tonschüssel, eine die wesentlich mehr Inhalt fasste als die vorige, mit reichlich Futter und stellte diese an ihren gewohnten Platz im Garten. Sie schaute sich nicht nach ihrem Beschützer um, da sie bereits wusste, dass sie ihn nicht erblicken würde. Sie musste ihn auch nicht sehen um zu wissen, dass er da war. Er würde sie aus den Schatten heraus beobachten. Genau dort, wo die Wiese an den Wald grenzte. Was er war oder woher er kam war unwichtig. Das einzige was sie sicher wusste, war, dass er auch weiterhin auf sie aufpassen würde.

 

Hallo Quan,

und willkommen bei den Wortkriegern.

Ich vermute mal, dass du noch nicht so lange schreibst. Umso schöner, dass du den Weg hierhin gefunden hast, wo du dein Hobby mit uns teilst und wo du sehr viel lernen kannst.

Dein Text enthält jede Menge Fehler und ist haarscharf am Korrektur-Center vorbeigeschrammt. Dann sind noch jede Menge stilistische und formelle Dinge, die ausbaufähig sind.
Das könnte auch der Grund sein, dass viele Leser schon früh aussteigen.
Der Reihe nach (Beispiele):

Der Beobachter Der Beobachter
1
Agathe
Schau mal, du hast den Titel doppelt und da fehlt ein Absatz.
Über den "bearbeiten"-Knopf am Ende der Geschichte kannst du deinen Text ändern.

Agathe knotete die Bänder ihrer blassblauen Stoffhaube unter ihrem Kinn zusammen und öffnete die Tür zum Garten.
Du hast allgemein viel Überflüssiges im Text.
Ich denke, dass du gut und gerne um ein Viertel kürzen könntest und der Text nichts verlieren würde, sondern eher knackiger, prägnanter und einfacher zu lesen sein wird.
Dass man eine Kopfhaube mit Bändern unter dem Kinn zusammenbindet ist logisch. Das muss du nicht extra sagen.
Ist die Farbe wichtig? Der ganze Text strotzt nur so von Farben.
Vorschlag:
Agathe knotete die Stoffhaube zusammen und öffnete die Tür zum Garten.

Der Boden war bedeckt von den abgeworfenen Blättern der Bäume und Agathe verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, dass sie sich wohl oder übel in nächster Zeit zum zusammenharken dieser Blätter aufraffen musste.
Viel zu umständlich. Warum beschriebst du das einfache Wort "Laub" mit vier Wörtern?
Dann hast du Blätter zweimal drin. Ist mir auch im Text aufgefallen, dass du dich sehr oft wiederholst.
Dann könntest die langen verschachtelten Sätze mal ruhig in mehrere teilen.
"Beim Gedanken" ist auch klar. Kann weg.
"Wohl oder übel" plus "aufraffen" ist too much. Es reicht eine Beschreibung.
"in kurzer Zeit" kann man mit einem Wort sagen.
Vorschlag:
Der Boden war laubbedeckt. Agathe verzog das Gesicht, da sie alles wohl oder übel bald zusammenharken musste.

Doch vorerst musste sie wohl warten (KOMMA) bis das Wetter besser werden würde.

Mit knackenden Knien bückte sie sich nach der Schüssel, welche zu ihrer Überraschung restlos sauber geleckt zu sein schien.
"Die Schüssel schien sauber." Zu unpräzise. Die Schüssel ist recht übersichtlich, es gibt nur zwei Zustände: sauber oder schmutzig.
"Welche" anstelle von "die" ist altertümlich und m.E. nicht schön. Entweder streichen oder durch "der/die/das" ersetzen. Hast du öfter.
"zu ihrer Überraschung": Kürzen! Wer soll sonst überrascht sein?
Vorschlag:
Mit knackenden Knien bückte sie sich nach der Schüssel. Überraschenderweise war sie restlos sauber geleckt.

Nachdem sie die Schüssel wieder gefüllt und sogar eine extra große Portion für ihren scheinbar sehr hungrigen Besucher dazu getan hatte erhob sich Agathe mühselig und begab sich, diesmal mit dem Wind im Rücken zurück ins Haus.
Adjektiv-Overkill. Im gesamten Text.
Überleg, was absolut(!) wichtig ist.
Warum wieder "scheinbar"? ist doch eigentlich ganz klar.
Vorschlag:
Nachdem sie die Schüssel für die hungrigen Besucher noch mehr als vorher gefüllt hatte, erhob sich Agathe mühselig und begab sich, diesmal mit dem Wind im Rücken(KOMMA) zurück ins Haus.

aufgestapelten Haufen Brennholz
Es reicht:
"aufgestapeltes Brennholz"
"Haufen" ist m.E. das Gegenteil von "aufgestapelt".

das hinterhertrauern
Hast du öfter im Text.
Stichwort "Substantiviertes Verb": das Hinterhertrauern

ihr Buch weiterzulesen, welches sie
das sie

die mit Blumen bestickte Gardine
wichtig?

abgestorbenen Blätter
= Laub

rötlich gefärbten Wald
wichtig?

wartete nur darauf (KOMMA) das (dass) die Luft rein war….
Drei Punkte und Leerzeichen, wenn das folgende Wort vollständig ist.
Also: war ...

die Tiere, welche sich
die sich

Meist waren es nur Katzen, manchmal ein Igel oder auch mal ein Fuchs, aber nie hielten sie sich für längere Zeit in der Gegend auf.
"nur, meist, manchmal, oder auch mal, aber nie": Einfach zu viel.
Vorschlag:
Meist waren es Katzen, manchmal ein Igel der ein Fuchs, die sich nie für längere Zeit in der Gegend aufhielten.

die kleine Frau
wissen wir schon

dunkelgrünen Stoffsessel,
Farbe wichtig?

dunkelgraue Kater
dto.
Benenne doch besser die Rasse.

kleinen Schüssel
wissen wir schon

Er hatte längst erkannt, dass er so bedrohlich wirken konnte wie er wollte, dennoch war er nicht halb so bedrohlich wie das was sich geradewegs auf den Napf zu bewegte.
bedrohlich, bedrohlich
Der ganze Satz ist unnötig verkompliziert.
"hatte längst erkannt" = "wusste"
Vorschlag:
Er wusste, dass er nicht halb so bedrohlich wirken konnte, wie das, was sich ...

Er hätte bereits die Flucht ergriffen, hätte er dafür der Bedrohung nicht den Rücken zuwenden müssen.
hätte, hätte, Fahrradkette
"die Flucht ergriffen": Kürzen!
Vorschlag:
Er wäre längst gefluchtet, hätte er dafür ...

müsste. 3
Es
Formatierung.

“Ach verdammt!”
Rief Agathe
Siehe mal hier: www.wortlicherede.de
Anführungszeichen vorne unten. Kein Zeilenwechsel.
Korrekt:
"Ach verdammt!", rief Agathe.

ein rötliches Licht, dass (das) über
Farbe wichtig?

“Heute krieg ich dich”
Sprach sie
"Heute krieg ich dich", sagte sie.
Oder: "Heute krieg ich dich!"
Es ist ja klar, wer da spricht.

hre Arme erschlafften...da
erschlafften ... da
Ohne Leerzeichen nur, wenn Wort unvollstän...

Viel Erfolg bei der Überarbeitung.
Empfehlen kann ich auch, andere Texte zu lesen und kommentieren, sich Gedanken machen, warum man dieses und jenes gut oder schlecht findet. Geben und Nehmen. Da lernt man am meisten bei.

Schönen Sonntag und liebe Grüße,
GoMusic

 

Vielen Dank für die ehrliche Kritik. Es ist tatsächliche meine erste Geschichte und viele Dinge sind noch verbesserungsfähig. Ich werde sie so bald wie möglich überarbeiten. Ich hoffe ich konnte dich trotzdem ein wenig unterhalten.
Liebe Grüße
Quan

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quan,

auch von mir ein herzliches Willkommen hier. Schön, dass du gleich auf den ersten Komm geantwortet hast, und wenn du durchaus bereit zur Textarbeit bist, lasse ich dir auch ein paar Eindrück da. Vorab: Ich habe nach dem ersten Absatz bereits mit dem Skippen begonnen, erst nur einzelene Sätze, dann aber schnell ganze Absätze ausgelassen und die anderen Teile im Quickead überflogen. Da muss ich mich GoMusic anschließen (obwohl wir - glaube ich - meist verschiedene Geschmäcker haben) und sogar raten, nicht um, sondern auf ein Viertel zu kürzen.

Dass du zu viel Zeit mit dem Aufdröseln von Setting und Atmosphäre verbringst, hätte ich bei einem Roman genauso moniert: was du beschreibst, lenkt in dem Detail zu sehr von der Figur, dem Thema und dem Plot ab (der übrigens auf eine Entwicklung bezogen sehr schwach ist).

Zwei Haupttipps:
- Blickführung / Leserführung. Schau doch mal, dass du nicht so viele Infos hinterherschiebst, und die Sätze mehr danach strukturierst, wie der Leser die Infos / Bilder aufnehmen sollte.
- Plot: Ich meine, du möchtest etwas Ähnliches erreichen wie Gabrielle Wittkop-Ménardeau in ihrer Kurzgeschichte "Hass" (in: Hans Rauschning: Französische Gespenstergeschichten) - eine durchaus fragile Person ist allein in einem Landhaus und merkt, dass ein Wesen, das Wasser und Erdbeeren stiehlt, es eigentlich auf sie selbst abgesehen hat. Auch dort geht es nicht um eine direkte Konfrontation und am Ende bleibt offen, ob das Wesen existierte oder eine Halluzination war. Dennoch ist die KG äußerst gruselig, vermittelt Bedrohung und Verzweiflung, Ausgeliefertsein auf sehr kurzer Strecke (eventuell kürzer als dein Text hier).

Wenn du Horror schreibst, dann ist es okay. nicht zu blutig / temporeich etc. zu werden, aber dein Ende vermittelt plötzlich mehr ein modernes, esoterisch angehauchtes Märchen. Vllt. lese ich daher deine Prämisse bzw. Intention auch falsch.

Details:

Agathe knotete ihre Stoffhaube unter ihrem Kinn zusammen und öffnete die Tür zum Garten.
Klar, das sind zwei abgeschlossene Handlungen, aber die wirken durch die Gleichstellung sehr arbiträr.
Ein für diese Jahreszeit ungewohnt kalter Wind stieß ihr entgegen.
Okay, ich als Leser weiß ja aber gar nicht, welche Jahreszeit dort gerade herrscht. Die Info ist also Nonsense.
Beinahe hätte er ihr die schwere Eichentür aus der Hand gerissen, die sie nur mit einer Hand gehalten hatte. In der anderen hielt sie den Topf mit den Essensresten des Vortages.
Das meinte ich mit 'Nachschieben von Infos': Als sei dir grad eingefallen, dass du dem Leser ja noch sagen, musst (warum eigentlich?), dass sie dafür nur eine Hand genommen hat. Was anderes hätte wohl niemand erwartet - eine Erwähnung wäre es nur wert gewesen, wenn sie die Hände voll gehabt und die Tür mit dem Knie aufgestoßen hätte. Sonst macht man eine Tür ja gemeinhin mit einer Hand auf. ;-)
Mit knackenden Knien bückte sie sich nach der Schüssel, die überraschender Weise sauber geleckt worden war.
Das 'überraschenderweise' ist für mich an dieser Stelle genauso unsinnig wie oben das 'für diese Jahreszeit'. Warum ist es überraschend, dass etwas Essbares in einem Gaten von irgendeinem Tier gefressen wird? Und warum sollte das Tier etwas übrig lassen? Was soll das 'überraschend' hier bewirken?
Nachdem sie die Schüssel diesmal mit einer extra großen Portion für ihren sehr hungrigen Besucher gefüllt hatte, erhob sich Agathe mühselig und begab sich, diesmal mit dem Wind im Rücken, zurück ins Haus. Sie drehte sich noch einmal um, um vielleicht einen Blick auf ihren gefräßigen Gast zu erhaschen, doch sie konnte keine Bewegung im Garten feststellen.
Die - übrigens sehr verschwurbelten - Sätze vermitteln mir zwei gegensätzliche Eindrücke:
- 'ihr Besucher' / 'gefräßiger Gast' lege nahe, dass sie genau weiß, um was es sich handelt. Warum wird dem Leser das verschwiegen?
- 'Blick erhaschen' sagt man eher, wenn man nicht weiß, was genau man sehen wird. Man will damit etwas herausfinden.
Mit diesen beiden Sätzen kann ich daher nix anfangen, da ich - obwohl so viele Worte verwendet wurden - keine Information bekomme, in welchem Verhältnis sie sich dazu sieht: Hat sie Angst, ist das mehr eine Opfergabe / Beschwichtigung, ist das ein verwildertes Haustier, findet sie das niedlich oder bedrohlich? Ihre Gefühle zu ihren eigenen Handlungen und dem "Besucher" werden nicht deutlich. Hier aber sollte der Plot etabliert werden.
Sie schloss die Tür hinter sich und spähte ein letztes Mal neugierig, aber dennoch erfolglos durch das gesprungene Fenster in der Tür. Die Sonne ging bereits unter und ließ das kleine, etwas in die Jahre gekommene Haus ungemütlich düster und trostlos wirken.
Das geht alles prägnanter. "Neugierig" ist auch eher spielerisch-entspannt, das passt nicht dazu, wie du das Setting hier einführst: alt, düster, einsam. Hier müssten passendere Worte gefunden werden, um deine Geschichte zu erzählen. Gerade wirkt das extrem unentschlossen (oder ungenau, nachlässig).
p.s. "In die Jahre gekommen" ist hier falsch verwendet, weil das eine stehende Redensart ist, die sich ausschließich auf Personen bezieht.

Unter der Schüssel, geschützt vor Wind und Wasser, war ein Abdruck zu erkennen.
Ungläubig starrte Agathe auf den Boden vor ihr. Der Napf war ungefähr zwei Hand breit, dennoch hatte er den Abdruck nur zur Hälfte abgedeckt. [Wie kommt das dazu? Hat das Vieh den Napf verrückt?] Die Zehen und ein Teil des Fußes waren zu sehen, der Rest verlief sich im Schlamm. Was sollte einen solch großen Abdruck hinterlassen haben. Er war viel zu groß für eine Katze und selbst Hunde oder Wölfe hinterließen wesentlich kleinere Spuren. Die Zehen waren lang und schmal und der Teil des Fußes, der zu erkennen war schien [da sie das deutlich sehen kann, ist schien (= etwas wirkt anders als es tatsächlich ist) falsch] auch eher länglich zu sein. Da er sich tief in den Matsch gedrückt hatte, vermutete Agathe, dass das Tier außerdem recht schwer gewesen sein musste. Vielleicht war es nur mehrfach in die gleiche Spur getreten und hatte diese dabei vergrößert, kam es ihr in den Sinn, doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder.
Schau mal, wie oft du hier dasselbe sagst - sowas hält auf. Du hast ja Horror und Spannung getaggt, da kannst du auch ein bissl was beim Leser voraussetzen.
Zudem: Man sieht ja wohl den Abdruck, nicht den Fuß, einen Teil des Fußes bzw. ein Bein. Vorsicht, das ergibt Unsinn.
“Heute krieg ich dich”, sprach sie zu sich selbst und nickte zufrieden
Das ist dem Fund der riesigen Krallenspuren aber absolut nicht angemessen, und wirkt so, als wolle sie eine Maus fangen. Ich fürchte, du musst dich auch noch zusätzlich um nachvollziehbarere Figuren (Stichwort: Psychologie) kümmern. Hier klingt das schon nach Slapstick.

Soviel erstmal dazu, ich rate: Mut zum radikalen Kürzen. Weniger Adjektive / Adverben, v.a. wenn deine Verben / Substantive das alles schon allein ausdrücken können.

Und ja: Ich rate dir auch, viel selbst zu kommentieren, gerade wenn du gerade mit dem Schreiben begonnen hast. Das hilft dir ggfs. mehr als den Kommentierten.

Viele Grüße,
Katla

 

Hallo Katla,
vielen Dank auch an dich. Einige Punkte sind mir durchaus begreiflich. Bei einigen muss ich dir aber leider widersprechen. Du sagst du überspringst Teile oder sogar Absätze in der Geschichte, aber wie kannst du dann eine Aussage zur Handlung machen? Du sagst die Person würde den Anschein erwecken, sie würde den Besucher kennen. Ich denke jedoch das deutlich würde, dass sie nicht wusste was sie besucht hatte.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Quan

obwohl ich es schon für eine relevante Aussage halte, wenn Leser sagen, sie seien ausgestiegen oder hätten eine Geschichte überflogen, will ich dir als Neumitglied auch nicht Unrecht tun und habe den Text wirklich durchgelesen. Am Ende erklärt sich tatsächlich die wahre Funktion des Tieres/Monsters. Aber hast du selbst den Eindruck, dass der Vorlauf bis zu diesem Twist in dieser Länge notwendig ist? Das ist damit eine Pointengeschichte, und die funktionieren nur auf Kürze (ähnlich wie bei Witzen, auch wenn sie nicht witzig sein sollen). Diese lange Hinführung ist in dieser Form eine Irreführung des Lesers, der ja idealerweise Emotionen investieren soll - und dann war alles nicht so schlimm. Im Horror erwartet man doch eher das Gegenteil: Etwas scheinbar Harmloses, Vertrautes, entpuppt sich als das, wovor man sich fürchten sollte. Da hatte ich mit dem Märcheneindruck gar nicht so unrecht.
Plot: In 7/8 des Textes dräut es ja nur: Was ist das im Garten? Der

Einbrecher
wirkt wie ein deus ex machina - wäre er nicht aufgetaucht (und wie wahrscheinlich ist seine Auswahl, wo doch die alte Dame in so einem alten, schlecht instandgehaltenen Haus lebt?), wie lange wäre das Spiel mit dem Napf noch gegangen? Wie hast du die spekulative Logik konzipiert? Warum offenbahrt sich das Wesen nicht, und warum
wartet es mit dem Eingreifen, bis der Mann die Dame fast getötet hat, wo er - das 'Monster' - doch wohl nur dazu da ist, sie zu bewachen
?

Du sagst die Person würde den Anschein erwecken, sie würde den Besucher kennen. Ich denke jedoch das deutlich würde, dass sie nicht wusste was sie besucht hatte.
Diese Aussage habe ich dir allerdings begründet: deine Wortwahl ergibt widersprüchliche Aussagen. Jetzt, da ich alles gelesen habe, kann ich dir sagen, dass das noch an sehr vielen anderen Stellen so ist. Das kann beim Schreiben leicht passieren, aber beim Editing wäre sowas auszukämmen.

Ich kann schon verstehen, wenn du nicht begeistert über eine solche Rückmeldung bist. Aber gerade, wenn du selbst sagst, dass du noch am Anfang stehst, ist das doch völlig okay. In diesem Text steckt noch eine Menge Arbeit (ja, die Fehlerdichte finde ich auch grenzwertig), aber es ist mAn ein idealer Text, um verschiedene Techniken / Strukturen zu lernen. Kürzen ist auch immer leichter, als ganze Absätze dazuzusetzen.

Toi toi toi, ich wünsche dir wirklich viel Erfolg bei der Textarbeit und noch viel Spaß hier. :-)

Viele Grüße nochmal,
Katla

 

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