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Der beschlagene Spiegel

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09.09.2004
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Der beschlagene Spiegel

DER BESCHLAGENE SPIEGEL

1.


Wie banal doch der Tod ist, dachte Volker Kleemann, wie seltsam unspektakulär, während er mit bloßen Händen den feuchten Waldboden aufwarf. Nur ein Verlust des Mediums „Zeit“, ein simples Anhalten auf seiner linearen Strecke, während die Lebenden darauf weiter und davon reisten. Die Toten waren nicht fort, weder ausgelöscht, noch im fernen Jenseits irgendeiner Religion; sie waren noch da, noch existent – nur nicht mehr im Jetzt, zu diesem Zeitpunkt. Der Beweis lag neben ihm auf dem schwarzen kalten Boden. (Ja kalt, denn die Jahreszeit für Spätpicknicks war definitiv seit Wochen vorüber. – Und war nun deshalb der Sommer nicht mehr existent? Definitiv doch!) Während er weiter grub, indem er seine Hände wie diese kleinen Schaufeln zur Grabpflege einsetzte, starrte er immer wieder in das Gesicht des toten kleinen Mädchens, in seine toten Augen. Sie sahen im Dämmerlicht bei weitem nicht so grausig aus wie die Augen von Leichen in diesen Gewalt verherrlichenden Filmen, die Kleemann nun seit etwa zehn Jahren kannte, von Grund auf ablehnte und verurteilte.
Ihr Gesicht sah aus wie das scharfe Portrait-Foto eines bei der Aufnahme überraschten Kindes: das perfekte Abbild eines echten lebenden Menschen in einem Null-Zeit-Kontinuum, jede Dynamik, jede Lebendigkeit subtrahiert, völlig erstarrt und dennoch präsent und klar. Er hatte nur ihr inneres Uhrwerk angehalten mit einem schnellen scharfen Stich ins Herz, er hatte ihr nicht weh tun wollen, aber sie musste weg, sie durfte nicht sein, nicht hier zu diesem Zeitpunkt, seinem Zeitpunkt auf dieser linearen Strecke.
Als er fand, dass die ausgehobene Grube groß und tief genug war, nahm er die Leiche auf und legte sie hinein, wie ein Vater sein Kind in die Wiege hebt, behutsam, fast zärtlich.
Er hörte ein Geräusch, ein Knacken hinter sich und wandte sich um. Wabernd zwischen den Konturen der Bäume und des Unterholzes verhinderte der erste Bodennebel des Jahres eine klare Sicht auf die nähere Umgebung. Jetzt war es wieder still. Er lauschte weiter. Bewegungslos. Ein paar Amseln, sonst kein Laut. Kleemann hatte das Gefühl, als beobachte ihn jemand oder etwas aus der grauen Dunkelheit. Hektisch schob, warf und presste er die aufgeworfene Erde in das primitive Grab, stand wankend auf und trampelte alles möglichst platt, wandte sich suchend um und warf ein paar Äste und Reisig über die Stelle. So, das sollte reichen. Er tippte mit dem Ringfinger gegen seine Brille, rückte sie nach oben zurecht und spähte noch einmal ringsum ins Halbdunkel: nichts.
Zeit, sich vom Acker zu machen, dachte Kleemann – und in seinem Brustkorb machte sich diese seltsam vertraute Mischung aus Panik, Kitzel und Euphorie zuerst breit und zog sich dann kaugummiartig zu einem harten Kern im Zentrum zusammen, der gleich darauf explodierte – genau wie er das als Kind unmittelbar nach einem Klingelstreich empfunden hatte. Adrenalintrunken wie von einer Meute Bluthunde gehetzt, rannte er den Weg zurück zu seinem Wagen, fast jauchzend.

Volker Kleemann war Rettungshelfer beim Wisent-Kreuz („DWK“), ein mittelgroßer dunkelblonder Mann, Mitte dreißig mit kindlich klaren, blauen Augen in einem sehr offenen, weichen Gesicht. Trotz sichtlich zunehmenden Wohlstandsspecks um die Taille war sein Körperbau insgesamt doch athletisch anzusehen. Er war der freudig „mit anpackende“ Typ, immer schnell zur Stelle, tüchtig, der häufig für andere einsprang und von seinen vorgesetzten Sanitätern als Helfer sehr geschätzt wurde.
Geschätzt aber auch belächelt, Kleemann spürte das. Er argwöhnte, ob es an seiner Rechtschreib-Schwäche liegen mochte, aber das war unwahrscheinlich, da sein Job kaum Schreibarbeit erforderte; außerdem konnte er ausgezeichnet lesen, war sogar eine ausgesprochene Leseratte und ein Bücherfreund. Umso mehr Einsatz brachte er also bei der Arbeit, angelte nach Anerkennung, aber desto weniger schien ihm irgendjemand zuzuhören; Kleemann verstand das nicht. Das Verhalten der Kollegen blieb ihm rätselhaft.
Er war vor zehn Jahren auf der Suche nach einer festen Beschäftigung von Rügen gekommen – und im Westen geblieben – so wie der Westen für ihn immer der Westen geblieben war. Der Osten hatte sich inzwischen auch zum Westen gewandelt, nur in eine noch viel schlimmere Version. Hier im richtigen Westen hatte er Arbeit, Wohnung und eine Verlobte.
Ja, man war in diesem neuen Staat auf sich selbst gestellt, wenn es um existentielle Belange ging. Man musste bleiben, wo man leben konnte. Der Staat hier tat gar nichts, um seinen Bürgern ein geordnetes, moralisch einwandfreies Leben vorzugeben und darüber zu wachen, es ordentlich von oben herab zu verwalten. Es gab Pressefreiheit, abartige Pornografie, Killerspiele und Gewaltfilme. Arbeitslosigkeit, Armut und das Recht des Stärkeren. Ein Mensch musste in jeder Hinsicht für sich selbst sorgen, für das, was er tat – und für das, was er dachte und fühlte. Kleemann würde sich niemals daran gewöhnen; er würde dieses System, das sich nicht um seine Bürger kümmerte, ob seiner Unfähigkeit und Schwäche immer verachten.

Auf das Kind war er im Stadtpark aufmerksam geworden. Kleemann verbrachte dort gerne nach Schichtende einige Zeit schlicht auf einer Holzbank sitzend, egal ob früh oder spät. Hier konnte er frei durchatmen und im Stillen über sein Leben nachdenken, obwohl er dabei natürlich das Meer vermisste, aber man konnte nicht alles haben. Es hatte auch so etwas Erhebendes.
Er war Nichtraucher und Anti-Alkoholiker, war in einem öffentlichen Lokal höchstens zum Mittagstisch anzutreffen, Kneipenbesuche kamen für ihn nicht infrage. Er kannte wenig Menschen, und wenige Menschen kannten ihn. Sexuelle Begegnungen im (kaum existenten) privaten Bekanntenkreis hatten ihn dito niemals sonderlich interessiert. Seine Verlobte hatte er durch die Arbeit kennen gelernt, sie war Mitarbeiterin der Hauswirtschaft eines der Krankenhäuser, die sein Rettungsteam anfuhr. Und sie kam ebenfalls aus Ostdeutschland. Was sie beide verband, war nur peripher körperlicher Natur – und bedeutsam schon allein dadurch, dass Kleemann eben nur wenige Menschen kannte.
Das kleine Mädchen saß auf der Schaukel und war völlig alleine auf dem anliegenden Spielplatz. Keine Freunde, kein Erwachsener, niemand in der Nähe. So etwas hätte es in der alten Republik nicht gegeben, dachte Kleemann, so eine Schande, um acht Uhr abends!
Eine noch größere Schande war das kokette Lachen und Jauchzen des Mädchens auf der Schaukel und diese lilafarbenen Strumpfhosen unter dem aufreizenden Röckchen, und wie sie da mit weit gespreizten Beinchen auf der Schaukel schwang, auf und nieder, auf und nieder.
Als ihm gewahr wurde, wie sich die Spitze seiner freigelegten Eichel an die Innenseite des Oberschenkels drückte, wurde ihm die wahre Qualität seiner Empfindung erst bewusst. Er hasste sich selbst sofort abgrundtief dafür.
Aber was war das? Das Mädchen himmelte ihn ganz ungeniert an und lachte herausfordernd, vielleicht schon seit einer halben Minute. Jetzt begann sie zu winken. Was für ein schamloses Benehmen!
Nein, die Kleine suchte nur einen Spielkameraden, weil sie alleine war; dies war einem Teil von Kleemann durchaus bewusst, während seine Penisspitze sich zunehmend gegen den Hosenbund drängte. Er winkte zurück, versuchte in eine andere Richtung zu blicken; solche Birken wie hier hatte es auf Rügen nicht gegeben; die Kleine winkte jetzt noch heftiger, ihr Lachen und Quieken wurde lauter, Kleemann konnte sie nicht ignorieren. Wieder stieg Empörung in ihm auf. Er war hierher gekommen, um in Ruhe seinen Feierabend zu genießen, nicht um mit solchen, ihm völlig fremden und westlich dekadenten Gelüsten konfrontiert zu werden.
Nie hätte ihm in seiner Heimat auf Rügen etwas Derartiges widerfahren können! Man ließ dort Kinder nicht alleine, weil man wusste, welch zuchtlose Wirkung sie auf einen Mann haben konnten! Diese neue Freiheit der Demokratie und „sozialen“ Marktwirtschaft hatte nur eine Funktion: mit ihrer Schwäche auch das Schlechteste und Schwächste in einem Menschen zu fördern und hervorzubringen! Und er hatte sich gerade eben noch schuldig gefühlt! – Aber das Schlangen-Ei, in dem sein latent präsenter Selbsthass eingeschlossen gewesen war, war nun geplatzt, das Hassreptil hatte die Schale der Selbstbezogenheit aufgebrochen und war nun frei. Keine Spur mehr von Schuldgefühl.

Ein Mann musste sich und andere Männer davon befreien, was einen Mann verdarb! Was nicht sein konnte, durfte nicht sein! Lösche aus, was dich versucht, und du löschst die Versuchung aus. Kleemann, der offenbar als Einziger registrierte, was in dieser Gesellschaft vor sich ging, hatte somit eine Mission.
Er erhob sich von der Parkbank, winkte noch einmal zaghaft.
Das arme Mädchen, dachte er, es kann nichts dafür. Ebenso wenig wie die Kinder der Romanows etwas dafür gekonnt hatten. Aber dieses und andere Opfer mussten gebracht werden, um ein Zeichen zu setzen, für ein höheres Ziel, nämlich Kleemanns Reinheit und Lauterkeit, die ihm rechtmäßig zustand, für die er kämpfen musste.
Ich werde sie zu meinem Passat locken, um ihr etwas ganz Besonderes zu zeigen: mein Schweizer Taschenmesser, dachte Kleemann, als er über die Wiese die kleine Anhöhe hinunterging. – Zu der Schaukel am Rande des Spielplatzes.
„Schubst du mich an?“, fragte das kleine Mädchen.


2.

Erwachend öffnete er die Augen und schloss sie sofort wieder, geblendet von der Helligkeit, und kniff sie zusammen. Als er seine Gesichtsmuskeln wieder entspannte, signalisierte ihm das Flimmern und Flackern unter den Lidern das Heranpreschen des Alkoholentzugs mit Siebenmeilenstiefeln. So laut heranpreschend, dass er unter dem Stampfen seiner schnellen Schritte zu beben begann, zuerst nur innerlich. Das Zittern kam und wuchs von innen, es hatte just die Hautoberfläche noch nicht erreicht aber klopfte schon gegen die Trommelfelle seiner Ohren. Er war gerade aus einem quälenden Alptraum erwacht und in einem neuen gelandet – ohne auch nur einen einzigen Moment von Übergang, Erleichterung oder Nachlassens der Angst. Zu seinem alten warmen Schweiß gesellte sich nun neuer kalter, und er erkannte, dass das Pochen gegen die Trommelfelle sein rasender Herzschlag war. Er brauchte etwas zu trinken! Wenn ihn nicht alles täuschte, stand in seinem Kühlschrank noch eine angebrochene Flasche Wodka.
Das Schlimmste war nicht die Angst sondern das mit ihr einhergehende Selbstmitleid, die Ohnmacht gegenüber der Angst, der Verlust jeden Selbstwertgefühls. Er widerstand der Versuchung, sich in seinem Bett in embryonale Position zusammenzukauern und eventuell den Daumen in den Mund zu nehmen, erhob sich und schwankte zum Kühlschrank in der kleinen Kochnische. Der Geruch seiner alten Unterwäsche stieg ihm dabei Ekel erregend in die Nase, sodass er sich die Zeit nahm, in den Bademantel zu schlüpfen, bevor er sich an den Wodka machte. Er nahm einige Schlucke und bedauerte, den Wodka in den Kühlschrank gestellt zu haben. So schmeckte er zwar besser, aber er konnte ihn wegen der Kälte nur langsam trinken.
Dann klingelte es an der Tür.
Frank erschrak, als hätte irgendwo in der Nähe eine Bombe eingeschlagen. Sein rasender Puls setzte für zwei Sekunden aus. Wer konnte das sein? Um diese Zeit! Zugleich wurde ihm klar, dass er gar nicht wusste, wie spät es war. Er nahm die Flasche mit zur Wohnungstür und griff sich den Hörer der Sprechanlage. „Wer stört?“, krächzte er hinein. Keine Antwort.
Er spähte durch den Türspion; und draußen im Treppenhaus stand seine beste Freundin und Agentin Andrea.
Ich kann’s mir nicht mit allen verderben, dachte Frank, öffnete die Tür und drehte sich fast gleichzeitig auf dem Absatz um.
Auf übliche, burschikose Art schritt Andrea mit ihrer großen Umhängetasche in die Wohnung, sie stapfte nahezu, während er ihr durch den dunklen, fensterfreien Flur voranging. Ohne sich lang mit Begrüßung oder Vorrede aufzuhalten, schleuderte sie ihre Worte wie Dart-Pfeile gegen seinen Rücken: „Wie ist die Lage? In acht Wochen ist Abgabetermin!“
Frank antwortete nicht, bis sie im Wohnzimmer angekommen waren, wo er ihr sein verquollenes, unrasiertes Gesicht zuwandte; er nahm noch einen weiteren kräftigen Zug aus der Flasche, grinste. Er fühlte sich schon zunehmend wohler mit dieser aufsteigenden, sich ausbreitenden Wärme in seinem Bauch. Sobald die Flasche leer war, würde die Wärme seinen Kopf erreicht haben, wusste er.
Andreas Anblick tat ihm zusätzlich wohl. Sie sah nach all den Jahren immer noch sehr gut aus mit ihrem weißblond gefärbten, kurzgeschorenen Haar, ihrer sauberen, schlichten Stilsicherheit: schwarze Stiefeletten, helle Blue-Jeans, kariertes Flanellhemd, lässig über dem Hosenbund hängend, dazu eine braune Wildlederjacke, die sie sich jetzt resolut von den Schultern streifte. Sie warf Jacke und Tasche mit ausholender Geste auf die Couch.
„Wonach sieht’s denn aus?“, sagte Frank, noch breiter grinsend und wohl wissend, dass ihm dies einen prägnant grausamen Zug um den Mund verlieh, mit dem er ohne Weiteres den Bösewicht einer amerikanischen Vorabendserie hätte geben können.
Sie rümpfte die Nase. „Die Frage sollte lauten: Wonach riecht’s?“ Sie deutete zur Couch und sagte: „In meiner Tasche sind frische Brötchen. Setz schon mal Kaffee auf; ich muss erst mal auf den Topf.“
Ohne seine Antwort abzuwarten wandte sie sich um, ging den halben Weg zurück zum Badezimmer. Wie üblich ließ sie die Türe offen, und gleich darauf hörte Frank, wie es plätscherte. „Was ist los mit dir?“, rief sie. „Der Autor von Baal-Se-Bub und Abtzuxtron, Deutschlands neuer Horror-Papst! Frank Gehrung, der deutsche Clive Barker! Wir haben jetzt die Chance, in einen renommierten, seriösen Literaturverlag reinzukommen, wenn wir in zwei Monaten was liefern. Du verdienst mehr Geld – und ich auch!“
„Vergiss es!“, rief er zurück. „Ich hab seit Wochen keine einzige Zeile zustande gebracht!“
„Vielleicht solltest du mal wieder richtig vögeln“, rief Andrea.
Frank kicherte. „Wie wär’s? Hast du Lust?“
Andrea furzte geräuschvoll und nachdrücklich, sodass Frank sich fragte, ob sie jetzt bei offener Türe auch noch anfangen würde zu kacken, was ihr durchaus zuzutrauen war, und was Frank auch nicht weiter gestört hätte, aber das tat sie nicht. Die Spülung rauschte, dann der Wasserhahn, und Andrea trat aus dem Bad hervor, sich den Hosenbund zuknöpfend.
„Das kannst diesmal du vergessen“, sagte sie. „Damit waren wir schon vor Jahren durch. Und es war auch nicht gerade weltbewegend gewesen. Außerdem hab ich, wie du weißt, schon lange die Ufer gewechselt.“
„Welch ein Verlust“, spöttelte Gehrung.
„Du bist drauf und dran weit mehr zu verlieren“, sagte Andrea und blickte ihn streng an; ihre großen braunen Augen blitzten vor Aggressivität.
Frank wandte sich ab, machte sich in der Kochnische zu schaffen, um Kaffee aufzusetzen und eine Tasse für Andrea zu spülen.
„Ich versteh das einfach nicht! Seit Wochen solch ein Saustall hier! Und du völlig heruntergekommen und im Dauersuff! Was, zum Teufel, ist bloß passiert?“ Andrea konnte nicht mehr an sich halten, denn auch sie fand im Allgemeinen, dass Frank Gehrung nach all den Jahren noch sehr gut aussah, sein scharf geschnittenes, männlich markantes Gesicht, seine große schlanke Figur, fast asketisch, ein bisschen wie Mr. Spock mit dunkelblonder Perücke – aber das fand sie nicht in diesem Moment, es schmerzte sie, ihren alten Freund so zu sehen.
„Du hast das richtige Stichwort genannt“, erwiderte Frank rücklings, „der Teufel, er sucht mich heim.“
„Der Teufel?“
„Zwei Romane hab ich geschrieben“, erklärte Frank. „Zwei ziemlich erfolgreiche Romane, und beide handeln vom Teufel. Dafür besucht er mich jetzt jede Nacht in meinen Alpträumen. Das hat vor etwa neun Wochen angefangen, Ich hab dann getrunken, um tiefer und fester zu schlafen. Um nicht zu träumen; und das hat anfangs auch ganz gut geklappt, aber jetzt träume ich intensiver denn je.“
Andreas Ärger und Sorge verwandelte sich augenblicklich in Entsetzen: Noch nie zuvor hatte sie Frank einen solchen Stuss daherreden gehört. Selbst in schwierigen Zeiten der Freundschaft hatte er sie nie mit solch einer lachhaften Erklärung abgespeist, wenn sie ihm eine ernsthafte Frage gestellt hatte. Hier war tatsächlich irgendeine Kacke am Dampfen.
„Was ist hier wirklich los? Red mit mir!“
„Ich hab’s dir gesagt.“
Sie starrten sich gegenseitig an, er mit hilf-, sie mit fassungslosem Blick, einige Sekunden lang, dann war es Andrea, die das Schweigen und die Starre brach.
„Okay, das war’s dann also“, sagte sie, wandte sich um, griff sich ihre Jacke und die Tasche. Sie nahm die Tüte mit Brötchen heraus, warf sie auf den Tisch. „Ruf mich an, wenn du wieder bereit bist, ehrlich und vernünftig mit mir zu reden. Fürs aktuelle Projekt wird’s dann wohl eh zu spät sein.“
„Warte“, sagte Frank.
Warte?“, echote Andrea, blitzte ihn wieder an, diesmal mit ganz offener Wut.
„Es ist wahr“, sagte Frank. „Ich erzähl dir keinen Scheiß. Ich hab noch nie so transparent und authentisch geträumt, nicht mal als Kind.“
„Wenn du schon so authentisch träumst – und auch noch vom Teufel – warum verwendest du dann diese Träume nicht konstruktiv?“
„Ganz einfach: weil sie zu authentisch sind. Kennst du den Unterschied zwischen Fiktion und Realität? Das Schreiben über den Horror macht gerade deshalb solchen Spaß, weil ich ihn nicht persönlich erleben muss!“
Andrea schüttelte den Kopf. „Träume sind keine Realität“, sagte sie.
„Diese Träume schon. Sie sind viel realer als dieser verkaterte Morgen.“
Er griff wieder zur Flasche, setzte sie an, nahm einige Schlucke in schneller Folge. Andreas Blick wurde nun nachdenklicher. Frank war nie ein guter Schauspieler oder Lügner gewesen; etwas musste an der Sache dran sein.
„Wovon hast du letzte Nacht geträumt?“, wollte sie wissen.
Frank setzte die Wodkaflasche an und trank sie leer, setzte ab und wischte sich mit dem Unterarm die tränenden Augen, krümmte sich für einen Moment unter einem kurzen Aufflammen von Sodbrennen und richtete sich dann wieder auf.
„Du meinst, wovon ich geträumt hab, kurz bevor du gekommen bist: Er hat ein Kind mit dem Hackmesser zerteilt. Ich sah ihm über die Schulter dabei zu, wie er es zerteilte, in Tüten verpackte und in die Gefriertruhe legte ... aber das war nicht das Schlimmste: Zuletzt wandte er sich zu mir um, grinste mich an, und er hatte mein Gesicht.“
Andrea schnaubte. „Hast du in letzter Zeit mal Nachrichten geguckt oder ne Tageszeitung gelesen? Hier im Umkreis verschwinden kleine Kinder! Und die Polizei geht mittlerweile von einem Serientäter aus. Bist du sicher, dass du das nur geträumt hast?“
Frank Gehrung winkte ab. „Ich hab davon gelesen, aber, glaub mir, ich hab wasserdichte Alibis. In meinem allerersten Traum befand ich mich irgendwo mitten im Wald. Ich sah ihm dabei zu, wie er eine Kinderleiche verscharrte. Der Traum endete, als er weglief. Es war fast so, als wäre er vor mir weggerannt, als hätte er irgendwie meine Anwesenheit gespürt, jedenfalls bin ich dann gleich aufgewacht ...“
„Der Teufel, hm? Und er flüchtet vor dir?“, sagte Andrea.
Frank sagte nachdenklich: „Vielleicht auch nicht der Teufel, sondern nur ein Dämon oder ein Wechselbalg.“


3.

Der Besuch seiner Eltern – anlässlich der bevorstehenden Hochzeit – änderte alles, stellte für Kleemann die ganze Welt auf den Kopf:
Sein Vater erklärte ihm behutsam, da er nun einen „neuen Lebensabschnitt“ beginne, dass er kein leiblicher Sohn sondern „adoptiert“ war.
Warum aber hatten die Eltern so lange mit dieser wichtigen Eröffnung gewartet? Ganz einfach: weil das Elternglück nicht auf dem Weg einer regulären oder etwa legalen Adoption zustande gekommen war. Aber nun, da er „in den Stand der Ehe“ trete, um „selbst Nachkommen zu zeugen“, sei der Zeitpunkt gekommen, ihn „einzuweihen“ usw.
Für Kleemann ein Schock: Er war noch nicht mal ein echter Ostdeutscher. Eine westdeutsche Frau hatte, als sie vor sechsunddreißig Jahren zu Besuch auf Rügen – und Gast in der Herberge seiner „Eltern“ gewesen war, eineiige Zwillinge zur Welt gebracht. Sie war alleinstehend gewesen, und allein erziehende Frauen hatten es damals in der BRD noch viel schwerer gehabt als heute. Sein zeugungsunfähiger (vermutlich impotenter) Vater, der sich aber schon immer einen Sohn gewünscht hatte, bestach die Frau mit zwei Kartons voll Fleisch- und Wurstkonserven, einen der Zwillinge an das Ehepaar Kleemann abzugeben, die ihn dann für ihren leiblichen Sohn ausgaben. Die gesamte Nachbarschaft hatte Bescheid gewusst, aber auf Rügen gab es ja noch so etwas wie „Nachbarschaftshilfe und Solidarität unter den einfachen Leuten ...“
Bla, bla! Welch eine unwürdige Farce! Sein gesamtes Leben: eine einzige kapitalistische Lüge! Er war um alles, das für ihn zählte, betrogen worden! Etwas in Kleemann zerbrach nun endgültig, etwas, das schon seit geraumer Zeit, bildlich gesprochen, nur noch durch einen Zahnstocher oder ein Streichholz in seiner komplexen Struktur aufrecht erhalten worden war; alle anderen Stützen und Streben seines Selbst- und Weltverständnisses waren durch die langen Jahre seines Alltags in der BRD so unmerklich wie unaufhaltsam korrodiert worden. Das Umknicken dieses letzten Zahnstochers konnte er in seiner Brustmitte fast körperlich spüren – und den darauf folgenden Zusammenbruch der gesamten Struktur wie die Implosion einer alten Sonne zum Schwarzen Loch. Zurück blieb ein grauenhaftes leeres Nichts. – Und während des Vorgangs dieser Implosion erlebte Kleemann innerlich im Zeitraffer eine Episode aus seiner Jugend wieder: Sein Vater hatte ihn beim heimlichen Rauchen aus dem Fenster seines Zimmers erwischt, und der Junge Kleemann fürchtete schon, jetzt würde es ein paar Backpfeifen setzten, aber sein Vater blieb ganz ruhig und besonnen, erklärte ihm genau und mit schier endloser Geduld, warum alle Kleemanns Antialkoholiker und Nichtraucher waren: Nämlich war es Bestimmung aller echten Kleemanns, gute, gesunde Stützen des Staates und dieser Gesellschaft im Aufbruch zum wahren Sozialismus zu sein. Es ging um ein höheres Ziel, darum, ständig besser sein zu wollen, als man augenblicklich war.
Den Jungen Kleemann hatte diese Philosophie damals sehr beeindruckt und nachhaltig überzeugt. Sie hatte sein Weltbild geprägt. (Das einzige sinnliche Laster, das er sich von da an noch erlaubt hatte – und bis heute gern erlaubte, war gelegentlich eine opulente, herzhafte Mahlzeit. Einem guten Essen, einer kleinen Völlerei konnte er einfach nicht widerstehen.)
Als er seinen „Eltern“ bei der Abfahrt hinterher winkte, wusste er, dass er sie niemals mehr wiedersehen wollte und würde. Sie waren seine letzte Oase von Kontinuität und Stabilität gewesen, die ultimative Konstante in seinem Leben, eben jener gewisse Zahnstocher; und er spürte keine Reue, kein Bedauern. Erst jetzt war er ganz alleine auf sich selbst gestellt. (Diese alberne Verlobung konnte er lösen. Überhaupt: Welch Schnapsidee, sich zu verloben, eine Familie gründen zu wollen!) Und das war ein beängstigendes Gefühl von Freiheit, solch grenzenlosen Weiten, Höhen und Tiefen; man konnte haltlos fallen, ohne jemals aufzuprallen, nirgendwo ein Stück Horizont in Sicht, keinerlei Aussicht, nicht einmal ein Himmel als Grenze, grenzenloser leerer Raum, mit nichts zu befürchten außer der Angst, in diesem Staat ohne staatliche Präsenz im persönlichen Leben – und was dies bei einem Mann auslösen konnte, der nach Grenzen suchte, sie brauchte, da er sein Leben an ihnen orientierte und nach ihnen ausrichtete.
Durch jenen prägnanten und bizarren Tausch – Baby gegen Lebensmittel – kam Kleemann nun auf die ökonomische (ja: planwirtschaftliche!) Idee, seine künftigen Opfer nicht mehr im Wald zu verscharren, sondern sie nach und nach zu verzehren. Zunächst nicht ernsthaft, halb im Scherz. Wenig später im vollen Ernst, aber nur in der Theorie. Und teilweise unbewusst begann er dann Vorbereitungen zur „Erfüllung des Plans“ zu treffen.
Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, mit seinem silbergrauen Passat Kindergärten abzufahren, die Öffnungs- und Schließzeiten herauszufinden, um dann aus einer Parklücke heraus zu beobachten, welche Kinder nicht abgeholt wurden, sondern schon selbständig genug waren, den Weg nach Hause sicher allein zu finden – und wie weit dieser Weg war und wo er entlang führte.
Er verhielt sich sehr vorsichtig und unauffällig bei diesen Expeditionen, und es gab nur einen einzigen Zwischenfall: Als er einen der Kindergärten in seiner näheren Umgebung auskundschaftete, entdeckte er einen Mann, versteckt hinter der knapp mannshohen Hecke, die das äußere Spielgelände umsäumte. Der Mann stand da nur und beobachtete die in Sandkästen oder mit Bällen spielenden Kinder. Er konnte weder von ihnen noch vom Erzieher, der die Gruppe beaufsichtigte, gesehen werden, denn er war ein recht kleiner älterer Herr. An seiner linken Hand hing eine Bonbon-Tüte, sein rechter Unterarm bewegte sich auf und ab. Kleemann kannte ihn. Er war der Hausmeister des großen Gebäudes, in dem sich auch Kleemanns Wohnung befand, ein stiller, freundlicher und sehr hilfsbereiter Mann, dessen auffällig beflissene Hilfsbereitschaft Kleemann eigentlich hätte an sich selbst erinnern können, aber das tat sie nicht. Er hatte schütteres, rötlich graues Haar, das an den Seiten weit abstand, und er trug eine altmodische Brille, die seine seltsam melancholischen, porzellanblauen Augen – und deren Geheimnis – auf irgendwie rührende Weise vergrößerte.
Kleemann stieg aus dem Wagen und trat von hinten an den Mann heran.
„Herr Fuchs, was tun Sie hier?“
Der Angesprochene wandte sich ruckartig um. Seine schon durch die Brillengläser optisch vergrößerten Augen weiteten sich einen Blick lang grotesk vor Schreck, gleich darauf erfolgte ein beschämtes Lidersenken. Herr Fuchs zog den Hosenladen hoch. „Äh, Grüßgott, Herr Kleemann“, stammelte er. Eine feine Spur von Röte überzog sein Gesicht, was plakativ gut zu seiner Haarfarbe passte. „Das sehen Sie doch, äh, ich komme einem Drang der Natur nach.“
„Zwei Straßen von zuhause weg?“, fragte Kleemann, breitbeinig dastehend, Hände in die Hüften gestemmt. „Mit ner Bonbon-Tüte in der einen Hand, und mit der anderen rubbeln Sie an sich rum?“ Kleemann war empört und abgestoßen: ein westlich dekadenter Kinderschänder! Eines der minderwertigsten Exemplare der Menschheit!
„Man wird doch wohl nach dem Pinkeln noch abschütteln dürfen“, erwiderte Herr Fuchs, „sonst tropft doch alles in die Hosen.“
„Vor einem Kindergarten?“, knurrte Kleemann, trat näher und baute sich bedrohlich vor dem kleinen Mann auf.
„Werden Sie das jemandem erzählen?“, fragte Herr Fuchs leise, mit gesenktem Blick.
„Ich frage mich, ob ich nicht die Polizei rufen sollte!“
„Bitte, bitte, tun Sie das nicht. Mein Leben wäre ruiniert. Ich tue alles, was Sie wollen.“
Kleemann dachte nach. Hier eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten.
„Ich hab noch nie im Leben ein Kind angefasst“, beteuerte Herr Fuchs, „hab schon so oft mit dem Gedanken gespielt, aber konnte es nie übers Herz bringen.“
„Na gut, dann vergessen wir das“, sagte Kleemann. „Ich überlege gerade, dass ich gerne meinen Vorratskeller ausbauen würde. Ich bräuchte eine größere Tiefkühltruhe, mehr Arbeitsflächen und diverse Werkzeuge zur Fleischverarbeitung. Eine großen Ofen zum Brot backen. Könnten Sie da was für mich tun – wenn ich über unsere Begegnung hier Stillschweigen bewahre?“
Der hilfsbereite Herr Fuchs war nun wieder ganz in seinem Element, nahm eine aufrechtere Haltung ein und wirkte gleich viel selbstbewusster: „Was die Kühltruhe und das Werkzeug angeht, kann ich Ihnen das alles zu einem Schnäppchenpreis besorgen. Die alte Kühltruhe entsorge ich persönlich. Notwendige Umbauarbeiten würde ich selbst und natürlich kostenlos erledigen.“
Kleemann nickte zufrieden. Dieser „Zwischenfall“ hatte sich letztlich als ausgesprochener Glücksfall erwiesen.
Im Laufe weiterer Auskundschaftungen heftete sich schließlich Kleemanns Hauptaugenmerk auf einen sehr lebhaften, aufgeweckten kleinen Jungen, der in seiner Spielgruppe einen recht dominanten Eindruck machte, und der seinen Nachhauseweg täglich mit viel Elan auf einem schnittigen Kinderroller bewältigte. Dieser Nachhauseweg führte ihn durch eine mit eng stehenden Laubbäumen bepflanzte, stille Grünanlage. Dieser kleine Junge schien vor nichts Angst zu haben, er wirkte so unglaublich selbstbewusst für sein Alter.
Kleemann lauerte dem Kind an einer Stelle der Grünanlage auf, wo er nur einige Schritte entfernt seinen Wagen parken konnte. Der Junge kam gerade mit seinem Roller schneidig um die Ecke geschossen, als ihm Kleemann unvermittelt den schmalen Fußweg versperrte und breit vor ihm stand.
Der Junge reagierte blitzschnell und bremste.
„Mach die Bahn frei!“, sagte er keck.
Kleemann lächelte. „Das wäre aber schade. Dann könnt ich dir mein neues Schweizer Taschenmesser nicht zeigen.“
„Interessiert mich nicht“, meinte der Junge, strich sich das blonde Haar zurück, das ihm lang in die Stirn fiel, eine verwegene Geste, wie in einem dieser alten Mantel- & Degenfilme. „Hab selber eins, von meinem Papa zum Geburtstag.“
„Glaub ich nicht“, sagte Kleemann und versperrte weiterhin breitbeinig den Weg.
Der Junge griff sich in die Gesäßtasche, brachte ein Schweizer Taschenmesser zum Vorschein, öffnete es.
Kleemann tat es ihm gleich.
„Sollen wir fechten?“, fragte der Junge und ließ seinen Roller fallen.
„Wenn du ein Duell mit mir wagst“, sagte Kleemann.
„Ich bin der rote Korsar!“, rief der Junge und preschte auf Kleemann zu.
Kleemann antwortete: „Ich bin der Teufel“, packte den Jungen an seinem langen Haarschopf, bog seinen Kopf nach hinten und schlitzte ihm mit einem langen Schnitt die Kehle auf. Bewusst sparte er die beiden Schlagadern aber aus. Schnell hob er das zappelnde Bündel in seine Arme, da seine Beute nun dennoch gewaltig zu bluten begann, und er trug sie unverzüglich zu seinem Wagen, warf sie in den mit Plastikfolie ausgelegten Kofferraum.
Kurz bevor Kleemann den Deckel zuwarf, lebte der Junge noch, würgte, röchelte, gurgelte, starrte Kleemann mit ungläubig geweiteten, tränennassen Augen an.
Kleemann verzehrte den Jungen innerhalb von drei Tagen, und schon bald darauf stand das nächste Kind auf seiner Speisekarte.
Recht schnell kam er auf den Geschmack: Das war noch besser als Spanferkel, schmeckte hervorragend zu Krautsalat und Bratkartoffeln, am knusprigsten waren die Brustwarzen, und als Hobby-Koch, der er war, zauberte er eine delikate Sauce aus dem Fleisch und den Knochen und einem ausgesuchten Wein. Er wurde völlig verrückt danach, entwickelte einen unbändigen Appetit, überdehnte dabei regelmäßig seinen Magen, und auch sein Bauchumfang wuchs zusehends innerhalb weniger Wochen, sodass er sich einen ganzen Satz Hosen mit dehnbarem Bund anschaffen musste. Seine Wangen wurden feist und rosig. Wenn das zarte, junge, frische Fleisch schwer in seinem Magen lag und wallend Wärme verbreitete, hatte er für kurze Zeit das Gefühl, der Leere, dem Nichts in seinem Innern etwas polar entgegenzusetzen, einen Inhalt, einen Gehalt. Doch genau wie für seinen Verdauungsapparat war dieses Etwas nur Nahrung für das Nichts, das ja ein Schwarzes Loch war, das alle Materie und sogar die Zeit einfach aufsaugte und vielleicht irgendwann, irgendwo wieder ausspuckte. Zuletzt verzehrte er seine Opfer nicht mehr nach und nach – sondern hatte zu tun, um rechtzeitig Nachschub zu besorgen.
Es kam dahin, dass er immer weiter fahren musste, um noch irgendwo ein unbeaufsichtigtes Kind zu finden, denn ganz plötzlich schien den Bürgern seiner Stadt, sogar umliegender Städte, deren Aufsichtspflicht wieder in den Sinn gekommen zu sein. In seiner unmittelbaren Umgebung begann er schließlich ein hungriges Auge auf junge, schwangere Frauen zu werfen, „Weihnachtsgänse“, wie er sie im Geiste nannte – wegen der leckeren Füllung.
Auch im Kollegenkreis war Kleemanns Veränderung nicht unbemerkt geblieben. Wenn er bisher nur das vage Gefühl gehabt hatte, belächelt worden zu sein, so musste er nunmehr feststellen, dass manch einer ihn ganz offen und direkt verspottete; etwa in solcher Manier:
„He Volker, wieso schaust du immer den schwangeren Frauen nach? Weil du selbst allmählich wie eine aussiehst?“
Kränkungen wie diese waren jetzt an der Tagesordnung. Und obwohl sie ihn zutiefst verletzten, gelang es ihm überraschend leicht, gelassen zu bleiben. Als einzige Übersprunghandlung rückte er dann gewöhnlich seine Brille mit dem Ringfinger zurecht – ein guter Pokerspieler wäre er also nicht gewesen –, aber er konnte damit leben, ohne ausfällig oder gar handgreiflich zu werden. Der Job war seine Existenzgrundlage, außerdem wusste er, dass er es ihnen allen noch zeigen würde. Gerade die Ohnmacht seines Zorns war – wie dem Säugling die Muttermilch – die erlesendste Nahrung für das befreite Hassreptil in ihm, die es von einer kleinen Schlingnatter zum Netzpython heranmästen konnte, und noch viel größer, da diese endlose Leere in seinem Innern dem Reptil nun genug Platz und Lebensraum bot, um sich auszubreiten, endlos zu wachsen, ohne sie je auszufüllen. Und er spürte das mit einer Befriedigung, die ihm die Kraft zur Gelassenheit verlieh. Tatsächlich hatte er sich innerhalb weniger Wochen in einen völlig anderen Menschen verwandelt, und niemand nahm Notiz davon, was wirklich aus ihm geworden war.
Und das war noch nicht alles. Kleemanns Wahrnehmung war viel hellsichtiger geworden. Nun da er aufgehört hatte, sich über das Leben etwas vorzumachen, war sein Erleben der Realität völlig transparent geworden. Er konnte sogar Geister sehen, genauer gesagt: einen Geist, der vermutlich aus der Vergangenheit kam. Woher sonst? Die Toten waren nicht fort, nur nicht mehr im Jetzt, zu diesem Zeitpunkt. Und sicherlich gab es Brücken zwischen den Zeitpunkten, wie es Brücken im Raum gab. Kleemann hatte einmal in einer Sendung im TV gesehen, wie der Kölner Dom an einer Stelle in der Sahara regelmäßig als Fata Morgana erschien. Und warum sollte eine solche Übertragung nicht auch zwischen verschiedenen Zeitpunkten möglich sein? Schon früh hatte er die Präsenz dieses Geistes gespürt, schon als er seine erste Beute im Wald verscharrt hatte, aber mittlerweile konnte er ihn sehen, ihn hören und mit ihm sprechen. Merkwürdig daran war zunächst, dass dieser Geist immer dann erschien, wenn Kleemann auf der Jagd gewesen war, seine Beute einbrachte oder verarbeitete; aber das war nicht wirklich so verblüffend, denn schließlich erschien der Kölner Dom auch nur zu bestimmten Zeitpunkten an einer bestimmten Stelle in der Sahara.
Ebenso verblüffend wie verwirrend war der Umstand, dass dieser Geist ihm so vertraut schien, ihm so bekannt vorkam; und Kleemann hatte sein Gedächtnis schon mehrfach systematisch durchforstet, seine Erinnerungen gedanklich kartografiert, aber er konnte sicher sein, diesem Menschen niemals im Leben begegnet zu sein. Dennoch schien ihm, als kannte er diese Person schon seit er auf der Welt war, vielleicht noch länger. Sein Anblick erinnerte ihn an längst vergangene, innerlich vernarbte Dinge – über die er einmal geweint hatte – und heute grundlos lachte – und wollte ihn nun wieder zum Weinen bringen. Es schien ihm, als würden verwaiste, bezugslose Gefühle heimkehren, an den Ort, wo sie entstanden waren. Aber auch hierzu entzog sich ihm jede konkrete Erinnerung. Dieses Paradoxon nagte zuweilen an ihm, etwa wie ein Name, der auf der Zunge liegt, aber sich dem Gedächtnis hartnäckig verschließt. Wenn er versuchte, sich an dieses Gesicht zu erinnern, war es, als blickte er in einen blinden oder beschlagenen Spiegel. Dieses Gesicht!
Abgesehen davon war an dem Kerl nichts Spektakuläres; dürr und klapprig, krank und ungepflegt aussehend, fast wie ein Penner kam er daher, genau das Klischee eines Geistes erfüllend, auch in seinem Gebaren: verzweifelt, traumatisiert, entsetzt.
Warum tust du das?
Dies schien eine Standard-Nummer bei jedem seiner Auftritte zu sein, etwa wie der berühmte Todesschrei Standard-Nummer der Weißen Frau war. Kleemann hatte ihm mehrfach und im Lauf der Zeit unterschiedlich darauf geantwortet, aber der stereotype Geist stellte die Frage immer wieder. Das Ermüdende und Langweilige an Geistern lag wahrscheinlich an ihrer Gefangenheit in einer fernen, klar umgrenzten Zeitsequenz.
Warum tust du das?
„Weil ich es kann, und weil es das Richtige ist“, war Kleemanns erste Antwort gewesen.
Und später: „Um zu erfahren, dass es noch eine Wirklichkeit außerhalb meiner eigenen gibt – und dass ich sie mir einverleiben kann.“
Kleemann saß eines Nachts an gedeckter Tafel, schnitt sich ein Stück knusprige Schwarte ab und tunkte es mit der Gabel in die Burgundersauce; als Beilage gab es Schwarzwurzeln; der Geist hatte gegenüber von ihm Platz genommen; transparent saß er auf seinem Stuhl, der sich beim Vorgang des Setzens nicht bewegt hatte. Er schlug die Beine übereinander, stellte eine transparente Schnapsflasche auf den Tisch und begann sich eine transparente Zigarette zu drehen.
Stört’ s dich, wenn ich rauche?
„Normalerweise ja, aber du bist ja gar nicht wirklich hier. Du bist tot und vergangen, also rauch` ruhig.“
Ich fühl mich zwar beschissen aber immer noch ziemlich lebendig. Ich träume das hier nur. So gesehen rauche ich nicht wirklich und trinke auch nicht.
Der Geist setzte die Flasche an und trank in kräftigen Zügen. Setzte wieder ab.
Warum tust du das?
Kleemann antwortete nicht gleich. Diese ständig wiederkehrende Frage hatte aufgehört, ihm auf die Nerven zu gehen; sie inspirierte ihn mittlerweile sogar dazu, immer wieder erneut über diesen Punkt nachzudenken und immer wieder neue gute Gründe für sein Handeln zu finden.
„Weil ich diese herrliche Freiheit dazu habe“, sagte er schließlich.
Du? Du hast doch in Wirklichkeit entsetzliche Angst vor der Freiheit! Vielleicht tust du es darum!
Kleemann spürte nun, wie Ärger in ihm aufstieg. „Und du? Sitzt hier herum und säufst wie ein Loch! Wie steht’s mit deiner Angst vor der Freiheit? Da sind wir doch gleich und quitt!“
Der Geist blickte auf seine Hände hinab und schwieg.
Kleemann setzte hinzu: „Kennst du die Erzählung Rohkopf Rex von Clive Barker. Oder noch besser: Kennst du das Buch Baal-Se-Bub, in dem der Fürst der Dunkelheit, ein Aasfresser, sich vom verwesenden Fleisch ungetaufter Kinder ernährt, seine Kraft daraus schöpft?“
Ich habe dieses Buch geschrieben, sagte der Geist.
„Dann bist du Frank Gehrung! Der Schriftsteller! Du bist am Leben!“, rief Kleemann aus.
Der Geist blieb gelassen. Du hast mich ertappt, erklärte er, deutete eine Verbeugung an, schwenkte die Flasche dabei theatralisch. Möchtest du dich mir nicht auch vorstellen? Und vor allem will ich wissen: Warum hast du mein Gesicht?
Kleemann fiel es jetzt wie Schuppen von den Augen, er betrachtete den „Geist“, von dem er nun erst wirklich wusste, wer er tatsächlich war. Er begann zu grinsen, immer breiter, was seinem kindlichen Gesicht ein groteskes Aussehen verlieh, viel grotesker als das Aussehen eines Schurken aus einer amerikanischen Vorabend-Serie. Der Spiegel war nun nicht mehr beschlagen sondern glasklar.


4.

Frank hatte auch in dieser Nacht wieder schreckliche Alpträume. Zuerst träumte er von seiner einzigen sexuellen Begegnung mit Andrea, die schon Jahre zurück lag. Er träumte nicht nur, er erlebte diese Erfahrung neu und detailliert: wie scharf er auf sie gewesen war, als sie beide sich entkleidet hatten, wie unglaublich scharf! Scharf darauf, sie jetzt endlich überall berühren und küssen und in sie eindringen zu dürfen. Aber dann: wie sie flach auf dem Rücken lag und ihre einzige Initiative darin bestand, etwas schneller als sonst zu atmen, während er alle möglichen Dinge mit ihr anstellte! Ihre überraschende Verklemmtheit, die er aufgrund ihrer sonstigen selbstbewussten Art, ihrer aufreizenden Koketterie, bevor sie in seinem Bett gelandet waren, niemals erwartet hätte. Er begann schon zu erschlaffen, während er noch in ihr war und noch nicht abgespritzt hatte, mühte sich aber weiter ab, erschlaffte dann völlig, als sie ihn fragte, wann er denn jetzt endlich anfangen würde, sie zu schlagen.
Dies war die beklemmendste sexuelle Erfahrung gewesen, die er je zuvor und jemals danach gemacht hatte, die nachhaltige Erkenntnis, einen Monolog abgehalten zu haben, während er sich im körperlichen Dialog befindlich geglaubt hatte. Wie seine Erregung an ihr abgeprallt war wie an einer Regenhaut und sich dann als negative Energie gegen ihn selbst gerichtet hatte, wie sein Penis völlig verschrumpelte, als wollte er sich selbst nach innen penetrieren.
Dann – wie in Alpträumen typisch – dieser plötzliche Filmriss, und er sah seine alte Mutter im Park einen Kinderwagen spazieren fahren. Es war ein Drama: Als er selbst noch im Kindergartenalter gewesen war, hatte seine Mutter sich zuweilen furchtbar darüber aufgeregt, dass Klein-Frank einen unsichtbaren Freund namens Klemens gehabt hatte, dass er sogar Tisch und Bett mit ihm teilte. (Klemens sah genau wie Frank aus, war nur etwas feister.) „Welch eine blühende Phantasie du hast, Junge, wirst bestimmt mal Schriftsteller, wenn du erwachsen bist!“ Inzwischen, während aus Klein-Frank tatsächlich ein Schriftsteller geworden war, fuhr seine Mutter jeden Sonntag einen Kinderwagen im Park spazieren, in dem ein Stoffteddybär lag. Er hätte jedes Mal weinen können, wenn er dieses Bild vor sich sah. Es war ihm völlig unklar, wen oder was seine Mutter auf diesen Teddybären projizierte; jedes Mal, wenn er sie danach gefragt hatte, war sie es gewesen, die hemmungslos zu weinen begonnen hatte. Er hatte schnell aufgehört, sie danach zu fragen.
Unvermittelt befand sich Frank zu Gast bei dem Dämon, dem Wechselbalg, während der seine abartige Mahlzeit mit unaussprechlichen Hauptzutaten verzehrte, sprach mit dem Monster. Und musste schon kurz darauf erkennen, dass er einen Fehler gemacht hatte, selbst im Traum: dem Dämon seine Identität zu verraten, diese verfluchte Eitelkeit: Baal-Se-Bub, das ist mein Buch! Nach allem, was er bisher wusste, war stark anzunehmen, dass es diesen perversen Kinderfresser wirklich gab, dass er nicht nur ein Traumgespinst war.
Leben deine Eltern noch? Lebt deine Mutter noch?, fragte der Wechselbalg mit einem so sehr fremdartigen Grinsen im Duplikat von Frank Gehrungs Gesicht, das eben doch nicht sein Gesicht war.
„Nein“, log Frank Gehrung, „sind beide längst tot.“
Dann bist du mein letzter lebender Verwandter, sagte der Dämon, du bist mein eineiiger Zwillingsbruder! Deshalb unsere geistige Verbindung! Und wenn ich mich deiner entledigt habe, bin ich endgültig frei! Ich werde kommen, um dich zu holen und dich mir einzuverleiben. Schon bald.

Frank Gehrung erwachte mit einem einzigen Augenaufschlag, kein warmer Schweiß, kein kalter, keine Ängste mehr. Kein rasender Herzschlag. Nur dieser brennende Durst. Ob dies nun die Hölle ist?, fragte er sich.
Er erhob sich von seinem Bett; sein zunehmend penetranter Körpergeruch beschämte oder ekelte ihn überhaupt nicht mehr. Keinen einzigen Gedanken verschwendete er mehr an Andrea. Geradewegs ging er zu seiner Kochnische. Der Wodka stand nun nicht mehr in sondern auf seinem Kühlschrank, denn Frank Gehrung war lernfähig. Er griff sich die Flasche, wankte zurück zu seinem Bett, setzte sich, setzte die Flasche an, trank – und wartete.

05. 06. 07


Epilog von krissy (Mitglied)

der himmel – der himmel –
die bäume -
dort auf der bank - sitzt ein mann -
die sandkiste -
der boden –
so weit weg
die steine –
die sandkiste –
der mann auf der bank: Huuu!
die bäume –
der himmel – der himmel –
die bäume
der mann – er winkt zurück
die sandkiste –
der boden
und schwung
der boden
die sandkiste –
er kommt zu mir her –
die bäume –
der himmel – der himmel
die bäume –
die sandkiste –
der mann:
Schubst du mich an?
Ja – fester!
der himmel – der himmel:
Was machst du hier?
Ich schubse dich an!
der himmel – der himmel!
und rückwärts die schuhe übern boden schleifen –
nach vorne ein paar schritte laufen –
die schaukel steht –
Wie heißt du?
Klemens! Komm – ich zeig dir was!
seine hand ist warm und groß –
sein auto glänzt silbern –
wow! eine uhr!
der blau zeiger zittert und kehrt immer an denselben platz zurück –
eine uhr, die ein kompass ist –
natürlich mag ich ein stück mitfahren –
er lächelt –
öffnet mir die tür wie für eine dame –
ich steige ein –
ich brauche nicht hinten zu sitzen –
ich kann vorne sitzen wie mama, wenn wir mit papa mitfahren –
der sitz ist weich wie samt –
erschlägt die tür zu –
ich erschrecke kurz –
bis er einsteigt, lächelt, meine hand tätschelt –
das radio einschaltet – das auto startet –
ich glaube, er ist nett –
die häuser fliegen vorbei – die bäume –
er fährt schnell -
er ist keine hosenscheißer – wie papa
er fährt richtig schnell –
ja, das gefällt mir –
wir sind aus der stadt draußen – die felder fliegen vorbei –
warum fährt er jetzt langsam – jetzt, wo die ganze straße vor uns liegt –
achso – er biegt ab –
Weißt du ich kenne da einen Platz im Wald, da kommen die Eichhörnchen bis zu dir. Sie springen sogar auf deine Hand, wenn du ganz still hältst!
er hält an – er steigt aus – er geht um das auto und öffnet mir die tür mit einer tiefen verbeugung – er ist lustig –
er nimmt meine hand – er legt eine nuss hinein –
Du musst ganz still halten!
ich halte meine hand ausgestreckt mit der nuss drin – ganz still –
er steht hinter mir – er zittert – aber er ist warm –
ich halte meine hand ausgestreckt –
ich spüre seinen atem im haar –
er legt seine hand auf meine schulter –
das brennt! – es brennt in meiner brust –
ich kann nicht mehr stehen bleiben – er fängt mich – er hält mich warm –
er schaut mich an – so traurig – warum ist er so traurig –
es ist nichts – warm sprudelts aus meiner brust – das macht nichts – es ist besser als dieser brennende schmerz – ich will ihm das sagen - mein mund ist trocken ich habe durst – so unendlichen durst – mein pipi rinnt – es ist dunkel – ich bin müde – du musst nicht traurig sein – lieber Klemens – ich bin nur müde – schade – die eichhörnchen werden nicht kommen – ich kann meine hand nicht mehr ausstrecken – ich habe die nuss verloren -

 

Hallo,

nur mit großer Willensanstrengung habe ich es geschafft, das Lesen deinesTextes nicht abzubrechen. die Geschichte fängt unscheinbar und für mich, wenn ich ehrlich bin, recht langweilig an und schafft es über seine ganze Länge nicht, mich wirklich zu fesseln.
im ersten Drittel wird klar, dass es sich um Zwillinge handelt. Auch im ersten Drittel ergehst du dich lang und breit über das Versagen des Staates, wärmst alte Ost-Westklischees auf, schaffst damit aber eigentlich keine Atmosphäre. nun gut, es führt dazu, dass man den Kinderfresser als ziemlichen Deppen/Wirrkopf eingeordnet, aber das war's dann schon. Wenn es der Geschichte zuträglich wäre, das Setting klar definieren würde, hätte es ja seine Berechtigung, doch so verkommen die Bemerkungen zum bloßen Selbstzweck, ohne eine wirkliche Relevanz für die Geschichte zu haben.
Du fügst eine ganze Menge unnötiger Details ein, wie die Rechtschreibschwäche oder das DWK, das mir eine Erfindung zu sein scheint (zumindest habe ich in Google nichts gefunden, aber mit gemeinnützigen Einrichtungen in der ehemaligen DDR kenne ich mich natürlich auch nicht aus), habe ich mich gedanklich recht Lange aufhalten müssen, obwohl es im nachhinein betrachtet nicht besonders wichtig war.

die Überlegung des Protagonisten, dass er den Auslöser der Versuchung beseitigen müsse, um ihr nicht weiter ausgeliefert zu sein, wäre recht interessant, findet aber keine weitere Erwähnung. Wie kommt er denn auf diese Überlegung? stünde dies beispielsweise im Kontext mit der Aussage des Paulus, dass es besser sei, sich ein Auge auszureissen, als es sündigen zu lassen (was jetzt natürlich sehr verkürzt dargestellt ist), hätte man auch einiges herausholen können. Vielleicht hätte es auch die Bigotterie schön dargestellt, aber angesichts der Tatsache, dass es in der ehemaligen DDR sicherlich nicht so wahnsinnig viele Gläubige gab, wäre das vielleicht zu weit hergeholt.

Der Abschnitt mit dem Schriftsteller und der Agentin hat mir ziemlich gut gefallen. Ich persönlich verabscheue zwar humoristische Einlagen die sich mit Flatulenzen, Ausscheidungen und ähnlichen Dingen befassen, aber das ist wohl Geschmackssache.

Die Beschreibungen, wie der Mörder seine grausigen Mahlzeiten einnimmt, sind eindringlich und widerlich, das ist dir gelungen. Andererseits, finde ich, ist es ein wenig abgenutzt.

Abschließend bleibt mir noch zu sagen, dass ich die Geschichte etwas zu lang fand. Das ist meine persönliche Meinung und ich mag mich bei meinen Kritikpunkten auch irren.

bis bald,
Georg

 

Hallöchen Schrei-Bär,

erstmal bedank ich mich für Deine Mühe des Lesens und Kommentierens, für Deine Gründlichkeit. Im Falle des "DWK" (Deutsches Wisent Kreuz) war sie allerdings unnötig, denn natürlich habe ich diesen Verein völlig frei erfunden (in Anlehnung ans Deutsche Rote Kreuz). Leser aus meinem privaten Freundeskreis haben diese humoristische Einlage eigentlich immer gleich verstanden und herzlich drüber gelacht. Umso mehr muss ich mich für Deine Mühe bedanken, da ich selbst einen derart langen Text - wenn er mir keinen Spaß macht, mich nicht zu fesseln vermag - wahrscheinlich nicht zuende gelesen, geschweige denn kommentiert hätte. Dass der Text Dir nich besonders gefallen hat, mag wohl auch an Deiner Lesart liegen, bzw. an der Rubrik, unter der ich ihn veröffentlicht hab. Immer wieder muss ich sagen, dass ich erhebliche Schwierigkeiten mit den Rubriken auf diesem Forum hab. Dieser Text von mir war sowohl als Grusel als auch gesellschaftskritisch und auch satirisch gemeint. Längere Zeit hab ich erwogen, ihn unter "Gesellschaft" zu veröffentlichen, doch dazu erschien er mir nicht alltäglich genug, zu konstruiert, zu konzeptionell. Als Satire wäre er schlichtweg geschmacklos gewesen, zu ernst, von zu aktueller Brisanz. So ist Dir natürlich auch diese satirische Radikalität entgangen, wie z.B. die beiden Kinderschänder sich vorm Kindergarten begegnen, der eine sich über den andern moralisch erhebt, den Splitter aus dem Auge des Bruders zieht - und dabei den Balken im eigenen Auge ignoriert. Ich selbst liebe diese Textstele im Nachhinein, halte sie für sehr gewagt - und gar nicht abgedroschen. Sei`s drum, ich hab hier den Versuch unternommen, menschliche Abgründigkeit, Grusel und hintergründigen Humor so zu verbinden, dass es sich nicht beißt, stimmig bleibt. Ist bei Dir nicht so angekommen; kann ich locker damit leben. Wirklich schade find ich nur, dass Du diesen wundervoll poetischen Epilog meiner frischgebackenen Ehefrau Krissy so gar nicht zu würdigen gewusst hast.

Liebe Grüße: splat

 

Hallo,

den tollen Epilog wollte ich eigentlich erwähnen, habe es aber letztlich vergessen. Tut mir Leid.

Der Epilog stellt für mich fast die Belohnung für's Durchhalten dar. Eine großartige Schilderung, was das kleine Mädchen erlebt und das in wirkungsvollen Bildern. Hut ab!

Georg

 

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