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Der Besuch der toten Tante

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29.07.2005
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Der Besuch der toten Tante

Der Besuch der toten Tante

Der lange schwarze Leichenwagen eines Bestattungsunternehmens fuhr in die kleine, von einzelnen Schneeresten gezierte, Einfahrt, die zum Haus der Familie Nordmann im Hamburger Stadtteil Harvestehude gehörte.
Ein Mann von hagerer Statue, der in einen feierlich wirkenden schwarzen Anzug gekleidet war und dessen Hände von schneeweißen Handschuhen bedeckt wurden, entstieg dem endzeitkonservierenden Gefährt und begab sich zur weißen Haustüre, wo er einen kleinen silbernen Klingelknopf bediente. Nach ein paar Sekunden wurde sie geöffnet.
„Wir sind doch hier richtig, bei Nordmann?“, fragte der große schmale Mann, während er sich mit seinen behandschuhten Händen durch die schwarzen, zur Seite gescheitelten Haare strich. Er wusste, dass er nicht falsch war. Es war genau die Adresse, die in den Papieren stand, die er bei sich hatte und außerdem stand auf dem kleinen silbernen Schild neben der Tür der Name Nordmann. Doch für den delikaten Fall, den er mitbrachte, brauchte er etwas harmloses, mit dem er anfangen konnte. Direkt mit der Tür ins Haus zu fallen, wäre nicht nach seinem Geschmack gewesen. Schon gar nicht in dieser besonderen Situation.
Nordmann, ein stämmiger Herr, mit schiefer Brille und schlecht gekämmten grauen Haaren, nickte, ohne zu erahnen, was auf ihn zukam.
„Gut“, sprach der Mann, „also wir haben da was für sie. Kam heute Morgen erst auf dem Flughafen an“, er hielt ihm ein kleines weißes Formular vor die Nase, „Wenn sie bitte unterschreiben würden.“
„Wir haben nichts bestellt!“, Nordmann wischte sich ein paar Strähnen seines grauen Haares aus der Stirn. Erfolglos, denn sie fielen alsbald wieder in die vorherige Lage zurück.
„Das kann ich mir vorstellen“, der Mann im schwarzen Anzug fasst sich ans Kinn. „Sie haben doch hoffentlich Platz?“. Er versuchte so aufrichtig wie möglich zu wirken und sah Herrn Nordmann deshalb mit einem breiten Sonnenscheingesicht an.
Nordmann sah ihn durchbohrend an: „Könnten sie mir bitte erklären, was das soll?“
„Warten sie einen Moment, Herr Nordmann“, der behandschuhte Mann wandte sich wieder dem Leichenwagen zu, der erst jetzt ins Blickfeld des Herrn Nordmann fiel, dessen Augen von mal zu mal größer wurden.
Der Gehilfe des in Trauerkleidung gehüllten Mannes, ein dürres Gerippe, hatte die Hecklappe des Wagens geöffnet. Sogleich wurde ein hölzerner Sarg daraus herausgezogen, den die beiden Männer mit strahlenden Gesichtern Herrn Nordmann vor die Treppe setzten, der sich immer mehr in einem Traum gefangen fühlte.
„Was soll das?“, fragte er mit weit geöffnetem Mund.
Der Bestatter wischte sich, wie auch sein Gehilfe, die Schweißperlen, die sich, obwohl es Anfang Januar und relativ kalt war, auf ihren Stirnen gebildet hatten, ab und fingen sogleich an, Nordmann aufzuklären: „Das ist ihre Tante Frieda.“
„Aus Brasilien“, fuhr der Gehilfe dazwischen.
„Sie ist leider vor Weihnachten verstorben, auf ihrem Anwesen in Brasilien, wie sie sicher bereits wissen und nun auch sehen können.“ Der Bestatter falteten pietätvoll seine Hände: „Gott habe sie selig.“
„Amen“, sagte der Gehilfe und fing an kräftig zu gähnen.
Während Nordmann sich noch weiter hinauslehnte, kam der schwarz gekleidete Herr nochmals mit dem weißen Formular auf ihn zu: „Wie es im Testament stand.“
„Was stand da?“, fragte Nordmann, „Wir sollten einen großen wertvollen Gegenstand erben?“
„Was meinen sie wohl, was das hier ist; Monsieur Nordmann“, sagte der Bestatter. Beste deutsche Wertarbeit. Da würde sich manch ein Toter die Finger nach lecken.“ Nordmann sah den Mann schief an, weshalb dieser hinzufügte: „Wenn er könnte.“
Nordmann kratzte sich die Stirn vor Ratlosigkeit.
„Wissen sie, der letzte Wusch ihrer nunmehr seligen Tante war es, hier in Hamburg, ihrer Geburtsstadt, beerdigt zu werden, und das sie bis zum Tage ihrer Beisetzung im Hause ihrer lieben Verwandten, also bei ihnen, Mein Herr, aufgebahrt werden möge. Immerhin ist die Beerdigung bereits am Donnerstag. Das heißt, dass sie ihrer seligen Tante nur noch gerade einmal drei Tage bei sich Unterschlupf gewähren müssten. Sie wird ihnen sicher in keiner Weise irgendwie zu Last fallen. Aus den Unterlagen geht hervor, dass sie, Zeit ihres Lebens, eine bescheidene Person war, wie auch ihr ebenfalls seliger Mann Gustav, mein Herr. Selbstverständlich holen wir sie hier am Donnerstag höchstpersönlich wieder ab.“
„Sie war schon immer für Überraschungen gut“, murmelte Nordmann, den es allmählich zu frösteln begann.
„Sie sagen es, Herr Nordmann, sie sagen es.“, der Bestatter hielt ihm erneut den weißen amtlichen Wisch vor die Nase und räusperte sich; „Deshalb stand dies auch alles nicht im Testament drin.“ Nordmann unterschrieb. Er wusste immer noch nicht, wie ihm geschah.
Oh, und bevor ich es vergesse“, der Bestatter holte aus seiner linken Jackentasche ein kleines, mit gelber Flüssigkeit gefülltes, Flakon hervor, „damit der Geruch ihre nicht belästigt, habe ich ihnen extra dieses Parfum hier mitgebracht.“ Er drückte Nordmann das kleine Fläschchen in die Hand: „Ein Duft extra für die seligen unter uns, exklusiv aus Frankreich, Monsieur. Eau de, äh … Sargon. Eine Mischung aus 25% Eau de toilette, 18% Kölnisch Wasser und der restliche Prozentanteile fallen auf norwegisches Schmieröl. Eine explo … äh, ich meine exklusive Mischung.“
„Ist das nicht gefährlich?“, fragte Nordmann.
„Nicht, wenn man sorgfältig damit umgeht“, beschwichtigte der Bestatter. „Halten sie es einfach von offenen Feuern fern.“ Der Mann fuhr sich durch die Haare.
„Es ist wirklich ein sehr exklusives Parfum, mein Herr. Die Pariser besprühen damit die Gräber ihrer Nächste um ihren somit auch noch im Jenseits einen angenehmen Duft zu schenken.“
„Aber hier sind wir in Hamburg und nicht in Paris“, brummte Nordmann.
Gewiss, aber erst in den nördlichen Sphären entfaltet der Duft seine volle Wirkung“, beruhigte der Bestatter ihn, „Sogar Königin Sylvia in Stockholm hat deswegen eine größere Lieferung dieses edlen Parfums geordert.“
Herr Nordmann begann nervös zu werden. Es würde wohl nichts bringen, vor der Tür, in der eisigen Kälter, weiter zu diskutieren.
Schnell wurde der große Sperrige Sarg unter den noch größeren Augen von Herr Nordmann in das Esszimmer auf den dortigen Tisch verfrachtet.
„Eine gute Gelegenheit, noch einmal mit ihrer Tante ein letztes Mal einzunehmen“, stellte der Bestattungsunternehmer zufrieden fest.
„Erst nichts von sich hören lassen und jetzt so was. Was hast du dir dabei gedacht, Frieda?“, Nordmann klopfte mit den Fingerknöcheln seiner linken Hand auf den Sarg.
„Was hat die Alte bloß mit ihrem Geld gemacht? Aber wo sie schon einmal hier ist“, sprach Nordmann zu sich.
Unter bedrohlich wirkendem Ächzen und Stöhnen fand der Sarg endlich seine richtige Position. Nordmann ließ eilends die Rolladen herunter, um den Nachbarn den Anblick des Sarges zu ersparen.
„War es das nun?“, fragte Nordmann und konnte dabei einen Seufzer nicht unterdrücken.
„Oh, nein, nein, nein“, der Bestatter winkte fröhlich ab.
Nordmann ließ sich im Wohnzimmer auf einen Sessel fallen: „Sagen sie nicht, dass sie noch mehr davon haben?“
„Aber nicht doch, ehrenwerter Herr.“
Der Gehilfe kam wieder. In der Hand hielt er eine weiße Keramikschüssel, an deren hinteren Ende zwei abgesägte Metallrohre hervorlugten. Oben drauf thronte majestätisch ein goldener Wasserhahn.
„Et voillar; Monsieur“, der Bestatter nahm es dem Gehilfen würdevoll aus den Händen und hielt es mit funkelnden Augen Nordmann dessen Gesicht, „das Bidet ihrer Schwester. „Weil ihr Mann, der ebenfalls verblichene Gustav, ach der Herr möge auch ihn in seiner unnachgiebigen Güte selig haben, es so liebte, es ließ sich, nach getätigtem Geschäft, immer ganz vorzüglich die Zeitung darauf lesen, bon , bon, Monsieur, hatte ihre ehrwürdige Schwester, ach was für ein seliger Engel, testamentarisch verfügt, man möge dieses gute Stück brasilianischer Wertarbeit, bis zum Tage ihrer Beerdigung neben ihren Sarg stellen, denn gerade dieses ehrbare Stück verströmt noch immer den Geruch ihres Mannes, des ehrbaren, aber auch schon von uns gegangen Gustavs, et bon, Monsieur, et bon …“, der Bestatter schloss.
„Und, Monsieur“, der Bestatter holte zur nächsten Lobbeduselung aus, „sehen sie nur die dekorativen Möglichkeiten, die sich nach der Beerdigung für sie mit diesem kostbaren Gerät ergeben. Sie könnten es beispielsweise als Zimmerspringbrunnen verwenden. Ein Brunnen wie es ihn, äh … nur bei ihnen gibt. Ich beglückwünsche sie zu dieser exklusiven Erbschaft, um die sie sicher schon bald jeder beneiden wird, Herr Nordmann.
„Mir reicht die Fontäne auf der Binnenalster vollkommen aus“, knurrte Nordmann
„Si, si, Senor“, räusperte sich der Bestatter künstlerisch, „ich bin überzeugt, sie und ihre ehrenwerte Familie werden das Beste aus der Sache machen.
Also, bis Mittwochmorgen, gegen 10 Uhr, wenn es ihnen recht ist, Herr Nordmann.
Ach, und ich hoffe ihre Schwester hat den Transport bis hierhin, zu ihrem prächtigen Haus, gut überstanden. Bei dem Verkehr heut zu tage auf den Straßen, na, ja, sie wissen ja sicher, was ich meine. Au revoir, Monsieur“, der Bestatter und sein Gehilfe verließen das Haus
„Allmählich fängt der Job an Spaß zu machen“, brummte der Bestatter vor dem Wagen zu seinem Gehilfen.
„War es das für heute“, wollte dieser wissen.
„Nein“, der Bestatter öffnete die Fahrertür und setzte sich vor das Lenkrad, „jetzt müssen wir noch auf Sankt Pauli um die zwei Nutten zu abzuholen, denen man heute Nacht bei der Schießerei die letzte Ölung erteilt hat.“
„Wo soll das noch hinführen mit der Menschheit“, seufzte sein Kollege.
Ein hilfloser Herr Nordmann saß nun in einem Sessel seines Wohnzimmers und sah geradewegs auf den Sarg, der im Esszimmer auf dem Tisch stand. Unbewusst hatte er die verstellbare Beinlehne aus dem Sessel herausgefahren, so, wie er es immer beim Fernsehen tat. In der Tat hätte man als Außenstehender meinen können, er sähe gerade Fernsehen.
„Morgen, Daddy, der Sohn, das einzige Kind der Familie, kam herunter, sah seinen Vater aber nicht den Sarg, „was geht ab in der Kiste. Oh, mein Gott!“, nun hatte er ihn bemerkt, „Wer ist, ich meine, wer liegt denn da drin?“
„Das ist, oder vielmehr, dass war Tante Frieda.“
Der Sohn ging zum Sarg hin, sah darauf und starrte dann ungläubig seinen Vater an: „Bleibt sie länger?“
„Nur bis Donnerstagmorgen, dann ist ihre Beerdigung.“
„Hatte sie nicht ein großes Vermögen?“, fragte der Sohn.
„Gut möglich, dass sie eins hatte“, murmelte Nordmann vor sich hin.
Der Sohn begann geräuschvoll zu riechen: „Das ist doch kein Leichengeruch, oder?“
„Nein“, beschwichtigte ihn sein Vater, „es ist viel schlimmer. In Paris nennen sie es Eau de Sargon. Es ist eine der exklusivsten Parfummarken der Welt. Man sollte es nur nicht ans Feuer halten.“
„Sieht eher wie Eau de toilette aus“, meinte der Sohn und nickte zum Bidet herüber.
Nordmann erhob sich: „Das wird demnächst unser Brunnen. Er wird stolzer werden als die stolzesten Brunnen dieser Welt.“
Der Sohn schüttelte verständnislos den Kopf: „Ich glaube hier drehen jetzt alle durch.“
„Nein, mein Sohn, durchgedreht hat nur meine so selige Tante Frieda, als sie testamentarisch verfügt hat, bei uns aufgebahrt zu werden.“
Vom Türschloss der Haustür war zu vernehmen, wie ein Schlüssel umgedreht wurde. Nach wenigen Sekunden stand Frau Nordmann frisch frisiert in der Diele und entledigte sich ihres Mantels: „Hallo, da bin ich wieder: Ist vielleicht unsere Erbschaft schon da? Ich hoffe ihr habt für das olle Ding einen schönen Platz gefunden. Ach“, sie richtete sich vor de Spiegel in Diele kleinlich ihre zu neuem Halt gelangte Dauerwelle und kam dann in die Stube, „beim Friseur war vielleicht wieder etwas los. Wenn ich nicht eine so gute Kundin wäre, dann …
Ein langer spitzer Schrei ließ sämtliche Wände des Hauses erzittern und die Dachpfannen vibrieren.
Es hatte fünf Minuten gedauert, bis sich Frau Nordmann von dem Schrecken, den ihr der Anblick des Sarges auf dem Esszimmertisch bereitete, wieder erholt hatte. Nun saß sie niedergeschlagen auf dem Sofa: „Wo soll ich denn heute Abend meine Tupperparty machen? Wir können die ganzen Sachen doch nicht einfach auf den Sarg stellen.
„Gewiss, mein Engelchen“, beruhigte Nordmann seine Frau; „wir können ja eine Tischdecke darauf legen. Dann merkt es vielleicht keiner von deinen Gästen. Uns wenn einer Fragt, sagen wir einfach, dass es sich um eine alte Kommode handelt, die nächstens zum Sperrmüll kommt.“
„Ihr könnt die Kiste doch einfach umgedreht auf zwei Holzböcke stellen und dann als Laufsteg benutzen“, scherzte der Sohn, „Dann könnt ihr das ganze Plastikgeschirr wie die Models präsentieren.“
„Das ist eine gute Idee, mein Junge“, lobte Nordmann.
„Ach, was! ihr seid wohl verrückt geworden“, schimpfte Frau Nordmann.
Schweigen trat ein.
„Ich denke“, sagte der Sohn schließlich, während er liebevoll über den Sargdeckel strich, „wir sollten es Tante Frieda zum Abschied so richtig gemütlich machen. Seine Eltern nickten. Auch sie waren der Meinung, dass das Esszimmer so noch nicht als Leichenkammer diente.
Eilends wurde vom nächsten Blumengeschäft floristisches Schmuckwerk herbeigeholt, das man um den Sarg auf dem Tisch verteilte.
„Fehlen nur noch Kerzen“, konsternierte Nordmann kritisch.
Das ganze Haus wurde darauf hin nach Kerzen abgesucht. Es fanden sich aber nun noch die halbabgebrannten Reste vom Weihnachtsfest. Sie wurden vor den Sarg gestellt, mit der Begründung, dass es bis Mittwoch nur noch zwei Tage seien und man deshalb nicht extra noch neue Kerzen kaufen müsse. Tante Frieda sei schließlich auch für ihr wirtschaftliches Denken bekannt gewesen. Die Kerzen wurden so gedreht, dass man ihre weihnachtlichen Verzierungen nicht sehen konnte.
„Und wie wäre es mit einer Totenwache?“, schlug Frau Nordmann vor.
Ihr Mann schlurfte die Treppe hoch. Währenddessen feilten Frau Nordmann und ihr Sohn noch an der Dekoration um den Sarg.
Als der Sohn auf dem Wohnzimmertisch ein Flakon mit seltsam, aber gut riechendem Inhalt fand, erhielt alles auch noch eine passable Duftnote verpasst, von dem Frau Nordmann so angetan war, dass auch sie sich damit einsprühte. Rosenblätter wurden um und auf dem Sarg verteilt und ebenfalls besprüht. Ein Bild der Tante, das von dem Tag an, an dem sie es von Tante Frieda auf dem Postweg erhalten hatten in irgendeiner Schublade verschwunden war und das die resolute Dame zusammen mit ihrem schon verstorbenen Mann zeigte, wurde vor den Sarg gestellt. Schließlich wurden die Kerzen angezündet.
Als nach geraumer Zeit Herr Nordmann wieder erschien, trauten seine Frau und sein Sohn zunächst ihren Augen nicht recht. „Um Himmelswillen“, Frau Nordmann schlug die Hände vors Gesicht, „du kannst doch nicht Opas alten Marinefummel dazu anziehen.“
„Dann eben nicht!“, wütend schmiss Nordmann sich die alte, ehrwürdige Jacke, die schon über so manches stille und auch stürmische Wasser gefahren war von sich.
Die Nachbarin, die um die Mittagsstunden erschien, hatte sich eigentlich nur ein Haushaltsgerät leihen wollen. Aus Macht der Gewohnheit hatte Frau Nordmann sie natürlich hereingebeten und dabei aber die neuen Umstände keinesfalls berücksichtig, sonder die Nachbarin nur ins Wohnzimmer gebeten, weil es so gut geheizt war. Eine für diese Jahreszeit geradezu behagliche Atmosphäre, hatte Frau Nordmann noch hinten drauf gesagt.
Doch die behagliche Atmosphäre wurde zu einer schaurigen und die Nachbarin verließ fröstelnd, nachdem sie die Erklärung der verlegenen Frau Nordmann in ihrem einigermaßen verwirrten Zustand akzeptiert hatte, zusammen mit dem geborgten Gegenstand das Haus. Am Nachmittag konnte man mehrere Knoblauchzehenbündel am Nachbarhaus baumeln sehen. Frau Nordmann verschob vorsichtshalber ihre Tupperparty auf die nächste Woche.
„Ich bin neugierig“, der Sohn schlich um den mit Blumen, leuchtenden Kerzen und Rosenblättern beschmückten Sarg und begann an den Verschlüssen zu spielen, „wollen wir ihn nicht mal aufmachen und sehen, wie es da drinnen so aussieht?“
„Kommt nicht in Frage“, schlug Nordmann mürrisch ab. „Es könnte sonst hier anfangen übel zu riechen“, sagte Frau Nordmann.
Schweigend betrachtete man den auf dem Esszimmertisch aufgebahrten Sarg.
„Eigentlich ein hübsches Mobiliar“, sagte Frau Nordmann.
„Verrückte Familie!“, knurrte Herr Nordmann.
Am Donnerstag fand die Beerdigung statt. Die spärliche Verwandtschaft war angereist. Der Sarg wurden noch vor 10 Uhr abgeholt und zum verschneiten Friedhof gebracht, was den Nordmanns nur recht war, da so die Verwandtschaft nicht wissen würde, dass die Tante ihre letzten oberirdischen Tage bei ihnen im Haus verbracht hatte.
Zu Mittagszeit hatte man sich schließlich am ausgehobenen Grab aufgestellt. Der Sarg stand auf zwei Bretter. Rechts und kamen Seile hervor, an denen der Sarg in die Tiefe gelassen werden sollte.
Ein eiskalter Wind zog über das Friedhofsgelände und brachte einzelne, kleine Schneepflocken mit sich. Die kleine Trauergesellschaft froh. Manch einer hielt schützend eine Kerze in den Händen.
Der Pastor sprach ein paar warme Worte. Obwohl er die Tote nie gekannt hatte, lobte er sie in den höchsten Tönen.
Schließlich war es an der Zeit, den Sarg langsam in Grab herunterzulassen. Der Sohn der Nordmann besprühte ihn noch schnell heimlich einmal mit dem seltsamen Parfum. Dann nahm er, sei Vater, sowie zwei weitere Männer aus der Verwandtschaft an den Seilen Aufstellung. Unter schrägen Sangestönen wurde der Sarg andächtig hinab gelassen. Noch einmal sprühte der Sohn ins Grab hinein. Dann trat jeder einzeln an das Grab heran, warf Erde und Blumen herein und wunderte sich über diesen sonderbaren Geruch, der dort von unten zu kommen schien.
Die Schwester der Verstorbenen, eine betagte Frau, trat, mit brennender Kerze in der Hand zum Grab. Als sie kurz davor war, rutsche sie auf einer glatten Stelle aus. Dabei verlor sie die Kerze aus der Hand, die im hohen Bogen aus ins Grab fiel.
Ein ohrenbetäubender Knall erschütterte den Friedhof und die angrenzenden Straßen. Aus dem Grab schoss eine meterhohe Fontaine aus erde, Holz und Blumen in die Höhe. Anschließend rieselte minutenlang ein Regen aus feinem Staub auf die zu Boden gegangene Trauergesellschaft. Es roch verbrannt.
Der Pastor rappelte sich als erster wieder auf und sprach hüstelnd: „Asche zu Asche, Staub zu Staub. Amen!“
Den Rest des Nachmittages verbrachte man bei Kaffee und Kuchen im Hause von Familie Nordmann und fachsimpelte, wie es möglich war, das eine solche Explosion hatte möglich werden können.
Nachdem man die sterblichen, teils verkohlten Überreste von Tante Frieda zusammengesucht hatte, wurden sie in einem Krematorium verbrannt. Wenig später erfolgte eine Urnenbeisetzung. Allerdings in einem anderen Grab. So fand die Tante schließlich ihre letzte Ruhe.
Stefan Peglow 2005

 

Hallo Stefan,

eine schön makabere und absurde Idee, bei der es mir ausnahmsweise mal völlig egal ist, ob sie sich so zutragen könnte. Allerdings schien sie mir ein bisschen zu sehr in die Länge gezogen.
Details:

Ein Mann von hagerer Statue
Das war wohl eher ein unfreiwilliger Lacher. Sicher meinst du Statur
und dessen Hände von schneeweißen Handschuhen bedeckt wurden
und auch das scheint mir eher ein unfreiwilliger Lacher zu sein. Ich hoffe doch, die Hände steckten in den Handschuhen und wurden nicht nur von ihnen bedeckt.
begab sich zur weißen Haustüre
Meine RS-Prüfung meutert immer bei diesem e. Der Duden übrigens auch.
damit der Geruch ihre nicht belästigt
der Geruch sie nicht belästigt
Ein Duft extra für die seligen unter uns
Seligen
Schnell wurde der große Sperrige Sarg
sperrige
Also, bis Mittwochmorgen, gegen 10 Uhr
warum hier plötzlich Mittwoch?
jetzt müssen wir noch auf Sankt Pauli
nach St. Pauli
er sähe gerade Fernsehen.
er sähe gerade fern.
sie richtete sich vor de Spiegel in Diele kleinlich
dem
Uns wenn einer Fragt, sagen wir einfach
Und wenn einer fragt
dass es bis Mittwoch nur noch zwei Tage
Donnerstag oder Mittwoch, du solltest dich entscheiden
Rechts und kamen Seile hervor
Da fehlt links
Dann nahm er, sei Vater, sowie zwei weitere Männer aus der Verwandtschaft an den Seilen Aufstellung
Dann nahmen (Plural, da Aufzählung folgt)
- sein Vater
Fontaine aus erde, Holz und Blumen in die Höhe
Erde

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,

vielen Dank für die Kritik.

Ehrlich gesagt, ist mir die Geschichte noch nicht makaber genug.

Was die Fehler angeht, bin ich um die Korrektur bemüht.
Du sagtest, die Geschichte sei ein bißchen zu sehr in die Länge gezogen. Wie lange (oder wie kurz) sollten denn Kurzgeschichten höchstens sein? Okay, fasse dich kurz? Aber wie kurz?

Beste Grüße
StefanP

 

Hallo StefanP,

mit in die Länge gezogen meinte ich nicht: zu lang für Kurzgeschten.de.
Eine Geschichte ist so lang, wie sie eben ist. Eher meinte ich damit, dass diese Geschichte sich in ihrer Idee zu oft wiederholt.
Vater, Sarg kommt, Überraschung
Kind, sieht Sarg, Überraschung
Frau, sieht Sarg, Überraschung
Nachbarin, sieht Sarg, Überraschung

Die Akteure reagieren mir nicht unterschiedlich und absurd genug, um diesen Effekt vier Mal zu präsentieren bevor die gute Tante endlich beerdigt wird. Dadurch wirkt die Geschichte in die Länge gezogen.
Warum zum Beispiel öffnet der Sohn den Sarg nicht einfach. Stattdessen fragt er und man verbietet es ihm. Ein Verbot, woran er sich hält. Gehorsam gibt aber nur einen makabren Effekt, wenn auch etwas daraus folgt.
Eine andere Möglichkeit dazu wäre, dass das erwartete Gelderbe sich in dem Sarg befinden könnte. Auch dabei hättest du die Möglichkeit, dass der neugierige Sohn den Leichnam gründlich und mit zugehaltener Nase nachts erforscht und das Erbe findet. Es könnte aber auch nach Urnenbeisetzung ein Brief kommen, der fragt, ob die Zuwendung gefunden worden wäre.

Die Geschichte dürfte also sogar länger sein, wenn sie das Thema mehr variieren würde. In deiner Version weiß man von Beginn an, es wird etwas in die Luft gehen, weil der Flacon so eine große Rolle spielt. Dadurch nervt es ein bisschen, wenn einer nach dem anderen vorher noch mal auf den Sarg reagieren muss/darf/ kann.

Lieben Gruß, sim

 

Hej!

Das mit dem Sargöffnen ist eine gute Idee. Ich finde allerdings nicht, dass dieses seltsame Gebräu zu sehr im Vordergrund steht. Aber vielleicht irre ich mich.
Sollte ich vielleicht die Beeredigung noch etwas ausbauen? Ich finde, daß ich da etwas zu schnell vorangegangen bin.

Hei, hei
SP

 

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