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Der Besucher

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12.03.2005
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Der Besucher

Der Besucher
written and composed by Christian Mayr

Das Feuer tanzt und springt unruhig vor meinen Augen auf und ab. Ich lasse mich ganz und gar von den geworfenen Schatten in ihren Bann ziehen; wie sie durch die Kerzen beinahe zum Stillstand, durch das unruhig knisternde Kaminfeuer dunkle Lebendigkeit einverleibt bekommen. Bis ein Luftzug die Kerze erlischen lässt, mir jegliches Leselicht und den Schattenspielen all die Beweglichkeit raubt. Ich lege mein Buch beiseite, mustere den Kamin, der sich fast im schachbrettartig angeordneten Marmorboden widerspiegelt und somit seine Intensität noch weiter zu steigern weiß, blicke doch in Wahrheit für eine Weile in die Leere und nehme nur noch das wohlige Knistern des Feuers wahr. Meine Gedanken sind leer, höre bald auch nicht mehr die ewig gleichen Geräusche, die mich umgeben. Bis ein Blitzschlag den Raum für kurze Zeit auf Tageslicht erhellt und mich aus meinen Träumen aufschrecken lässt.

Meine Augen öffnen sich und meine Frau blickt mir direkt in die Augen. Wie sie da steht. Unter der Lärche Schutz sucht vor den Sonnenstrahlen dieses Sommertages. Sogar das kitschig eingeritzte Herz kann man erkennen. E + L. Aber nur, wenn man weiß, dass es da ist, so klein ist es. Was waren wir noch jung. Dachten uns in einem schönen Traum gerettet zu haben, der nie enden wird. Die Zukunft noch vor uns. So schön war sie. Die Zukunft. Und sie. Da hatte sie noch ihre langen Haare, ihr Kleid in diesen kitschigen Rosarottönen und diese großen braunen Augen, die fragend in die Welt blicken. Die ganze Gegend war in zarten Lavendelgeruch eingetaucht. Und ich stand nur da, vor meiner Leinwand und malte, nur um diesen wundervollen Augenblick irgendwie einfangen zu können. Ich weiß noch, wie sie dann ungeduldig wurde, stand sie doch schon stundenlang unter der Lärche, nur mir zuliebe. Und wie ich immer schneller die Pinsel bewegte, nur damit das Bild schneller vollendet sei. Es war das letzte Gemälde, das ich je gemalt habe. Seit meine Frau gestorben ist, habe ich mich davon abgewandt, erinnerte mich doch jeder Pinselstrich, jeder Farbklecks an sie. Wie sie da steht und mit ihren großen braunen Augen in die Zukunft blickt. Jetzt sind dieser Sommertag, dieser Lavendelgeruch und die Lärche wieder in der Dunkelheit des Schattens verborgen. Nur mehr ganz schwach kann man einige Dinge erkennen. Das eingeritzte Herz jedoch nicht. Auch wenn man wüsste, dass es da wäre. Früher sah ich dieses Bild im Schein des alten Kronleuchters stundenlang an. Mindestens genau so oft, wie ich es verbrennen oder verstecken wollte, nur um nicht mehr erinnert zu werden, wie sie jäh aus dem Leben gerissen wurde. Ich konnte es aber nie tun. Und das Bild hängt immer noch da. Als Andenken an diesen schönen Traum, der nie enden sollte.

Ein zweiter Luftzug durchfährt den Raum. Diesmal viel stärker als sein Vorgänger, bläst er mir doch direkt in den Rücken und lässt das Kaminfeuer hastig auf und ab springen; unruhiger als sonst. Mein Körper fröstelt. Die Wärme des Feuers kann sich der aufkommenden Kälte nur mehr schwerlich erwehren, war der Blitzstrahl doch nur Vorbote des Unwetters, welches jetzt unter Donnergrollen die Vorherrschaft im Firmament anstrebt. Als nun ein dritter Luftzug erneut dem Kaminfeuer entgegensteuert, diesem einige Glutstücke entreißt und sie in einem schaurigen Schauspiel auf dem Marmorboden tanzen lässt, wird die Kälte im Raum langsam unerträglich. Das Fenster hinter mir ist noch halb geöffnet, höre ich doch im Abendrot gerne noch die Vögel singen, während ich auf meinem Thron in meinem Buche lese. So erhebe ich mich nun und steuere dem Fenster entgegen. Kaum setze ich einen Fuß auf den Boden, durchströmt mich erneut ein unwohliges Gefühl der Kälte. Schnell bewege ich mich nun der Fensteröffnung entgegen, nur um den Zeitraum, in dem sich meine Füße wie ein hilfloser Bauer auf dem kalten Schachbrettmuster bewegen, so kurz wie möglich zu halten. Nur noch wenige Schritte bin ich von meinem Ziel entfernt, als ein vierter Luftzug meinem Gesicht entgegenbläst, durch meine Haare zieht und meinem Körper erneut ein Stück Lebendigkeit entzieht. Mit zusammengekniffenen Augen haste ich schnell dem Fenster entgegen, warte bis ich den Holzrahmen ertaste und richte meine Blicke erstmalig auf die Nacht. Nicht viel ist zu erkennen, versteckt sich doch der Vollmond geschickt hinter Wolkenbanden. Nur zarter Lavendelgeruch liegt in der Luft. Rätselnd will ich das Fenster schließen, um der Kälte endlich Einhalt zu gebieten. Doch eine Eule hat ihren Platz auf dem Fensterrahmen eingefunden, fährt sich mit ihrem Schnabel neckisch durch die Federn und scheint durch mich hindurch in das Kaminfeuer zu starren.

„Verschwinde, elendige Kreatur!“, herrsche ich sie an. Ohne eine Anstalt, meinen Befehlen Folge zu leisten, mustert sie mich still und verdreht den Kopf, so als wolle sie ihn neckisch schütteln. Der nächste Windstoß naht, bläst mir direkt auf den Körper, doch lässt meinen Besucher nicht von seinem Platze weichen. „Verschwinde, elendige Kreatur!“, fordere ich abermals, doch sie verbleibt unbeweglich auf dem Holzrahmen. Ich werde langsam ungeduldig und greife nach den schneeweißen Federn des Geschöpfes, um es zu packen und hinaus in die Dunkelheit zu stoßen. Den Wolkenbanden, die sich über den Wald wie ein Dach erstrecken, entgegen. Doch die Kreatur weicht nicht von ihrem Platze, egal mit welcher Kraft ich nun versuche, sie zu verjagen. Ihre Klauen hacken sich tief in das Holz des Fensterrahmens, während sie statuengleich in den Raum blickt. Noch immer sind meine Finger tief im Federkleid des Tieres vergraben, nurmehr dem lebendigen Körper des Wesens Wärme abgewinnend. Jegliches Kältegefühl beginnt langsam abzuklingen, während ich regungslos den Wald anstarre. Der Wall aus Wolken löst sich langsam auf und der Mond taucht die Bäume in ein helles Licht. Nur wenige Meter weit weg steht die Lärche. Fast kann man von hier das eingeritzte Herz erkennen. Das Herz, welches auf dem Kreuz vor den morschen Baumstämmen direkt Kontakt zu dem meinen sucht. Ich kann mich von dieser verwilderten Stelle, an der seit Monaten niemand mehr gewesen ist, kaum mehr abwenden. Regentropfen fallen schon seit geraumer Zeit vom Himmel, doch jetzt erst bemerke ich die nassen Federn meines Besuchers, zu sehr war ich vom Anblick des Grabes vereinnahmt. Der Regen klatscht in Harmonie mit dem Knistern des Kaminfeuers auf den Boden und durchbricht die Stille, die nie gewesen ist.

Wieder zuckt ein Blitzstrahl aus den lichter gewordenen Wolken dem Erdreich entgegen. Je näher und größer er wird, desto mehr erhellt sich die Umgebung. Bis ich nur noch diese unglaubliche Wärme spüre, die mich in all ihrer Kraft zurückschleudert; dem kalten Marmorboden entgegen. Meine Sinne nehmen nichts mehr wahr, bis auf eine weiße Fläche, die sich immer präsent in die Unendlichkeit ausbreitet. Nach einer Weile der Gedankenlosigkeit finde ich wieder zu mir. Ich kann mich nur schwerlich bewegen. Mein Rücken schmerzt. Langsam kehrt mein Augenlicht wieder und ich blicke auf das noch immer halboffene Fenster. Die Eule ist so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen ist. Langsam stehe ich auf, greife nach der halboffenen Fensteröffnung, um sie endlich zu verschließen, halte jedoch inne, als ich auf die Stelle blicke, an der mein Besucher minutenlang unbeweglich saß. Ich sehe das eingeritzte Herz. E + L. Doch noch ehe ich mir über dieses Mysterium den Kopf zerbrechen kann, höre ich nur noch diesen fürchterlichen Krach von der Stelle, an der ich zuvor saß. Das Knistern des Kaminfeuers ist abgeklungen. Tausende Scherben liegen am Marmorboden. Mein Thron vollends zerstört. Nur im Mondscheinlicht sehe ich, dass der Kronleuchter nicht mehr an seinem Platz hängt und die Scherben am Boden wohl von ihm stammen. Ratlos blicke ich meiner Frau in die Augen. Augen, die etwas Lebendiges ausstrahlen. Etwas Lebendiges von einem wunderschönen Traum, der nie enden wird.

 

Hallo Christian,

E.A. Poe-Fan, gell? Ich hab' die ganze Zeit drauf gewartet, dass die Eule endlich "Nevermore" spricht... ;)

Das Ende fand ich recht originell, allerdings war es nicht ganz leicht, bis dahin zu kommen. Die Sprache ist doch ziemlich geschwollen, aber da du diesen "Mich dünkt es frohlocket taub trüber Ginst am Musenhain-" Stil konsequent durchziehst, ist das wohl Absicht und daher Geschmackssache.

An einigen Stellen verhaust du dich dann aber ein bisschen:

Ich lege mein Buch beiseite, mustere den Kamin, der sich fast im schachbrettartig angeordneten Marmorboden widerspiegelt und somit seine Intensität noch weiter zu steigern weiß, blicke doch in Wahrheit für eine Weile in die Leere und nehme nur noch das wohlige Knistern des Feuers wahr.
:confused:

Habe ich fünf oder sechsmal gelesen und weiß noch immer nicht ganz, was gemeint ist. Wie sieht denn das aus, wenn sich ein Gegenstand fast spiegelt? Ist es nicht eher so, dass etwas gespiegelt wird oder eben nicht? Und die Intensität des Kamins? Was ist an einem Kamin intensiv? Dann kann ja ein Auto theoretisch auch intensiv sein. Check ich nicht. :hmm:
Und auch wenn wir davon ausgehen, dass ein Kamin intensiv (massiv?) sein kann, warum wird er dann noch intensiver, weil er sich fast (Ja, nur fast) im Marmorfußboden spiegelt? Ich geb' auf ... :bonk:

Ansonsten ist mir nur aufgefallen, dass du im zweiten bzw. dritten Paragraphen mit nur einem Satz dazwischen zweimal das Adjektiv "neckisch" benutzt. Solche Wiederholungen stören den Lesefluss, vor allem wenn es sich um so prägnante und nicht ganz alltägliche Wörter handelt. Da putzt sich der Rabe, äh, die Eule ( ;) ) erst neckisch das Gefieder und dann schüttelt sie neckisch den Kopf oder so... Ja, ja, die Eule, der größte Schalk des Vogelreichs. :D

Ansonsten stay tuned und bis zum nächsten Mal,
Jan-Christoph

 

hello there und entschuldigung für die *leicht* verspätete rückantwort (bin ja nicht ganz so oft hier :D )

also wegen dem stil: normalerweise schreib ich ja nicht so geschwollen, sollte nur ein experiment sein a la "was kommt raus, wenn ich geschwollen rumschreibe?" ;)

und wegen der bedeutung von diesem einen satz...also...boah...ist ja auch schon ewig her, als ich das geschrieben hab ( :D )...die intensität bezieht sich auf das feuer im kamin, d.h. das feuer spiegelt sich im marmorboden und soll dadurch intensiver wirken oder so, never mind ;)

jedenfalls allerherzlichen (sehr verspäteten :D ) dank fürs feedback! :)

 

Tach erstma zusammen,

Hey Proof - Vicco von Bülow Fan - gelle? " Mich dünkt es frohlocket taub trüber Ginst am Musenhain-" Stil

Ne im Ernst. Auch ich fand die Geschichte sehr gelungen. War mal was anderes. Was mir gut gefallen hat ist die Beschreibung der Örtlichkeiten, die es mir schwer gemacht hat die Geschichte einer bestimmten Zeit, oder Begebenheit zuzuordnen. Alles so ein wenig geheimnisvoll gehalten - das fand ich wirklich gut.
Den etwas geschwollenen Stil fand ich im übrigen genau passend zum Thema.
War zwar irgendwie nur eine "Standardgeschichte", aber dennoch sehr gut lesbar - hat mir echt gefallen.

Gruss, Klatu

 

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