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Der Bettler

Beitritt
30.10.2008
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Der Bettler

Jeden Tag sitzt er an der gleichen Straßenecke. Oftmals gehe ich an ihm vorbei, als würde ich ihn nicht bemerken, aber eines Tages bleibe ich stehen.

"Sagen Sie mein Herr, haben Sie denn keinen Hut?"

Er hebt seine Augen und sieht mich an. "Warum sollte ich einen Hut tragen?"

"Nicht zum Tragen", sage ich nachsichtig, "einen, den Sie vor sich auf das Pflaster legen, damit der eine oder andere wohlwollende Mensch sein Mitleid bekunden und es klimpern lassen kann. Eine kleine Schüssel aus Blech, wenn möglich arg verbeult, erfüllt denselben Zweck."

Er blickt mich erstaunt an. "Ich bin doch kein Bettler, wie kommen Sie auf diesen abwegigen Gedanken?"

"Ja, ich dachte …, ich glaubte …, was treiben Sie sonst hier auf der Straße?"

Beinahe mitleidig sieht er mich an. "Aha, so denken Sie also über mich. Da irren Sie aber gewaltig, mein lieber Freund. Ich sitze nur hier, weil ich überzählig geworden bin. Es hat mich im Leben ausgehoben und ich brauche mir darüber nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Keine Arbeit wartet auf mich und darum sitze ich hier. Es ist mein Glück und mit niemandem möchte ich tauschen."

"Aber sagen Sie", werfe ich ein, "stört es Sie denn nicht, wenn die Menschen immer so schräg auf Sie hinunter schauen?"

"Nein, keineswegs, es kommt immer darauf an, von welcher Seite man es betrachtet. Nehmen Sie Platz und sehen Sie selbst, mein Herr."

Ich schaue nach links und rechts und setze mich.
Als ich eine Zeit lang da so neben ihm sitze und hinauf zu den vorbeigehenden Menschen sehe, wird es mir begreiflich, was er meint. Auf einmal bin ich für niemanden von Interesse. Ein seltsames, leichtes Gefühl, das sich nirgendwo einordnen lässt, macht sich in mir breit.

Er bemerkt mein Staunen. Wir freuen uns zusammen und tuscheln hinter vorgehaltener Hand, wie zwei Diebe, die mit ihrem Tuscheln alleine sein möchten.

Nach einer Weile sagt er zu mir, dass meine Kleider zu vornehm seien, und dass ich das Gefühl mit all seinen Vorzügen nicht völlig auskosten könne. Aber er ist klug und weiß Rat. Wir tauschen unsere Sachen und ich gestehe mir ein, er hat recht. In seinen Lumpen finde ich es grandios.

Auf einmal steht er auf und sagt, er wolle sich die Füße ein wenig vertreten. Er geht davon und ich sehe ihm hinterher.

Es dauert jedoch nicht lange und er kehrt zurück. Er hat ein bisschen Brot und Wurst mitgebracht. Er setzt sich wieder neben mich und wir lassen es uns schmecken.

 

Hallo Gernot,

ich glaube über die Verniedlichung des Bettlerlebens
hast du nicht genug nachgedacht.

Sicherlich ist ein Bettler frei von materiellen Zwängen,
meistens gehts denen jedoch sehr dreckig und
sie verenden Qualvoll.

Da ist nichts romantisches dran.

Gruss Hanqw

 

Hallo Gernot,

diese Geschichte mochte ich! Sie enthält einen unerwarteten Perspektivenwechsel und erzeugt Empathie. Auch die einfache, fast naiv klingende Sprache, die zur Offenheit und Naivität des Ich-Erzählers passt, hat mir gefallen. Wohl niemand würde so einfach mit einem Bettler tauschen wollen. Dein Protagonist geht aber so weit und zieht sich seine Kleidung an:

Nach einer Weile sagt er zu mir, dass meine Kleider zu vornehm seien, und dass ich das Gefühl mit all seinen Vorzügen nicht völlig auskosten könne. Aber er ist klug und weiß Rat. Wir tauschen unsere Sachen und ich gestehe mir ein, er hat recht. In seinen Lumpen finde ich es grandios.
Das hat etwas Absurdes und ist eben ungewöhnlich.

Allein das Ende finde ich nicht optimal: Ich würde entweder die letzten beiden Absätze weglassen oder beschreiben, wie der Mann plötzlich wiederkommt und der Erzähler mit ihm isst. Auch das ist ja nicht alltäglich: so selbstverständlich mit jemandem zu teilen.

Freundliche Grüße,

Berg

 

Hallo Gernot,

mir hat die Geschichte auch gut gefallen, sehr ungewöhnlich.

Ich meine mich aber erinnern zu können, dass der letzte Absatz (die letzten drei Sätze) fehlte, als ich die Geschichte das erste Mal las. Da fand ich die Geschichte noch wesentlich stärker. Es blieb offen, ob der Mann zurückkehrt oder nicht. In meiner damaligen (anno 1815 ;) ) Lesart war der Bettler ein Schlitzohr und dein Ich-Erzähler naiv. In meiner Lesart fand der Bettler in der Jacke den Wohnungsschlüssel deines Prots und bemächtigte sich der Wohnung, der Kleidung (nicht nur der Jacke) und des Autos deines Prots. Nicht nett und sicherlich auch nicht lange von Erfolg gekrönt. Aber vielleicht hat ja dein Prot auch Glück und findet jemanden, mit dem er tauschen kann? Das war etwas, was meine Phantasie beflügelte. Der Sachbearbeiter schlüpft in die Rolle des Universitätsprofessors, der Professor übernimmt das Leben einer Bäckereiverkäuferin, die wiederum tauscht mit einem Immobilienmakler ... Wer Pech hat, muss lange warten, bevor er jemanden findet, dem er mit dem Trick sein neues Bettlerdasein überstülpen kann. Und lernt in der Zeit die negativen Seiten kennen, von denen auch Hanqw spricht.

*laber*
Das waren jedenfalls meine Gedankengänge zur Geschichte. Der neue Schluss macht das jedoch leider kaputt.

Viele Grüße
Kerstin

 

Hallo Gernot,

also ich finde die Geschichte ... lahm.
Die Faszination des Rollentausches kommt bei mir als Leser nicht an. Das wirkt recht unmotiviert in meinen Augen. Weshalb sich der Ich-Erzähler dazusetzt, meine ich.
Auch finde ich, ist der Text nicht fein genug ausgearbeitet und ergeht sich damit in Widersprüchen, die mich persönlich stören:

Oftmals gehe ich an ihm vorbei, als würde ich ihn nicht bemerken, aber eines Tages bleibe ich stehen.
er bemerkt ihn also

Eine kleine Schüssel aus Blech, wenn möglich arg verbeult, erfüllt denselben Zweck."
er scheint ja ein echter Experte zu sein ;)

"Ich bin doch kein Bettler, wie kommen Sie auf diesen abwegigen Gedanken?"
weswegn dieser Satz? Auf den Kopf gefallen ist der Herr ja scheinbar nciht. Abwegig ist dieser GEdanke ja nun nicht.

stört es Sie denn nicht, wenn die Menschen immer so schräg auf Sie hinunter schauen?"

"Nein, keineswegs, es kommt immer darauf an, von welcher Seite man es betrachtet. Nehmen Sie Platz und sehen Sie selbst, mein Herr."

I

hieraus entnehme ich, dass die Blicke stattfinden, sie ihn aber nicht stören.

ch schaue nach links und rechts und setze mich.
Als ich eine Zeit lang da so neben ihm sitze und hinauf zu den vorbeigehenden Menschen sehe, wird es mir begreiflich, was er meint. Auf einmal bin ich für niemanden von Interesse.
das will mir irgendwie nicht passen. Wenn jemand einen schräg anguckt, ist schon ein gewisses Interesse da.

In seinen Lumpen finde ich es grandios.
Was denn?

Nee, das ist mir insgesamt zu einfach gestrickt.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Gernot,

du hast dich nicht wirklich mit dem Bettlerleben auseinandergesetzt, oder? So wirkt jedenfalls deine Geschichte auf mich, sorry.
Nein, ich bin selbst kein Bettler :D, war nie einer und werde hoffentlich auch nie einer werden. Allein die Vorstellung, auf der nackten Straße zu sitzen macht es mir schlichtweg unmöglich, dir den naiven "Perspektivwechsel" abzukaufen. Es ist einfach nicht glaubwürdig, und der Text enthält auch zu wenig "Fleisch", das man mit Glaubwürdigkeit würzen könnte.

Die Geschichte hat mir nicht gefallen.


-- floritiv.

 
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Guten Abend, Gernot Jennerwein,

das ist eine hübsche kleine Geschichte.
Beide Helden sind einfältig, aber nicht dumm; sie erinnerten mich an Schweinehirten, Mönche oder Heilige in Märchen, oder an Forrest Gump meinetwegen. Deswegen störten mich auch Formulierungen wie

er hebt seine Augen
weniger als gewöhnlich.

Ich hab mich oft in fremden Städten zu Leuten auf die Straße gesetzt, zum Ausruhen, Rauchen, Orientieren oder Lesen. Da sitzen viele verschiedene Menschen aus vielen Gründen; ich kann also Deinem Helden, dem Nichtbettler, ohne weiteres glauben, was er sagt.

Diese Stelle mochte ich sehr:

Als ich eine Zeit lang da so neben ihm sitze und hinauf zu den vorbeigehenden Menschen sehe, wird es mir begreiflich, was er meint. Auf einmal bin ich für niemanden von Interesse. Ein seltsames, leichtes Gefühl, das sich nirgendwo einordnen lässt, macht sich in mir breit.
Das kenne ich.

Gegen Ende dachte ich: Boah, klar, jetzt geht der erste weg, und der zweite muß da sitzen bleiben, bis einer kommt und ihn ablöst! Wie in dem Märchen mit dem Fährmann, wo der Fährmann dem Fahrgast die Stange in die Hand drückt, ans Ufer springt und wegrennt, und der andere muß dann rudern, bis er es schafft, jemandem die Stange in die Hand zu drücken.
Als das nicht passierte, war ich erst enttäuscht, aber ich muß zugeben, daß Dein friedliches Ende logischer ist und besser zu Deinen Helden paßt.

Hier ist noch Textkram:

Sagen Sie, mein Herr
hinunter schauen
wird zusammengeschrieben.
Wir freuen uns zusammen und tuscheln hinter vorgehaltener Hand, wie zwei Diebe, die mit ihrem Tuscheln alleine sein möchten.
Das Unterstrichene würde ich streichen. Ich finde, daß es die Passage schwächt. Und es erinnert mich gar zu sehr an das Ende von Kafkas Gibs auf-Parabel (... so wie Leute, die mit ihrem Lachen alleine sein wollen).

Gruß,
Makita.

P.S. Hey floritiv,

Allein die Vorstellung, auf der nackten Straße zu sitzen macht es mir schlichtweg unmöglich, dir den naiven "Perspektivwechsel" abzukaufen.
Du Armer hast noch nie auf der nackten Straße gesessen? Das würde ich nachholen, bevor Du zu alt wirst, um nachher wieder hochzukommen. :D

 

Hallo Gernot!

Also ... ich muss ja sagen, dass mir das neue Ende nicht gefällt. :) Das alte Ende, also das mit dem Fährmann, das fand ich schöner. Es hatte so was Mythisches, wie in dem zitierten Märchen.

Insgesamt finde ich den Text jetzt furchtbar platt, weil er ja nur erzählt, was sich da so zuträgt, aber er hat keine andere Aussage als die: Setz dich hin und guck mal.

Ich mein, das ist schon was. Aber vielleicht kommt es mir auch nur deshalb so mäßig vor, weil ich das alte Ende hübscher fand. :)

Bis bald,

yours

 

Hallo Gernot,

interessante Geschichte, musste ich erst mal drüber nachdenken.
Wenn ich ehrlich bin, haben mich die Dialoge am Anfang ein bisschen gestört, wegen der Länge, meine ich und den

"Nicht zum Tragen", sage ich nachsichtig, "einen, den Sie vor sich auf das Pflaster legen, damit der eine oder andere wohlwollende Mensch sein Mitleid bekunden und es klimpern lassen kann. Eine kleine Schüssel aus Blech, wenn möglich arg verbeult, erfüllt denselben Zweck."

finde ich ziemlich umständlich. Den solltest Du etwas "entmüllen".
"Wohlwollende Menschen"? Spricht man so? Das klingt irgendwie künstlich, finde ich. Das Fettgedruckte würde ich streichen, so als Idee.

Ansonsten fände ich das Ende besser, wenn der "Bettler", der ja gar keiner sein will, mit den Klamotten des Ich-Erzählers abhauen würde, einfach nicht wieder käme. Das habe ich beim Lesen nämlich gedacht und das hätte mir gut gefallen als unerwartete Wendung der Geschichte. Kannst Du Dir ja überlegen.

Liebe Grüße
Giraffe :)

 

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