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Der Bucklige

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06.05.2006
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Der Bucklige

Das Schulhaus in welchem ich meine ersten sechs Schuljahre verbracht habe, liegt unmittelbar neben meinem Elternhaus. Nur ein schmaler, auf beiden Seiten mit schulterhohen Sträuchern eingebetteter Kiesweg trennt die beiden Grundstücke. Beim letzten Besuch meiner Eltern hatte ich vorher noch einen kurzen Spaziergang durch die umliegende Gegend unternommen und näherte mich nun dem Elternhaus von der Bergseite her, wodurch ich zwangsläufig zuerst beim Schulhaus vorbeikam. Da ich voraussichtlich vor dem verabredeten Zeitpunkt eintreffen würde, entschloss ich mich spontan noch eine Weile durch das Schulhausgelände zu schlendern, um in Erinnerungen zu schwelgen.

Die Schulkinder schienen bereits nach Hause gegangen zu sein. Nur auf dem rechteckigen Rasen spielten noch ein paar Knaben Fussball. Ich bewunderte die im Sonnenlicht schimmernden Metaltore mit ihren weissen Tornetzen und erinnerte mich, dass es zu meiner Zeit noch keine Tore gab und wir jeweils vier Jacken oder Pullover oder T-Shirts auf den Rasen legen mussten, um zwei Tore bilden zu können. Ich schritt den Rasen der Länge nach ab, ohne dass mich die Knaben beachteten. Am Ende des Rasens angelangt kam ich zu einer mir von früher bestens bekannten geringfügigen Böschung, welche ich in meiner Schulzeit unzählige Male hinunter und wieder herauf gerannt sein musste, um einen etwas zu kräftig getretenen Fussball zurück zu holen. Wenn man nicht schnell genug war und der Ball ausserdem sehr kräftig getreten worden war, rollte dieser jeweils in den ersten der von hohen Gräsern umgebenen, kleinen Teiche und es hatte jeweils lange gedauert, bis man einen genügend langen Ast gefunden hatte, wenn man nicht selber in den Teich steigen wollte. Ich trippelte vorsichtig die Böschung hinunter und ertappte mich dabei wie ich reflexartig nach links, wieder nach vorne und dann nach rechts schaute und nach dem Gesicht des Alten suchte. Nach einem kurzen Augenblick trugen meine Gedanken mich wieder zurück in die Gegenwart und mein Mund formte sich zu einem leisen Lächeln. Was wohl aus dem Alten geworden war? Ob er noch lebte?

Ich kämpfte mich durch das wild und üppig empor gewachsene Gebüsch und mein Blick suchte instinktiv den Boden ab nach dem vom Alten mit schmalen Holzbrettern aneinandergereihten, ausgelegten Weglein ab, auf welchem man bequem an den verschiedenen Teichen entlang schreiten konnte. Vorsichtig stellte ich mich auf das erste schmale Holzbrett, das unter meinen Schritten sogleich leicht zu wackeln begann. Das einst helle Holz hatte sich über die Jahre dunkel verfärbt und war durch die Witterung morsch geworden. Ich überblickte die Biotoplandschaft und musste feststellen, dass die einzelnen Teiche aufgrund der dichten wilden Gräser, die bis zu meiner Brust ragten, kaum noch zu sehen waren. Als ich den schmalen Bretterweg weiterging, kam ich zum grössten der Teiche, beugte mich ein wenig nach vorne und schaufelte mit meinen Händen die Gräser zur Seite, um mir einen besseren Überblick über den Teich zu verschaffen. Er war vollständig von wild wuchernden Algen in Beschlag genommen worden, die ihm eine hässliche schwarzgrüne Farbe verliehen und ein unangenehmer Geruch stieg in meine Nase, der mehr an eine Kloake als an einen von Menschenhand angelegten und gepflegten Teich erinnerte. Ich liess die Grashalme wieder los und schritt, einen kurzen Seufzer ausstossend, weiter. Ich versuchte mich zu erinnern, wann der Alte damals angefangen hatte, die Löcher für die Teiche auszuheben, was etwa zu der Zeit gewesen sein musste, als ich in die fünfte Klasse gegangen war. Als Kinder hatten wir das Vorhaben des Alten, eine künstliche Teichlandschaft zu erschaffen, damals als überaus lästig empfunden, da der Alte uns dadurch die Möglichkeit nehmen würde, die Abkürzung vom grossen Rasen über die Böschung hinunter direkt auf den Kiesweg zu meinem Elternhaus zu nehmen, denn der Alte hatte auch einen hohen Drahtzaun errichtet, damit niemand vom Kiesweg zu den Teichen gelangen konnte. Der Mann, dessen Namen ich auch heute noch nicht weiss, war zu meiner Schulzeit Lehrer der Sonderklasse gewesen und unterrichtete die Kinder, deren Leistungsvermögen nicht genügte, um mit uns, den normalen Kindern, zusammen in die selber Klasse zu gehen. Allein schon deswegen war der Alte mir damals etwas unheimlich und ich und die anderen Schulkameraden nannten ihn stets nur den „Möngi-Lehrer“.

Die Sonderklasse war in einem separaten Schulgebäude untergebracht und ich hatte mich als Kind oft gefragt, was diesen Unterricht wohl von demjenigen, den ich erhielt, unterscheiden würde. Der Alte war damals mit Abstand der älteste Lehrer an der ganzen Schule und hatte einen gewaltigen Buckel, der ihn schon von weitem kennzeichnete. Er hatte stets denselben, starren, zornig wirkenden Gesichtsausdruck und seine Augen schienen mir durch das dicke Brillenglas immer unnatürlich gross. Ich hatte ihn nicht ein einziges Mal lachen gesehen. In den ersten Schuljahren hatte ich wie alle Kinder in meiner Klasse Angst vor ihm und wir rannten immer gleich weg, wenn der Alte auf dem Pausenplatz in unsere Nähe gekommen war.

Ungefähr ab der fünften Klasse war die Angst einer Abneigung gewichen und wir machten uns jeweils einen Spass daraus, ihn in den Pausen von hinten mit Eicheln, Beeren oder Tannzapfen zu bewerfen; immer aus sicherer Entfernung versteht sich. Der bucklige Alte kehrte sich dabei regelmässig, nachdem die ersten Wurfgegenstände ihn getroffen hatten, wutentbrannt um, um seine Peiniger ausfindig zu machen, aber seine Bewegungen waren angesichts seiner Gebrechlichkeit bereits zu behäbig geworden, als dass er jemals sehen konnte, wer seine Quälgeister waren und wir hatten uns jedes Mal schon längst hinter einer Mauer oder einem Gebüsch versteckt. Trotzdem hatte er immer lauthals gekrächzt, dass er uns eines Tages erwischen würde. In der Zeit des Teichbaus nahmen unsere Wurfattacken auf den Buckligen sogar noch zu und wir schlichen uns beinahe in jeder Pause von hinten an ihn ran, um ihn bei seinem Vorhaben zu stören. Der Alte schien sich mit den Attacken allmählich abgefunden zu haben und drehte sich nicht mehr jedes Mal um, wenn ihn wieder eine Eichel oder ein Tannzapfen an den Hinterkopf getroffen hatte.

An einem warmen Frühlingstag hatten wir uns einmal entschlossen rauszufinden, wer der Mutigste unter uns Kindern wäre und sich am nächsten an den Alten ran getrauen würde. Ich wollte mir diesen Titel unbedingt holen und kroch auf allen Vieren so nah an ihn ran, näher als alle anderen Kinder, so dass der Bucklige nur noch wenige Meter von mir entfernt gestanden hatte. Er schien mich nicht zu bemerken und fischte mit einem Netz gerade etwas aus einem der Teiche. Als ich mich aufrappelte, um mit einer Eichel nach ihm zu werfen, verlor ich in der Ausführung des Wurfes das Gleichgewicht und fiel kopfüber in einen der Teiche. Als der Alte das Klatschen des Wassers gehört hatte, liess er sein Netz fallen und nach einer kurzen Weile erspähten seine riesigen Augen meinen im Nass zappelnden Körper. Wutentbrannt näherte er sich mir und zog mich an einem Bein aus dem Wasser. Er schrie mich mit unverständlichen Worten an und schüttelte mich dabei kräftig durch. Dann hob er seine rechte Hand an, um mir eine kräftige Ohrfeige zu verpassen. Aber als er sah, dass ich mit meinem Sturz mitten in einen Froschlaich gelandet war, brach er sein Vorhaben ab und versuchte, den auseinandergefallenen gallertartigen Klumpen wieder in seine ursprüngliche Form zurückzubringen. Mit Tränen in den Augen lief ich davon.

Seit jenem Tag hatten ich und die anderen Kinder aufgehört, den Buckligen mit Gegenständen zu bewerfen. Stattdessen fingen wir an, uns für das neue uns unbekannte Leben in der Welt des Alten zu interessieren und immer nach Schulschluss, nachdem wir uns versichert hatten, dass der Bucklige nicht mehr da war, schlichen wir uns zu den von ihm so sorgfältig gepflegten Teichen und beobachteten die verschiedenen, darin versteckten Tiere. Wir machten Wettbewerbe, wer zuerst einen Wasserfrosch entdecken oder am meisten Wasserläufer sehen würde. Ab und zu fingen wir einen der Frösche ein und stopften ihn in ein mit Wasser gefülltes Konfitüren Glas, nur um ihn am nächsten Tag wieder freilassen zu können.

Jetzt kannte ich nicht nur die Namen der Tiere, sondern auch deren bevorzugte Nahrung sowie Familien- und Klassenzugehörigkeiten, doch sah ich jetzt keine mehr von ihnen. Mein Blick fiel erneut auf den Algenteppich in der Mitte des Teiches und fixierte diesen für einen Moment. Ich stellte mir vor, dass heute vielleicht höchstens noch ein paar ausgesetzte Goldfische darin umherschwimmen würden und vermisste die elegant über die Wasseroberfläche gleitenden Wasserläufer, die stoisch vor sich hin quakenden Frösche und Kröten, die umherschwirrenden farbigen Libellen oder die glitschigen Molche. Am meisten aber vermisste ich den alten Buckligen.

 

Hallo zusammen!
Hier meine erste Geschichte auf Kurzgeschichten.de. Ich hoffe sie gefällt euch! Bitte um konstruktives Feedback.;-)

Literarische Grüsse
palerider

 

hey
hier ein wenig konstruktive Kritik: du machst es dem leser nicht leicht,bei der sache zu bleiben.
die geschichte ist irgendwie zu chronologisch aufgebaut. wenn man es nicht so spannend schreibt,dann muss der inhalt spannend sein.eine kindheitserinnerung ist eine schöne sache,worüber sich auch gut schreiben lässt und fast jeder kennt diese gedanken bzw ähnliche erlebnisse.
deswegen ist es aber auch nichts neues. versuch doch mal,die geschichte ein wenig aufzulockern und das überflüssige rauszunehmen(zb zu detaillierte beschreibungen etc).
mir ist auch aufgefallen,dass es mir gereicht hat,die geschichte zu überfliegen und ich habe trotzdem alles mitbekommen-forder den leser ein wenig heraus.

ansonsten mag ich es, welche worte du für bilder wählst und wie der bucklige von "dir" ablässt,um seine froschdingsda zu retten.
ein sehr schönes element!

ps:ist alles nur eine anregung-wenn du es nicht magst,kann ich das auch verstehen:)

 

Hallo palerider,

ich habe Deinen Erstling nicht ungern gelesen. Sprachlich begleitetst Du den Leser auf eine sehr angenehme, ruhige Art. Von dieser Seite her, hätte ich auch nur weniger Anregungen für Dich.

Was mir deutlicher auffällt, ist der Spannungsaufbau. Einleitung - Hauptteil - Ende. Deine Einleitung ist doch sehr langatmig. Wenn auch schön geschrieben, so passiert erst mal wenig, außer das er da über seinen alten Schulplatz wandert und Veränderungen beobachtet. Vielleicht könntest Du sie auf einen Absatz bringen, dafür pointierter und nicht ganz so ausführlich.
Der erste Absatz, dass das Schulhaus neben dem Elternhaus liegt und er zu früh dran ist, da könnte man sicher ordentlich was verdichten. Diese Informationen sind ja nicht wichtig für den weiteren Verlauf.

Dann kommt der Abschnitt mit dem Lehrer. Die Idee ist schön, auch das, was Du erzählst, aber nicht das wie. Dadurch, dass Du diesen Abschnitt als Erinnerung erzählst, ist er irgendwie tot. Da kommt kaum Leben rein. Es wirkt berichtend. Keine Dialoge, keine kaputten Hosen oder Knie, die die Personen näher charakterisieren. Auch der Alte wird aus einer sicheren Distanz geschildert. Wenn Du diese Szene schildern würdest, als würde sie genau in diesem Augenblick passieren - wenn Du die Jungs da lachend und feixend, den Lehrer wütend zeigen könntest, wäre sie sicher lebendiger.

Der letzte Absatz erscheint mir irgendwie "pädagogisch wertvoll". Ich hätte es schöner gefunden - er steht da jetzt vor einem Tümpel, der früher mal ein Teich war. Das ist doch ein schönes Ende. Verbastel es nicht so unter dem Aspekt, was er alles gelernt hat, was er diesem alten Kerl da verdankt. Das spürt Leser schon, wenn er zuvor liest, wie viel Zeit und Spaß die Jungs da hatten.

Schöne Idee, schöne Sprache, leider alles so auf Distanz gehalten, dass ich nicht so richtig rein kam, sondern mehr in der Postion des Zuhörers verweilte, statt eines aktiv Teilnehmenden.

Beste Grüße Fliege

 

Hallo fennsen
hallo Fliege

Erstmal herzlichen Dank für euer Feedback! Dachte schon mein Erstling würde hinsichtlich Feedback gänzlich ignoriert werden.;)

@fennsen: Schön dass dir meine Worte für die Bilder und die Szene mit dem "Ablassen des Buckligen" gefallen, danke!

@Fliege: Auch dir vielen Dank für das Kompliment hinsichtlich meiner Sprache!

Zur (fehlenden) Spannung der Geschichte: Ihr schreibt beide, dass es der Geschichte an Spannungselementen fehlt resp. der Spannungsaufbau zu wünschen übrig lässt. Nun, ich kann diese Kritik durchaus nachvollziehen und werde die Geschichte hinsichtlich der Einleitung (pointierter) und hinsichtlich des Endes (weniger schulmeisterlich...;)) nochmals überarbeiten. Ansonsten wollte ich die Geschichte aber gerade als reine Erinnerung ohne Dialoge und aus einer gewissen Distanz schildern, auch wenn die Spannung darunter etwas leidet. Dialoge werde ich also keine einbauen, aber hier und dort noch etwas an der Länge arbeiten.

Nochmals vielen Dank für euer fruchtbares Feedback fennsen und Fliege!

Beste Grüsse
palerider

 

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