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Der Burgtorspielplatz

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26.03.2006
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Der Burgtorspielplatz

Der Burgtorspielplatz


"Habt ihr heute nachmittag schon was vor?" fragte ich Anja, Flynns Mutter, als wir heute mittag unsere Kinder vom Kindergarten abholten. Sie sah mich aus ihren hellen Augen ein bisschen überrumpelt an und sagte: "Nein, eigentlich nicht - wir wollten zwar in die Werkstatt und Stewart was zu essen bringen, weil er vergessen hat sich was mitzunehmen, aber... das ist nicht so wichtig, das Wetter ist so schön... Wir könnten uns auf irgendeinem Spielplatz treffen!" - "Oh ja", sagte ich und überlegte schnell, welcher sich anbieten würde. Ich hatte keine Lust auf große Umstände. Weder wollte ich erst zu Anja fahren noch die Kinder im Fahrradanhänger irgendwohin kutschieren müssen. Der Winter hat uns fest im Griff, es ist noch richtig kalt. Es musste nahe sein. "Kennt ihr den Burgtorspielplatz?" fragte ich, und dabei merkte ich, dass mir ganz warm ums Herz wurde, so als schiene mir ein Frühlingssonnenstrahl durch den Sinn. "Burgtor, Burgtor... nein...", sagte Anja, und ich erklärte ihr schnell, wie man hinkommt. "Aber du kannst auch vorher zu mir kommen, dann gehen wir zusammen, und die Kinder können Fahrrad und Laufrad fahren." Abgemacht.
Am frühen Nachmittag tauchten Anja und Flynn bei uns auf. Birk Jannis, Jonte und ich waren längst startklar; beide drängten darauf, auf die Räder zu kommen. Erst vor zehn Tagen haben sie gelernt, darauf zu fahren: Birk Jannis mit seinen viereinhalb Jahren stieg vom Laufrad aufs Fahrrad um, der zweijährige Jonte vom Bobbybike aufs Laufrad. Flynn hatte einen noch schickeren Helm auf dem Kopf als meine beiden, und so marschierten Anja und ich zwischen unseren Kindern her. Wir freuten und amüsierten uns über ihren Eifer. Besonders Klein-Jonte mit seinen kurzen Beinchen auf dem großen Laufrad bot einen rührenden Anblick, sein kleiner Kopf geschützt durch einen neongelb leuchtenden Kinderhelm älteren Datums. Wir sahen hauptsächlich diese kreisrunden Helme um uns herum segeln, wie kleine Astronauten gurkten die Jungen vorwärts, und schon waren wir da.


Spielplätze gibt es viele. Man lernt sie alle kennen, wenn man Kinder hat. Jeder hat seinen Charakter; manche sind groß und weitläufig, manche abenteuerlich, manche gefährlich, manche beschaulich, manche, grün, manche sandig, manche morgens schattig und nachmittags hell, manche umgekehrt. Spielplätze verändern sich nicht besonders. Ab und zu werden die Geräte neu gestrichen oder ausgewechselt, aber sonst passiert da wenig. Die Jahreszeiten kommen und gehen, die Menschen kommen und gehen. Sie sind es, die sich verändern, vor allem natürlich die kleinen Menschen, die Kinder. Im Frühjahr offenbaren sich Geheimnisse, wenn man sich zum erstenmal wieder zum Spielplatz aufmacht und die runden Frauenbäuche der neuen Saison erblickt, oder wenn plötzlich die Frau, die im vorigen Jahr immer mit einem Kind hier war, nun einen Kinderwagen dabei hat, in dem ein Neugeborenes schläft oder brüllt.
Der Burgtorspielplatz ist beschaulich, klein und fast immer sonnig. Er liegt geschützt und von einem stabilen Eisenzaun umgeben in einem Winkel hinter dem Burgkloster. Claudia, eine kräftige Frau und Mutter von vier Kindern, schließt morgens das Tor auf. Sie sorgt dafür, dass der Spielplatz pfleglich behandelt wird; gelegentlich habe ich sie dort sogar schon fegen sehen. Und im Sommer verbringt sie mit ihren Kindern fast jeden Nachmittag dort.
Jetzt im Winter bin ich dort mit meinen Kindern oft ganz allein. Auch heute ist außer Anja, Flynn und uns niemand da. Während wir die Kinderräder im Schnee abstellen und peu à peu das Picknick aus den Beuteln holen, beginne ich auf einmal zu reden. Ich erzähle Anja was mir hier schon alles passiert ist. Und dabei wird mir klar, dass mir dieser kleine Platz so vertraut und lieb ist, weil er mich schon in unterschiedlichsten Lebenslagen gesehen hat. Darin unterscheidet er sich grundlegend von allen anderen Spielplätzen und übrigens auch von vielen mir bekannten Menschen in Lübeck. Und Anja hört mir zu - soweit sie nicht hinter Flynn herläuft, um ihm die Nase zu putzen. Zwischendurch muss auch ich mich um die Kinder kümmern, Streit schlichten an der Wippe - "Wer wippt mit wem???" - aber das hindert die Bilder nicht daran, in mir aufzutauchen, eines nach dem anderen, Erinnerungen, die ich mitteilen möchte. Mag sein, dass der Gedankenfluss so ins Strömen gerät, weil ich Anja kaum kenne und das Bedürfnis habe, sie ein wenig von mir sehen zu lassen, damit wir uns näher kommen. Dann aber bemerke ich, dass ich mehr in Gedanken bin als dass ich wirklich rede.


Ich erinnere mich an meinen Hochzeitsmorgen. Zu einer Hochzeit gehören natürlich zwei, und aufs ganze gesehen ist es unser Hochzeitstag, aber der Morgen, dieser klare, stille Junimorgen, gehörte mir ganz allein. Nie werde ich vergessen, wie ich es um vier Uhr nicht mehr im Bett aushielt und in der ersten Dämmerung dieses denkwürdigen Tages meine Runde im Drägerpark drehte. Ich hatte die leise Befürchtung, mit meiner Eheschließung ein anderer Mensch zu werden: Nicht mehr so frei, nicht mehr so autonom, dafür verbindlich in eine hoffentlich tragende Beziehung eingebunden, nicht als Kind, nicht als Mädchen, sondern als Frau, als Ehefrau. War das ein Schuh, in den ich passte? Der Himmel wurde langsam heller. Die Vögel sangen was das Zeug hielt - und ich rannte was das Zeug hielt. Ich wollte nicht wegrennen - ich wollte nur ein letztesmal unverheiratet rennen!
Dann kam das Frühstück, bei dem sich eine üble Stimmung in unserer Küche ausbreitete, als sich herausstellte, dass niemand für die fest eingeplanten 40 Brötchen gesorgt hatte, die für die Stadtrundfahrt auf der Maak-Linie im Anschluss an die standesamtliche Trauung benötigt wurden. Wer sie schmieren sollte, war abgesprochen: Meine Mutter. Die weilte aber gerade in einer kleinen Pension und wollte eben zum Schmieren der Brötchen später zu uns kommen. Meine Schwiegermutter hielt es für selbstverständlich, dass meine Mutter die Brötchen auch kaufen und mitbringen würde. Dessen war ich mir gar nicht sicher. Meinem Mann war es ziemlich gleichgültig, er hatte andere Sorgen an diesem Tag.
So rannte ich, noch immer unverheiratet, zu der besagten Pension, wo ich meine Mutter seelenruhig im Kreise ihrer Schwesterfamilie frühstückend antraf. Ich fragte vorsichtig, ob sie wohl gedenke, die Brötchen zu kaufen. Sie reagierte irritiert. Ich sagte "Schon gut, schon gut", verschwand wieder und rannte ohne Umwege weiter zur Stadtbäckerei Junge. Es war jetzt ungefähr halb zehn; bis zur Trauung im Standesamt waren es noch zweieinhalb Stunden. Ich trug nun den großen Beutel mit den 40 Brötchen durch die Große Burgstraße und betrat den damals noch dort befindlichen Blumenladen, wo ich meinen Brautstrauß, den Haarkranz und das kleine Röschen für das Revers meines Mannes bestellt hatte. Die Floristin war gerade dabei, den Kranz zu machen. Sie sagte, in einer halben Stunde sei alles fertig. Wenn ich noch etwas zu erledigen hätte... Wohin sollte ich aber gehen? Ich hatte jetzt nichts mehr zu erledigen; ich musste nur noch warten.
So schlenderte ich zum Burgtorspielplatz. Er lag in der hellsten Morgensonne, und der Sand blendete mich. Ich hängte den Brötchenbeutel an den Eisenzaun und setzte mich auf die Schaukel. Zuerst baumelte ich träge vor und zurück, dann aber nahm ich Schwung und schaukelte so hoch ich nur konnte, lange und ausgiebig. Ich habe es schon immer geliebt zu schaukeln, und gerade jetzt, wo zu Hause solche Aufregung herrschte, fühlte ich mich so leicht und befreit durch das hohe Schaukeln. Ich genoss das Kribbeln im Magen, wenn es vorwärts bergab ging, und alle Gedanken verflogen, auch die Sorgen und die Tristesse, die sich seit dem Frühstück wie ein Schatten in mir breit gemacht hatte. Die Ronja in mir schrie ihren ultimativen Frühlingsschrei. Es war die allerbeste Vorbereitung auf das frohe "Ja", das ich heute zweimal - vor der Standesbeamtin und vor der Gemeinde in der Kirche - aussprechen würde. Intensiver als an diesem Morgen habe ich wohl niemals in meinem Leben auf einem Spielplatz geschaukelt.
Der Brautstrauß und der Kranz waren genau wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich dankte der Floristin überschwänglich mit den Worten: "Sollte ich wieder einmal heiraten, komme ich auf jeden Fall wieder zu Ihnen!" Sie lachte. Vorsichtshalber schloss sie wenige Wochen später für immer ihr Geschäft.
Beladen mit einem 40-Brötchen-Sack und meinen Blumen rannte ich nach Hause und heiratete.


Wie schafft sie das, wie schafft sie das nur, fragte ich mich ein Dreivierteljahr später, als ich meine Freundin Ute beobachten durfte, deren beiden Kleinkinder gleichzeitig die Windel voll hatten. Selbst saß ich schwanger in der hinteren Ecke des Spielplatzes auf einer Bank, die Füße hochgelegt auf den fest montierten quadratischen kleinen Holztisch. Es war nicht besonders warm draußen, doch Ute sah darin kein Hindernis, die Kleinen nacheinander rücklings auf die Bank zu legen und sie auszuziehen. Mit einer Hand hielt sie ihnen die Beine hoch, mit der anderen nestelte sie geschickt an der Öffnung einer Packung, die sie irgendwoher gezaubert hatte, holte sogenannte "feuchte Tücher" daraus hervor, wischte und tat und machte, murmelte etwas wie "Diese Tücher sind natürlich eine ökologische Katastrophe" und hatte schließlich beide Popos sauber und trocken in neue Windeln gepackt - Stoffwindeln übrigens, was mir noch mehr Respekt einflößte. Danach stillte sie ihre Tochter, die eben erst geboren war. Das Söhnchen kletterte auf den Spielgeräten herum. Wie gut, dass du noch da drinnen bist, sprach ich leise zu dem Wesen in meinem Bauch; so kann ich hier ganz ungestört sitzen. Das Wickeln stand mir ein wenig bevor, da ich es noch nie gemacht hatte; dasselbe galt für das Stillen. Noch durfte ich beides beobachten; wie würde es sein, das eigene Kind zu versorgen? Ganz zu schweigen von der Geburt... Wieder hatte ich das ungewisse Gefühl, das ich vom Hochzeitsmorgen her kannte: Das Gefühl, nach dem mir bevorstehenden Ereignis ein veränderter Mensch zu sein, nicht mehr genau die Person, die ich jetzt war. Meine Freundin Ute bewunderte ich für die Souveränität, mit der sie tat was sie tat. Sie hatte zwei Kinder geboren, spielend scheinbar, jedenfalls komplikationslos und schnell; mit größter Selbstverständlichkeit hatte sie die beiden dabei, wenn wir uns trafen, und der Burgtorspielplatz bot sich als geeigneter Platz dafür. So ging ich auf die Geburt meines eigenen Sohnes zu, der sich schon so deutlich regte.


Am 11. September 2001 kam ich von einem solchen Treffen auf dem Spielplatz und fühlte, dass etwas passierte. Mir war sehr mulmig und ich vermutete schon, die Geburt ginge los. Da der errechnete Termin der 14. September war, hätte es durchaus so ein können. Es regnete, und ich schlenderte los, intensiv in mich hinein horchend, ohne jedoch irgend etwas Entscheidendes ausmachen zu können. Vielleicht bekomme ich heute mein Kind, dachte ich. Ich will mir vorher noch etwas Süßes gönnen. Und ich betrat den SCHLECKER-Laden in der Großen Burgstraße, wo ich träge die Schokoriegel untersuchte. Da hörte ich aus dem Radio im Laden die Nachricht, in New York seien am heutigen Morgen die Türme des World Trade Centers eingestürzt. Von Terroristen entführte Flugzeuge seien in die Türme gerast; es war die Rede von mehreren tausend Toten und einer ungeheuerlichen Rußwolke im Herzen der US-Hauptstadt. An diesem Abend sahen mein Mann und ich uns fassungslos die Bilder der Katastrophe im Fernsehen an. Immer wieder und auf allen Programmen wurde die Szene gezeigt. Kleine Klumpen flogen aus den Fenstern: Menschen, die dem Flammentod entrinnen wollten und sich in die Tiefe stürzten, Feuerwehrmänner, die in die brennenden Ruinen eindrangen, schreiende, hustende Gesichter, Schutt und Asche.
Liebes Kind, sprach ich zu dem Wesen in meinem Bauch, bitte komm nicht mehr heute; mir reicht es für heute - und ich wünsche dir ein anderes Geburtsdatum!
Der Kleine ließ es sich gesagt sein und erblickte erst am 16. September das Licht der Welt.
Als Birk Jannis ein gutes Jahr alt war, entdeckte er im Eisenzaun des Burgtorspielplatzes zwei senkrechte Streben, die so weit auseinandergebogen waren, dass er sich gerade eben hindurchzwängen konnte. Er entdeckte sie, als ich einen Augenblick abgelenkt war und nicht hinsah. Als ich wieder hinsah, was Birk Jannis weg. Ich machte mich schleunigst auf die Suche und merkte, dass es keinen Grund zur Panik gab: Birk Jannis krabbelte im Sand direkt hinter dem Zaun herum - oder lief er? Ja, ich glaube, er konnte schon laufen, wahrscheinlich sehr wackelig auf den Beinen. Um ihn nun wiederzuholen, schwang ich mich über den Zaun. Die Bewegung erinnerte mich an meinen eine Ewigkeit zurückliegenden Sportunterricht am Barren.
Dann gingen wir in die Stadt, um das eine oder andere zu erledigen. Dabei saß Birk Jannis brav und munter in seinem Kinderwagen. Es war ein kalter Novembertag. Es bot sich an, entweder zu Salzmann oder zu Karstadt zu gehen. Beide Geschäfte sind geheizt und haben attraktive Spielmöglichkeiten für Kinder. Ich entschied mich für Karstadt, wir durchquerten mehrere Abteilungen, und ich sah mich ein bisschen bei den Portemonnaies und den Strümpfen um, bevor wir mit dem Panoramafahrstuhl zum Restaurant vordrangen. Natürlich wollten wir Eis essen. Wir wollen immer Eis essen! Also schob ich den Wagen durch die Selbstbedienungstheken und stellte für jeden eine kleine Kugel Eis im Glas auf ein Tablett, welches ich nach dem Zahlen mit einer Hand balancierte, während ich mit der anderen den Wagen mit Birk Jannis drin schob. In der Kinderecke gab es ein blinkendes und glitzerndes Auto, so eins, das anfängt zu schaukeln, wenn man eine Münze einwirft. Zum Glück legte Birk Jannis zu dem Zeitpunkt noch keinen Wert auf die Sache mit der Münze - er wollte einfach nur in das Auto gehoben werden, das Lenkrad hin- und herreißen und "bwmmm, bwmmm!" rufen. Wie immer stand ich ein bisschen unbeteiligt daneben, als er plötzlich aufstand und kopfüber zur Seite hinausfiel. Erschrocken nahm ich meinen brüllenden Jungen auf den Arm, sah die Haut unter seiner linken Augenbraue anschwellen und violett werden, pustete, streichelte, tröstete und forschte in seinem Gesicht nach Anzeichen von Übelkeit oder neurologischen Auffälligkeiten, als ich plötzlich merkte, dass sich an meiner rechten Hand etwas anders anfühlte als sonst; ungewohnt, so nackt, ach, es war mein Trauring, der fehlte! Priorität hatte natürlich das Kind. Während ich es anzog und mit zur Apotheke nahm, wo ich Arnika-Kügelchen erhielt und Birk Jannis sofort verabreichte, überlegte ich fieberhaft, wo ich den Ring verloren haben könnte. Wo war ich überall gewesen! Sollte ich zu Hause anrufen und meinen Mann fragen, ob der Ring vielleicht auf meinem Nachtschränkchen läge? Aber nein, ich war sicher, dass ich ihn getragen hatte, zumindest heute morgen...
Es blieb mir nichts anderes übrig, als den kompletten Marsch durch die Stadt noch einmal rückwärts zu machen. Im Karstadt-Restaurant, in der Wühlkisten-Abteilung, bei den Strümpfen und den Portemonnaies hinterließ ich schriftliche Suchmeldungen. Mein Blick schnellte über die Fußböden; noch einmal fuhren wir im Panorama-Aufzug - nichts. Kein Ring.
Was bedeutete eigentlich dieser Ring? Verheiratet waren wir ja auch ohne! Aber was würde mein Mann sagen, wenn ich ihm den Verlust beichtete? Waren es außerdem nicht sonst immer die Männer, die nicht genug aufpassten? Mein Onkel zum Beispiel: Der hatte seinen Ring im Schwimmbad verloren! Wie auch immer, ich wollte meinen Ring wiederhaben!
Die Sonne war untergegangen, und die Dunkelheit fiel über die Stadt, als ich keineswegs beruhigt meine Schritte Richtung Borgtor lenkte. Mein lädiertes Söhnchen war zum Glück guter Dinge. Auch die Ankündigung, wir würden wieder zum Spielplatz gehen, schien ihm zu gefallen. Im tiefsten Dämmerlicht begann ich den Sand zu durchkämmen. Auf allen vieren untersuchte ich jeden Quadratmeter; ich ließ den Sand durch meine Finger rinnen und suchte und suchte und suchte nach meinem Goldschatz wie ein richtiger Pirat. Leider fehlte mir nur der legendäre Lageplan!
Da kam mir die entscheidende Idee! Als Birk Jannis durch den Zaun gekrabbelt war, da war ich ihm doch hinterhergesprungen! Hatte ich vielleicht dabei...? Von nun an ging es ganz schnell. Ich warf mich ein zweitesmal über den Zaun und griff zielsicher nach dem Ring, der wie ein Stern im Sand strahlte, als hätte er sich schon gefragt, wann ich ihn endlich holen würde. Der Ring saß etwas zu locker, das war jetzt klar. Ich würde ihn enger machen lassen müssen. Aber so glücklich wie an jenem Novemberabend bin ich wohl nie darüber gewesen, ihn mir an den Finger stecken zu dürfen - höchstens vielleicht am Tage unserer Hochzeit!


Jetzt sehe ich mich energisch diese schmale Geschwisterkarre durch die Sommerglut schieben; vorne saß der blondgelockte Birk Jannis, der noch keine zwei Jahre alt war, hinten lag unter einem dünnen Baumwolltuch der eben geschlüpfte Jonte in ruhigem Säuglingsschlaf. Der Sommer war lang und heiß, und in einer Nacht zwischen zwei solchen langen und heißen Tagen war Jonte zur Welt gekommen. Von da an war er natürlich immer dabei. Es ging uns sehr gut, aber große Ausflüge oder eine Sommerreise waren undenkbar.
Mir brannten die Fußsohlen in den Sandalen, der Schweiß stand mir auf der Stirn, irgendwo hinter mir lief meine Schwester Antje mit ihrer sechsjährigen Tochter, aber ich besaß nicht die Geduld, auf sie zu warten, ich hatte nur ein Ziel: Den Burgtorspielplatz. Weil es dort eine Wasserpumpe gab! (Ja, gab. Leider ist sie neuerdings außer Betrieb. An allen Ecken und Enden wird gespart...) Ich wusste, Antje und Sophia würden nachkommen, die Kinder würden sich nackt im Schatten tummeln und mit Wasser und Sand spielen, ich würde auf der Bank sitzen und in aller Ruhe das Neugeborene stillen können, wenn es erwachte, und Birk Jannis würde unermüdlich sein Wasserkännchen füllen und meine armen Füße besprenkeln. So kam es auch. So war es Tag für Tag. Wie lange das so ging, weiß ich kaum zu sagen. Ein wenig kommt es mir so vor, als hätte ich jenen Sommer in einer glücklichen schweißnassen Trance verbracht...


Ich träume vor mich hin, während Anja, Flynn, Birk Jannis, Jonte und ich wieder von dannen ziehen. Irgendwann werde ich nicht mehr so oft auf den Burgtorspielplatz gehen. Die Kinder werden größer; ein paar Jährchen noch, und sie wollen von Schaukel, Rutsche und Sandburgen nichts mehr wissen.
Doch für mich ist er etwas Besonderes geworden, dieser kleine einfache Ort, der, nüchtern betrachtet, kaum mehr ist als ein sandiges Quadrat mit ein paar Spielgeräten.

 

Schön ruhig erzählt. Und vor allem angenehm unprätentiös. Der Leser, der im nächsten absatz etwas erwartet, z.b. dass das kind unters auto kommt, wird enttäuscht. Ist halt geschmackssache, ob man etwas "besonderes" oder "interessantes" lesen will,
oder ob man zufrieden mit der dahinplätschernden idylle ist.
grüsse peter

 

Hallo! Ich habe geschrieben, weil es mir ein Bedürfnis war. Dahinter steckte keine direkte Absicht, eine Geschichte zu machen. Deshalb ist das Ergebnis sozusagen phantasielos, weil völlig unausgedacht. Und ich bin heilfroh, dass es nur die 5000 Leute im World Trade Center erwischt hat und nicht das Kind!

 

Weil ich sie gut finde! Es ist eben eine Alltagsgeschichte. Deshalb finde ich, dass jeder sie lesen darf. Und ich freue mich, wenn das tatsächlich geschieht und wenn dann auch noch jemand so freundlich darauf reagiert wie Du. Mehr erwarte ich von meinen Veröffentlichungen nicht. Aber ich würde nichts veröffentlichen, womit ich nicht selbst zufrieden wäre.

 

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