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Novelle Der Dämon am Haken

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29.10.2019
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Der Dämon am Haken

Wieder fällt eine blau-grüne Feder auf den Boden des Käfigs. Der von Mitleid geplagte Abt des Klosters bemerkt es, und kann es doch nicht über sich bringen seinen wunderschönen Kanarienvogel freizulassen. Wo soll der Vogel schon hin? Die Welt da draußen ist ausgesprochen feindlich: Wahrscheinlich würde er von der erstbesten Krähe geschnappt und gefressen werden. Da ist es doch besser für ihn, in Gefangenschaft zu leben, auch wenn der Abt dieses Wort nur ungern gebraucht. Um sein Gewissen zu reinigen, lässt er den Vogel zu regelmäßigen Stunden in seinem Arbeitszimmer umherfliegen; bei sorgfältig geschlossenen Fenstern, versteht sich.
Die Flugzeit des Vogels ist dem Abt heilig und wehe, einer der anderen Mönche wagt es auch nur an der Tür zu klopfen – während der Flugzeit des Vogels ist jeder Kontakt tabu und sei das Problem noch so dringend. Nun aber, will der bunte Kanarienvogel seinen Käfig nicht mehr verlassen, selbst wenn der Abt versucht ihn mit einer Hand voll Körner zu locken. Sein Gesang, der in besseren Tagen noch so rein erklungen war, erstarb immer mehr, bis er nur noch einem kümmerlichen Krächzen glich. Und jetzt hatte der Vogel, sei es aus Einsamkeit oder stiller Verzweiflung, damit begonnen sich eine Feder nach der anderen herauszureißen.
Traurig öffnet der Abt die Tür des kunstvoll gearbeiteten Käfigs, entnimmt die Feder und betrachtet sie von allen Seiten. Wieder muss er denken, wie schrecklich sie doch ist, diese blinde Zerstörung der eigenen Schönheit. Doch will ihm einfach keine Lösung einfallen. Er kann dem Vogel ja schlecht verbieten sich weiterhin kahl zu rupfen oder ihm den Schnabel verkleben. Also betrachtet er wieder einmal das traurige Geschöpf und stellt dabei erleichtert fest: Der Großteil des Federkleids ist noch vorhanden, es hat noch Zeit, bis der Vogel rettungslos entstellt ist. Damit verdrängt er die schweren Gedanken in die dunkelste Ecke seines Verstandes und setzt sich seufzend an den ausladenden hölzernen Schreibtisch.
Hinter ihm hängt das große Gemälde eines Mönches mit strengem Blick, der ihn still drohend dazu aufruft, sich endlich wieder der Arbeit zu widmen. Und tatsächlich häufen sich die Akten geradezu, warten stapelweise darauf, von ihm durchkämmt und geordnet zu werden. Es geht um Berichterstattungen, Anträge zur Anschaffung neuer Gerätschaften oder die Kosten zur Instandhaltung der mittlerweile maroden Klostermauern. Schwitzend nimmt sich der Abt einen nicht ganz so hohen Stapel vor, durchblättert einige der Akten und reibt sich dann sorgenvoll über die erst kürzlich entstandene Halbglatze. Mit der Wirtschaft des Klosters geht es seit längerem bergab: Die Ernte des großen Gemüsegartens ist stark zurückgegangen, sodass mehr Lebensmittel von außen eingekauft werden müssen; der letzte große Sturm hat die Dachziegel und einen alten Wasserspeier zerstört und zumindest das Dach muss so schnell wie möglich repariert werden; und schließlich sind nicht nur die Besucher des Klosters deutlich weniger geworden – auch die Spenden und Einnahmen durch den Verkauf der eigens hergestellten Heiligenbilder sind zurückgegangen.
Der Abt ist verzweifelt – wie soll er das seinen Vorgesetzten erklären? Er hat ihnen nichts Gutes zu berichten, das blühende Geschäft seines ältesten Mönches Ficinos mal ausgenommen, dessen phantasievoll geschnitzte Götzen auch bei den wenigen verbliebenen Besuchern weiter gut ankommen. Aus selbsterklärenden Gründen muss er die etwas unorthodoxen Methoden des Mönches aber geheim halten, und natürlich ist auch der Abt selbst nicht ganz frei von Misstrauen, wenn es um den im Kloster betriebenen Götzenkult geht. Aber Bruder Ficino ist ein alter, harmloser, zugegeben etwas kurioser Mann, auf einem Auge blind, und schon seit Ewigkeiten im Kloster. Sogar der Abt kann sich nicht daran erinnern, wann er der Gemeinschaft beigetreten ist – vielleicht war es auch schon vor seiner Zeit gewesen. Soll der alte Mann also weiter seine kleinen Holzfiguren schnitzen, selbst wenn sie eigentlich gegen die Grundsätze des Hauses verstoßen. Damit versinkt die Nase des Abtes endgültig im Stapel der böswilligen Akten. Der Vogel krächzt wehleidig, als teile er die Verzweiflung seines Herren.

Während sich der Abt die verbliebenen Haare rauft, sitzt Ficino an der Werkbank des Klosters, die in einem Geräteschuppen nahe dem Gemüsegarten untergebracht wurde. Außer dem strengen weißen Licht einer grellen Arbeitslampe ist der Raum unbeleuchtet. Die schmalen verdreckten Fenster schirmen die Außenwelt zuverlässig ab, sodass die wenigen eindringenden Sonnenstrahlen sich an einem dichten Vorhang aus Staub vorbeischlängeln müssen.
Außer Ficino nutzt niemand den Geräteschuppen, erst recht nicht so häufig wie er. Jeden Tag und sogar am Sonntag, der eigentlich vorgeschriebener Ruhetag ist, verlässt er seine Kammer im ersten Stock des Ostflügels und geht geradewegs zum Schuppen, um sich dort mit gekrümmten Rücken seiner Holzarbeit zu widmen. Gegen Mittag sieht man ihn dann herauskommen, den Bart voll feiner Sägespäne und das sehende Auge sichtlich angestrengt. Nun grüßt er verstreut die im Gemüsegarten schuftenden Mönche, die ihm wohlwollend zunicken. Sie alle respektieren ihn und würden es niemals wagen einen Blick in die Werkstatt zu werfen, aus Angst, die dämonischen Formen, die Ficino dort jeden Vormittag ins Holz bannt, könnten zum Leben erwachen und die unerwünschten Zuschauer zur Strafe ihrer Neugierde in die Hölle herabziehen. Dann, nach gemeinsamen Essen im Speisesaal, verschwindet der mysteriöse Bruder ohne viele Worte in seiner Kammer und kommt wenig später – vermutlich nach einem kleinen Mittagsschlaf – mit ein paar Büchern unter dem Arm wieder heraus.
Niemand weiß, woher er die seltsamen Bücher hat. Klar ist jedenfalls, dass sie nicht aus der klostereigenen Bibliothek stammen können, auch wenn er sie vorzugsweise dort zu lesen pflegt. Alleine von ihrem Aussehen her passen sie nicht zu den zurückhaltenden Werken der geistlichen Tradition. Auf ihren breiten Rücken erkennt man verbotene Symbolik, Sterne, Zahlen und Runen, die Zeichen der schwarzen Magie. Und wehe dem Mönch, der sie aufschlägt – er würde vermutlich einen Schock erleiden, angesichts der zahlreichen Verse und Sprüche, der expliziten Darstellungen, die von detaillierten Abbildungen menschlicher Anatomie bis zu finstersten Höllenwesen reichen. Daraus ist zu schließen, dass Bruder Ficino in seiner Kammer eine umfassende Privatbibliothek untergebracht haben muss, die er vielleicht schon bei seinem Einzug ins Kloster auf unerklärliche Weise hineingeschmuggelt hat.
An manchen Tagen setzt sich die Arbeit des Magiers Ficino bis in die späten Stunden der Nacht fort. Man sieht ihn dann, mit einem seiner okkulten Bücher unter dem Arm, aus der Bibliothek in Richtung seiner kleinen Werkstatt stürmen, in die er sich für viele Stunden verschanzt. Im Falle einer solchen kreativen Eingebung, lässt Ficino sogar das gemeinsame Abendgebet in der Kapelle aus, dass selbst ihm normalerweise heilig ist. Niemand weiß, was dann in seiner Werkstatt vor sich geht. In der Vergangenheit gab es allerdings verängstigte Berichte über seltsame Erscheinungen in Form von aufflackernden Lichtern oder sogar fremden Stimmen, die in ihrer Grausamkeit nicht von dieser Welt stammen konnten. Meist waren es noch Novizen die es als ihre Pflicht ansahen dem Abt von den ungewöhnlichen, vielleicht sogar ketzerischen Geschehnissen zu berichten. Sie waren dann, um es milde auszudrücken, erstaunt über die gleichgültige Reaktion ihres geistigen Vaters, manche sogar so entrüstet, dass sie das Kloster in der Überzeugung verließen, es wäre schon lange kein Haus Gottes mehr, sondern höchstens eines der Dämonen und Teufel.
Wenn sich die Neuankömmlinge aber erst an den außergewöhnlichen Lebenswandel ihres Bruders gewöhnt haben, wissen sie ihn schnell zu schätzen: Auf jedes Übel weiß er eine Antwort, seien es einfache Kopfschmerzen oder ernste Erkrankungen. In den meisten Fällen sieht Ficino nicht einmal mehr in seine Bücher, sondern schickt einen der Mönche in den Kräutergarten, verschwindet mit den Besorgungen im Schuppen und kommt, je nach Wesen und Härte des Falles, mit einer Salbe, einem Trank oder einem Amulett heraus, dass dem Kranken unverzüglich gereicht wird. Die Genesung tritt dann schon in wenigen Stunden zuverlässig ein.

So vergehen die Tage im Kloster, wie sie es schon seit hunderten von Jahren tun. Einen wie den Bruder Ficino gab es dabei schon immer. Wie geheime Zwillinge durchleben sie die Zeit in vertrauter familiärer Bindung. Und würde man die Geschichte des Klosters genauer studieren, könnte man womöglich sogar erfahren, dass die durch die Zeit verstreuten Brüder und Schwestern in der immer gleichen Kammer gewohnt haben, um ihr Wissen zu bewahren. Somit ist das seltsame Treiben des aktuellen Ficinos nichts Außergewöhnliches oder auch nur ansatzweise Besonderes. Es gehört so sehr zum Alltag dieses Ortes, dass es sich nicht lohnen würde davon zu erzählen, wären da nicht die durch und durch ungewöhnlichen Umstände der Gegenwart.

Es ist ein besonders heißer Tag, der die Hitzerekorde der vergangenen Jahre mühelos in den Schatten stellt. Die Arbeit im Gemüsegarten ist abgesagt, die Mönche hocken erschöpft im Schatten des Kreuzgangs. Sonst geht alles seinen gewohnten Gang: Ficino hat es sich nicht nehmen lassen, seine staubig-stickige Werkstatt aufzusuchen, um sich dort bis zum Mittag zu verschanzen; und der Abt befindet sich ungestört im Arbeitszimmer, wo er dem Kanarienvogel seine tägliche Flugzeit gewährt. Bis auf die ungewöhnliche Hitze zeigt sich das Kloster also von seiner alltäglichsten Seite, bietet ein Bild, dass so bisher jeden Hochsommer wiedergekehrt ist.
Zum Alltag des Klosters gehören aber auch die weltlichen Aufgaben. Und so hat, trotz der Hitze, einer der Mönche den undankbaren Auftrag in den Turm der Kapelle zu steigen, um dort den Mechanismus des Glockenspiels zu ölen. Noch ahnt er es nicht, doch von dort wird er den besten Ausblick auf den Hof haben, auf dem sich gleich ein Schauspiel einstellt, dass der Jahrhunderte währenden Tradition der Abtei ein Ende setzt. Gerade stellt er das Ölkännchen auf den verstaubten Boden, wischt sich mit dem Ärmel seiner viel zu warmen Kutte den Schweiß von der Stirn, als er im Hof eine vertraute Gestalt erkennt, die in Richtung des Schuppens stolpert. Der Mönch sieht nicht besonders gut und muss die Augen zusammenkneifen, um die eindeutigen Umrisse des Abtes wiederzuerkennen, der nun, nach kurzem Aufenthalt in der Werkstatt Ficinos, wieder herausgeschossen kommt und in großer Eile Richtung Ostflügel verschwindet, den alten Mönch im Schlepptau.
Außergewöhnlich sind daran nun gleich mehrere Dinge: Zunächst einmal hat es bisher noch niemand gewagt, Ficino während seiner Arbeitszeit zu stören, geschweige denn ungefragt in seine Werkstatt einzudringen. Zweitens, hat der Abt sein Arbeitszimmer noch nie zur Flugzeit des Vogels verlassen. Und drittens, sieht es ganz danach aus, als würden er und Ficino zu dessen Kammer eilen, die seit seinem Einzug niemand außer Ficino selbst betreten hat. Verwundert schaut der schwitzende Glockenmechaniker ihnen nach und sieht gerade noch wie sie im Schatten des Gangs verschwinden. Was er jedoch nicht sieht ist, was sich im Arbeitszimmer des Abtes zugetragen hat.

Dort hatte der Abt seine Nase wieder einmal tief in die unheilvollen Akten gesteckt und versucht dem Ganzen einen höheren Sinn zuzuschreiben – was ihm, angesichts der überwältigenden Masse an klein bedrucktem Papier, verständlicherweise nicht gelang. Die Liste der wirtschaftlichen Katastrophen seines Klosters wurde immer länger. Zusätzlich dazu kamen die zahlreichen schlechten Nachrichten von außerhalb: Seine Vorgesetzten beklagten sich implizit über ihre eigene missliche Finanzsituation, indem sie äußerst explizit damit drohten die Mittel für sein Kloster einzustellen, sollten sich die Verhältnisse dort nicht bald wieder zum guten Wenden. Daraus konnte man schließen, dass die Gemeinschaft des Abtes keineswegs die einzige war, die sich vom Ruin bedroht sah, sondern dass es sich um ein weit verbreitetes Phänomen handeln musste. Bestätigt wurde diese Vermutung durch die vielen Briefe anderer Klostervorsteher, dessen Namen der Abt zum Teil noch nie gehört hatte. Sie alle beklagten sich über ähnliche Probleme und hofften nun auf die brüderliche Unterstützung eines gesegneteren Hauses.
Doch wie konnte der Abt ihnen helfen, wenn er ja selber kurz vor dem finanziellen Aus stand, wenn er mit den gleichen zahlreichen Negativfaktoren zu kämpfen hatte, die, so oder so ähnlich, auch in den verzweifelten Briefen seiner Kollegen beschrieben wurden? Genau wie sie hat er mit Trockenheit, unfruchtbaren Böden, versiegenden Brunnen und nicht zuletzt auch mit mangelnden Spenden zu kämpfen, wobei letzteres eindeutig auf die fehlenden Besucher und den allgemein mangelhaften Glauben zurückgeführt werden musste. Und wenn doch einmal Besucher kamen, dann brachten sie ebenfalls schlechte Nachrichten: Stürme zerstörten ihre Häuser, Fluten verwüsteten ganze Stadtteile, und ihre nächsten Verwandten litten an nie dagewesenen Krankheiten, für die es bisher keine Behandlung gab. Manche klagten von weniger drastischen, aus persönlicher Sicht aber ähnlich schwerwiegenden Problemen wie der Unerträglichkeit der Hitze, dem Verschwinden der Singvögel oder dem Vertrocknen ihrer jahrelang gepflegten Blumenbeete. Sie alle hatten aber gemeinsam, dass sie von ihm einen göttlichen Grund für das Elend erfahren wollten, den der Abt zu benennen unmöglich imstande war. Er war es Leid ständig zu wiederholen Gottes Wege seien unergründlich, und nicht selten, in schwachen Momenten, hätte er sie gerne an den Schultern gefasst und gerüttelt, bis ihnen die Einsicht auf Magische Weise vor die eigenen Füße fiel.
All das wurde ihm nun in seinem vollen Umfang bewusst, ausgerechnet an diesem heißen Tag. Verzweifelt fuhr sich der Abt mit zittriger Hand über die verschwitzte, mittlerweile fast vollständig kahl gewordene Glatze. Er beschloss, erst einmal die Tür des Vogelkäfigs zu öffnen. Dabei handelte es sich mittlerweile zwar nur noch um einen rituellen Akt, denn der Vogel hatte kaum noch Federn am Körper und konnte, selbst wenn er die lang verlorene Lust dazu wiedergewinnen würde, unmöglich fliegen. Und doch befahl das Gewissen des Abtes, zumindest die Illusion von Freiheit aufrecht zu erhalten. Langsam und kraftlos erhob er sich, ging auf den wohlgeformten Käfig zu und sah so gerade noch, wie der letzte Lebenswille des Vogels erlosch und dieser völlig erschöpft von der Stange zu Boden fiel. Dort blieb er beinahe regungslos liegen. Und auch der Abt rührte sich nicht, blieb wie angewurzelt stehen, kreidebleich im Gesicht. Erst nachdem sein Herz aufhörte wie wild gegen die Brust zu schlagen und ihm die ersten Tränen das Gesicht herabliefen, konnte er sich dem Käfig vorsichtig nähern. Mit einiger Erleichterung sah er, dass sich zumindest der Schnabel des Vogels noch bewegte, fast, als spräche er sein letztes Gebet. Panisch ging er seine Optionen durch. Im Angesicht der vielen bösen Übel, sah er nur eine Lösung: Er musste so schnell wie möglich zu Ficino und ihn bitten, seinen geliebten Kanarienvogel zu heilen. Schnell lief er hinaus und verschloss dabei weder den Käfig, noch die Tür seines Arbeitszimmers.

Im von Ficino beschlagnahmten Schuppen war es noch um einiges heißer als auf dem sonnenbombardierten Kreuzganghof. Das lag nicht nur an dem mehr schlecht als recht zusammengezimmerten Dach der Werkstatt, sondern vor allem am neuesten Projekt des alten Mönches, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, einen provisorischen Brennofen zu bauen, mit dem sich sogar größere Mengen an weicheren Metallen schmelzen ließen. Dazu hatte er eigens einen kleinen Schornstein gebaut, der durch ein zu diesem Zweck geschaffenes Loch in der Decke alle gefährlichen Abgase nach draußen leitete. Als der Abt ohne zu klopfen in die Werkstatt stürmte, und ihm dann noch das erbarmungslos brennende Feuer ins Auge fiel, befürchtete er kurz Zeuge einer neuen Katastrophe zu werden, nämlich des Herunterbrennens seines gesamten Klosters durch eine seltene Unachtsamkeit des außergewöhnlichen Mönches. Ficino blieb aber selbst beim panischen Aufschrei des Abtes gelassen.
Feuer! Ficino! – brüllte er mit der erstickten Stimme eines halb Wahnsinnigen; doch dieser drehte sich nicht einmal zu ihm um, sondern fuhr fort, einen Klumpen Bronze in den Schlund des Ofens zu befördern, sodass die neugewonnene flüssige Masse in eine eigens für sie angefertigte Form fließen konnte.
Hau ab! Verschwinde! – wollte er entgegnen, im Glauben, es handelte sich bei dem Störenfried um einen einfachen Mönch, der, aus welchen Gründen auch immer, seine heilige Arbeitszeit unterbrechen wollte. Gerade noch rechtzeitig konnte er die fremde Stimme dem Abt zuordnen, worauf er sich betont langsam umdrehte. Dort sah er nur den Schatten seines Vorgesetzten, einen abgezehrten, verschwitzten Mann mit wildem Blick.
Dieser wirklich ungewöhnliche Anblick ließ ihn doch etwas aufmerksamer werden. Sofort vermutete er, dass der unliebsame Besuch des Abtes einen schwerwiegenderen Hintergrund haben musste, als den typischen wöchentlichen medizinischen Notfall, der sich bisher immer als weniger dramatisch herausgestellt hatte, als zunächst angenommen. Der Abt, der sich nun der Aufmerksamkeit Ficinos gewiss war, vergaß mit einem Mal das Feuer und stotterte etwas von einem gestürzten Vogel, flehte ihn mit Tränen in den Augen um die Rettung des geliebten Tieres an. Seufzend legte Ficino den Blasebalg zur Seite, den er eben noch genutzt hatte, um das Feuer seines Ofens anzufachen. Mit krachenden Knochen erhob er sich, worauf der Abt, vom Instinkt der Panik geführt, in Richtung von Ficinos Kammer lief, ohne eine richtige Antwort abzuwarten. Dieser hingegen hätte sich den Vogel gerne wenigstens einmal angesehen, um dann zu entscheiden, was getan werden müsste. Aber der stürmische Lauf des Abtes ließ ihm keine andere Wahl, als ebenfalls so gut es ging die Beine in die Hand zu nehmen. Ächzend nahm er die Verfolgung seines Vorgesetzten auf, in der Hoffnung ihn noch rechtzeitig von der Entweihung seiner Kammer abhalten zu können.

Gemeinsam durchqueren sie den Hof und verschwinden, unter dem ungläubigen Blick des Glockenreinigers, im Ostflügel. Der Abt fliegt beinahe die Treppen hinauf und Ficino hat große Mühe dem sonst eher bedächtigen alten Mann zu folgen. Oben angekommen ist es bereits zu spät: Alle Konventionen seines Klosters vergessend, öffnet der Abt die Tür zu Ficinos verbotener Kammer und wirft als Erster Außenseiter einen Blick auf das magische Sortiment des Bruders. Tatsächlich vergisst er beim Anblick der vielen Kuriositäten, die es auf mysteriöse Weise in sein Kloster geschafft haben, für kurze Zeit die dringenden Umstände seiner Situation. Die Stube ist nicht nur viel größer als die der anderen Mönche, sondern birgt, neben einer ausführlichen und sorgfältig geordneten Bibliothek, auch noch eine kaum zu überblickende Menge an Gegenständen: Die wenigen Stellen der Wände, die nicht mit Bücherregalen verstellt sind, werden von aufgehängten Schwertern, Schmetterlingssammlungen oder phantastischen Gemälden bedeckt. Und diejenigen Regalfächer, die frei von Büchern sind, beherbergen stattdessen okkulte Gegenstände aller Art. Dort entdeckt der Abt nicht nur geheimnisvolle Schatullen mit unbekannten Verzierungen, sondern auch Phiolen und Amphoren zweifelhaften Inhalts, die Schädel verschiedenster Säugetiere, anatomische Präparate in Alkohollösungen und sogar eine balsamierte, aufrechtstehende Affenhand, die nun als Träger einer Vielzahl von Ringen genutzt wird. Vor dem verrußten Fenster des Zimmers steht ein mächtiger Schreibtisch aus dunklem Holz. Auf ihm entdeckt der Abt einige von Ficinos geschnitzten Götzen, allerhand Werkzeug vom Pinsel bis zum Hämmerchen und einen großen astronomischen Globus. Es ist ein Wunder, dass in diesen Raum auch noch eine kleine verstaubte Pritsche passt, zu dessen Füßen sich ein persischer Teppich befindet. Über der Pritsche hängen ein Krummstab, sowie mehrere Angeln, und daneben, sorgsam aufgereiht, eine bunte Reihe von ausgefallenen Ködern.
Mittlerweile hat Ficino den aufgebrachten Abt eingeholt und wartet nun, mit den verschränkten Armen eines Beleidigten, das Urteil seines Vorgesetzten ab. Dieser starrt fassungslos auf die unerklärlich vielfältige Sammlung seines hauseigenen Okkultisten, bis er sich schließlich losreißen und den Mönch mit blutunterlaufenen Augen fixieren kann. Aus seinem Gesicht ist, von der ungesunden Röte der Überanstrengung abgesehen, jede Farbe gewichen. Unter sichtbaren Qualen löst er nun die zusammengepressten Lippen und würgt mit erstickter Stimme seine flehende Bitte hervor – Ficino, bitte rette den Vogel und ich will über das alles hinwegsehen.
Der Bruder bleibt noch einen Moment mit verschränkten Armen stehen, als könne er die Dreistheit des Klostervorstehers nicht fassen. Dann macht er sich, obwohl ihm eine Entschuldigung versagt wurde, mit sicheren Händen an die Arbeit, kramt in seinem geheimen Sammelsurium nach Pulvern, Phiolen und Pasten, trägt alles zum Schreibtisch und reichert dort, mit den eingeübten Bewegungen des erfahrenen Heilers, eine Salbe an, die schließlich in ein symbolreiches kleines Behältnis gefüllt wird. Bevor der Magier es verschließt, greift er noch einmal in eine der schweren Schubladen seines Schreibtisches, holt einen geschliffenen Kristall hervor und reibt jenen mit der eben gewonnen Salbe ein. Der Rest des Gemisches wird verschlossen und gemeinsam mit dem hergestellten Amulett dem Abt gereicht.
Zweimal täglich auf die Brust reiben, der Vogel muss die Dämpfe einatmen. Den Kristall hängen Sie im Käfig auf, am besten möglichst weit oben – so weist Ficino den Abt mit der neutral-selbstbewussten Stimme eines Arztes an.
Zitternd nimmt er die Erzeugnisse entgegen, dankbar für die souveräne Ausstrahlung des alten Mannes. In diesem Moment vertraut er dem Mönch vollkommen und kann sich nicht vorstellen, dass es auf der Welt auch nur irgendein Problem gäbe, das zu groß oder verstrickt für ihn wäre. Vermutlich stürmt er deswegen nicht gleich aus dem Zimmer, sondern sieht Ficino weiterhin hilflos an.
Können Sie nicht mitkommen? – stottert er – ihn sich wenigstens einmal kurz ansehen?
Stöhnend gibt der Mönch nach und wenig später kann man vom Glockenturm aus beobachten, wie Ficino und sein Vorgesetzter wieder über den Hof eilen, dieses Mal in entgegengesetzte Richtung, zum Arbeitszimmer des Abtes.
Beim Anblick der riesigen Berge von Unterlagen, Anträgen und Akten ist es nun Ficino, der die Stirn ungläubig runzelt. Der Abt, der beim Betreten seiner ihm vertrauten Welt die Fassung zumindest ansatzweise wiedererlangt, rennt sofort zum Käfig, um zu überprüfen, ob der Vogel noch atmet. Ein langsames auf und ab der kleinen federlosen Brust, sowie das unaufhörliche Schnattern des Schnabels bestätigen die Lebendigkeit, woraufhin das verzierte Döschen mit hektischen Bewegungen geöffnet, und ein nicht geringer Schlag des Inhalts in den armen Vogel einmassiert wird.
Ficino ist hinter den Abt getreten und hat wieder die Arme verschränkt, dieses Mal in der sicheren Pose des Gewinners. Doch der Vogel reagiert nicht. Unverändert stößt er die lautlosen Gebete hervor und sieht mit der verschmierten Brust sogar noch elender aus als vorher. Panisch reißt der Abt sich los und fährt Ficino an – Warum passiert denn da nichts?!
Erstaunt löst dieser die Verschränkung seiner Arme, tritt näher heran und begutachtet den Vogel genauer.
Sie müssen es richtig einreiben, die Haut muss die Essenz aufnehmen und die Dämpfe ungehindert aufsteigen. Zeigen Sie mal her! – sagt er und stößt den Abt grob zur Seite.
Es ist klar, dass etwas Unvorhergesehenes geschehen sein muss, denn der Mönch beginnt nun selbst aufgeregt die Brust des Vogels zu bereiben, nimmt ihn sogar in die Faust um ihn aufzurichten, sodass er die heiligen Dämpfe inhalieren kann. Aber auch jetzt passiert nichts, außer dass der Kopf des Vogel nun noch kraftloser zur Seite hängt und er sogar aufhört Gebete zu sprechen.
Lassen Sie ihn los, Sie bringen ihn ja noch um! – kreischt der Abt, worauf Ficino ihn erschrocken und etwas grob auf den Boden fallen lässt.
Der Mönch bemüht sich nun sichtlich nicht ebenfalls in Panik zu verfallen, bis ihm der rettende Einfall kommt. Damit greift er nach dem balsamierten Kristall, den der Abt noch immer umklammert hält, entreißt ihn, und legt ihn direkt auf den beinahe leblosen Körper des Kanarienvogels. Allerdings reagiert der Vogel auch auf die Berührung des Steins nicht wie gewünscht, im Gegenteil: sobald der Kristall auf ihm ruht windet er sich mit der letzten Kraft des Höllengepeinigten und wirft die unerträgliche Last wieder ab. Egal wie sehr sich Ficino auch bemüht, der Stein will einfach nicht auf ihm liegen bleiben und kann so auch seine heilende Wirkung nicht entfalten. Nach einigen qualvollen Minuten muss der Magier die ungewohnte Niederlage akzeptieren.
Ungläubig starrt er auf den Vogel, bestürzt über sein eigenes Versagen, bis der Abt ihn wütend an den Schultern rüttelt und ihn so in die Realität zurückbefördert – Was machen wir jetzt?! Ficino, es funktioniert nicht, denk dir was Neues aus, los! Ficino!
Benebelt schüttelt Ficino den Kopf, er kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so versagt hat. Doch dann nimmt er mit bestimmter Bewegung die Arme des Abtes von seiner Schulter, wandert zum Schreibtisch, um sich dort zum Nachdenken niederzulassen. Der Abt wagt es kaum Luft zu holen. Sein Blick springt aufgeregt zwischen dem halbtoten Vogel und dem konzentriert denkenden Mönch hin und her, der nun große Ähnlichkeit mit der strengen Abbildung des Mönchsgemäldes hat.
Endlich räuspert sich Ficino – Mir fällt eine Möglichkeit ein. Sie ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden, aber machbar. Sind Sie dazu bereit?

Unruhig rutscht der Abt auf einem ärmlichen Schemel hin und her. Ficino ist wieder in seiner Kammer verschwunden und hat den mittlerweile völlig verstörten Klostervorsteher angewiesen, in der Werkstatt auf ihn zu warten, während er die nötigen Materialien herbeischafft. Endlich kommt er zurück, unter dem Arm ein prächtiges Buch und in der Hand eine riesige Angel, die kaum in den schmalen Schuppen hineinpasst. Ohne ein Wort legt er alles beiseite und macht sich daran, dass Feuer seines kleinen höllischen Ofens erneut zu entfachen, um dort die Arbeit wiederaufzunehmen, bei der ihm der Abt so dreist unterbrochen hat. Dieser wagt es nicht Einspruch zu erheben, obwohl er sich doch wundert, warum der Magier ausgerechnet jetzt seine Bronze schmelzen muss. Ficino hingegen, lässt sich vom nervösen Aufstöhnen des Abtes nicht ablenken, facht das Feuer mit dem Blasebalg an und befördert schließlich einen weiteren Klumpen Bronze hinein. Das flüssige Metall fließt wie vorgesehen in die für es bestimmte Form, die dann, sobald sie randvoll gefüllt ist, von Ficino in einen Bottich mit kaltem Wasser getaucht wird, wo sie unter bedrohlichem Zischen abkühlt. Vorsichtig öffnet er die zwei kleinen Scharniere der Gussform und ein einfaches bronzenes Gefäß tritt zum Vorschein, welches mit geübten Handbewegungen entfernt, abgeschliffen und abschließend mit einem passenden Deckel versehen wird, bis Ficino sich mit Hilfe eines kleinen Meißels daran macht, dessen Außenwände mit vielfältigen seltsamen Symbolen zu versehen. Dann zieht er aus der Schublade seiner Werkbank ein Stück Kreide hervor, schlägt das mitgebrachte Buch an einer mit Lesezeichen markierten Stelle auf, studiert den Text und die Abbildungen mit routiniertem, kennerhaftem Blick, kniet sich auf den Boden und zeichnet dort mit der Kreide einen großen, nahezu perfekten Kreis. Das innere des Kreises wird mit den Buchstaben P, A, I, M, O und N versehen, die jeweils an die imaginativen Eckpunkte eines Davidsterns gesetzt werden, der aber selbst nicht eingezeichnet wird. Stattdessen werden die Buchstaben mit einem weiteren Kreis vom inneren des Zirkels abgetrennt, dessen Mitte nun mit einem Sanskrit-ähnlichen Symbol befüllt wird. Ficino kehrt zu seiner Werkbank zurück, überprüft noch einmal die Anweisungen des Buches und kramt schließlich einen Kompass hervor, stellt sich in die Mitte des Kreises und markiert dort die Nord-Westliche Himmelsrichtung mit einer kleinen Sechs.
Wenn er erscheint müssen Sie in jedem Fall Augenkontakt halten, egal was passiert! Ihr Körper sollte währenddessen nach Nord-Westen ausgerichtet sein, halten Sie sich einfach an die Markierung. Kommen Sie her, es geht gleich los! – so weist er den Abt an, während er noch die Schnur der Angel überprüft und den neu gewonnen Kupferbehälter an der Hakenvorrichtung befestigt.
Wie in Trance erhebt sich der betäubte Klostervorsteher, schleppt sich leise kopfschüttelnd zum Rand des Kreises und richtet seinen schwachen Körper Richtung Nord-Westen. Währenddessen blinzelt er nicht einmal, sondern starrt nur noch an einen leeren Fleck Wand, als würde er sich bereits auf das bevorstehende Blickduell vorbereiten. Tatsächlich hat der Abt aber keinen Funken Willensstärke mehr übrig, sondern gibt sich, vollkommen schutzlos, der professionellen Autorität des Mönches hin, die ihm in dieser wirklich lächerlich verfahrenen Situation der einzige Trost ist.
Der Beschwörer selbst bemerkt nichts von der geistigen Fatalität seines Gehilfen. Er positioniert sich nun, ebenfalls nach Nord-Westen ausgerichtet, am äußeren Kreis und beginnt mit heulender Stimme rituelle Beschwörungsformeln aufzusagen, die in den Ohren des Abtes nach den rhythmischen Höllengesängen des Teufels persönlich klingen. Das ständige, sich unheilvoll wiederholende auf und ab der Stimme Ficinos erinnert ihn an eine Fahrt auf tosendem Meer. Ihm wird schlecht, doch er kann gerade noch vermeiden, sich ins Innere des Beschwörerkreises zu übergeben, was ohne Zweifel das Ritual ruiniert hätte.
Schwitzend steht er einfach nur da, die unglaubliche Hitze ertragend, die immer mehr zunimmt, bis endlich etwas geschieht: Eine kleine Flamme zischt am äußersten Rand des Kreises hervor und züngelt sich schnell an der Begrenzungslinie entlang, bis der ganze äußere Ring in Flammen steht. Das innere des Kreises hingegen schimmert rötlich, bis er sich mit einem Knall auflöst, den Boden sprengt, und einen tiefen schwefeligen Schlund freigibt, aus dessen kreisrunder Öffnung unerträgliche Hitze, fürchterlicher Gestank und groteskes Geschrei entweichen. Ficino bedeutet dem Abt ein paar Schritte zurück zu weichen, indem er mit den Armen fuchtelt und ihm etwas zuruft, dass er bei all dem Lärm nicht verstehen kann. Ohne seine Nord-Westliche Ausrichtung aufzugeben, macht der Magier drei große Schritte rückwärts, greift nach der Angel und lässt den bronzenen Köder tief in den Höllenschlund hinab. Lange entspinnt sich der unendliche Faden. Dann hält Ficino inne, ruckelt einige Male an der Rute und verharrt in angespannter Erwartung. Es dauert auch nicht lange, bis wirklich etwas angebissen zu haben scheint und Ficino unter Flüchen damit kämpft, den offensichtlich widerspenstigen Fang an Land zu holen. Für den Abt ist es unmöglich zu verstehen, wie dieser alte Mann so viel körperliche Kraft aufbringen, wie er trotz seiner so gebrechlichen Gestalt den Kräften der Hölle strotzen kann. Er kann kaum glauben, dass der bronzene Behälter schon wieder sichtbar ist, und nur noch wenige Meter von der Oberfläche entfernt baumelt. Angestrengt kämpft Ficino mit den letzten Metern, zerrt mit ganzer Kraft an der Rute, bis das Gefäß wirklich zurückgekehrt ist, den Höllenschlund verlässt und kurz in der Luft verweilt, während sich das Portal wieder schließt und mit ihm aller Lärm versiegt.
Es herrscht eine Grabesstille in Ficinos Werkstatt, die nur von dem Aufprall des schweren Kupferköders unterbrochen wird, vom Mönch unsanft zu Boden gelassen. Keuchend stellt er die Angel beiseite und betrachtet mit schweißüberströmten, aber zufriedenen Gesicht seinen Fang. Rein äußerlich kann der Abt keine Veränderung feststellen, abgesehen von ein paar Spuren Ruß und Schwefel, die sich an den Wänden des Gefäßes festgesetzt haben. Aber Ficinos Zufriedenheit sagt ihm, dass der Fang wie gewünscht in die Falle getappt ist, und dass sie nun nichts weiter tun müssen, als den kleinen Deckel zu öffnen. Vorsichtig nähert sich der Beschwörende seiner Beute, bloß mit einem Stück Kreide bewaffnet, mit dem er erneut einen Kreis um das Gefäß zeichnet, der wieder mit der gleichen Reihenfolge von Buchstaben versehen wird, wobei das Innere dieses Mal leer bleibt. Als nächstes entfernt er behutsam die Schnur, nimmt sich einen kleinen Moment zum Durchatmen und öffnet dann den Deckel, um schließlich so schnell wie möglich in seine vorherige Position zurückzueilen.
Eine Weile passiert überhaupt nichts. Still wabern die verbliebenen Schwefelschwaden durch den Raum und verbreiten ihren fauligen Gestank, bis plötzlich, ganz leise, aber deutlich vernehmbar, die pompöse Musik eines Marschorchesters erklingt. Mit seinem gesunden Auge wirft Ficino dem Abt einen kurzen, aber bedeutungsvollen Blick zu, der ihn dazu ermahnen soll, jetzt bloß nicht die Nerven zu verlieren. Dann konzentriert er sich wieder fest auf das Gefäß, die Quelle der beunruhigenden Musik, und stimmt nun selbst, ebenfalls leise, von neuem seine Beschwörungsgesänge an.
Der Abt bemerkt von all dem so gut wie nichts mehr. Weder reagiert er auf den Blick Ficinos, noch beachtet er das stetige Crescendo des Höllenmarsches, der nur vom Lied des schwarzen Priesters, seinem undurchdringlichsten Gemeindemitglied, übertönt wird. Man könnte sogar meinen, er wäre bereits gestorben, zur Salzsäule erstarrt, wären da nicht sein leises Zittern und die herunterrinnenden Schweißperlen, die zweifellos auf einen lebenden Organismus schließen ließen.
Die Marschmusik ist jetzt unerträglich laut, so laut, dass der Rhythmus der Trommeln die Erde erbeben lassen, als würde ein Bataillon von Tausend Mann durch den kleinen Schuppen stampfen. Schließlich fliegt der Deckel des Kupfergefäßes unter ohrenbetäubendem Dröhnen empor, einer unnachgiebigen Kraft weichend, die sich um jeden Preis ihren Weg in die Freiheit bahnen will. Heraus schießt ein ganzes Heer an geisterhaften Dämonen, leichenfahle Soldaten in prächtigen Uniformen, jeder mit einem Musikinstrument bewaffnet, dass mit größtmöglicher Leidenschaft bespielt wird. Sie entweichen in alle Richtungen, entfalten sich zu ihrer vollen Größe, nachdem sie sich endlich durch das Nadelöhr der kleinen runden Öffnung gepresst haben. In ihrer Körperlosigkeit durchdringen sie die Wände des Schuppens und sogar die Körper der beiden Sterblichen, wobei zumindest der Abt angesichts der Kälte ihrer Essenz zusammenzuckt. Doch noch hält er stand, gibt seine nord-westliche Haltung nicht auf und betrachtet mit weit aufgerissenen Augen das unglaubliche Spektakel. Erst nach mehreren Minuten lässt der Ansturm untoter Bläser und Trommler nach, deren Schlusslicht zwei Fanfarenträger bilden, die in ihrer Feierlichkeit die Ankunft ihres Herrschers bezeugen.
Nach einem kurzen Augenblick ertönt wirklich ein Stampfen, dass in seiner Schwere und herrischen Überlegenheit nur von einem riesigen Tier stammen kann. Bevor sich der Abt in seiner Verwirrung fragen kann, ob es sich bei dem Tier um den Dämonen selbst, oder bloß um so etwas wie sein Reittier handelt, und nicht zuletzt, wie dieses Monster in den kleinen Schuppen mit seiner niedrigen Decke passen soll, galoppiert ein nachtschwarzes, reich verziertes Dromedar durch die bronzene Öffnung, schwillt in seiner Größe immer weiter an, bis es fast übernatürliche Dimensionen annimmt. In dieser fast schon urzeitlichen Form nimmt es Kurs auf den Mönch, der wiederum keinen Schritt zurückweicht. Wie schon zuvor, bewahrheitet sich die Weisheit Ficinos, sodass nicht etwa er am Dromedar, sondern das Dromedar an ihm zerbricht und sich schließlich in feinste Nebelpartikel auflöst.

Damit ist die letzte Prüfung der Beschwörer bestanden. Endlich zeigt sich der Dämon selbst, ein riesiger Mann mit schlanken Gliedern und pechschwarzem langen Haar, der mit präzisen Bewegungen seinem Gefängnis entsteigt und eine erhabene Stellung innerhalb des für ihn vorgesehenen Kreises einnimmt. Mit schrecklich donnernder Stimme brüllt er Ficino wütend entgegen und entblößt dabei eine Reihe spitzer Zähne, die im scharfen Kontrast zu seiner sonst sehr menschlichen Gestalt, vor allem aber zu seinen außergewöhnlich weiblichen Gesichtszügen stehen. Angestrengt antwortet Ficino seinerseits mit laut gebrüllten Ritualgesängen, ohne den Augenkontakt zwischen ihm und seiner Beschwörung aufzugeben. So verläuft das Duell minutenlang, und nur selten schaut der Dämon zum Abt hinüber, als würde er sich mit einer solch niederen Kreatur erst gar nicht abgeben wollen. Diesem fällt es unglaublich schwer, dem durchdringenden Blick des Königs standzuhalten, sodass er sich nicht selten in Versuchung sieht, die Hände zum Gebet zu falten. Zum Glück erkennt er noch rechtzeitig die Lächerlichkeit seines Vorhabens, das nicht nur seine Schwäche entblößt, sondern auch eine Beleidigung gegenüber dem Höllenherrscher bedeutet hätte.
Nach einer Zeit, die sich für den Abt wie qualvoll lange Stunden angefühlt hat, ebbt das Geschrei des Dämons langsam ab. Ficino unterlässt schließlich auch den heulenden Gesang seiner Zauberformeln, worauf der Dämon wenig später vollständig verstummt. Es entsteht eine angespannte Stille, die von keinem durchbrochen wird. Respektvoll hält der Magier sich zurück, lässt sich von seiner königlichen Beschwörung mustern, und wartet darauf, dass dieser das Wort ergreift.
Sterblicher! – donnert schließlich der Dämon, mit einer Stimme, die nun beinahe menschlich klingt – Ihr habt euch als den Mächten der Hölle kundig erwiesen und seid keiner meiner zahlreichen Prüfungen erlegen. So habt ihr denn mich, den König Paimon beschworen, treuer Berater Lucifers, Kommandant tapferer Legionen und Meister der Wissenschaft! Sicherlich wird euer Tun nicht umsonst gewesen sein! Was ist euer Begehr? Wo seid ihr auf die engen Grenzen eurer beschränkten menschlichen Erkenntnis gestoßen? Es ist doch Wissen was ihr verlangt? Sprecht nun und verschwendet nicht weiter meine Zeit!
Schnell ergreift Ficino das Wort und beginnt, mit respektvoller Würde, das Problem zu beschreiben – König Paimon, in eurer Weisheit habt ihr die Situation mit präzisester Vollständigkeit erfasst. Niemals hätten wir euch beschworen und eure kostbare Zeit in Anspruch genommen, wenn nicht die eigene Beschränktheit, die engen Grenzen des menschlichen Verstandes uns dazu gezwungen hätten. Seht, das Land ist von zahlreichen Katastrophen geplagt und bisher konnte ich, mit meiner bescheidenen menschlichen Macht, die Auswüchse und Folgen des Chaos kontrollieren, vielleicht sogar beseitigen. Doch nun ist das unvermeidliche Geschehen: Mein Jahrtausende altes Wissen stößt endlich an seine Grenzen. Schon oft habe ich die Weisheit der Höllenfürsten genießen dürfen, indem sie mir die Geheimnisse der Natur offenbarten. Aber nun benötige ich nicht nur euren Rat, sondern vor allem die Macht eures Handelns. Ich…
Genug! – unterbricht ihn der Dämon mit so furchtbarer Stimme, dass sogar der erprobte Beschwörer ein wenig zusammenfährt – Euer Verlangen beleidigt mich! Ich muss mich in Euch getäuscht haben, denn Ihr scheint nicht zu wissen, welche Frechheit Ihr da fordert! Oder wisst Ihr es nur zu gut, wollt ihr mich bespucken mit eurem Hohn? So verschwinde ich auf der Stelle, jedoch nicht, bevor ich für Eure gerechte Strafe gesorgt habe! Euer Hochmut soll Euch, Eurem Diener, dem gesamten Land teuer zu stehen kommen! Also sprich, du Elender, rechtfertige dich und mache es schnell!
Natürlich, mein König! – setzt der Mönch erschrocken an – Bitte verzeiht meiner menschlichen Dummheit und Ignoranz. Ich muss gestehen, dass ich mir über den Frevel meiner Bitte bewusst bin: Noch nie ging die Tätigkeit eines beschworenen Dämons über Beratschlagung hinaus. Ihn um weltliche Handlungen zu bitten wäre nutzlos, da das Siegel, welches der Mensch zwecks der Beschwörung gezwungen ist zu zeichnen, den Dämon daran hindert, die Kreise der Hölle zu verlassen und in die Welt der Sterblichen zu treten. Nur wenn das Siegel gebrochen wird – und das hat die Menschheit noch nicht gewagt – kann der Dämon seine Welt verlassen, und mit all seiner Macht in den niederen Sphären der Menschen agieren. Zweifellos ist er dort dermaßen überlegen, dass ihn die Unterwerfung des Menschengeschlechts kaum eine Anstrengung bedeuten würde… Der Beschwörer geht damit das Risiko ein, die gesamte Ordnung der Natur zu gefährden, sogar das Überleben seiner eigenen Spezies. Darum warnt jedes Lehrbuch vor diesem letzten Schritt, der, wenn überhaupt, nur als letzter Ausweg gewählt werden darf, als verzweifelte Maßnahme angesichts existenzieller Bedrohung.
Ficino hält in seiner Rede kurz inne, versinkt in Gedanken, und fährt schließlich mit etwas sichererer Stimme fort – Allerdings, königlicher Paimon, befürchte ich, dass die Menschheit nun gezwungen ist, diesen letzten Schritt zu gehen. Denn ich vermute, dass es sich bei unserem Problem um das untrügliche Anzeichen einer bevorstehenden, nie dagewesenen Auslöschung handelt. Darum kniee ich nieder vor eurer Macht und liefere mich, als Vertreter der gesamten Menschheit, euren dämonischen Gnaden aus.
Und wirklich kniet Ficino nieder und deutet dem Abt mit einem strengen Seitenblick an, es ihm nachzutun. Paimon betrachtet das Schauspiel mit belustigter Miene, bis er, mit langsam drohender Stimme antwortet – Ihr wisst es also und wollt das Siegel brechen. So habe ich Euch unterschätzt, Mönch. Jetzt liegt es an Euch, den Worten Taten folgen zu lassen! Traut Ihr Euch die höllische Macht zu entfesseln? Doch bevor Ihr es tut, sagt mir, um was für ein Zeichen es sich handelt, von dem ihr glaubt, es kündige Euer Ende an. Was hat Euch ausgerechnet jetzt – nach all den tödlichen Katastrophen Eures unbedeutenden Geschlechts – auf die Idee gebracht, der Mensch könne ohne weiteres aus der Natur verschwinden?
Der Abt, der in den bedrohlichen Worten Paimons eine Falle wittert, sieht verzweifelt zu Ficino hinüber, welcher seine Überraschung ebenfalls nicht verbergen kann. Als wäre er um eine Antwort verlegen, weicht Ficino dem bohrenden Blick seiner Beschwörung aus, ein Fehler, wie er schnell selbst bemerkt, da er sich nun, in seiner knieenden Haltung, völlig unterworfen hat. Er hat das Gefühl die Kontrolle zu verlieren und entschließt sich deshalb, möglichst schnell zu handeln, egal wie lächerlich nun alles klingt – Ihr wisst die richtigen Fragen zu stellen, König aller Dämonen. Das Zeichen, um dass es sich handelt, klingt vielleicht banal… Aber ihr müsst wissen, dass ich nie gescheitert bin! Ist das nicht schon Zeichen genug? Das ist es jedoch nicht, nicht das Zeichen selbst jedenfalls, sondern eine Konsequenz… Es handelt sich vielmehr um einen Vorfall… Es ist so, dass der geliebte Kanarienvogel des Abts einen Schwächeanfall erlitten hat und jetzt…
Ein Vogel?! – wieder unterbricht ihn Paimon, dieses Mal so zornig, dass der Abt befürchtet, die kleine Hütte könnte unter dem Beben des dämonischen Donners zusammenbrechen und sie alle unter ihrem Schutt begraben – Ihr beschwört mich wegen eines lächerlichen, krank gewordenen Vogels?! Und darin glaubt Ihr tatsächlich, das Zeichen eures unvermeidlichen Untergangs zu sehen?! Die Ignoranz der Menschen kennt wahrlich keine Grenzen! Und ihr, die Mönche, seid unter ihnen schon immer die Verblendetsten gewesen, die naivsten, träumerischsten, elendsten Kreaturen! Meinen Rat sollst du dennoch haben Mönch, denn du hast ihn nötig: Hätte euer Geschlecht in seinem Größenwahn nicht die Augen vor dem offensichtlichen verschlossen, kennte es seinen Platz, wärt Ihr nun nicht auf meine Hilfe angewiesen. Aber euer arrogantes, rücksichtsloses dahinleben, euer egoistisches, zerstörerisches Verhalten hat euch zu dem gemacht was ihr seid. Wenn Ihr euch sehen könntet! Denkt Ihr, ich wüsste nicht über eure Abscheu, euren Ekel vor mir? Ihr hasst mich und doch seid Ihr gezwungen niederzuknien, mich anzubetteln wie Sklaven! Ihr seid wahrlich das Niederste was die Welt zu bieten hat, das Böseste und Hinterhältigste! Beschuldigt mich nicht länger euch unterwerfen zu wollen, denn Ihr steht schon längst unter mir! Und jetzt steh auf, lächerlicher Mönch, zerreiße das Siegel! In meiner Gnade will ich Euch helfen. Eile herbei, Bemitleidenswerter, bevor es mit Euch zu Ende geht!
Der gedemütigte Ficino merkt, dass es jetzt kein Zurück mehr für ihn gibt. Den Worten Paimons folgend, erhebt er sich, steuert mit niedergeschlagenen Augen auf das mit Kreide gezeichnete Symbol zu und verharrt dort einen unsinnigen Moment lang, wenige Zentimeter vom Dämon entfernt. Noch einmal wendet er sich zum Abt, sein Gesicht vor Unsicherheit zerfurcht. Doch dieser kniet einfach nur da, leer vor sich her starrend wie ein Blinder, ohne festes Ziel. Er kann ihm nicht helfen, wie sollte er auch: Es ist der ursprüngliche Plan des Mönches gewesen das Symbol zu brechen, es gab von Anfang an keine Alternative. Hat er zu gedankenlos gehandelt, seiner Überlegenheit zu sicher? Er kann nicht sagen, was ihn ausgerechnet jetzt seiner Sicherheit beraubt hat. Ob es die Anwesenheit eines Dritten ist, die Undurchdringlichkeit des Dämons, seine machtvolle Ausstrahlung eindeutiger Herrschaftlichkeit? Schicksalsergeben kniet sich der Mönch von neuem zu Boden, legt prüfend eine Hand auf den Kreidekreis und fährt schließlich mit allen fünf Fingern über dessen Linien, sodass die ersten Brüche in dem eben noch so präzis gezeichneten Siegel entstehen. Höhnisch lachend begutachtet Paimon das destruktive Werk seines Beschwörers – Gut so Mönch, radiere es aus!
Immer schneller wischt Ficino mit seinen Händen zwischen den Füßen des Dämons herum, bis das Symbol kaum noch zu erkennen ist und dieser ihm lautstark zu verstehen gibt, es sei genug. Begierig einen Schritt in die Welt zu tun, aus der er vor so langer Zeit verbannt wurde, weist Paimon ihn an, beiseite zu gehen, woraufhin der Mönch, auf allen Vieren kriechend, eine demütige Position in unmittelbarer Nähe des Abtes einnimmt. Langsam testet der Dämon die neugewonnene Freiheit, setzt zunächst bloß einen Fuß auf den verbotenen Boden, und lässt dann, nach einer genussvollen Pause, das zweite Bein folgen, mit dem er so kraftvoll aufstampft, dass Kreide und Staub des Werkstattbodens in hohen Bogen aufwirbeln. Würdevoll steuert er auf seine unglücklichen Befreier zu, sodass es Ficino kalt den Rücken runterläuft und er schon das Schlimmste befürchtet. Doch als Paimon schließlich vor ihnen steht, werden sie weder von dessen Reißzähnen zerfetzt, noch verschlingt sie der unerbittliche Sog seines höllischen Schlundes. Nur sein abschätziger Blick durchdringt sie kalt und stechend.
Was ist? – wendet sich Paimon Ficino zu – Ihr haltet euch für einen großen Magier und nun fällt euch nichts weiter ein, als sich zitternd dem Ende zu ergeben? Ihr glaubt nicht, dass eine Kreatur der Hölle ihr Wort halten würde, habe ich Recht? Ich will euch das Gegenteil beweisen! Führt mich zu Eurem Vogel und Ihr werdet sehen, dass er in kürzester Zeit genesen wird, um mir mit kräftiger Stimme ein Loblied zu singen. Ihr sollt schon noch sehen, wie tief Ihr unter mir steht, wie sehr mein Wissen dem Euren überlegen ist!
Mit kräftiger Hand packt er Ficino am Arm, reißt ihn mühelos hoch, um ihn ganz nahe an sich heranzuziehen und zu flüstern – Ich rate dir etwas Haltung anzunehmen. Der Respekt gebührt es. Und nun geh voran. Führe mich zu dem Vogel! Auf dass wir diesen elenden Ort verlassen können.
Daraufhin hilft der Mönch seinem apathischen Vorgesetzten auf die Beine, nimmt ihn sacht am Arm und geht voran in Richtung des Arbeitszimmers. Zum Glück hat der Glockenturm-Mönch sofort nach dem Verschwinden des ungewöhnlichen Paares seinen Posten verlassen, um den anderen Mönchen von seinen seltsamen Beobachtungen zu berichten. Lautstark diskutiert er mit seinen Brüdern während des gemeinsamen Mittagessens, sodass nicht nur der Glockenturm, sondern auch der gesamte Innenhof menschenverlassen daliegen und vermutlich keiner die lautstarke Beschwörung bemerkt hat, die sich eben erst im Schuppen abgespielt hat. Auch sieht so niemand, wie Ficino, den Abt unter die Arme greifend, in Begleitung einer seltsam hochgewachsenen, dunklen und verboten weiblich wirkenden Gestalt über den Hof schleicht.
Unentdeckt erreichen Paimon und seine Untergebenen die Arbeitsstätte des Abtes, dessen mächtige Tür noch immer weit geöffnet ist. Sie alle treten ein, Ficino widerwillig, den fatalistisch-leblosen Abt hinter sich herziehend und Paimon mit festem Schritt und leicht gerümpfter Nase, als könne er die Widerlichkeit der Menschenwelt kaum ertragen. Erst beim Anblick des unregelmäßig zuckenden federlosen Vogels, kehrt etwas leben in den Abt zurück, worauf er in einem Anflug beinahe liebenswürdiger Naivität, hoffnungsvoll zum Dämonenkönig schaut. Um sein lästiges Versprechen möglichst schnell hinter sich zu bringen, tritt dieser schnell an den Vogelkäfig, betrachtet kopfschüttelnd das niederliegende Geschöpf und beginnt sofort mit dem Wirken seiner Kräfte. Mit lässiger Bewegung streckt er den rechten erhobenen Zeigefinger aus, hält ihn senkrecht nach oben, bis an dessen Spitze eine kleine, leicht tänzelnde blaue Flamme erscheint. Diesen flammenden Fingerzeig richtet er auf den bewusstlosen Vogel, reckt sich ihm langsam entgegen, sodass dem schockierten Abt ein halb unterdrückter Schreckensschrei entfährt. Unter verstärktem Zucken dringt die Flamme in die Brust des Vogels ein, ohne eine Brandspur zu hinterlassen. Schließlich ruht nur noch der lange dämonische Zeigefinger auf dem still gewordenen Körper.
Nach dem körperlichen Konsum der bläulich züngelnden Flamme passiert lange Zeit nichts. Paimon verharrt weiter mit herabgesenktem Finger, Ficino beobachtet ihn mit fasziniertem Blick und der Abt steht einfach nur da, mit wässrigen Augen in seine alte apathische Abwesenheit verfallen. Langsam hebt sich schließlich der Finger des Dämons, den nackten Vogel in seinem Elend zurücklassend. Dem König ist anzusehen, dass die von ihm gewählte Wiedererweckungsmaßnahme gescheitert sein muss, dass sie die Lage vielleicht sogar noch verschlimmert hat. Nachdenklich steht er da, ohne seine professionelle Haltung aufzugeben und begutachtet das Geschöpf, von dem man nun annehmen könnte, es wäre endlich erlöst worden, würde man nicht den sacht hüpfenden Herzschlag bemerken, der sich, kaum noch merklich, auf der federlosen Haut abzeichnet.
Schließlich scheint ihm ein Einfall gekommen zu sein, den er nun den Mönchen in lehrhaftem Tonfall vorträgt – Euer Fall ist interessanter als gedacht, das gebe ich zu. Für einen Moment war ich sogar erstaunt, denn die Flamme, die ihr eben gesehen habt, ist dazu imstande die Toten wiederzubeleben, und sei ihre körperliche Hülle noch so zerstört. Bei diesem halb lebendigen Vogel konnte sie allerdings nichts ausrichten. Doch sehe ich bereits die Lösung vor mir. Sagt, ist es so, dass der Vogel sich die Federn selbst ausgerissen hat? – hierauf antwortet der Abt mit einem schwachen Nicken, worauf der Dämon fortfährt – Das dachte ich mir, denn die Ursache des Schwächeanfalls liegt nicht im Vogel selbst, sondern in seiner Umgebung.
Darauf entblößt der Dämonenkönig eine lange glänzende Schlangenzunge, mit der er immer wieder die Luft durchbohrt. Nacht getaner Analyse fährt er in seinem Vortrag fort – Eure Erdenluft ist nicht nur unerträglich heiß geworden, sondern auch stickig und verschmutzt, schwefelig und giftig wie die Hölle selbst. Merkt ihr es denn nicht? Zu lange habt ihr diese Welt bevölkert und mit euren Ausdünstungen verpestet! Überall Rauchschwaden brennender Verwüstung, Abgase eures zahlreichen Viehs, menschengemachte Dämpfe! Ihr habt das Band zwischen euch und der Natur gekappt und es nicht einmal bemerkt. Das lächerlichste ist aber, dass euch in eurer Dummheit nichts Besseres einfällt, als die Schuld auf der anderen Seite zu suchen! Dieser Vogel kann nichts für seinen Zustand. Schon beim Verlassen der Werkstatt habe ich den Gestank bemerkt in dem ihr euch suhlt, die Verschmutzung, die sich über euch gelegt hat wie eine dicke Decke. Alles ist dazu verdammt unter ihr zu ersticken und zu verkochen – bei den kleinsten Lebewesen fängt es an. Doch es wird nicht mehr lange dauern, bis euch die Ignoranz ins Verderben reißt. Darum liegt also der Vogel hier, darum hat er sich eine Feder nach der anderen ausgerissen: aus Verzweiflung über die menschliche Abartigkeit! Was sagt ihr dazu, ihr geistreichen Mönche? Erwartet bloß nicht, zu euren Ursprüngen zurückgeführt zu werden. Nein, die Verblendung kann ich euch nicht nehmen. Ich kann euch nicht aus der Verirrung führen, dass könnt nur ihr selbst. Aber ihr sollt sehen, dass ich Wort halte und euch soweit helfen will, bis dieser Vogel geheilt ist.
Mit diesen Worten kehrt Paimon um und verlässt unter donnernden Schritten das Arbeitszimmer. Nach einigen Sekunden lähmenden Erstaunens beeilt sich Ficino ihm zu folgen, obwohl ihm seine Würde etwas anderes befielt. Schnell greift er den Arm des Abtes und zerrt ihn hinter sich her, denn er kann ihn in diesem Zustand nicht einfach hier stehen lassen.

Was hat Paimon nur vor? Es ist klar, dass er zurück in die Werkstatt will, dass er in seiner arroganten Überlegenheit einen Plan verfolgt, dessen Undurchdringlichkeit dem Magier große Sorgen bereitet. Nach wie vor ist er ein König der Hölle, eine misanthropische Kreatur, die in ihrer Bösartigkeit jeder menschlichen Überzeugung entgegensteht. Warum also sollte er ihnen helfen wollen? Dann wiederum ist er ihnen in seiner Weisheit und Erfahrung weit überlegen und vielleicht liegt ihm einfach nur daran, seinen Wissensreichtum endlich wieder praktisch zu nutzen. Es ist denkbar, dass ihm die verfahrene Situation der Menschen gerade recht kommt, um eines seiner vielen geplanten Experimente in die Tat umzusetzen. So würde er das Elend der Menschen bloß ausnutzen, und nicht in der unwahrscheinlichen Absicht handeln, die von ihm so verachtete Rasse wirklich retten zu wollen. Was auch immer dort in seinem dämonischen Hirn Gestalt annimmt, ist jetzt nicht mehr aufzuhalten. Selbst die Macht des einst so großen Menschenmagiers Ficino muss sich der beschworenen Übermacht geschlagen geben – er, der Schänder des Symbols, hat selbst dafür gesorgt.

Als Ficino und der Abt den Hof erreichen, sehen sie gerade noch, wie der dunkle Schatten Paimons in dem zur Werkstatt umfunktionierten Schuppen verschwindet. Beide eilen hinterher und finden dort einen beschäftigten Dämon vor, der mit flammenden Fingern fremde Symbole und Runen in den Boden brennt, die noch nicht einmal Ficino zuvor gesehen hat. In präziser Feinarbeit entsteht so ein Geflecht aus Kreisen und Linien, die sich im Ganzen zu einem großen Oktogon vereinen. Jeder Eckpunkt des geometrischen Gebildes setzt sich selbst aus einem kreisrunden Symbol zusammen, dass in seiner Komplexität und dunklen Schönheit der Zeichnung Ficinos um Welten voraus ist. Wie der Beschwörungskreis des Magiers bleibt aber auch das geflochtene Oktogon in der Mitte leer, sodass Paimon es mit einem detaillierten Schriftzug befüllen kann, der in seiner geordneten Ästhetik einer Mischung aus mathematischer Gleichung und arabischer Kalligraphie gleicht. Nach getaner Arbeit tritt der Dämon einige Schritte zurück, betrachtet fast schon liebevoll sein Werk und wendet sich dann, wie selbstverständlich, den beiden Mönchen zu, die er seit ihrer verzögerten Ankunft in der Werkstatt keines Blickes gewürdigt hat.
Vielleicht ist es der eigene Stolz, der Paimon nun zu einer Erklärung des eingebrannten Meisterwerks nötigt – Sieh her Mönch! Du hältst dich für einen Beschwörer und Kenner der Höllenwesen? Du nennst dich Professor der Geheimnisse, einen Doktor der dunklen Wissenschaft? Und doch hast du nie eine vollkommenere Formel gesehen als meine, die, lass dir das gesagt sein, nicht einmal den Höhepunkt meines Wissens darstellt! Was denn, sehe ich Neid in deinen Augen? Oder ist es Unverständnis? Keine Sorge ich will es dir erklären, dass sogar du und dein Mönchsfreund es versteht. Auf dass ihr einen Einblick ins Naturwissen des größten aller Dämonenkönige erlangt!
Mit großen Schritten stampft Paimon am Rand des Siegels entlang und ebenso hochmütig beschreibt er seine Kreation – Jeder Eckpunkt des Oktagons wird durch ein eigenes Symbol gebildet, dass für sich genommen einen grundlegenden Teil des Universums beschreibt. Insgesamt sind es also Vier Gegensatzpaare, die durch Strahlen verbunden werden und immer in diagonaler Opposition zueinander liegen. Auf der einen Seite findet ihr Feuer, diagonal versetzt Wasser. Dort seht ihr das Element der Erde und drüben die Luft. Links finden sich also die schweren Elemente und rechts die Leichten, das Aktive und Passive. Dann, an den zwei oberen Eckpunkten, ist das vollständige Symbol allen Seins sowie der Gegenpol des Nicht-Seins eingezeichnet, da sie in besonderer Vollkommenheit für das Gegensätzliche in der Welt stehen und somit direkter Nachbarschaft bedürfen. An dem rechten unteren Eckpunkt hingegen liegt das Niederste, die Körper. Direkt daneben, in enger Nachbarschaft, alles Unkörperliche, gebannt in ein einziges Zeichen von höchster Komplexität. Als wäre das nicht genug, wird nun all dieses Wissen durch unsichtbare und sichtbare Verbindungen zu einem Ganzen erhoben, einem achtstrahligen Stern der Vollkommenheit. Der Beschwörungskreis enthält somit die gesamte verbundene Ordnung der Natur, ein durch und durch lückenloses Informationsnetzwerk, das schließlich in die Beschwörung eingeflochten wird und ihr somit dazu verhilft, auch die unmöglichsten Aufgaben zu erfüllen. Auf meinen Befehl hin, wird sich also das Tor zur Hölle ein weiteres Mal öffnen. Ohne Eure lächerlichen Tricks – damit wandte er sich direkt an Ficino – werde ich meine Diener herbeirufen, und sie werden erscheinen, zitternd vor Angst, doch durchdrungen von Wissen, einem vollständigen Bild dieser Welt. Ein Befehl wird genügen und sie werden erkennen, was ihre Aufgabe ist.
Mein Plan ist vollkommen lückenlos – fährt Paimon nach effektvoller Pause fort – Ihr habt also in eurer Beschränktheit zumindest einmal richtig gehandelt, indem Ihr mich und keinen anderen Beschworen habt! Einer der Diener wird durch die Lüfte kreisen und dort mit seinem riesigen Schlund die Dämpfe einatmen, die ihr Menschen so unachtsam produziert habt. In seiner höllischen Niederträchtigkeit wird er den Geschmack eures Gestanks vergöttern und so viel davon aufnehmen wie nur möglich. Zurück bleibt eine reinere, gefilterte Luft, die dem sklavischen Dämon unerträglich scheinen, euch Menschen aber wohl gefallen wird. Allerdings ist die menschliche Seuche zu weit fortgeschritten, als dass diese Maßnahme allein genügen wird. Deswegen müssen weitere Schritte getätigt werden, mit denen wir die Natur überlisten und das Gleichgewicht wiederherstellen können. Der zweite meiner Diener wird daher über alle sieben Weltmeere fliegen und dabei eine eisenhaltige Substanz ausscheiden, die bewirkt, dass die kleinsten aber produktivsten Pflanzen des Ozeans sich ernähren und wachsen können. Somit werden die Dämpfe der Luft, aber auch die Verschmutzung des Wassers gebunden. Denn nicht nur eure Luft habt ihr verpestet, sondern auch das nasse Element und zwar in solchem Maße, dass selbst die riesigen Ozeane kapituliert, und sich eurer Tyrannei ergeben haben. Sicherheitshalber wird schließlich ein dritter Dämon in die höchsten Sphären des Himmels entsendet, wo er seinen höllischen Atem verteilt und so, unter der schützenden Schicht harmloser Schwefeldämpfe, die Erde verdunkelt, indem er die Strahlung der Sonne abschirmt. Auf diese Weise kann sich der Weltenorganismus von seinem Fieber erholen und zu normalen Temperaturen zurückkehren, was auch euch Menschen zu Gute kommen wird. Was den Schwefel angeht sollt ihr euch keine Sorgen machen: Er wird schon nach kurzer Zeit verschwinden, sodass der Himmel zu einem kräftigeren Blau zurückkehren kann, als er es jemals besessen hat. Was sagt ihr nun? Kein Mensch wäre in seiner Beschränktheit jemals auf diese Ideen gekommen, die in ihrer Brillanz nur dem erhobenen Verstand eines wahren Königs entspringen konnten. Lasst uns also mit dem Ritus beginnen!
Ohne die Antwort seiner Beobachter abzuwarten, kehrt Paimon ihnen den Rücken und beginnt mit dem gleichen höllischen Gebrüll, das er schon zu Beginn seiner eigenen Beschwörung demonstriert hat, Befehle herauszuschreien.
Was können Ficino und der Abt schon entgegnen? Der eine hat offensichtlich längst die Kontrolle über sein höllisches Experiment verloren, während der Andere sich vollständig aufgegeben zu haben, und in teilnahmsloser Gleichgültigkeit versunken scheint.
Ungehindert fährt der Dämonenkönig in seinem Plan fort. Schon nach kurzer Zeit öffnet sich der Boden der Werkstatt, sodass die gleiche Hitze und derselbe Gestank von neuem den Raum durchfluten, begleitet von ohrenbetäubendem Geschrei. Weniger prachtvoll als die Vorhut Paimons, doch mit derselben rohen Gewalt, entsteigen drei geflügelte Dämonen dem Portal, dass sich wieder in der Mitte des Siegels geöffnet hat. Der eine besitzt ein groteskes überdimensionales Maul, der andere einen ekelhaft geblähten Magen und der Dritte riesige Nüstern, aus denen schon jetzt kleine Schwaden Schwefel herauswabern. Auf einen letzten brutalen Befehl ihres Meisters entfalten sie ihre schwarz geschuppten Schwingen, setzen zum Flug an und zerbrechen mit einem gewaltigen Satz das dünne Dach der lächerlichen Hütte. Ficino reißt die Arme über den Kopf um sich vor herabfallenden Trümmerstücken zu schützen, während der Abt regungslos vom aufgewirbelten Staub eingedeckt wird. Beide bleiben, bis auf wenige Kratzer abgesehen, unverletzt. Nachdem sich das Chaos einigermaßen gelegt hat, schauen sie den drei Gargoyles ungläubig hinterher, die unter schwerfälligen Flügelschlägen in den unterschiedlichsten Himmelsrichtungen verschwinden. Paimon hingegen zeigt sein selbstzufriedenstes, gefährlichstes Lächeln.
Schon in wenigen Minuten – prophezeit er seinen schockierten Zuschauern – wird die Arbeit meiner Diener spürbar werden. Die Erlösung ist Nahe, ihr Menschen!

Weder Ficino noch der Abt können die Folgen der zweiten, sozusagen doppelt dämonischen Beschwörung in all ihren Ausmaßen wahrnehmen. Und selbst der mächtige Dämonenkönig Paimon kann trotz seiner überragenden wissenschaftlichen Kenntnisse, seiner geistigen Einsicht in die Zusammenhänge der Natur oder gar seiner gewaltigen Armee, nicht vollständig überblicken, welche Folgen sein Handeln wirklich für das fein gewobene Netzwerk der Natur hat. Kann es sein, dass er im Rausch der Begeisterung ein Detail übersehen hat? Gibt es geheime Verbindungen, die selbst ihm verborgen sind? Und wie soll er von ihnen wissen, wenn er sie nie entdeckt hat? Tatsache ist, dass der Dämonenkönig im Moment der Beschwörung einen Teil seiner Macht verliert, insofern er die niederen Geschöpfe der Hölle, auf die er gewissermaßen angewiesen ist, mit einer Aufgabe betreut, die er selbst so nicht erfüllen kann. In ihrer niederen Beschaffenheit jedoch, ist es durchaus möglich, dass sie einen Fehler begehen, der sich letztendlich als fatal herausstellen wird – und dass, obwohl sie keinen anderen Wunsch in sich tragen, als ihren Meister zufrieden zu stellen. Doch Paimon kennt seine Diener, er weiß um ihre Zuverlässigkeit, und schließlich kommt nur den besten aller Kreaturen die Ehre zu, ihn bei seinen Vorhaben zu unterstützen. Das Werkzeug des Beschwörers ist demnach makellos und das Restrisiko minimal; es ist vor allem kalkulierbar, sodass die Verantwortung für den Versuchsverlauf dem Beschwörenden nicht einfach abgenommen werden kann, sondern vielmehr, in all ihrer Schwere, auf ihm lastet.
Aber wer trägt in diesem Fall die schwere Last? Ficino, der erste Beschwörer, oder Paimon, der Zweite, über den der Erste ganz offensichtlich die Kontrolle verloren hat? Darüber kann erst nach dem Versuch entschieden werden, wobei der Ausgang der Ereignisse eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Geht alles gut, kommt es wohlmöglich gar nicht erst zur Anklage; missglückt aber das Vorhaben des Beschwörenden – ob des Ersten oder Zweiten muss dann ermittelt werden – folgt ein langer aber sinnloser Prozess. Wem nützt schon ein Verfahren in dem jeder Teilnehmer schuldig ist? Alle werden sich hinter ihren ehrenvollen Absichten verstecken, sie werden behaupten, auf lange Sicht nur das Gute im Blick gehabt zu haben. Wenn überhaupt, so würden sie behaupten, träfe sie nur die Schuld der zu spät Gekommenen: Ficino, der sich, geschützt von den Mauern des Klosters, in metaphysische Studien gestürzt hat, würde behaupten zu spät auf die Probleme der Außenwelt aufmerksam gemacht worden zu sein, während der Dämon schlicht darauf verweisen könnte, sein Beschwörer habe ihn einfach nicht schnell genug aus dem Reich der Hölle herausgelockt. Zusätzlich muss davon ausgegangen werden, dass ein Fehlschlagen der Maßnahmen Paimons die irdische Sphäre in ein Inferno verwandeln würde, das in seiner Schrecklichkeit der wahren Hölle in nichts nachstände. Somit würden die Grenzen aufgelöst und das Reich der Natur als weiterer Höllenkreis einverleibt werden. Da es aber in der flammenden Unterwelt keinen einzigen Unschuldigen gibt, macht die Suche nach einem Verantwortlichen dann erst recht keinen Sinn mehr, vor allem nicht, wenn es niemanden gibt, der anklagen könnte.

Sehen wir also, was Paimon und die Mönche nicht sehen können, nämlich den Fortschritt des Experiments, von dem so viel abhängt. Alle Gargoyles gehen gewissenhaft ihren Aufgaben nach: Der mit dem breiten Maul verleibt sich genussvoll die Abgase der Menschen ein, der Aufgeblähte erleichtert sich ununterbrochen über den Ozeanen und der Dritte bläst schließlich, in den höchstmöglichen Sphären, seinen Schwefel in die Atmosphäre. Somit scheint alles nach Plan zu verlaufen, auch wenn die Aktion etwas länger dauert als von Paimon geplant. Aber selbst nach einer Stunde zeigt sich noch keine Verbesserung, von der angepriesenen Erlösung der Menschheit ganz zu schweigen.

Schwitzend stehen die Mönche vor dem Käfig des Vogels, dessen Insassen sie nun als Indikator für den Erfolg oder Misserfolg ihres Vorhabens erkoren haben. Kommt er wieder zu sich, scheint sich das Gleichgewicht der Natur soweit wiederhergestellt zu haben, dass selbst ein so zartes Geschöpf wie der blau-grüne Kanarienvogel in ihr überleben kann. Bleibt er jedoch liegen und versiegt gar das schwache Pochen seines Herzens, ist das verhängnisvolle Urteil des Untergangs gesprochen. Somit starren sie alle, Paimon miteingeschlossen, auf den noch immer still daliegenden Vogelkörper. Während der Abt schon längst die Zeit vergessen hat und Ficino in ein ähnliches Delirium zu fallen droht, wird Paimon angesichts der langen Wartezeit allmählich ungeduldig. Nach seinen Berechnungen müsste das gewünschte Ergebnis schon längst eingetreten sein. Was dauert da so lange? Hat etwa doch einer seiner treuen Diener versagt?
Tatsächlich ist die Sorge Paimons ungespielt, denn es geht dem Dämonenkönig nicht etwa darum die irdische Natur der Hölle einzuverleiben, auch wenn das eine beachtliche Zunahme seines Reiches bedeuten würde. Stattdessen steht für ihn nicht nur der Ruf des größten und mächtigsten aller Höllenherrscher auf dem Spiel, sondern auch die Existenz seines wissenschaftlichen Untersuchungsobjekts. Verblassen die Grenzen zwischen Hölle und Erde, verwandelt sich die Natur in einen weiteren trostlosen Kreis der Hölle, hat er nichts mehr auf das er seine geliebten Studien richten könnte. Das würde bedeuten er verlöre nicht nur den Status des mächtigsten Untergebenen Satans, sondern auch seinen Ruf als größter Kenner der Wissenschaft. Man kann also verstehen, warum er in wachsender Erwartung auf die Rückkehr seiner Diener wartet, die nun schon länger als eine Stunde abwesend sind.

Der Dämon mit dem großen Maul fliegt noch immer durch die verseuchten Lüfte, doch mittlerweile hat selbst sein sonst so unersättlicher Hunger etwas nachgelassen. Kann er so zu seinem Herrscher zurückkehren? Er weiß, dass die Luft noch immer so abgasdurchdrungen ist wie zuvor, dass seine Arbeit im Grunde keinen Unterschied gemacht hat. Wer hätte schon mit einer solchen Menge rechnen können? Geschlagen und kurz vor dem Erbrechen, macht sich der fliegende Dämon auf den schmachvollen Rückweg.
Währenddessen ist der aufgeblähte Gargoyle sehr viel erfolgreicher gewesen. Zufrieden stellt er fest, dass sich die schillernden Blautöne der Ozeane in ein giftiges Grün verwandelt haben, ein Farbwechsel, der nur auf das massenhafte Wachstum der Algen zurückgeführt werden kann. Zwar hat der Düngungsprozess länger gedauert als gedacht, doch kann er nun voller Stolz zurückkehren und von seinem Erfolg berichten. Er hat den Gewässern schon den Rücken gekehrt und kann nicht sehen, wie langsam alles Leben im grünen Sumpf der Algen erlischt. Abertausende Leichen verschiedenster Meereskreaturen treiben an die Oberfläche um dort zu verwesen. Das so freigelassene Totengas, macht die sauerstofffördernde Arbeit der Algen zunichte, übersteigt sie sogar um ein Vielfaches.
Unter diesen katastrophalen Umständen bleibt also nur noch die Arbeit des letzten Dämons, des Schwefelspuckers, der noch immer in der Atmosphäre umherfliegt. Systematisch segelt er den Himmel ab und verteilt das schattenspendende Gemisch bis in den letzten Winkel. Als kein Fleck blauer Himmel mehr zurückbleibt, tritt er mit der gleichen naiven Zufriedenheit seines Kollegen die Rückreise an, um Paimon von seinem Erfolg zu berichten. Doch schon während der letzte der drei Gargoyles über die verdunkelte Erde fliegt, bricht ein Sturm über ihn herein, dessen heftiger Niederschlag sich mit dem Schwefel des gelb gefärbten Himmels verbindet, und so als säurehaltiger Regen auf die ahnungslose Natur herniederbricht. Dort richtet er heillose Zerstörung an, vergiftet die Böden und vernichtet die letzten gesunden Pflanzen, sodass an ihrer Stelle nichts neues mehr wachsen kann.
Die drei Gargoyles erreichen ihren König etwa gleichzeitig. Allerdings finden sie ihren Herren nicht etwa in gelassener Zufriedenheit, sondern in aufgebrachter Erregung vor, in einem Zorn, der sich gegen alle drei gleichzeitig richtet.
Natürlich ist der Vogel nicht auferstanden. Im Gegenteil: Sein Herz hat endlich aufgehört zu schlagen. Mit aufgeklapptem Schnabel liegt er da, nackt und trostlos, ein Symbol für das Versagen aller Beteiligten. Der Abt, der selbst in seinem Delirium zu spüren scheint, dass die letzte Hoffnung verloren ist, hat sich leise weinend an seinen Bruder gelehnt, der die ungewohnte Nähe seines Vorgesetzten fassungslos erträgt. Paimon hingegen donnert einen zornigen Befehl, worauf sich der Höllenschlund von neuem öffnet und die drei geflügelten Dämonen in seinem reißenden Sog verschlingt. Dann durchläuft er fast schon panisch den Raum, bis er sich, etwas gefasster, an die beiden Mönche richtet – Es gibt noch eine letzte Möglichkeit zur Rettung. Seid ihr bereit dazu?
Keiner der beiden antwortet. Bleich stehen sie da, beleuchtet vom fahl gewordenen Licht des schwefelverdunkelten Himmels, welches nur mühevoll durch das verdreckte Fenster hereindringt. Ohne weiter zu überlegen schmeißt sich der König aller Dämonen in den Staub, kniet nieder und murmelt so, verzweifelt flehend, unbekannte, bedrohlich klingende Worte in den Boden.

Seine Ankunft ist weniger prachtvoll als die des Heerführers Paimon. Nur wer noch etwas zu beweisen hat, wer in einer Welt lebt, in der noch jemand über einen steht, setzt auf ein effektvolles Auftreten. Paimon ist der Mächtigste aller Dämonen, ein königlicher Kommandant und Meister der Wissenschaft. Dennoch ging ihm eine ganze Armee voraus, eine Marschkapelle und sogar sein fürchterliches Reittier, das schwarze Dromedar, welches, vor noch nicht allzu langer Zeit, am erfahrensten der Menschenmagier abgeprallt und in einen gleißenden Nebel feinster Lichtpartikel verwandelt worden ist. Von allen Mönchen ist es auch Ficino, der das bevorstehende Erscheinen des größten aller Höllenmeister als Erstes bemerkt. Mit einem kontinuierlichen Brummen, einem bassartigen Störgeräusch fängt es an, das Ficino zunächst noch seinen angegriffenen Nerven zuschreibt, bis er bemerkt, dass der grummelnde, tief dröhnende Ton stetig anschwillt und schließlich nicht mehr ignoriert werden kann. Durchdrungen von dunklen Schwingungen, beginnt bald das ganze Zimmer zu vibrieren, fast sanft, aber dann immer intensiver, so intensiv, dass die Aktenstapel auf dem Tisch des Abtes ins Wanken geraten und das große Bild des strengen Mönches in Schieflage gerät. Auch durch Ficino selbst fließen nun die finsteren Ströme einer näherkommenden Präsenz, sodass sein Körper sonderbar zu schmerzen beginnt. Es ist als ob die Schwingungen sein Inneres zum Kochen bringen, als würde er von einem wahnwitzigen Fieber geschüttelt und aus der Realität gezerrt. Wären die Schmerzen nicht so unerträglich – vor allem sein Schädel wollte unter dem Druck der Hitze am liebsten zerbersten – hätte er die Episode für einen bösen Traum gehalten. Doch nun beginnt sich auch das weinende Gesicht des noch immer angelehnten Abtes zu verzerren. Seine fast schon kindlich wirkende, von Trauer gezeichnete Mimik wandelt sich, wird ergänzt durch die schmerzhaften Zuckungen eines Wahnsinnigen. Tränen laufen ihm über die Furchen des geplagten Gesichts, die zu gleichen Teilen wegen des verstorbenen Vogels, aber auch der körperlichen Qualen wegen vergossen werden. Ängstlich starrt Ficino auf den Vorgesetzten, der in seiner Verzweiflung damit beginnt, so lange die letzten verbliebenen Haare herauszureißen, bis auf seinem Kopf nur noch blutüberströmte Kahlheit zurückbleibt. Schließlich kann Ficino das Gewicht nicht länger tragen. Der Abt stürzt zu Boden wie ein Sack, bleibt dort beinahe regungslos liegen. Nur sein still flehender Mund, die lautlos hervorgebrachten Gebete des vollends Geschlagenen, bezeugen den letzten Funken Leben, der ihm geblieben ist. Ficino bleibt nichts anderes übrig, als ihn dort liegen zu lassen. Mit letzter Kraft wendet er sich dem andächtig zu Boden gebeugten Paimon zu, dessen höllische Betgesänge von dem ins Maximum gesteigerten Donner vollkommen übertönt werden. Das Bild des Dämons verschwimmt bereits und der Magier fürchtet ebenfalls sein Bewusstsein zu verlieren, als sich die schreckliche Zeremonie endlich dem Ende neigt und – der Teufel erscheint. Direkt vor dem am Boden kauernden König öffnet sich, langsam züngelnd, das kreisrunde Portal zum Reich der Unterwelt, aus dem nun gleißende Flammen emporsteigen, die schnell auf die Wände und das Mobiliar des Zimmers übergreifen, sodass, schon nach wenigen Sekunden, das gesamte Arbeitszimmer des Abtes in Flammen steht. Alles wird von ihnen erfasst, selbst Paimon, der sich dem vertrauten Feuer duldsam ergibt.
Nur die beiden Mönche bleiben verschont, sodass der mit dem Bewusstsein kämpfende Ficino von dem fieberhaften Gedanken übermannt wird, die Gesamte Welt stände in Flammen und sie, die Mönche, müssten – zur Strafe der eigenen Verblendung – ihr Ende mitansehen. Schließlich erhebt sich der würdevolle Kopf des gefallenen Engels aus dem Flammenmeer. Dann steigt auch sein riesenhafter Körper empor, die rußgeschwärzte Haut und die breiten, vom Feuer erleuchteten Schwingen. Seine Züge sind makellos glatt, ein Merkmal, das durch seinen haarlosen Schädel und die kohlefarbene matte Haut noch unterstrichen wird. In seiner ganzen wahnwitzigen Größe positioniert er sich vor dem von Flammen umhüllten Untergebenen, mustert ihn mit abschätzigem Blick, während er die kräftigen Arme vor der Brust verschränkt. Dann weist er ihn mittels knapper Geste dazu an aufzustehen. Kraftlos folgt Paimon, in ehrfürchtiger Erwartung seiner Bestrafung.
Für ihn steht viel auf dem Spiel. Warum hat er die irdische Natur nicht einfach sich selbst überlassen? Fühlt er sich etwa schuldig? Vermutlich wäre er, insofern er die Natur einfach ihrem Schicksal überlassen hätte, ohne eine Bestrafung davongekommen, ohne die Degradierung und den Spott, den ihm seine Missglückten Maßnahmen nun zweifellos einbringen werden. Tatsächlich liegt dem Dämon aber mehr an dem Erhalt seines Forschungsobjekts, mit dem er sich nun schon über Jahrtausende hin beschäftigt hat. Schon mit seinem hochmütigen, aber dennoch ernstgemeinten Versuch zur Rettung dieser ganz besonderen Welt, hat der Dämon seine ehrenvollen Absichten bewiesen. Doch nun, da die Zerstörung weiter fortgeschritten ist als er es je erahnen konnte und er selbst seinen Teil zum Untergang beigetragen hat, ist er bereit jede Konsequenz zu tragen, und wenn er zum niedersten aller Dämonen degradiert wird. Darum zögert er keinen Moment, als sich in der Hand des Teufels ein Dokument entfaltet, aus Flammen geboren und ihm zur Unterzeichnung gereicht. Mit zitterndem Finger brennt er sein Siegel unter den satanischen Vertrag, der zwar seinen eigenen Abstieg, aber eben auch die Rettung der Natur vorsieht. Nun fehlt nur noch die Unterschrift eines menschlichen Vertreters, der Rasse, die sich für den Vernichtungsprozess am meisten verantworten muss. Da der am Boden liegende Abt als fähiger Unterzeichner ausscheidet, muss Ficino die schwere Bürde seines Geschlechts tragen. Wie hypnotisiert folgt er dem Ruf des Teufels, tritt näher, wobei ihm die Höllenflammen gefährlich nahekommen, und setzt, ebenso wie Paimon, seine Unterschrift unter ein Dokument, das er selbst nicht lesen kann und dessen Paragraphen ihm unbekannt sind.

Draußen toben die Katastrophen, geboren aus menschlichem Versagen und potenziert durch dämonische Maßnahmen. Sie sind Zeichen eines letzten Aufbegehrens, der verzweifelte Todeskampf der Natur, ein Protest gegen den sinnlosen Untergang und das Fieber, dass sie schon allzu lange plagt. Stürme fräsen sich durch das Land, reißen Bäume aus und Häuser nieder, verfolgen Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen. Manchmal bringen sie Regen, vom Schwefel sauer geworden und in solchen Massen, dass die ausgetrocknete Erde ihn nicht aufnehmen kann. Dann wird die heiße Dürre unterbrochen von einer schwülen Flut, die auch das letzte Leben, die unglücklichen Überlebenden, in den sicheren Tod spült.
All das kann Ficino nicht sehen, als er dem Teufel entgegen stolpert. Doch in dem Moment, als er mit dem Finger seine rot glühende Unterschrift auf das Abkommen setzt, geben auch die schützenden Klostermauern der wütenden Naturgewalt nach, sodass ihm ein letzter Blick auf die vergehende Außenwelt vergönnt ist. Über seinem Kopf wird das Dach abgerissen, Flammen steigen den Grenzwall hinauf und schließlich bricht sogar der Glockenturm unter den Lasten der widernatürlichen Gewalt zusammen. Diejenigen seiner Brüder, die noch nicht von umherfliegenden Trümmerteilen erschlagen worden sind, die sich vor dem Flammenmeer retten konnten und noch immer genügend Luft zum Atmen haben, rennen panisch über den verbliebenen Hof, manche von ihnen knieen sogar nieder, um so – wie eben noch Paimon – verzweifelt zu flehen oder leise zu beten.
Aber das Schauspiel dauert nicht ewig, auch wenn Ficino für einen Moment glaubt, die Zeit selbst wäre in der allgegenwärtigen Katastrophe für immer vernichtet, und in endgültigen Stillstand geraten. Langsam werden die geheimen Konditionen des teuflischen Vertrages sichtbar, indem sich der Schlund, durch den Satan und sein Diener Paimon gerade wieder verschwunden sind, erweitert, unaufhörlich vergrößert und seinen Sog verstärkt. In ihrem Hunger zerrt die höllische Macht an allem was menschlich ist, erst sanft aber bestimmt, dann, als die Menschen nicht gehorchen und freiwillig zur Hölle fahren, mit immer stärkerer Gewalt. Ficino, der sich in unmittelbarer Nähe des fürchterlichen Schlunds befindet, muss den am Boden liegenden Abt an einem Bein greifen und sich selbst an den nächstmöglichen Gegenstand klammern, damit sie nicht als erstes hinabgesogen werden.
Aber gerade Ficino, der erkorene Vertreter der Menschheit und Unterzeichner des Vertrags, müsste wissen, dass dieser Kampf bereits verloren ist. Und dennoch klammert sich ausgerechnet er, er, der immer behauptet hat den Tod niemals gefürchtet zu haben, mit letzter Kraft an die irdische Materie. Ja, tatsächlich fürchtet er den Untergang so sehr, dass er sogar den Abt, der vielleicht schon längst gestorben ist, vor ihm bewahren will. Erst jetzt, in den letzten Momenten, wird ihm sein mangelnder Respekt vor dem Leben bewusst, die große spirituelle Bedeutung seiner Beziehung zu diesem Ort, dieser Welt, welche nun für immer enden soll. Er, der in seinem Leben noch nie geweint hat, vergießt nun seine ersten und letzten Tränen. Er weint über seine Ignoranz, über sein zurückgezogenes, verstaubtes Leben, über die mangelnde Macht und das mangelnde Wissen, seine beschränkten Fähigkeiten, die letzten Endes nicht ausreichten um wiedergutzumachen, was schon vor langer Zeit begonnen wurde. In diesem Moment der Schwäche entgleitet dem Mönch das Bein des Abtes, den er zuletzt doch noch respektieren gelernt hat. Unaufhaltsam schlittert dieser auf den tiefsten aller Abgründe zu. Ficino, der sich noch immer halten kann, schreit auf, blickt dem Abt hinterher, der, noch immer lebendig, wieder zu weinen begonnen hat. Noch während er in den Flammen verschwindet, weint er über seinen verlorenen Glauben, vor allem aber über den ewigen Verlust seines Vogels, den er nie mehr wiedersehen wird. Seine letzten Gedanken sind Vorwürfe, Vorwürfe an sich selbst: Er wirft sich vor den wunderschönen Kanarienvogel nicht genug geliebt, seine Schönheit nur oberflächlich wahrgenommen zu haben. Er wirft sich vor, ihn niemals freigelassen, ihm seine Freiheit genommen zu haben, bis er sich aus Verzweiflung die eigenen Federn ausriss. Und damit fällt sein Körper hinab, hinaus aus der eigenen Welt in den qualvoll unnatürlichen Abgrund der Hölle.

Der Abt ist der erste Mensch, der aus seiner Welt, der Natur herausgerissen wird. Ihm folgen Ficino und die anderen Mönche, die Klostermauern und der Glockenturm, alle Gebetsbücher und Heiligenbilder. Dann, als hätte der Höllenschlund Blut geleckt, verstärkt er seinen Sog um ein Vielfaches und erweitert das kreisrunde Portal, um sich auch den Rest der Menschheit einzuverleiben. In ihm verschwinden die Menschen selbst, ihre Schicksale und Hoffnungen, aber auch die Artefakte, die sie während ihrer kurzen Anwesenheit so meisterlich erschaffen haben. Hungrig verschlingt die Hölle nicht nur ihr Fleisch, sondern auch die Häuser, ihre Autos, Flugzeuge und Fabriken, einfach alles, was menschliche Hände jemals geformt haben. Zurück bleibt nur das vertraglich vorgesehene, eine zerstörte Natur, die sich selbst überlassen wird.

Was bleibt jetzt noch zu erzählen? Die Gegenwart der Menschen hat ihr Ende gefunden. Mit ihr verschwindet nicht nur die Überheblichkeit, die Arroganz und ihr Hochmut, sondern auch all die Gutmütigkeit die in ihnen schlummerte, das Schöne das sie produzierten, die Liebe die sie füreinander empfanden. Sie waren zu großem erkoren und scheiterten an ihrer Verblendung, an dem naiven Vertrauen in die eigene Überlegenheit und die Tricks dämonischer Techniken. Die späte Wahrheit schmerzt umso mehr: In ihrem taumelnden, spielerischen Aufstieg bemerkten sie die Zeichen zu spät. Jetzt fallen sie unendlich tief und gelangen an einen Ort so schrecklich, dass nicht einmal der Erzähler ihnen folgen kann. Alles was bleibt, ist ein letzter Blick auf das Schlachtfeld und die Hoffnung, alle Verwundeten mögen schon bald Erlösung finden – auf das sie in ihr altes Paradies zurückkehren.

Vom Höllenmassaker unberührt, liegt der nackte Kanarienvogel auf lehmigen Erdboden. Der Käfig und das Kloster sind verschwunden, die vertraute Umgebung ausradiert. Zurück bleiben nur der feuchte Boden sowie die sprießenden Gräser und Bäume, welche sofort nach dem Verschwinden der Menschen damit beginnen, das alte Territorium zurückzuerobern.
Zitternd erhebt sich der Vogel. Noch ist er schwach, aber schon bald merkt er, wie die vergessene Lebensenergie auf ihn eindringt. Testweise streckt er seine Flügel aus, flattert ein paar Mal auf und ab, bis er sich erinnert, das eigene Federkleid selbst herausgerissen zu haben. Er fühlt sich traurig und verlassen. Doch schließlich geschieht ein kleines Wunder: Zuerst wächst der Flaum, die vielen kleinen Daunen. Dann folgt, in atemberaubender Geschwindigkeit, das äußere Federkleid in all seiner blau-grünen Pracht. Noch einmal schlägt der Vogel mit den Flügeln und tatsächlich erhebt er sich leicht, macht einen großen holprigen Satz und verschwimmt schließlich endgültig mit dem frischen Blau des Himmels und dem Grün der neu gewachsenen Bäume.

 
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Willkommen @Pedro Páramo, hier in den heiligen Hallen der Wortkrieger!

Beeindruckend dein Werk! Nicht nur in seiner Länge und Detailliertheit, sondern auch in seiner Aussage.

Ich bin zeitlich nicht in der Lage, dir eine einzelne ZeilefürZeile-Textkritik zu erbringen, ich denke, dass hie und da noch an manchen Sätzen geschliffen werden kann, denn manche sind in ihrer Länge und Verwobenheit doch zu undurchdringlich und geraten damit etwas ins Unverständliche.
Mein Tipp lautet (ich mache es selbst so) sich das Ganze immer mal wieder laut vorzulesen und selbst so zu tun als sei man ein fremder Leser bzw. Zuhörer, der das alles das erste Mal hört.
Meist erkennt man dann an einigen Stellen, dass es holpert.

Aber ich sehe es auch so, dass hier eine eigene, dem Thema durchaus angemessene, Sprache von dir verwendet wird, man also als Leser den Eindruck haben soll, dass man sich im vorherigen Jahrhundert befindet.
Überwiegend ist das, was du geschrieben hast, sehr stimmig und homogen, wenn auch nicht so leichtfüssig zu lesen.

Dir sollte also klar sein, dass du mit diesem Werk eher einen kleineren Teil der Leser erreichen kannst, nicht die große Masse, aber die, die deine Novelle lesen werden, werden sich gewiss an deinem Schreibstil und auch dem Plot erfreuen können.

Ich stecke da ein wenig zwischen Baum und Borke bei diesem Text, ich vermag (beruflich mit elend langen und verständlichen Sätzen traktiert und somit im Verstehen geschult) durchaus deine verwobenen Sätze zu verstehen und jeden geduldig bis zu seinem Ende zu lesen, aber ich vermag nicht die Hand dafür ins Feuer zu legen, dass dir nicht gerade dein Schreibstil dir hier um die Ohren fliegen könnte.

Ich selbst mag mittlerweile eher die modernere Form der Darstellung, also klare, fast schon schnörkellose Sätze,möglichst auf das Elementare eingedampft, kein Wort zu viel, keins zu wenig.
Davon ist dein Stil meilenweit entfernt.
Ich fand jedoch hoch beeindruckend, wie durchgängig du in diesem Stil geblieben bist.
Ich fand aber auch, dass es teils Längen in deiner Erzählung gab und zwar in dem Bereich, in welchem Ficino versucht, für den Vogel etwas zu erreichen.

Die Geschichte selbst hat mir sehr gut gefallen. Und erst recht, dass du im Grunde genommen ein hochaktuelles Thema in diese zurückliegende Zeit verlegt hast. Sehr gute Idee!

Gestört hat mich, dass du die Figur des Paimon etwas sehr wankend angelegt hast. Erst taucht er als der große Grandiose auf, der der alles beherrscht, um ihn dann ebenfalls fast von seiner Macht her auf die Stufe der Mönche zu stellen.
Dass er noch einen über sich hat, das ist nachvollziehbar, aber mir hätte es besser gefallen, wenn es wirklich dieses Gefälle gegeben hätte, also erst der Teufel, darunter er, darunter die Mönche. So verwischt Paimons Macht sich, nachdem er scheitert.
Weshalb sollte er ein Motiv haben, den Menschen zu helfen? Da fehlt etwas in deiner Geschichte, es fehlt der Grund, weshalb er so viel riskiert.
Ich könnte mir vorstellen, dass seine Motivation die ist, vom Teufel letztendlich geschickt zu sein, "da oben" (bildlich gesprochen)endlich einmal aufzuräumen, aber ich fürchte, auch wenn dadurch deine Geschichte noch deutlich länger werden könnte, dass du mehr Plot für ihn entwickeln musst, er vielleicht auch deutlich hinterlistiger ist, mehr oder weniger so etwas wie ein Doppelagent ist, der einerseits Sympathien für die Menschen hegt oder sich daran ergötzt, dass sie so saublöde sind und er dadurch so mächtig ist, andererseits einen sehr konkreten Auftrag des Teufels verfolgt. Wie wäre es denn, wenn er all das tut, damit es am Ende zu solch einer Katastrophe (aus Menschensicht) kommt?Wenn also ein perfider teuflischer Plan dahinter stünde?

Ach, ich weiß, das ist nicht dein Ansatz. Aber ich hoffe, ich habe dir vermitteln können, dass ich mit der Figur des Paimon nicht so ganz einverstanden bin, sie ist mir zu inkonsequent.

Dann habe ich mich gefragt, warum die wörtliche Rede nicht wirklich als solche genommen hast. Du hast damit die Möglichkeit verschenkt, Lebendigkeit in deine Geschichte zu bringen.
Du forderst vom Leser viel mit deinem besonderen Schreibstil und eine dazwischen gesetzte wörtliche Rede hätte insoweit auch den Vorteil, ein wenig Verschnaufpausen zu deinen mancherorts sehr schwierigen Sätzen zu verschaffen. Vielleicht kann ich dich dazu animieren, hier noch nachzubessern.
Auf jeden Fall wäre schon auch etwas gewonnen, wenn du deutlich mehr Absätze in deinen Text hinein gibst, damit man nicht ob des irre langen Textes sich langsam, aber sicher in den Zeilen verheddert. Mach den Text bitte ein wenig lesefreundlicher, du wirst es so schon schwer haben, hier auf jede Menge Kritiker zu stoßen, weil die Länge der Geschichte und dein Schreibstil viele abstoßen dürften.
Moderne Literatur ist halt zugänglicher. Sie ist deswegen nicht automatisch besser.

Ich möchte trotz all der Kritik aber am Ende nochmals betonen, dass ich dein Werk schon ziemlich beeindruckend fand. Chapeau!

Lieben Gruß
lakita

 
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Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Vielen Dank lakita, für deine Kritik und natürlich auch für die Zeit, die du dir zum lesen genommen hast.

Ich denke ich kann deine Kritikpunkte gut nachvollziehen. Gute Literatur sollte meiner Meinung nach nicht zu leicht, aber auch nicht zu schwer verdaulich sein und es sieht so aus, als würde mein Text diese goldene Mitte momentan noch nicht erreichen. Nachdem ich ihn für ein paar Wochen liegen gelassen habe, ist mir das an einigen Stellen auch bewusst geworden. In diesem Punkt folge ich also gerne deinem Ratschlag, und werde die Geschichte noch einige Male laut durchlesen, um die unnötig langen und verwobenen Passagen auszubessern. Vielleicht fallen mir dabei auch uninteressante oder zu lang gezogene Plot-Elemente auf. Ich muss aber zugeben, dass mir das Wegstreichen von großen Textelementen besonders schwer fällt. Von daher bin ich dankbar für deine Eingrenzung auf den Anfangsteil.

Warum ich die wörtliche Rede nicht als solche gekennzeichnet habe, weiß ich mittlerweile ehrlich gesagt auch nicht mehr - vielleicht habe ich mir was dabei gedacht, aber jetzt, wo du mich noch einmal darauf hingewiesen hast, fällt mir kein guter Grund mehr dafür ein, sie nicht zu kennzeichnen. Das werde ich also nachholen und so auch versuchen die Lesefreundlichkeit zu erhöhen. Mehr Absätze und weniger komplexe Satzstrukturen leuchten mir dabei natürlich genauso ein. Ich bin mir absolut sicher, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, hier zu feilen. Wer weiß, vielleicht nähere ich mich so ja meinem Ideal zwischen Schwere und Leichtigkeit an? Je mehr ich darüber nachdenke, umso besser gefällt mir diese Kritik, da dieses Balance-Problem vermutlich eines meiner größeren Schwächen ist, ohne dass ich mir wirklich darüber bewusst gewesen wäre.

Nur in einer Sache muss ich meinen Text zumindest ein wenig verteidigen: Paimon handelt nicht den Menschen zur Liebe, sondern aus Liebe zur Natur, die immerhin sein größtes und liebstes Forschungsobjekt ist. Das habe ich versucht im Text zu vermitteln. Ich gebe aber zu, dass diese Passage im momentanen Chaos des Textes ein wenig verloren gegangen sein könnte und vermutlich noch besser herausgearbeitet werden muss.
Ich werde mich also an die Arbeit machen!

Damit noch einmal besten Dank und viele Grüße
Pedro

 

Hallo @Pedro Páramo , ich bins nochmal:


Mir ist aufgefallen, dass ich versehentlich aus Paimon Daimon gemacht habe, ich bitte das zu entschuldigen, ich habe es in meiner Kritik geändert.

Aber ich habe auch nochmals den Teil näher angeschaut, in welchem Paimon agiert und kann dir nur versichern, dass du zwar ihn dargestellt hast, als einen der der Wissenschaft zugetan ist, aber eben nur dieser Hinweis wurde von mir gefunden, nicht der, dass Paimon sich leidenschaftlich der Natur widmet.
Darauf kommt man nicht automatisch.

Und ich muss mich in einem weiteren Punkt noch ein wenig korrigieren: es sind nicht ungewöhnlich lange Sätze, die es einem etwas schwierig machen, zu lesen, sondern es ist so, dass du mit sehr viel Detailreichtum schilderst und insoweit die Geschichte nur unmerklich Fahrt aufnimmt.

Ich glaube, dass gar nicht so viel Überflüssiges vorhanden ist, um es einzukürzen und natürlich schon gar nicht ganze Textpassagen. Aber gewiss kann es nicht schaden, wenn du nochmals es dir vorliest und auf diese Weise Textlängen auf die Schliche kommst.

Ich freue mich, dass du mit meiner Kritik etwas anfangen konntest und nicht desillusioniert davon schleichst, sondern daran arbeiten möchtest.

Da bringt es ja doppelt Spaß, dir ein Feedback zu geben.

Lieben Gruß
lakita

 

Außergewöhnlich sind daran nun gleich mehrere Dinge: Zunächst einmal hat es bisher noch niemand gewagt, Ficino während seiner Arbeitszeit zu stören, geschweige denn ungefragt in seine Werkstatt einzudringen. Zweitens, hat der Abt sein Arbeitszimmer noch nie zur Flugzeit des Vogels verlassen. Und drittens, sieht es ganz danach aus, als würden er und Ficino zu dessen Kammer eilen, die seit seinem Einzug niemand außer Ficino selbst betreten hat.

Was für ein Debüt!, oder andersrum, so könnt‘ ich denken, bei 47 Normseiten, die Seite zu 30 Zeilen mit 60 Zeichen je Zeile unter courier 12 pt., der Type der guten alten Schreibmaschine, also eher ein Zumutung, wenn ich selbst nicht schon eine ähnlich umfangreiche Zumutung für andere mit der Rezension des „Grünen Heinrichs“ mitsamt der Biografie Gottfried Kellers verknüpft und seinem Gesamtwerk hierorts eingestellt hätte.
Als zwotes hab ich eine Abneigung gegen Dämonen und wäre nicht der Name "Ficino" ziemlich früh schon aufgetaucht – ich hätte das beeindruckende Werk als „Fantasy“ abgetan und abgehakt und beiseitegelegt. Ob es nun in der Lombardei des 15. Jh. „Arbeitszimmer“ gab, weiß ich nicht (das grimmsche Wörterbuch verweigert geradezu die Auskunft; vgl. Wörterbuchnetz - Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm), aber warum nicht schlicht das lat. „Labor“ genutzt?

Zu Deinem Stil hat schon lakita einiges gesagt, dem ich nur hinzufügen kann, dass ich selbst zu geradezu kleist‘schen Formaten neige, die Satzkaskaden mir an sich nix ausmachen, wobei @lakita schon gewarnt hat, wenn sie schreibt

Ich stecke da ein wenig zwischen Baum und Borke bei diesem Text, ich vermag (beruflich mit elend langen und verständlichen Sätzen traktiert und somit im Verstehen geschult) durchaus deine verwobenen Sätze zu verstehen und jeden geduldig bis zu seinem Ende zu lesen, aber ich vermag nicht die Hand dafür ins Feuer zu legen, dass dir nicht gerade dein Schreibstil dir hier um die Ohren fliegen könnte.

Und da will ich mal anfangen bis zu dem Punkt, an dem sich einiges wiederholt und ich Dich selber auf die Suche schicken werde. Meine Frage wäre noch – nicht nur Deines Pseudonyms halber – ob Deutsch Deine Muttersprache ist … also ans Werk!

Der von Mitleid geplagte Abt des Klosters bemerkt es, und kann es doch nicht über sich bringen[,] seinen wunderschönen Kanarienvogel freizulassen.
Die Infinitivgruppe ist von einem Substativ abhängig und erzwingt somit das Komma.
Die Kommasetzung wie bei den Infinitiven musstu einfach lernen oder immer wieder nachgucken.. Ich empfehle dafür immer Duden | Komma
denn die Rechtschreibreform ist noch lange nicht beendet und die Dudenredaktion veröffentlicht die Änderungen ziemlich zeitnahe.

Beim nächsten Beispiel hastu – ich hoffe, nicht eher zufällig, das Komma vorm Infinitiv weggelassen, - und es ist korrekt, obwohl der Infinitiv wie zuvor von einem Substantiv (einer Türe) abhängig ist

Die Flugzeit des Vogels ist dem Abt heilig und wehe, einer der anderen Mönche wagt es auch nur an der Tür zu klopfen – während der Flugzeit des Vogels ist jeder Kontakt tabu und sei das Problem noch so dringend.
Warum also hier kein Komma?
Der Infinitiv gehört zu einem komplexen Prädikat (in dem Fall „zu klopfen wagen“), das andernfalls zerrissen würde.

Nun aber, will der bunte Kanarienvogel seinen Käfig nicht mehr verlassen, …
Weg mit dem ersten Komma!

Die schmalen[,] verdreckten Fenster schirmen die Außenwelt zuverlässig ab, sodass die wenigen eindringenden Sonnenstrahlen sich an einem dichten Vorhang aus Staub vorbeischlängeln müssen.
Komma, da m. E. gleichrangige Adjektiv/Attribute; die Gegenprobe mit „und“ widerspricht dem nicht

Jeden Tag und sogar am Sonntag, der eigentlich vorgeschriebener Ruhetag ist, verlässt er seine Kammer im ersten Stock des Ostflügels …
Eigentlich entbehrlich, wissen doch auch Vater- und Schwesterrelgion, wann der christl. Ruhetag ist ...

Hier schnappt die Fälle-Falle ein erstes Mal zu

... und geht geradewegs zum Schuppen, um sich dort mit gekrümmte[m] Rücken seiner Holzarbeit zu widmen.
und nochmals
Dann, nach gemeinsamen Essen im Speisesaal, verschwindet der mysteriöse Bruder ….
„nach“ verlangt in dem Fall nach dem Dativ, dass „nach gemeinsamen Essen“ nur mehrere Essen bedeuten können, Du meinst aber gerade dieses eine Essen, bevor der Bruder verschwindet … also besser Einzahl, „nach gemeinsamem Essen“

Im Falle einer solchen kreativen Eingebung[]... lässt Ficino sogar das gemeinsame Abendgebet in der Kapelle aus, …
Komma weg!

Meist waren es noch Novizen[,] die es als ihre Pflicht ansahen[,] dem Abt von den ungewöhnlichen, vielleicht sogar ketzerischen Geschehnissen zu berichten.
Hier verlierstu (vllt.) die Übersicht oder hast nicht mit zwo Relativsätzen hintereinander gerechnet … Dafür gelingt hernach, also jetzt der Infinitivsatz … Schau‘n wir mal weiter ...

In den meisten Fällen sieht Ficino nicht einmal mehr in seine Bücher, sondern schickt einen der Mönche in den Kräutergarten, verschwindet mit den Besorgungen im Schuppen und kommt, je nach Wesen und Härte des Falles, mit einer Salbe, einem Trank oder einem Amulett heraus, das[...] dem Kranken unverzüglich gereicht wird. Die Genesung tritt dann schon in wenigen Stunden zuverlässig ein.
SupergaU der schreibenden Zunft, Verwechselung von dass (bloße Konjunktion) und das (Artikel, div. Pronomen)
eine Hilfe bietet im Falle des „das“, dass dort ein anderes Wort eingesetzt werden kann (in dem Fall „was“, „welches“ o.ä.), beim „dass“ eben nicht ...

Und würde man die Geschichte des Klosters genauer studieren, könnte man womöglich sogar erfahren, …
Der Konjunktiv II „könnte“ spielt schon mit dem Möglichen, dass ein „womöglich“ eher eine unnötige Doppelung abgibt

Und so hat, trotz der Hitze, einer der Mönche den undankbaren Auftrag[,] in den Turm der Kapelle zu steigen, um dort den Mechanismus des Glockenspiels zu ölen.
Wieder der Infinitiv, wobei der mit dem einleitenden „um“ ja klappt … Erster Verdacht hinsichtlich der Konzentration ...

Verwundert schaut der schwitzende Glockenmechaniker ihnen nach und sieht gerade noch[,] wie sie im Schatten des Gangs verschwinden.
Langsam wiederholt sich einiges, wie hier das Komma vor dem vollständigen Satz, der mit „wie“ eingeleitet wird – und gleich wieder mit dem Relativsatz, hier
Dort hatte der Abt seine Nase wieder einmal tief in die unheilvollen Akten gesteckt und versucht[,] dem Ganzen einen höheren Sinn zuzuschreiben – was ihm, angesichts der überwältigenden Masse an klein bedrucktem Papier, verständlicherweise nicht gelang.
Der Gedankenstrich ist an sich auch eine gute Lösung wider die Kommaflut … die sich halt aus den langen Satzkonstruktionen ergibt.

Seine Vorgesetzten beklagten sich implizit über ihre eigene missliche Finanzsituation, indem sie äußerst explizit damit drohten[,] die Mittel für sein Kloster einzustellen, sollten sich die Verhältnisse dort nicht bald wieder zum guten [w]enden.
Die Kommasetzung dürfte klar sein, aber „zum guten wenden“ immer klein, selbst wenn „zum“ ein zusammengezogenes „zu dem“ ist, das es ja "zudem" auch noch zusammengeschrieben gibt ...

Hier – wegen Wiederholung – mal ohne KOmmentar

Er war es Leid[,] ständig zu wiederholen[,] Gottes Wege seien unergründlich, und nicht selten, in schwachen Momenten, hätte er sie gerne an den Schultern gefasst und gerüttelt, bis ihnen die Einsicht auf Magische Weise vor die eigenen Füße fiel.

Dabei handelte es sich mittlerweile zwar nur noch um einen rituellen Akt, denn der Vogel …
Erst nachdem sein Herz aufhörte[,] wie wild gegen die Brust zu schlagen und ihm die ersten Tränen das Gesicht herabliefen, konnte er sich dem Käfig vorsichtig nähern.

Hier hör ich erst einmal auf, denn nun wiederholt sich das meiste und ich denke, da wirstu allein mit fertig (und ich lauf auch nicht weg, versprochen!).

Genial find ich übrigens in dieses kleine Abbild des Frühkapitalismus (aus der Lombardei kommt nicht nur der gleichnamige „Lombardkredit“, sondern auch das Banken(un)wesen (darf man ja heutigentags sagen), wenn Du das engl. „bezahlen“ (to pay) und dem Geld (money) zum Dämonen – Paimon – verknüpfst.

Bis bald

Friedel

 

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