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Der da vorne

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03.07.2021
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Der da vorne

Der kleine, schmächtige Typ da vorne wird’s nicht bringen. Wie sollte er auch? Wer so ist wie der da, der ist gar nichts. Wie der schon aussieht. Die Hose ist zu lang, ganz zu schweigen von diesem scheußlichen Sakko. Geschmack hat der nicht. Und für den bin ich nun hierhin gekommen? Schade. Was für eine Zeitverschwendung. Wäre ich bloß weggeblieben.

Aufgedonnert habe ich mich. Mit Lippenstift und allem, was dazu gehört. Die Haare habe ich mir streng zurückgesteckt. Die Schuhe habe ich noch keine Stunde an. Jede Minute in diesen Dingern ist zu viel. Manchmal muss ich mich über mich selbst wundern. Wichtige Dinge warten seit Tagen. Die hätte ich gut erledigen können. Doch ich sitze hier in unbequemen Schuhen.

Er sitzt da. Nichts passiert. Die Zeit steht still. Ich überprüfe meine Uhr. Sie läuft. Ewig langes Warten. Endlich regt sich da vorne doch etwas: Er reißt den rechten Arm hoch, schmettert ihn nieder, landet unerwartet sanft auf schwarz-weißem Untergrund. Die Linke kommt dazu. Sein Oberkörper bebt, die Beine zittern, zappeln, treffen jedoch sicher die Pedale. Seine Stirn gleicht einem Wellblech. Schweißtropfen bleiben in den kleinen Rillen hängen. Er verausgabt sich komplett. Wie will er das die ganze Zeit durchhalten? Mit blanker Wut. Anders geht es nicht.
Sein Einsatz ist beängstigend ekstatisch. Die bedrohlich tiefen Töne lassen nichts Gutes verheißen. Sie sind die Vorboten eines reißerischen Sturms, der zwar nicht unerwartet kommt, aber schnell.
Es hält mich kaum noch auf meinem Platz. Mich bringt es fast um. Ich habe Angst, die Kontrolle zu verlieren. Ich muss mich beherrschen. Das gehört sich so. Er macht es mir nicht leicht. Eigentlich will ich das gar nicht. Ich bin sonst nicht so. Heute ist es anders.
Vor mir sehe ich schnell aufeinander folgende Bilder, fast wie in einem Film. Die Realität um mich herum scheint sich aufzulösen. Dennoch kann ich nicht von ihm ablassen.
Ich starre ihn an, sehe durch ihn hindurch. Ich blicke in eine Welt voller Tumult und Chaos. Die Ordnung ist gestört, unwiederbringlich. Es herrscht Krieg, mittendrin, bei uns, ganz unmittelbar. Meine Ohren werden betäubt vom Lärm. Ein Gewitter zieht auf. Wolken verdichten sich zu bedrohlichen Gebilden. Sie beginnen sich mit den Dächern der Stadthäuser zu vereinen. Gleich wird es zur Katastrophe kommen. Lange kann es nicht mehr dauern. Blitze, Donner, Gewalt. Ich will mich wehren, ertrage das nicht länger. Dann absolute Ruhe. Ich fühle mich einsam, hilflos wie ein kleines Kind.

Erst jetzt fällt mir auf, dass sein Hemd klitschnass ist und dreckig, voller Flecken. Seine Schuhe sind voller Schlamm. Nein. Das kann nicht sein. Das ist völlig unmöglich. Bewegen wir uns gerade gemeinsam in einer anderen Welt? Ich habe keine Zeit die Frage hinreichend zu klären. Denn nun legt er noch einmal zu. Die Schweiß durchtränkten Haare kleben an seinem Kopf. Er leistet harte Arbeit. Irgendwann ist er erschöpft. Muss er sich bedingungslos ergeben? Das geht nicht. Er muss gewinnen. Man sieht ihm das Leiden deutlich an, aber gerade jetzt darf er nicht aufgeben. Schafft er es? Ich leide mit ihm ohne eine Chance auf Gegenwehr. Dann nimmt er sich urplötzlich zurück.
Das Unwetter scheint vorüber. Der Krieg ist aus. Ich beruhige mich wieder.

Er kann nicht über seinen Schatten springen. Es steht ihm ins Gesicht geschrieben. Der Mann da vorne lebt. Er weiß, was es heißt, alles zu geben, Bilder zu erzeugen wie von Geisterhand. Er reißt mich mit. Ein wilder Fluss, der elektrisiert. Gefährliche Stromschnellen. Ich bin ein Teil von ihm, von der unbändigen Wildnis, von diesen unglaublich betörenden Klängen.
Eine wohlig warme Atmosphäre umgibt mich. Ich bin nicht mehr allein, nicht mehr einsam. Wir sind zu zweit. Der da vorne und ich in einer harmonischen Welt. Wir treiben auf einem Teich. Es ist kaum noch etwas zu hören. Stille durchdringt mich. Die Sonne erwärmt meine Haut. In weiter Entfernung erklingen liebliche Melodien, leise Töne, fast nicht wahrnehmbar. Nichts ist mehr übrig von seinem anfänglichen Fuchteln. Seine Füße stehen ruhig auf dem Boden. Seine Hände gleiten sanft von links nach rechts. Nur die Schweißtropfen auf seiner Stirn haben sich nicht wesentlich verändert.

Der kleine, schmächtige Typ auf der Bühne verwächst mit seinem Klavier. Er bringt’s. Das war immer schon so. Ich wusste es von Anfang an, bereits damals, als ich ihn geheiratet habe.

 

@Friecko Mir gefällt diese Geschichte. Sehr emotional geschrieben. Die Spannung (ein Geheimnis) hältst du geschickt bis zum Ende. Und der Schluss klärt alles auf. Gut gemacht. Schöne Idee. Danke.

 

Wow! echt toll geschrieben. Spnnung hat sich gehalten und ich konnte es mir Bildlich vorstellen. Man denkt am anfang du sprichst von etwas ganz anderem. Das Ende ist unerwartet aber dennoch Super!:)

 

Ich möchte nur noch mal kurz auf eine unserer Regeln bzgl. Kommentieren hinweisen:
“Widme anderen Texten dieselbe Aufmerksamkeit, die du dir für deine eigenen wünschst. Vermeide Einzeiler-Kommentare, in denen du nur anmerkst, dass du eine Geschichte gut oder schlecht findest, ohne näher auf die Gründe einzugehen, mit solchen simplen Aussagen ist niemandem geholfen. Und ganz nebenbei: Anderen Kommentare zu schreiben ist die beste Werbung für den eigenen Text.“

Bitte außerdem auch in Kommentaren auf korrekte Orthographie achten. Danke.

 

@Friecko

Ein Rätsel wird spannend über die Zeit gebracht und am Ende aufgelöst.
Wird es gelöst?

Vorab ein paar Anmerkungen.


Und für den bin ich nun hierhin gekommen?

hierhin? Würde ich umstellen. ... Und für den habe ich mich aufgemacht? o.ä.

Die Schuhe habe ich noch keine Stunde an.
noch wäre zu entbehren

Doch ich sitze hier in unbequemen Schuhen.
Stattdessen klingt besser

Endlich regt sich da vorne doch etwas:
da vorne würde eigentlich anmeckern, geht nicht, gehört ja zum Titel.;)
Aber das doch stört mich doch etwas

Vor mir sehe ich schnell aufeinander folgende Bilder, fast wie in einem Film.
Ob mit den Augen oder in Gedanken, vor mir könnte weg

Denn nun legt er noch einmal zu.
Würde ich umstellen.

Die Schweiß durchtränkten Haare
schweißdurchtränkten

Man sieht ihm das Leiden deutlich an, aber gerade jetzt darf er nicht aufgeben. Schafft er es? Ich leide mit ihm ...

Der Krieg ist aus. Ich beruhige mich wieder.
"Wir beruhigen uns wieder." wäre auch nicht übel;)

Im Grunde könnte nach diesem Absatz Schluss sein, stattdessen legt er nochmals los.
Da würde ich versuchen zu kürzen.

Nur die Schweißtropfen auf seiner Stirn haben sich nicht wesentlich verändert.
Hm, die ganze Zeit über die gleichen Schweißtropfen auf seiner Stirn?


Wie du mit knappen Sätzen Fahrt aufnimmst hat mir gefallen.
Ein "Der da vorne" auch am Schluss drängt sich auf.

Das am Ende wieder auf den Anfang kommst lässt einiges aufgehen. Aber nicht alles.

Hat sie sich an einen Konzertabend erinnert an dem sie ihn das erste Mal sah?
Der 2. Block stört mich a bissel.
Es sei denn, die beiden machen Rollenspiele.:)

Das die Lösung des Rätsels neue aufgibt kann ich verschmerzen, weil es mich zum Nachdenken bringt. Auch zwingt es dazu den Text nochmal zu lesen,
clever.

Ich hoffe du kannst etwas damit anfangen. Gern gelesen, selbst gelernt.
Gruß @malabin

 

Hallo @malabin,

Ich hoffe du kannst etwas damit anfangen. Gern gelesen, selbst gelernt.
Ja, kann ich alles nachvollziehen. Danke für die lobenden Worte. Ich werde die Geschichte trotz der Nachvollziehbarkeit deiner Anmerkungen so belassen, weil sie mit deinen Änderungsvorschlägen einen anderen Stil bekäme - nicht mehr meinen.

Einen Punkt, den ich nicht verstehe:

da vorne würde eigentlich anmeckern, geht nicht, gehört ja zum Titel
Was ist daran schlecht? Oder falsch? Oder schlechter Stil? Ich finde, der Titel muss sich irgendwo wiederfinden.

Grüße
Rosi

 

Hallo @Friecko,
schön, wie das geschrieben ist, mit viel Empathie, viel Bewegung. Du hast Deinen Stil gefunden. Das spürt man gleich am Anfang. Gefällt mir auch sehr, wie du auf den Schluss führst. Diesen unerwarteten, aufweckenden Schluss.
Alle Formulierungen kurz und stimmig. Sehr gelungen, so dass ich gar nicht viel mehr sagen möchte ausser diesem Lob.
Viele Grüße
Fugu

 

Hallo @Friecko ,

ja, ich schließe mich dem allgemeinen Lob gerne an! Es ist eine besondere Geschichte. Ich bin beim ersten Lesen auch bis zum Schluss nicht darauf gekommen, wovon Du eigentlich schreibst, las immer weiter, fast schon ärgerlich werdend, weil so hingehalten, und war am Ende ganz perplex, als klar wurde, dass Es sich um ein Klavierkonzert handelte. ? Dann habe ich es direkt nochmal gelesen - und siehe da - es war alles schlüssig. Dass er auch noch der Ehemann ist, hätte für mich nicht sein müssen, es hätte sich so funktioniert, ist aber vielleicht noch ein Sahnehäubchen obendrauf. Ganz nüchtern und mit Abstand betrachtet, haut sie ihr Mann wirklich nicht gerade vom Hocker. Obwohl sie ihn kennt und weiss, was auf sie zukommt, kann sie es kaum glauben, wie sie ihn da so kümmerlich sitzen sieht und sich selbst extra schick gemacht hat. Aber am Ende weiss sie wieder, warum sie ihn geheiratet hat.
Mir drängt sich allerdings der Verdacht auf, dass Dir die Idee, dass es sich hier um die Ehefrau des Pianisten handelt, erst am Schluss gekommen ist. Warum? Ihre Skepsis, ihre Abneigung ihm gegenüber und die Wut über ihre vertane Zeit und ihre unbequemen Schuhe klingt für mich ein wenig zu extrem für eine Ehefrau, die am Ende dann wieder ohne wenn und aber die Seine ist. Wenn Du Dir Idee mit der Ehefrau lassen willst, würde ich den Anfang noch einmal darauf feiner abstimmen, ansonsten könnte es sich auch um eine ganz neutrale anspruchsvolle Konzertbesucherin handeln…
Eine Stelle gefällt mir noch nicht ganz:

Die Hose ist zu lang, ganz zu schweigen von diesem scheußlichen Sakko.
…“ganz zu schweigen von diesem scheußlichen Sakko“ klingt, als hättest Du vorher schon mehrere andere Unstimmigkeiten aufgezählt. Aber Du hast nur die zu lange Hose benannt. Mir würde besser gefallen: „ Die Hose ist zu lang, das Sakko scheußlich.“

Herzliche Grüße,
Palawan

 

Hallo @Palawan,

vielen Dank für die lobenden Worte. Deinen Vorschlag mit dem Sakko kann ich gern umsetzen. Ich überlege mal.

Das Ende hatte ich gleich im Sinn.
Ich kenne sogar zwei Damen, die genau so zu ihrem Ehemann stehen. Nur am Moppeln und wahnsinnig stolz, wenn ihnen etwas gelingt. Das finde ich daher überhaupt nicht abwegig.

Wenn ich den Anfang umgestalte, damit es sich nicht "nur" um eine anspruchsvolle Konzertbesucherin handelt, ist m. E. der Überraschungseffekt weg.

Liebe Grüße
Rosi

 

Hallo @Friecko

Ich kenne sogar zwei Damen, die genau so zu ihrem Ehemann stehen. Nur am Moppeln und wahnsinnig stolz, wenn ihnen etwas gelingt. Das finde ich daher überhaupt nicht abwegig.
Ich hatte am Ende der ersten Lektüre den naiven Gedanken, dass es so jemanden wie die Ich-Erzählerin nicht geben kann. Nachdem ich nun erfahre, dass ich mich offenbar geirrt habe, und du das mit Absicht so drastisch dargestellt hast, ereilt mich nach der zweiten Lektüre der Gedanke, dass mir die Ich-Erzählerin maximal unsympathisch ist. Das ist an sich nicht ein Problem, aber letztlich wird die Geschichte damit zu einem Text, in dessen Verlauf die Erzählerin sich selbst entlarvt. Texte, die ihre Figuren blossstellen, sind mir stets etwas suspekt, ich kann dem nicht so viel abgewinnen. Mein Credo ist, dass ich als Autor meine Figuren - so viele Schwächen sie haben, so viele Fehler sie begehen mögen - doch im Grunde zu achten und zu respektieren habe. Aber das kann man sicher anders sehen.
Aber selbst wenn man es anders sieht: Für mich passt diese plumpe, engherzige Art und Weise, mit der die Ich-Erzählerin zu Beginn auf ihren Mann blickt, nicht so richtig mit der differenzierten und durchaus sensiblen Art und Weise zusammen, mit der sie das Klavierspiel eben dieses Mannes beschreibt - und damit ist ein Lob mitgemeint: Ich finde diesen Teil durchaus gut gestaltet.
Wenn ich den Anfang umgestalte, damit es sich nicht "nur" um eine anspruchsvolle Konzertbesucherin handelt, ist m. E. der Überraschungseffekt weg.
Das ist das zweite, ebenso grosse Problem, das ich mit dem Text habe. Er ist mir zu sehr auf Pointe geschrieben, auf diesen Ach so!-Moment. Dazu müssen wesentliche Informationen, die ansonsten ganz natürlich einfliessen würden, wie zum Beispiel, dass sie zusammen (oder auch getrennt) hergefahren sind, bewusst weggelassen werden. Auch bestimmte Formulierungen ["Wie der schon aussieht" statt "Wie er (heute, dort auf der Bühne) aussieht"] führen die Leser*innen bewusst in die Irre. Meiner Meinung nach sollte das ein Text nicht tun.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo @Friecko


Mir hat es gut gefallen, wie du dieses Klavierkonzert beschrieben hast, wie du mitgegangen bist. Was du gefühlt hast und wie du deine Fantasie hast spielen lassen.

. Die Linke kommt dazu. Sein Oberkörper bebt, die Beine zittern, zappeln, treffen jedoch sicher die Pedale. Seine Stirn gleicht einem Wellblech. Schweißtropfen bleiben in den kleinen Rillen hängen. Er verausgabt sich komplett. Wie will er das die ganze Zeit durchhalten?
Wie du den Pianisten beschrieben hast fand ich gut.
Mit blanker Wut. Anders geht es nicht.
Hält man wirklich mit Wut ein Klavierkonzert durch? Warum? Warum geht es nicht anders?
Der kleine, schmächtige Typ da vorne wird’s nicht bringen. Wie sollte er auch? Wer so ist wie der da, der ist gar nichts. Wie der schon aussieht. Die Hose ist zu lang, ganz zu schweigen von diesem scheußlichen Sakko. Geschmack hat der nicht. Und für den bin ich nun hierhin gekommen? Schade. Was für eine Zeitverschwendung. Wäre ich bloß weggeblieben.
Du beschreibst ihn am Anfang wie einen Fremden, dazu noch so abwertend.
Meine Ohren werden betäubt vom Lärm
Hier hab ich mich gefragt warum du Lärm geschrieben hast und nicht Musik oder Lautstärke!
Der kleine, schmächtige Typ auf der Bühne verwächst mit seinem Klavier. Er bringt’s. Das war immer schon so. Ich wusste es von Anfang an, bereits damals, als ich ihn geheiratet habe.
Den Schluss fand ich nicht gut, weil er ein Widerspruch für mich war, zum Anfang der Geschichte.

Vielleicht kannst du ja etwas mit meinem Kommentar anfangen.

Liebe Grüße CoK

 

Hallo,

nach den letzten Kommentaren von @Peeperkorn und @CoK kommt mir der Gedanke, ob man nicht verschiedene Varianten aus der kleinen Geschichte machen könnte. Vielleicht probiere ich das im Winter mal aus.

Hält man wirklich mit Wut ein Klavierkonzert durch? Warum? Warum geht es nicht anders?
Weil einen etwas fesselt, das man selbst nicht begreifen kann. Wann will weg und irgendetwas hält einen auf. Manchmal gibt man sich den Dingen eben hin, selbst wenn sie auf den ersten Blick schrecklich erscheinen.

Grüße
Rosi

 

Hallo @Friecko,

Ja, kann ich alles nachvollziehen. Danke für die lobenden Worte. Ich werde die Geschichte trotz der Nachvollziehbarkeit deiner Anmerkungen so belassen, weil sie mit deinen Änderungsvorschlägen einen anderen Stil bekäme - nicht mehr meinen. Einen Punkt, den ich nicht verstehe:
da vorne würde eigentlich anmeckern, geht nicht, gehört ja zum Titel
Was ist daran schlecht? Oder falsch? Oder schlechter Stil? Ich finde, der Titel muss sich irgendwo wiederfinden.

Alles bestens, wie erwähnt sind es Anmerkungen. Seinen Stil soll jeder behalten.
Wäre ja noch schöner ;)

"Der da vorne" ist halt umgangssprachlich, im Titel ist es für mich völlig ok und das der im Text wieder auftaucht erst recht.

sonst macht der Vorschlag ja auch keinen Sinn:

Wie du mit knappen Sätzen Fahrt aufnimmst hat mir gefallen.
Ein "Der da vorne" auch am Schluss drängt sich auf.
womit der Schlusssatz gemeint war.

Aber das du dir gerade das rausgepickt hast, wie auch folgende Kommentare zeigen, auch meine anderen "Anmerkungen" schrauben nicht an deinem Stil.
Den pflege weiter.

Gruß @malabin

 

Hallo @Friecko :-)

Herzlich Willkommen hier :-)

In deinem Text passiert sehr viel. Durch das konzentrierte Setting, dem Beibehalten einer Szene, versuchst du, den Stimmungs- und Sichtwechsel der Ich-Erzählerin zu maximieren. Sie sitzt in einem Konzert; sie bewegt sich nicht, sie ist der Wirkung der Musik ausgeliefert. Für mich ist das die treibende Kraft der Geschichte: Die Wirkung, die ein Klavierspiel auslösen kann. Sie ändert die Stimmung, aber sie ändert auch die Einschätzung der Ich-Erzählerin zum Pianisten. Sprachlich klammern die Sätze "Er bringt's nicht" zu Beginn und "Er bringt's" zum Ende den Sicht- und Stimmungswechsel ein.

Gleichzeitig versuchst du als Autorin, meiner Ansicht nach, diese Wirkung zu maximieren, indem du der Beziehung zwischen Erzählerin und Pianisten Intimität und Tiefe verleihst. Du hast dich hier für eine Ehe entschieden. Vor diesem sozialen Hintergrund lesen sich die ersten Zeilen anders als wenn Erzählerin und Pianist in einer anderen Beziehung wären; sie sind nicht die Nachbarn, sie sind nicht Freunde, sie sind ein verheiratetes Ehepaar.

Der kleine, schmächtige Typ da vorne wird’s nicht bringen. Wie sollte er auch? Wer so ist wie der da, der ist gar nichts. Wie der schon aussieht. Die Hose ist zu lang, ganz zu schweigen von diesem scheußlichen Sakko. Geschmack hat der nicht. Und für den bin ich nun hierhin gekommen? Schade. Was für eine Zeitverschwendung. Wäre ich bloß weggeblieben.
Somit beginnt dein Text mit einer maximalen Verurteilung, die ich nach dem zweiten Lesen fast als ironisch angesehen hätte. Aus meiner subjektiven (!) Perspektive wirkt die Verurteilung durch das detaillierte Reflektieren der Ich-Erzählerin. Sie "moppelt" nicht nur. Sie führt das weiter aus, sie erkennt also ihren eigenen Gedanken als "richtig" und "gerechtfertigt" an. Mich als Leser lässt sie Verachtung spüren. Möglicherweise erhoffst du dir dadurch die Wirkung des Klavierspiels - der ja den Sicht- und Stimmungswechsel herbeiführt - zu verstärken. Die Pointe soll klarer, die Bedeutung des Klavierspiels massiver und der Sichtwechsel konturierter wirken. Hier melde ich subjektive Zweifel an. Denn um die Verachtung der ersten Zeilen in die positive Wertschätzung der letzten Zeilen zu verwandeln, braucht dein Text extreme Metaphern, die du unter anderem aus dem Wettergeschehen entlehnt hast:
Meine Ohren werden betäubt vom Lärm. Ein Gewitter zieht auf. Wolken verdichten sich zu bedrohlichen Gebilden. Sie beginnen sich mit den Dächern der Stadthäuser zu vereinen. Gleich wird es zur Katastrophe kommen. Lange kann es nicht mehr dauern. Blitze, Donner, Gewalt.
Dann nimmt er sich urplötzlich zurück.
Das Unwetter scheint vorüber. Der Krieg ist aus. Ich beruhige mich wieder.
Zum zweiten Zitat die Frage, welcher Krieg damit gemeint ist. Zum ersten Zitat, warum es denn zu einer Katastrophe kommen muss. Welche Katastrophe? Dein Text enthält ja keine. Hier setze ich mit meiner Hauptkritik an: Der Text will wirken. Er will Wirkung zeigen. Er will mich ergreifen. Er will das und weil er das will, sucht er den Weg der Artillerie: Krieg, Katastrophe, Sturm, Ehe und der Wunsch nach einem großartigen Klavierspiel, das den Menschen von Verachtung in höchste Wertschätzung treibt. In massiven Schlägen treibt's die Erzählerin ins Positive.

Meiner Ansicht nach hat der Text das nicht nötig. Ich bin mir unsicher, ob das ein Text in der kurzen Form überhaupt leisten kann. Bitte verstehe mich nicht falsch - ich bin kein Experte, ich gebe hier nur eine subjektive Einschätzung an. Generell (Achtung, subjektiv!) bin ich gegenüber Ich-Wirkungstexten, die Einstellungen, Emotionen, Überzeugungen ... um 180° drehen, sehr kritisch eingestellt. Auf mich wirkt das oft nicht plausibel, oft zu sehr auf ein "Wollen durch Wirkung" orientiert.

Lg
kiroly

 

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