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Der Dieb und der Böse
Verbrecher würden es verdienen zu sterben, hatte mein frivoler Onkel bei der Beerdigung meines im Gefängnis verstorbenen Vaters lautstark verkündet, denn stehlen und morden sei eine Sünde, die nicht entschuldigt werden könne. Ich war ein Profi, ein Verbrecher, und zwar ein verdammt guter, um ganz ehrlich zu sein. Das wusste ich. Das weiß ich immer noch, schließlich schildere ich jetzt diese Geschichte.
An jenem kalten Oktoberabend unterlief mir jedoch ein fataler Fehler, denn ich wollte den Teufel ausrauben, unbeabsichtigt, versteht sich.
Ich war ein Einbrecher mit Stil und Köpfchen und meine Opferwahl basierte auf mehrtägiger Beobachtung mit pedantischen Aufzeichnungen, die mir das entscheidende Gefühl verliehen, optimal vorbereitet zu sein. Das war auch dieses Mal so.
Es war ein wuchtiges Haus am Rande eines Waldes, umgeben von zahlreichen Tannen und Fichten und einem pittoresken Garten.
Es ging gegen Abend zu, die tagsüber besonders aktiven Vögel waren wie erstickt von der aufziehenden Dunkelheit und am Himmel hing zwischen schwachen Wolkenfetzen milchig weiß der Mond. Ich zitterte am ganzen Leib, den Mantel hoch über die Ohren gezogen und die Hände tief in die weiche Tasche gesteckt, wobei ich das Haus nicht aus den Augen verlor. Irgendwann erhob ich mich von der kalten Bank und musterte wachsam die Straße. So verharrte ich einige Momente, bis ich entschieden meinen ledernen Koffer nahm und schnellen Schrittes auf das Haus zuging.
Die Tür war kein Hindernis, es bedurfte lediglich ein paar präziser und routinierter Handbewegungen mit meinem Instrument, bis mich das allesentscheidende Klacksen aufatmen ließ.
Drinnen war es stickig und warm und es roch nach verbranntem Fleisch. Ich hustete. Gleich zu meiner Rechten stand ein rabenschwarzer Gehstock an der Wand; sanft und glatt und mit einem wohlgeformten Griff.
Ich prüfte das Erdgeschoss mit der Taschenlampe und stellte beruhigt meine alleinige Anwesenheit fest. Die Möbel bestanden hauptsächlich aus Holz und wiesen archaische Formen auf, meist waren sie so alt, dass die Maserung winzige Furchen bildeten, die wie gigantische Fingerabdrücke aussahen. Der Fußboden bestand aus Holzbrettern, die wegen der jahrelangen Abnutzung durch schwer beschuhte Füße ganz abgewetzt waren.
An der Wand zu meiner Rechten fiel mir ein Glasschrank ins Auge, in dessen zahlreiche Pokale und Schmuckstücke von unschätzbarem Wert aufbewahrt waren. Ich wollte gerade die Öffnung betätigen, als ich einen rasselnden Laut hörte. Ich lauschte angespannt. Nichts. Ich war der festen Überzeugung, mich verhört zu haben, dann ging das Licht an.
Ich schnellte herum und starrte direkt in das Gesicht eines alten Mannes. Meine Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen.
Er lächelte und das war kein schöner Anblick. Sein Gesicht sah aus, als hätte es jemand mit zu blassem Stift auf ein fleckiges Stück Papier gezeichnet. Sein Haar war schulterlang, grau und fettig und klebte förmlich an seinem Schädel. Aber die Tatsache, dass der Alte in einem Rollstuhl saß, exakt an der Stelle, an der ich mich zuvor ein paar Sekunden lang aufgehalten hatte, ließ mein Herz stillstehen.
Ich keuchte und klammerte mich verkrampft an die Stuhllehne unmittelbar vor mir.
Mein Herz raste.
Sekunden verstrichen, bis dieses kehlige Lächeln erstarb und in ein rasselndes und schweres Atmen überging. Seine Augen leuchteten zu mir herüber, dann blinzelte er. „Ich mag Besuch.“
Mit einem verblüffend kräftigen Armstoß fuhr er näher zu mir heran und begutachtete mich. „Ich kenne dich nicht! Aber unangemeldeten Besuch mag ich. Das find ich schön. Jaja. Setz dich, bitte.“
„Eigentlich“, sagte ich, „käme mir das etwas ungelegen.“ Ich schluckte. Ich würde einfach abhauen, dachte ich mir, der Alte war ohnehin nicht bei Sinnen.
„Aber gnädiger junger kleiner Herr, ich bestehe tatsächlich darauf, es würde mir das Herz brechen, ich will, dass sie meiner Dienste Folge leisten, haben sie mich verstanden?“, sagte er.
Dann erlosch das Licht.
Ich zögerte keine Sekunde und rannte zur Tür.
Ich riss sie auf, und erstarrte. Der Alte stand hoch erhobenen Hauptes und ohne ein Rollstuhl unmittelbar vor mir und seine Augen funkelten diabolisch. „Du bleibst erst mal hier!“
Mit aller Kraft rammte er mir eine Faust auf meinen Oberkörper. Ich spürte etwas Metallenes über seinen Fingern, was zweifelsohne einen Schlagring war. Der Schmerz sprang mich an wie ein Tier, das mir die Zähne in die Brust schlug, ich fiel rücklings, taumelte und brach schließlich an der Wand zusammen.
Das Licht erhellte.
Er stand über mir. Er war kaum wieder zu erkennen. Der Blick. Die Faust. Seine Körperhaltung. Eine Aura des Schreckens ging von ihm aus und ließ Angst in mir aufkeimen. Kalte, schroffe Angst.
Ich mied seinen Blick. Mein Atem ging stoßweise und schnitt schmerzhaft in Brust und Kehle.
Langsam rappelte ich mich hoch. Der Mann war in das Wohnzimmer gegangen. Ich machte einen Schritt und sah mich um.
Er saß im Rollstuhl am Esstisch und verspeiste ein Stück Brot.
„Ach hallo, grüß dich. Würdest du mir Gesellschaft leisten? Wärst du so freundlich?“ Er wies auf den Stuhl gegenüber von ihm. Seine Stimme klang liebevoll und gutmütig und er wirkte schwach und hilflos.
Das war mehr als beängstigend. Er spielte mit mir.
„Was soll das?“, fragte ich.
„Bitte?“
„Wer sind sie?“
„Jemand der Ihnen Essen anbietet, mein Lieber.“
„Nein. Nein. NEIN!“
Jegliche Kraft wich aus meinen Beinen, ich sank zusammen und schlug hart auf dem Holzboden auf. Mein Herz hämmerte schnell, leicht und unnachgiebig.
Der alte Mann legte den Kopf schief und sah mich an. „Junge! Natürlich darfst du auch nach Hause gehen. Soll ich dich begleiten?“
Ich antwortete nicht und erhob mich mühevoll.
Es wurde dunkel.
„NEIN!“ Ich schloss die Augen. Ich konnte es nicht ertragen. Eine Träne rann über mein Gesicht.
Hell.
Ich blickte direkt in den Lauf einer Pistole. „Es…es…es tut mir leid. Aber bitte…bitte!“ Die gähnende Tiefe unmittelbar vor meinen Augen, der Lauf des Todes. Eine Kugel, die begierig darauf wartete, herauszuschießen.
Ein raues Lachen erfüllte den Raum. „Ach, ach, ach, nun stell dich nicht so an du dummer Junge! Ich werde dir nichts tun, noch nicht, aber ich versichere dir, ich werde dich finden und dir einen Besuch abstatten, oh ja. Aber bis dahin… geh nach Hause, Junge, ruh dich aus.“
Dann erlosch das Licht erneut. Und der Mann war verschwunden. Gedankenverloren ging ich nach Hause. Nächsten Morgen lachte ich über den Traum. Das gäbe eine packende Geschichte, dachte ich. In der Küche verzehrte ich ein leckeres Frühstück und sah aus dem Fenster. Erst als ich im Begriff war, die Wohnung zur verlassen um meiner Arbeit nachzukommen, fiel mir der fremde Gehstock auf, der unauffällig neben der Tür an der Wand lehnte. Sanft, glatt und wohlgeformt. Stille. Plötzlich das Geräusch rasselnden Atmens hinter mir. Das Entsetzen bohrte sich wie ein eisiger Speer in meine Seele.
Ein Schuss zerriss die Stille und das letzte was ich erkannte, war der Boden, der rasend auf mich zukam
Und jetzt? Ich ist Geschichte. Sage ich.