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Der Dolch

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27.06.2021
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Der Dolch

Er muss sterben. Im verdreckten Spiegel begutachte ich mein Gesicht. Es ist von Schnittwunden übersät. Meine Augen, blutgetränkt. Meine Nase, nur noch halb so groß. Aus den klaffenden Wunden fließt immer noch frisches Blut über mein Gesicht, über die Lippen und in den Mund. Der Eisengeschmack auf meiner Zunge ruft Erinnerungen hervor...

Rakal, Sohn des Hauptmanns Bamt, Sohn einer Hure. Er und seine Gildenbrüder treten die Tür ein. Fünf an der Zahl, jeder eine Flasche Bier in der Hand. Sie stürzen sich auf mich, Schwerter gezogen. Ich saß am Tisch, als meine Mutter und Ich überrascht worden sind. Der zarte Geschmack der Kartoffeln kommt mir in den Mund. Ich hatte nicht genug Zeit zu reagieren und mich in irgendeiner Art gegen die Angreifer zu wehren. Noch den Löffel in der Hand und eine heiße Kartoffel tanzend auf meiner Zunge, spüre ich, wie ein Messer mein Herz nur knapp verfehlt. Als das Messer wieder rausgezogen wird, schneidet es tiefer in meine Haut. Vor Schmerzen beiße ich mir auf die Zunge und verschlucke mich an der Kartoffel. Nach Luft schnappend und Schmerzen ertragend, falle ich zu Boden. Blutrote Kartoffelstückchen fliegen mir aus dem Mund. Am Boden wirft sich ein Weiterer Mann auf mich. Unzählige Schnitte landen in meinem Gesicht, nicht tief, aber trotzdem sind die Schmerzen unerträglich. Ein vermummter Bastard, höchstwahrscheinlich Tanki dieser Feigling, hebt mich zu Füßen und hält mich fest, sodass mich Rakal ohne Gegenwehr verprügeln kann. Die Schreie meiner Mutter, nur einige Meter hinter mir, brennen sich in meine Erinnerung. Rakal verpasst mir einen letzten Schlag auf die Schläfe. Tanki hebt mich mühelos an und wirft mich gegen die Wand nahe dem Kamin. Von den Schlägen Rakals betäubt, kann ich mich kaum noch regen. Ich höre meine Mutter ein letztes Mal schreien und nach Gnade flehen, bevor sie ihr den Mund verbinden. Ich habe das Gefühl als würde man mein Gesicht in eine offene Flamme halten und mich gleichzeitig mit Speeren aufspießen. Durch das Blut in meinen Augen sehe ich nur trübe, wie sich drei der Männer an meiner Mutter vergehen. Rakal und Tanki verwüsten dabei lachend das Haus und schlagen alles kurz und klein. Das Schreien und Winseln meiner Mutter wecken eine Kraft in mir und ich versuche mich aufzurichten. In dem Moment stellt sich Rakal vor mich. Den Blick in seinen Augen werde ich niemals vergessen. Blutspuckend versuche ich ihn zu packen, doch er holt aus und hämmert seine kräftige Faust gegen meinen Kiefer. Der Schlag wirft mich zu Boden und nimmt mir das Bewusstsein…

Durch ein Loch im Dach des Hauses fällt ein greller Sonnenstrahl auf mein Auge. Mühevoll versuche ich meine Augen zu öffnen und mich zu regen. Ich schaue auf mich herab. Meine Klamotten sind blutgetränkt und ich bin mir nicht sicher, wieviel Blut ich verlor. Die Wunde in meiner Brust knapp unter meinem Herzen ist glücklicherweise nicht so tief wie gedacht, aber mein Gesicht fühlt sich immer noch so an, als würde es über einer lodernden Flamme geröstet werden. Mit Mühen richte ich mich auf und schaue mich um. Das reinste Chaos. Ich stehe auf und merke, dass mein linker Fuß gebrochen ist. Das muss passiert sein als Tanki mich gegen die Wand geworfen hat. Schleppend humple ich zum Spiegel und schaue hinein. Er muss sterben. Ich blicke in Richtung Ofen, wo meine Mutter auf dem Boden liegt. Ihr nackter Körper ist übersät von bunten Flecken. Unter ihr hat sich regelrecht ein Ozean aus ihrem Blut gebildet. Sie ist tot…
Ich konnte ihr nicht helfen, ich konnte sie nicht retten. Ich gebe mir die Schuld dafür. Und die Schuld dafür gebe ich Rakal.

Ein weiterer Morgen bricht an. Ich werde durch das Rasseln des Regens geweckt. Es sind bereits 3 Monate seit dem Tod meiner Mutter vergangen, doch ich leide weiterhin. Das Haus habe ich zusammen mit ein paar Freunden wieder gut hergerichtet und gesundheitlich geht es mir auch schon besser. Ich muss mir aber trotzdem noch oft anhören, wie schlimm ich doch aussähe. Als die Bewohner der Stadt damals von dem Vorfall erfuhren, gab es einige Aufstände und die Forderung, die Täter zu bestrafen. Erfolglos... Gegen die Gilden kann man leider nicht viel machen in der Stadt.
Ich habe mir überlegt, wie ich es diesen Bastarden persönlich heimzahlen kann. Heute soll dieser Tag sein. Heute werde ich meine Mutter rächen. Ich habe sowieso nichts mehr zu verlieren. Meinen Vater verlor ich bereits vor 9 Jahren. Morgen werden es genau 9. Irgendwie ironisch... ich war 9 als es passierte.
Ich habe also keine Eltern, keine richtige Arbeit, keine Frau... also nicht viel zu verlieren.

In der Stadt hole mir ein festes Seil, Pfeile, neue Schuhe und einen Dolch von einem Freund ab. Den Dolch fanden wir beide damals in einer Höhle etwas weiter im Norden, wo die Bresuren vor einiger Zeit gelebt haben sollen. Da wir beide von diesem Dolch fasziniert waren, haben wir uns abgewechselt.
Natürlich versuchte er mir diese blöde Idee aus dem Kopf zu schlagen. Er meinte, ich habe keine Chance gegen die Gilde und, dass mein Tod nur ein weiterer unnötiger Tod sei. Außerdem fände er es zu Schade den wunderschönen Dolch mit so einer Tat zu beschmutzen. Er versteht aber nicht was für einen Hass ich gegen Rakal und seine Bande hege. Schon damals als Kind verprügelte er mich oft. Ich werde nie verstehen, wieso er es auf mich abgesehen hatte.

Ich mache mich auf den Weg nach Hause, als mir plötzlich Varia über den Weg läuft. Wenn es etwas Schöneres als den Garan-Dolch gibt, dann ist es Varia Nitala, die Tochter des städtischen Bäckers. Varia läuft geradewegs mit einem Lächeln auf mich zu, welches jede Sorgen vergessen lässt. Ich würde sie lieber ignorieren, doch unsere Blicke haben sich bereits getroffen, ich kann mich nicht mehr von ihr reißen.

‘Du, schon so früh unterwegs? ’ fragt sie, als wir uns immer noch näherkommen.
‘Ich brauchte ein paar Dinge. ’ sage ich und hoffe, dass sie keine weiteren Fragen stellt. Wir sind uns jetzt so nahe, dass ich ihren Atem in meinem Gesicht spüren kann. Ich weiß nicht, ob sie es mit Absicht macht, aber egal was sie tut, es bringt mich immer in Verlegenheit. In ihrer Gegenwart kann ich einfach nicht klar denken.
‘Welche Dinge? ’ fragt sie neugierig.
‘Ich war beim Schuhmacher. ’ Ich kann erahnen, dass sie mit der Antwort nicht zufrieden ist, aber zu meinem Glück geht sie nicht weiter darauf ein.
‘Kommst du heute Abend auch zum Fest? ’ Das jährliche Kürbisfest findet heute statt. Ich hatte mir diesen Tag ausgesucht, da ich weiß, dass Rakal wieder betrunken sein würde und das würde mir meine Aufgabe um einiges vereinfachen. Außerdem sind die Feste immer gut besucht, sodass ich problemlos verschwinden könnte.
‘Ich versuche zu kommen. ’ sage ich. Varia schaut mich verwirrt an.
‘Ist alles in Ordnung bei dir? ’ Sie legt ihre Hand auf meine Schulter, dann fasst sie mir an die Wange und streicht mir sanft über meine Wunden.
‘Ja, ich bin nur müde. ’ stottere ich. Zum einen, weil es gelogen ist, zum anderen, weil ihre Hand mein Gesicht berührt. Ich merke, wie ich immer nervöser werde.
‘Du weißt du kannst mit mir reden. Über alles. ’
‘Das weiß ich Varia. Bei mir ist alles in Ordnung. Mach dir keine Sorgen. Wir sehen uns heute Abend…’ Hoffentlich. Ich lächle sie an, sie lächelt zurück und ich laufe los. Als ich an ihr vorbeigehe streicht ihre Hand über meine Wangen, über meine Schulter, meine Arme und schließlich über meine Hand, wo sie mich packt.
Ich drehe mich nochmal zu ihr. Sie schaut mich für eine kurze Zeit regungslos an.
‘Dann sehen wir uns heute Abend. ’ Sie lässt meine Hand los, dreht sich um und geht fort. Meine Augen und wie ich später sehe die Augen dreier anderer Männer folgen ihren grazilen Bewegungen, als sie in der Menschenmenge verschwindet.

Mit jeder weiteren Stunde werde ich immer nervöser. Einen richtigen Plan habe ich noch nicht, aber wenn ich es heute nicht machen würde, würde ich es niemals tun. In ungefähr fünf Stunden sollte das Fest anfangen. Fünf Stunden und ich habe keine Idee. Es macht mich verrückt. Ich überprüfte mehrmals, ob ich alles habe. Ich lege alles auf das Bett. Das Seil, die Pfeile und meinen Bogen, welchen ich schon zu Hause hatte, die Schuhe und den Dolch. Und damit möchte ich Rakal und seine ganze Bande töten? Ich bin erbärmlich. Als ob ich eine Chance hätte. Ich bin mir sicher, ich hätte nicht mal eine Chance, wenn sie alle bis zur Ohnmacht saufen würden. Ein Dolch und zehn Pfeile. Wenn ich die Hälfte treffe, sind es schonmal fünf. Im Nahkampf könnte ich vielleicht noch zwei mit dem Dolch erledigen, aber mehr mute ich mir nicht zu. Sieben von sechsundzwanzig. Bleiben nur noch neunzehn.
Eigentlich sind es nur Rakal und Tanki, die ich unbedingt tot sehen will. Eine weitere Waffe wäre trotzdem hilfreich.

Aus einer Truhe, die mein Vater und ich damals unter dem Haus versteckt haben, hole ich ein Schwert. Damals versteckten wir hier unsere Wertsachen. Um diese Zeit herum waren nämlich viele Räuber unterwegs. Es war das letzte, was mein Vater und ich zusammen gemacht hatten. Zwei Tage später platzten drei Räuber in unser Haus und töteten meinen Vater. Meine Mutter und ich waren außer Haus. Als wir zurückkamen war alles durcheinander und mein Vater lag blutend auf dem Boden, ungefähr da wo auch meine Mutter vor Kurzem verendet war.
Dieses Schwert hatte mein Großvater meinem Vater selbst geschmiedet, womit er im Krieg kämpfen sollte, jedoch verletzte sich mein Vater am Bein, sodass er nicht mehr kämpfen konnte. Er benutzte das Schwert also nie.

Das Schwert ist in ein Tuch gewickelt. Ich entferne langsam das Tuch, da ich nicht weiß, wie scharf es ist und mich auf keinen Fall schneiden möchte.
Ich bin zwar kein Experte, aber die Klinge sieht tadellos aus. Ich sehe keinen einzigen Kratzer oder irgendeine Art von Abnutzung. Auch den Glanz hat die Klinge nicht ganz verloren. Ich sehe mich selbst in der Spiegelung und erinnere mich an meinen Vater. Ich hoffe, ich kann diesem Schwert seine Ehre erweisen. Als Kind hat mein Vater oft mit mir trainiert. Mit Schwertern kann ich umgehen, aber dieses ist dann doch etwas größer und schwerer als die Holzschwerter, die ich als Kind zum Spielen hatte. Ich wickle es wieder ein und schwinge es ein bisschen umher, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Tödlich ist es sicherlich, aber ob es für neunzehn Betrunkene reicht?

Es sind jetzt noch ungefähr drei Stunden. Drei Stunden bis das Fest offiziell beginnt, viele werden wahrscheinlich schon früher anfangen zu feiern. Die festlichen Feierlichkeiten beginnen trotzdem erst in drei Stunden. Drei Stunden, die ich damit verbringen werde, mich weiter in den Wahnsinn zu treiben. Ich kontrolliere nochmal meine Waffen und entschließe mich den Dolch und das Schwert zu polieren. Irgendwie muss ich die Zeit überbrücken.
Frisch poliert und glänzend sehe ich den Dolch erstmals in seiner vollen Pracht. Ich gehe mit meinen Fingern über die scharfen Kanten der Klinge und stelle mir vor, wie Rakals Blut von der Spitze bis zum Schaft fließt und dann auf den Boden tropft. Ein wahres Kunstwerk, fast so, als wäre es nicht gedacht, um damit Leute zu verletzen. Ich erkenne sehr feine Gravuren, die ich vorher nicht sehen konnte. Die Schriftzüge sind in einer alten Sprache, wahrscheinlich bresurisch.

Die Bresuren waren ein altes Volk, welche schon vor hunderten gar tausenden Jahren ausgestorben sein sollen. Genau weiß es niemand. Es gibt Legenden, die besagen, dass ihre Dörfer und Menschen von Drachen verbrannt und gefressen wurden. Manche erzählen sich auch, dass sich alle Bresuren gegenseitig umbrachten. Leider kann ich kein bresurisch. Falls ich den heutigen Abend überleben sollte, bringe ich den Dolch zur Bibliothek. Hrates, der Bibliothekar, wird mehr wissen als Ich.
Ich schiebe den Dolch wieder in seine Ledertasche und wickle nun das Schwert aus. Die Klinge lässt sich nur mühsam polieren, aber mit etwas Geduld sieht das Schwert aus wie neu, was es im Grunde genommen auch ist. Das Schwert stellt sich nicht als Mysterium wie der Dolch heraus. Ein stinknormales Schwert. Ich bewundere es noch ein bisschen, bevor ich es wieder ins Tuch wickle.
Die Neugier überfällt mich. Im Schrank suche ich nach dem Buch, aus welchem mir mein Vater oft vorlas. Es ist ein Buch über die Geschichte Abraliatals mit einigen Kapiteln über ältere Völker und Mythen.

Bresuris haliat. Es sind nur einige Seiten, aber immerhin.
Das erste Erscheinen der Bresuren wird auf über zehntausend Jahre geschätzt. Ungefähr siebentausend Jahre haben sie die Hälfte von Abraliatal beheimatet. Nach diesem Buch hatten sie nur einen König, König Bresur. Die ganzen siebentausend Jahre. Mit seiner Geburt erschienen die Bresuren und mit seinem Tod verschwanden sie wieder. Über das Verschwinden der Bresuren steht leider nichts Genaueres in dem Buch.
Es finden sich jedoch einige Übersetzungen bresurischer Schriften. Ich nehme nochmal den Dolch in die Hand und studiere es gründlichst. Ich suche nach Schriftzügen, die auch im Buch wiederzufinden sind.
An der Spitze des Dolches steht „Blut“. Am Griff des Dolches steht etwas von „Schöpfung“ oder „Erwachen“. Mehr Übersetzungen gibt das Buch leider nicht her. Vielleicht wurde dieser Dolch für Opferrituale benutzt. Bei dem Gedanken wird mir etwas mulmig. Ich beschließe mich den Dolch hier zu lassen und mich vollkommenauf mein Schwert und meinen Bogen zu verlassen.

Es bleiben noch zwei Stunden.
Ich packe mir eine kleine Tasche mit etwas Brot und Wasser. Außerdem nehme ich mir etwas zum Verbinden mit. Sehr optimistisch von mir. Ich sollte einen ganzen Arztkoffer mitnehmen. Hätte ich eine größere Tasche, würde ich mir auch einen Arzt einpacken, für alle Fälle. Ein Seil packe ich auch in die Tasche. Da fällt mir ein, dass ein Haken am Seil gar nicht mal eine so schlechte Idee wäre. An der Wand ist ein Haken befestigt, an dem ich normalerweise meinen Mantel aufhänge. Ich hänge mich mit meinem ganzen Gewicht an den Haken und mit einem lauten Knacken bricht der Haken samt Nägeln vom Holzbrett. Den Haken befestige ich nun an einem Ende des Seils. Ich wickle es und packe es in die Tasche.

Noch etwas mehr als eine Stunde bis das Fest beginnt. Ich verlasse aber bereits jetzt das Haus. Die Sonne geht schon langsam unter und man erkennt bereits die ersten orange gefärbten Wolken, passend zum Kürbisfest. Das Fest wird immer am großen Brunnen vor dem Königshaus gefeiert. Den Rest der Zeit wird dieser Platz für den wöchentlichen Markt und andere Feste verwendet. Den Brunnen erreiche ich in etwa fünfzehn Minuten, nur heute werde ich einen Umweg über die Gildenstraße nehmen. Dadurch verlängert sich meine Ankunftszeit auf unbestimmte Zeit. Höchstwahrscheinlich komme ich nie dort an.
Die Gildenstraße erstreckt sich über die gesamte innere Stadtmauer. An ihr liegen die meisten, vom König anerkannten, Gildenhäuser. Darunter auch das von Rakal. Ich laufe durch Gassen und unbenutzte Gehwege, damit mich keiner sieht und mich fragt, warum ich Bogen und Schwert mit mir trage. Das Haus von Rakal ist das elfte von insgesamt siebenunddreißig Häusern. Jedes der Häuser ist wie eine kleine Version des Königshauses aufgebaut. Ein schönes, großes Haus mit einem großen Vorhof und ringsherum eine Steinmauer. An jedem Haus, an dem ich vorbeilaufe, höre ich bereits, dass die meisten in Feierlaune sind, was mich etwas ermutigt. Das elfte Haus der Reihe ist jetzt in Sichtweite. Im Vorhof tanzen bereits die ersten Wachen mit einer Flasche in der Hand. Ich überlebe vielleicht doch.

Vermutlich bleibt jetzt nur noch eine Stunde, bis das Fest anfängt. Ich klettere erst auf die Stadtmauer, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Von dort aus habe ich auch einen Blick in einige Zimmer des Hauses.
Im Vorhof sehe ich insgesamt fünf Wachen um ein kleines Feuer tanzen. Im Haus sehe sind sechs weitere um einen Tisch versammelt, welche vermutlich Karten spielen. Von Rakal noch keine Spur. Ich lege den Bogen vor mich auf den Boden und auch das Schwert und beobachte weiter.
Als ich ein Stück weiter auf der Mauer gehe, sehe ich noch zwei schlafende Wachen im Garten.

Ich klettere hinab und nähere mich der Gartenmauer. Die Wachen scheinen tief zu schlafen und den sieben Flaschen auf dem Boden nach zu urteilen, werden sie nicht so schnell wieder wach. Ich gehe das Risiko ein. Langsam und ohne ein Geräusch zu machen, klettere ich rüber. Ich ziehe langsam das Schwert aus dem Gürtel eines Wachmanns. Es ist um einiges kürzer als meins, es wird sich sicherlich als nützlich erweisen. Die Klinge halte ich über den Hals des Mannes. Ich spüre, wie mein Herz versucht aus meinem Brustkorb auszubrechen, als ich die Klinge mit der scharfen Seite zum Hals drehe und sie leicht senke. Ich halte inne und atme ein letztes Mal durch. Dann drücke ich die Klinge in den Hals des Mannes. Ohne jeglichen Widerstand gleitet das Schwert in die Haut und in das Fleisch und wird mit Blut ummantelt. Aus dem Mund des Mannes entweichen keine Geräusche, sein Atem hat aufgehört. Sein Blut fließt weiter über die Klinge und tropft auf den nassen Rasen. Ich habe soeben einem Mann das Leben genommen. Ich habe jemanden getötet. Mir wird übel.

Ein Schrei. Aus dem Haus. Von einem Moment zum anderen ist mein Körper wieder voll einsatzbereit und ich bin hellwach. Ich krieche langsam zu dem anderen Mann. Ich bringe das Schwert wieder in Position, als er sich plötzlich regt. Im Schlaf dreht er sich auf die andere Seite, was es mir erschwert seinen Hals aufzuschneiden. Ich richte mich auf und beuge mich leicht über den schlafenden Mann. Er atmet mir direkt ins Gesicht, woraufhin sich meine Haare in einem stetigen Rhythmus heben und senken. Ich lege das Schwert erneut an und presse es mit aller Kraft in seinen Hals. Mein Haar hebt und legt sich ein letztes Mal und danach liegt es still. Ich lasse das Schwert fallen und entferne mich langsam von den Leichen.

Ich tue das für meine Mutter. Tränen laufen mir über das Gesicht. Das Schwert nehme ich wieder in meine Hand und wische das Blut an einem der Wachen ab. Ich hechte über den Zaun und klettere zurück auf die Stadtmauer.
Eine Frau steht im obersten Zimmer, wo vorher noch kein Licht brannte. Von ihr kam möglicherweise der Schrei.
Der Schrei kam sicherlich von ihr. Rakal erscheint hinter ihr. Im Fenster sehe ich, wie er die Frau zu Boden schlägt. Er löst seinen Gürtel von der Hose. Irgendwas sagt mir, dass dies der Moment sei. Mein Bogen liegt genau vor mir und daneben die Pfeile. Ich nehme den Bogen und einen Pfeil, aber als ich zum Schuss anlege, ist Rakal nicht mehr zu sehen und vergreift sich vermutlich an der hilflosen Frau. Ich nehme die Wachen im Vorhof ins Visier….

Vier der Fünf Wachen im Vorhof tanzen weiterhin um das Feuer und singen Lieder. Einer der Männer entfernt sich von der Gruppe und geht zu einem Busch. Ich spanne die Sehne meines Bogens und ziele auf den Kopf des Mannes. Für einen kurzen Moment halte ich meinen Atem an und ziele genauer auf den Kopf. Ich lasse das Seil von meinen Fingern gleiten. Der Pfeil schnellt nach vorn und dabei streifen die Federn knapp an meinem Auge vorbei. Geräuschlos fliegt der Pfeil durch die Luft, trifft sein Ziel und bohrt sich geradewegs in den Schädel und bleibt schließlich stecken. Der Mann schwankt ein paar Mal nach links und rechts und kippt dann vorwärts in den Busch.
Nach dem Sturz des toten Mannes brechen die anderen in lautem Gelächter aus. Sie denken, dass ihr Kollege lediglich hingefallen sei. Ich ziehe einen weiteren Pfeil, lege an, spanne die Sehne und lasse sie wieder los. Der Pfeil verfehlt sein Ziel nur um eine Haaresbreite. Die Wachen scheinen davon nichts mitbekommen zu haben. Ein neuer Pfeil. Spannen und loslassen. Der Pfeil fliegt und landet direkt im Auge eines Mannes.
Jetzt muss es schnell gehen. Ohne zu zögern, ziehe ich den nächsten Pfeil und dann steckt er auch schon in der Brust des nächsten. Die übrigen zwei Männer schauen ihre Kollegen am Boden verwundert an. Einer der Männer öffnet seinen Mund, um einen Schrei loszuwerden, woraufhin ein Pfeil ihm die vorderen Zähne ausschlägt und seinen Rachen durchbohrt.
Der Letzte eilt zur Eingangstür und stolpert dabei über einen der am Boden liegenden Männer. Er richtet sich hastig wieder auf. Bevor er losrennen kann, stürzt er wieder zu Boden und ein Pfeil ragt ihm aus dem Rücken.
Adrenalingeladen springe ich von der Mauer und renne in Richtung des Eingangstores. Die toten Männer auf dem Boden ziehe ich in die Büschen ringsherum und entferne dabei die Pfeile aus ihren Körpern. Um das viele Blut auf dem Boden kann ich mich jetzt noch nicht kümmern. Es ist aber schon dunkel genug, dass die Dunkelheit es verstecken kann. Nachdem ich das Feuer ausgetreten habe, sieht der Vorhof so aus, als wären gerade nicht fünf Männer getötet worden.
Jetzt sind es insgesamt sieben Männer. Es bleiben noch neunzehn.

Geduckt nähere ich mich dem Haus und gehe die Außenwand entlang. Ich sehe, dass in einem dunklen Raum ein Fenster offensteht. Am Fensterrahmen ziehe ich mich hoch und falle kopfüber in das Zimmer und lande sicher auf meinen Füßen. Es ist die Vorratskammer. Bevor ich rausgehe, schaue ich durch das Schlüsselloch und sehe den langen Flur. Außerdem sehe ich wie Tanki von einem Raum in den nächsten läuft. Bei seinem Anblick beginnt mein Herz stärker an zu pochen. Gegen Tanki habe ich niemals eine Chance.
Ein weiterer mir unbekannter Mann läuft auf mich zu. Ich verziehe mich in die dunkelste Ecke hinter ein Fass und nehme das Schwert der Wache in die Hand. Die Tür öffnet sich und ein flackerndes Licht erhellt den Raum. Hinter dem Fass schaue ich rüber und sehe, wie er einige Sachen, wie Brot und Butter aus einem Regal holt.
Plötzlich hört man, wie ein Glas auf den Boden fällt. Das Geräusch kommt von hinter mir. Mein Bogen hat mit seiner Spitze ein Fläschchen vom Regal gestoßen. Neugierig läuft der Mann zum Fass. Er beugt sich rüber und findet eine Klinge in seinem Rachen stecken. Mit beiden Händen fest am Schwert reißt er es aus meiner Hand. Vergeblich versucht er einen Schrei loszuwerden. Er zieht das Schwert aus seinem Hals und lässt somit zu, dass das Blut wie ein Wasserfall über seinen Kehlkopf und unter sein Hemd fließen kann. Aus seinen blutroten Händen lässt er das Schwert fallen und drückt sie nun auf das Loch in seinem Hals. Ohne Erfolg. Machtlos fällt er zu Boden. Ich schaue nur zu, wie er bedauerlich nach Luft schnappt. Den zappelnden Körper ziehe ich hinter das Fass. Ich lösche das Licht der Laterne. Es bleiben noch achtzehn.

Ich schaue wieder durch das Schlüsselloch. Im Flur befinden sich insgesamt fünf weitere Türen, alle bis auf eine stehen offen. Am Ende befindet sich eine Treppe, die nach oben führt.
Ich öffne langsam die Tür der Vorratskammer. Die Gespräche der Männer sind nun besser zu hören, aber nicht gerade besser zu verstehen. Die Tür steht nun offen genug, dass ich hindurch in den Flur kann. Hinter mir verschließe ich die Tür wieder. Gebückt gehe ich ein paar Schritte weiter und versuche mich so langsam wie möglich zu bewegen. Der Holzboden quietscht nur leise unter meinen Füßen. Glücklicherweise wird es von den Gesprächen der Männer in den Zimmern übertönt. Die geschlossene Tür ist die zweite auf meiner linken Seite. Das heißt ich muss an zwei offenen Türen vorbei, eine links und eine rechts. Die erste Tür befindet sich auf der rechten Seite. Langsam gehe ich mit meinem Kopf über den Türrahmen und schaue in das Zimmer. Ich sehe die Männer, die um den Tisch versammelt sind und Karten spielen. Sie sind in das Spiel vertieft und gut angetrunken. Ich zögere einen kurzen Moment und dann mache ich einen kleinen Satz nach vorn und bin auf der anderen Seite der Tür. Keiner der Männer scheint es bemerkt zu haben.

Ich presse mich an die gegenüberliegende Wand und schaue in den nächsten Raum. Hier brennt kein Licht, aber ich erkenne drei schlafende Männer, die in ihren Betten liegen. Auch an diesem Raum gehe ich vorbei und befinde mich nun vor der verschlossenen Tür. Durch das Schlüsselloch sehe ich Tanki, wie er am Tisch sitzt und eine Mahlzeit zu sich nimmt. Gegenüber von ihm sitzt ein weiterer Mann, welchen ich nicht ganz erkennen kann. Vermutlich ist es sogar Rakal, von der Größe und der Statur könnte es passen.
Leidvolle Schreie von oben verraten mir aber, dass Rakal immer noch mit der Frau beschäftigt sein muss. Ich will gerade auf die andere Seite des Flures wechseln, als ein Stuhl umfällt und kräftige Schritte in meine Richtung kommen. Ich verschwinde im Zimmer mit den schlafenden Männern und schließe die Tür hinter mir.

Ein lautes Schnarchen erfüllt den Raum. Die Schritte betreten den Flur und gehen weiter in Richtung Vorratskammer. Mein Herz klopft wie verrückt gegen meinen Brustkorb. Hoffentlich werden die Männer davon nicht geweckt. Ich höre, wie die Scharniere an der Tür der Vorratskammer quietschen. Sekunde für Sekunde werde ich immer nervöser. Doch dann beginnen die Scharniere wieder ihr Quietschgeschrei und ich höre den Riegel in das Schloss einhaken. Mein Herzschlag beruhigt sich wieder ein wenig. Der Mann läuft wieder durch den Flur und bleibt plötzlich stehen und steht genau vor der Tür. Seine Füße werfen einen Schatten durch den unteren Spalt der Tür. Ich starre aufgelöst darauf. Die Klinke bewegt sich nach unten, der Riegel löst sich und trübes Licht dringt durch den engen Spalt in das Zimmer.

Ich habe mich unter das letzte Bett im Raum verkrochen. Es sind insgesamt sechs Betten, von denen drei schon belegt sind. Unter den Betten hindurch sehe ich wie der Mann den Raum betritt und die Tür wieder schließt. Er läuft zu einem der freien Betten und setzt dich drauf. Seine Schuhe fallen klopfend auf den Boden und stöhnend legt er sich in das Bett. Ich verbleibe eine kurze Weile in meinem Versteck und warte, dass sich mein Herzschlag normalisiert.
Leise bewege ich mich durch den Raum und überlege, ob es nötig ist, diese Männer auch zu töten. Alle scheinen tief zu schlafen, also lasse ich sie erstmal am Leben.
Ich bin jetzt wieder an der Tür und schaue in den Flur, aber sehe nur die gegenüberliegende Wand. Ich vermute mal, dass es immer noch sechs Männer im ersten Zimmer sind. Links neben mir im Zimmer, das mit der verschlossenen Tür, sitzt Tanki am Tisch. Draußen liegen sieben Tote, in der Vorratskammer einer. Unmittelbar hinter mir sind vier Männer. Also noch vierzehn, um die ich mich kümmern muss.

Das trübe Licht scheint direkt in meine Augen als ich die Tür ein spaltweit öffne. Sie brauchen eine Weile sich daran anzupassen.
Ich bin nun wieder im Flur, die Tür hinter mir schließe ich nicht ganz, sodass ich es leichter habe, sollte ich mich wieder darin verstecken müssen. Ich gehe wieder an die geschlossene Tür und stelle fest, dass Tanki nun allein dort sitzt. Entschlossen nehme ich das Schwert meines Vaters in die Hand und öffne langsam die Tür. Geräuschlos öffne ich sie, dass ich hindurchgehen kann. Tanki sitzt ungestört auf dem Stuhl vor mir, sein Rücken zu mir. Unsere Köpfe sind auf gleicher Höhe und Tanki sitzt dabei immer noch auf dem Stuhl.
Ohne weiter zu zögern, schwinge ich mein Schwert über meinen Kopf und peile dabei direkt seinen nackten Hals an. Sein Fleisch erweist sich als äußerst zäh und trotz aller Kraft bleibt die Klinge auf halbem Weg im Hals stecken. Tanki umklammert die Klinge mit seiner rechten Hand und drückt das scharfe Metall in das Fleisch seiner Hand. Ich rüttele kräftig am Schwert, um es zu befreien, aber es steckt einfach fest. Schnell ziehe ich das andere Schwert und ramme es mit der Spitze in seinen Nacken. Dabei spüre ich, wie ich mit der Klinge über die Klinge des anderen Schwertes streife. Tanki erhebt sich von seinem Stuhl und dreht sich zu mir. In seinem Hals stecken zwei Schwerter, auf seiner Brust bildet sich ein See aus dunkelrotem Blut. Bevor ich ihm ausweichen kann, packt er mich am Hals und hebt mich einhändig vom Boden. Er drückt mich gegen die Wand. Seine kräftige Hand an meinem Hals nimmt mir jede Möglichkeit zu atmen. Ich fuchtele wild mit meinen Armen umher in der Hoffnung ihn zu treffen. Grimmig schaut er mich an und atmet aufgebracht aus seiner Nase. Mit seiner anderen Hand packt er den Griff meines Schwertes und zieht es mühelos aus seinem Fleisch, wo ich es nicht einmal schaffte, obwohl ich mein ganzes Körpergewicht eingesetzt hatte. Aus der offenen Wunde strömt jetzt noch mehr Blut als ohnehin schon floss. Er lässt das Schwert fallen und packt sich das Schwert in seinem Nacken. Er zieht es raus und ich sehe in seinem Gesicht, dass er offensichtlich starke Schmerzen hat. Ich nutze dieses kleine Zeitfenster, um einen Pfeil aus meiner Tasche zu ziehen. An den Federn ziehe ich es über meinen Kopf. Ich lasse es kurz durch meine Hand gleiten, sodass ich es besser am Schaft packen kann. Mit voller Wucht ramme ich die Spitze in sein Auge und mit einem lauten Brummen lässt er mich aus seinem fesselnden Griff. Ich schnappe nach Luft und nach einem der Schwerter auf dem Boden. Ich greife das Kürzere und schwinge es explosiv nach oben, wobei ich eine tiefe Wunde in die Innenseite seines Oberschenkels schneide und das Schwert sich mit seiner vollen Länge in seinen Unterleib bohrt. Er lässt immer noch keinen Schrei von sich, aber es macht sich bemerkbar, dass er den Schmerzen nicht standhalten kann. Das Schwert ist förmlich in ihm verschwunden. Ich lasse es stecken und halte sofort Ausschau nach dem anderen Schwert. Als ich es packe, landet er einen kräftigen Tritt mit seinem gesunden Bein gegen meine Hüfte.
Ich bin mir sicher, dass das Geräusch nicht das eines vom Wind umgestoßenen Baumes, sondern meine Hüfte war. Draußen ist es aber auch windig geworden. Vielleicht habe ich Glück. Nach dem Tritt kann sich Tanki auf seinem verletzten Bein nur schwer halten und knickt schließlich um. Eine Hand hält er weiterhin über seinem Auge. Durch die feinen Spalte zwischen seinen fleischigen Wurstfingern fließt eine Menge Blut über seinen Unterarm und tropft pausenlos von der Spitze seines Ellenbogens auf den Boden. Mit unerträglichen Schmerzen im Unterleib zwinge ich mich auf meine Beine, das Schwert untrennbar in meiner Hand. Ich verpasse Tanki einen Tritt auf seine linke Schläfe, woraufhin sein Kopf auf die Seite fällt. Mit der Rotation aus dem Tritt drehe ich mich einmal um meine eigene Achse, dabei hebe ich das Schwert mit beiden Armen ausgestreckt über meinen Kopf. Nach einer vollen Umdrehung reiße ich meine Arme nach unten. Das Schwert folgt der Bewegung meiner Arme und würde mit dieser Wucht allem trotzen, was ihm in den Weg kommt. Zu meinem Glück ist Tankis Hals im Weg. Widerstandslos schneidet die Klinge durch die eben noch zähe Haut des Riesen und entfernt so den Kopf vom Rest des Körpers. Der Kopf fällt wie ein Stein zu Boden und rollt vor meine Füße. Erschöpft falle ich auf meine Knie und finde mich Auge in Auge mit Tankis einsamen Kopf. Ein Lächeln zieht mir über mein Gesicht, aber im nächsten Moment denke ich an all den Lärm, den wir verursacht haben. Vor allem mein Schrei, als ich ihm den Kopf abhackte. Er muss Einige der Männer alarmiert haben. Ich bin aber zu erschöpft, um mich auf eine Welle von kampflustigen betrunkenen Männern zu stürzen. Ich erhole mich ein wenig und blicke durch das rotgefärbte Zimmer und genieße meinen stillen Ruhm.

Nach wenigen Minuten fühle ich mich bereit weiterzumachen und wie es scheint hat niemand mitbekommen, was sich hier abgespielt hat.
Wieder im Flur kann ich nun in das nächste Zimmer schauen. Es sind die zwei Männer in der Küche. Sie sind in ein Gespräch vertieft. Ich höre ihnen noch ein Weilchen zu und lerne, dass es nicht mehr lange ist, bis das Fest beginnen soll, es bleibt noch ungefähr eine halbe Stunde. Ohne ihnen weiter Achtung zu schenken, krieche ich zur letzten Tür des Flures. Anfangs stand sie noch offen, aber jetzt ist sie geschlossen. Das Schlüsselloch wird durch einen Schlüssel blockiert, also nehme ich mal an, dass die Tür auch versperrt ist. Das ist höchstwahrscheinlich die Toilette. Wenn ich richtig mitgezählt habe, sollten jetzt noch vier weitere Männer auf mich warten. Vier, wenn man davon ausgeht, dass nur einer auf der Toilette sitzt. Die Treppe ist jetzt unmittelbar vor mir. Kurz vor der Treppe führt ein weiterer Flur nach links und zur Eingangstür des Hauses.

Stufe für Stufe gehe ich die Treppe hoch. Erfolgslos versuche ich dabei Geräusche zu vermeiden, aber das Holz scheint ziemlich empfindlich zu sein.
Auf halbem Weg und kurz vor der Wende höre ich, wie hinter mir einer nach jemandem ruft. Aus der Küche tritt ein Mann in den Flur und läuft wankend zum Ende des Flures. Er schnappt sich eine Laterne von der Wand und öffnet die Tür zur Vorratskammer. Ich höre nur noch, wie er fluchend in den Regalen wühlt. Kurze Zeit später bricht er aufgebracht aus der Tür. Bevor er einen Alarm ausrufen kann, steckt ein Pfeil in seiner Brust und er kippt rückwärts in die Kammer zurück. Die Laterne lässt er dabei auf den Boden fallen, woraufhin sie zerspringt. Ein Flämmchen landet auf dem grünen Teppich des Flures und frisst sich langsam durch das Gewebe.

Ich gehe weiter die Treppe rauf. Ich blicke über die oberste Stufe und sehe die übrigen vier Männer am Ende des Flures. Alle vier haben eine Flasche in der Hand und lehnen sich an die Wände, zwei auf jeder Seite. Hinter ihnen eine Tür. Das muss die Tür zu Rakals Gemächern sein.
Die Männer sind bei guter Laune und erzählen sich Geschichten. Ich habe noch sieben Pfeile für meinen Bogen, sieben Pfeile für vier Männer auf einem langen schmalen Flur. Das sollte zu schaffen sein.
Mit einem Pfeil bereite ich meinen Bogen vor, die restlichen lege ich vor mir auf die Stufe. Die Sehne meines Bogens ist bis zum Anschlag gespannt. Ich atme tief ein, halte meinen Atem, ziele auf den vorderen Mann an der rechten Wand.
Die Sehne schnellt nach vorne, die Federn des Pfeiles streifen wieder über meine Wange. Schwingend rast der Pfeil auf den Kopf des Mannes zu. Während der erste Pfeil fliegt, greife ich schon nach dem Nächsten. Der Pfeil trifft sein Ziel, der Mann kippt zur Seite, die anderen schrecken auf. Der stämmige Mann auf der linken Seite verschluckt sich an seinem Getränk und daraufhin bohrt sich ein Pfeil in sein Ohr. Auch er fällt zu Seite. Sein Kollege hinter ihm fängt ihn auf und bekommt einen Pfeil genau in sein Nasenbein. Zusammen klappen die beiden nach hinten um. Der Letzte von ihnen hat mich entdeckt und läuft auf mich zu. Ich lasse einen Pfeil auf seine Brust los, doch im letzten Moment weicht er zur Seite und der Pfeil bleibt in der Tür am Ende des Flures stecken. Als er noch ungefähr vier Meter von mir entfernt ist, lande ich einen Pfeil in seinem Bein. Er stolpert und fällt hin, dabei bohrt sich der Pfeil noch tiefer hinein. Dem wimmernden Mann am Boden ramme ich mein Schwert in seine Brust und beende sein Leiden. Geladen renne ich über den Flur und trete die Tür ein.

Rakal steht inmitten des karg beleuchteten Raumes. Vor ihm eine zappelnde Frau am Boden mit blutigen Kleidern. In seiner Hand hält er ein stählernes Schwert, welches gelegentlich das schwache Sonnenlicht reflektiert, wenn er es unruhig in seiner Hand hält.
Ich mache einen weiteren Schritt hinein und schlage die Tür zu. Er schaut mich wütend an. Er schwingt sein Schwert und ruckartig ziehe ich auch meines, um einen möglichen Angriff abzuwehren. Langsam senkt er sein Schwert und sticht es in den Rücken der Frau. Der schmerzerfüllte Schrei bringt mein Trommelfell zum Beben.
Entsetzt stürme ich auf ihn los, die Spitze der Klinge auf ihn gerichtet. Kurz bevor ich ihn aufspießen will, zieht er sein Schwert aus der Frau heraus und schlägt meines nach oben. Beim Zusammentreffen der Klingen spritzt mir Blut ins Gesicht. Er holt zu einem Seitenhieb aus, aber ich schnelle mein Schwert nach unten und schneide in seine Schulter, wobei er die Kraft in seinem Hieb verliert. Sein Schwert fällt aus seiner Hand und prallt an meiner Hüfte ab. Er greift das Schwert in seiner Schulter am Griff und verpasst mir einen kräftigen Tritt in die Brust. Es presst mir die Luft aus den Lungen und befördert mich ein gutes Stück nach hinten. Rakal entfernt das Schwert aus seiner Schulter und wirft es neben die Frau, welche vermutlich schon tot ist. Als ich mich aufrichte werde ich von einer Faust in meinem Unterkiefer begrüßt. Ich falle seitlich zu Boden und spucke Blut. Rakal zieht mich hoch und verpasst mir harte Schläge in den Bauch. Vergeblich versuche ich die Schläge zu blockieren, aber der Schmerz erlaubt es mir nicht meine Arme zu heben, geschweige denn mich überhaupt zu bewegen. Er hält kurz inne und holt dann zu einem weiteren Schlag aus. Diesmal habe ich genug Zeit meine Arme in den Weg zu heben, sodass seine Faust an meinem Arm abdriftet und meinen Bauch nur streift. Dieses Manöver bringt ihn aus dem Gleichgewicht, woraufhin er leicht nach vorne kippt und ich ihm mein Knie in seine Brust stoßen kann. Ich halte ihn an den Schultern und werfe ihn zurück. Er stolpert über die Frau und landet auf dem Boden. Ich stürze mich auf ihn und verpasse ihm eine Serie von Schlägen ins Gesicht. Sein Mund ist blutgefüllt und er bemüht sich nach Luft zu schnappen. Mit einer unerwarteten Kraft wirft er mich nach hinten und stürzt sich auf mich. Als er auf mir landet spuckt er mir Blut ins Gesicht.

‚Du Narr!‘ Mit ätzenden Blicken schaut er in meine Augen und schnappt nach Luft.
Ich stoße ihn von meinen angewinkelten Beinen und er kippt zur Seite. Sein Atem wird immer schwächer und langsamer.
Nach einigen Minuten beruhigt sich mein Atem und Rakals scheint gänzlich gestoppt zu haben. Ich quäle mich in eine Sitzposition und schaue auf ihn herab. Aus der Brust Rakals ragt ein goldglänzender Dolch. Eigentlich wollte ich ihn nicht mitnehmen.

Als durch die Tür eine Rauchschwarte dringt, entscheide ich mich aufzustehen. Rakal ist inzwischen seinen Verletzungen erlegen. Ich ziehe den Dolch aus seinem Herzen, streife das Blut an seinem Körper ab und stecke den Dolch wieder in meine Hose. Mein Schwert, mein Bogen und die Pfeile haben sich nach unserem chaotischen Kampf im ganzen Raum verteilt. Als ich die Tür zum Flur öffne, hat sich das Feuer bereits bis zur Treppe vorgearbeitet. Von unten hört man Schreie und Hilferufe. Ich gehe zum Fenster, wo ich Rakal von der Stadtmauer aus gesehen hatte. Zum Klettern ist die Außenwand nicht gerade gedacht und wenn ich heute Abend noch mit Varia tanzen möchte, sollte ich einen Sprung auch nicht wagen.
Ich hole das Seil heraus. Den Haken befestige ich an der Fensterbank, auch wenn ich daran zweifle, dass dieses marode Holz meinem Gewicht standhält. Ich wage es dennoch, denn die Zimmertür färbt sich bereits rötlich und der Rauch im Zimmer wird immer dichter. Ich klettere aus dem Fenster, das Seil fest im Griff. Langsam lasse ich mich runter. Der Wind bringt mich ins Schwanken und der Abstieg entpuppt sich als wahre Herausforderung.
Ich lasse mich nun schneller runter, denn ich spüre, wie meine Arme immer schwächer werden. In einer guten Höhe angekommen, fühle ich mich sicher mich fallenzulassen. Nicht allzu sanft lande ich auf dem Rasen im Garten. Die Toten Wachen liegen weiterhin unberührt in ihrem ewigen Schlaf. Ich greife wieder nach dem Seil und hänge mich mit meinem Körpergewicht rein. Mit etwas Kraftaufwand gewinne ich schließlich den Kampf gegen das alte Holz. Der Haken schießt aus dem Fenster und im Nachhinein bin ich von meiner dummen Idee erschüttert. Im Dunkeln erkenne ich nicht, wo der Haken hinfliegt. Ich schütze meinen Kopf mit meinen Händen und mit einem dumpfen Geräusch landet der Haken auf meinem Fuß. Glück im Unglück.
Ich rolle das Seil zusammen und springe über den Zaun. Ich kann es immer noch nicht wahrhaben, dass ich wirklich überlebt habe.

Als ich auf dem Rückweg bin, begegnen mir gutgelaunte Menschen. Das Fest.
Ich renne so schnell ich kann nach Hause und versuche dabei ungesehen zu bleiben. So wie ich aussehe, mit zerrissenen Kleidern und Blut im Gesicht, wird mich der ein oder andere schief angucken.
Ohne erkannt oder angehalten zu werden gelange ich zu meinem Haus. Ich reiße mir mein Hemd vom Leib, meine Hose klopfe ich nur einmal kurz aus. Bevor ich mir ein neues Hemd überstülpe, wasche ich mir den Dreck, den Schweiß und das Blut vom Körper. Um meinen strengen Geruch zu übermalen, streiche ich mir noch eine ordentliche Ladung Parfum über meinen Leib.
Bevor ich das Haus verlasse, betrachte ich mich nochmal im Spiegel. Sieht doch ganz gut aus.

Auf dem Weg geselle ich mich einer kleinen Gruppe an, die auch zum Fest läuft. Gemeinsam erreichen wir nach kurzer Zeit den Brunnen. Mit bunten Lichterketten, Girlanden und Tüchern entsteht eine sehr angenehme festliche Stimmung. Ich überhöre, wie sich neben mir Einige über das brennende Haus in der Nähe unterhalten. Anscheinend soll es keiner lebend herausgeschafft haben. Gute Nachrichten für mich. Jemand tippt auf meine Schulter.

‚Du hast es also doch geschafft.‘ Ich wette an diesem Abend gibt es keinen schöneren Anblick als diese Augen. Varia steht in ihrer vollen Pracht vor mir. Sie trägt ein wunderschönes Abendkleid und ich bemühe mich sie nicht anzustarren.
‚Es war knapp, aber ich hab‘s geschafft.‘ Wenn sie nur wüsste.
‚Möchtest du was trinken?‘
‚Sehr gerne.‘ antworte ich und es ist wahr. Ich hatte total vergessen etwas zu trinken, als ich zuhause war.
Gemeinsam gehen wir und holen uns was zu trinken. Wir spazieren ein bisschen um den Platz und begrüßen uns bekannte Gesichter, derweilen wird das Fest immer voller.
Mit Varia zu reden, lässt mich komplett die Zeit vergessen. Die tanzenden Menschen haben alle Tische und Stühle aus dem Weg geräumt, um mehr Fläche zum Tanzen zu haben. Man hört Musik, Gelächter und hin und wieder jemanden in den Brunnen fallen. Varia und ich stürzen uns ins Getümmel.

Sie zerrt mich an ihren Händen durch die Menschenmenge. Wenn sie nach hinten schaut, werde ich betäubt von ihrem bezaubernden Lächeln. Ohne Widerstand zu leisten, lasse ich mich von ihr führen. Wir entfernen uns von der Feier. Ein Geschenk für meine Ohren. Sie wird immer schneller und fängt langsam an zu rennen. Ihre Hand umklammert immer noch die meinige und ich folge ihr. Leicht erschöpft kommen wir an der Bäckerei an. Varia stößt die Tür auf und wir treten ein. Weiter geht es nach oben über eine Treppe. Gemeinsam stürzen wir in ein Zimmer, vermutlich ihres. Sie schubst mich auf ihr Bett. Als ich mich umdrehe sehe ich sie am Bettende mit einem wunderschönen Lächeln in einem noch wunderschönerem Gesicht. Das Mondlicht erhellt den Raum nur schwach, aber es reicht, um ihre Schönheit in vollem Glanz zu präsentieren. Mit einer spielenden Bewegung löst sie eine Schleife ihres Kleides und der samtweiche Stoff gleitet sanft über ihren makellosen Körper. Bis jetzt dachte ich, dass ihre Augen der schönste Anblick seien. Wie man sich doch irren kann.
Grazil und ästhetisch schlendert sie näher und steigt auf das Bett. Sie schmiegt sich an mich und ihr nackter Körper bewegt sich empor bis unsere Augen sich treffen. Unsere Münder minimal voneinander entfernt. Sie schließt ihre Augen, ich schließe meine und was danach passiert kann ich nicht in Worte fassen….

Die Sonne strahlt mir erbarmungslos ins Gesicht. Ich drehe mich zur Seite. Ich öffne meine Augen und blicke auf den zarten Körper einer noch zarteren Frau. Gelegentlich wird ihre Haut vom Wind geküsst und ihre feinen Härchen heben und senken sich wieder. Ihr dunkles langes Haar liegt auf ihrer Brust wie eine Decke und verschleiert ihre Schönheit.
Ich steige aus dem Bett und strecke mich. Draußen höre ich Vögel zwitschern und den Wind durch Bäume rauschen. Die Sonne steht schon weit oben.
In einer Ecke des Zimmers liegt meine Kleidung. Ich hebe mein Hemd auf und sehe ein rotes Licht aus meiner Hose schimmern. Ich wühle in der Hose herum und hole den Dolch heraus. Die Klinge leuchtet in einem schillernden rot, gestern war sie noch golden.
Ich springe in meine Hose und stürme aus der Bäckerei, mit rasendem Herzen renne ich in Richtung der Bibliothek….


Hrates schaut sich den Dolch lange und genau an und murmelt dabei vor sich hin. Er scheint wohl eine Ahnung zu haben.
Er kramt in einigen Regalen und legt mir ein paar Bücher in den Arm.
‚Wenn die Inschriften auf diesem Dolch die tatsächliche Beabsichtigung dessen beschreiben, müssen wir mit einer großen Sicherheit davon ausgehen, dass, wie du auch schon befürchtet hattest, dieser Dolch für Opferrituale der alten Bresuren verwendet wurde.‘ Mit versunkenen Blicken nicke ich ihm zu, in der Hoffnung, dass ich ihn richtig verstanden habe.
‚Du sagtest der Dolch sei golden gewesen.‘ Währenddessen schlägt er eines der Bücher auf und findet eine Abbildung eines Dolches, welches diesem sehr ähnelt. ‚Sah es vorher so aus?‘ Ich nicke ihm weiter zu.
‚Gestern Abend hast du, unter welchen Umständen auch immer, diesen Dolch verwendet, um dich zu verteidigen und dieses dabei in das Herz deines Angreifers gestochen?‘
‚Ja, genauso war es.‘ antworte ich. Murmelnd blättert er in den Büchern und es scheint, als suche er was ganz bestimmtes.
‚Wo sagtest du gleich hattest du diesen Dolch gefunden?‘
‚In einer Höhle, im Norden.‘
‚Im Norden. Ich verstehe.‘ er überlegt kurz ‚Und war etwas Besonderes an dieser Höhle?‘
‚Es war sehr dunkel und es ist schon etwas her. Es gab aber Mauern und Wege in der Höhle, so als wenn dort jemand gelebt hätte. Der Dolch lag auf einer Art Altar.‘
‚Hm, hm. Wie es mir scheint, war das keine normale Höhle. Es war mit großer Sicherheit ein Grab.‘
‚Das hatte ich mir auch bereits gedacht. Was glaubt ihr was jetzt passiert?‘
‚Hier steht!‘ sagt er plötzlich mit lauter Stimme und nimmt ein Buch in seine Hand ‚der Dolch soll im Blut gebadet in seinen Träger schneiden, um ihm so das ewige Leben zu schenken.‘
‚Ewiges Leben?‘ frage ich entgeistert.
‚So steht es jedenfalls hier. Ich bin nicht mit großer Sicherheit sicher über die Übersetzung, aber eine andere Bedeutung kann ich hier nicht herauslesen. Du bist vermutlich vertraut mit der Geschichte. Der König der Bresuren lebte ewig und überdauerte tausende Jahre und wie es scheint, war das der Grund dafür.‘ Er hält den Dolch in seiner Hand und schaut ihn bewundernd an.
‚Sind diese Geschichten wahr? Was schlagt ihr vor, was ich jetzt mache?‘
‚Wahre oder erfundene Geschichten, wer kann das schon entscheiden. Dieser Dolch existiert und besitzt offensichtlich auch eine magische Wirkung. Mit großer Sicherheit kann ich nichts darüber sagen.‘ er reicht mir den Dolch und ich nehme ihn vorsichtig in meine Hand. Sprachlos starre ich den immer noch rot schimmernden Dolch an. Der Schlüssel zum ewigen Leben und ich haben ihn in meiner Hand.
‚Egal was du tust, sei dir sicher und versprich mir, dass du nicht rücksichtslos mit dieser Macht umgehst.‘
‚Wollt ihr den Dolch nicht lieber behalten?‘ ich strecke meine Hand offen aus.
‚Nein, nein. Auf keinen Fall. Ob ich ewig lebe oder nicht, das tut nichts zur Sache. Es liegt jetzt in deiner Verantwortung.‘

Ich packe den Dolch fest und begebe mich zur Tür.
‚Leb wohl mein Freund.‘
‚Lebt wohl, Hrates.‘

Den Dolch verstecke in meiner Hose und in Gedanken vertieft entferne ich mich von der Bibliothek. Unaufmerksam schlendere ich durch die Straßen und denke darüber nach, was Hrates mir gesagt hat. Ob die Geschichten wirklich stimmen? Könnte ich ewig leben? Was würde es mir bringen?

Als meine Aufmerksamkeit wieder zur echten Welt zurückfindet, finde ich mich selbst am Hafen wieder. Gedanklich verloren stehe ich auf der Brücke und blicke auf das offene Meer. Es ist bereits spät geworden und die Sonne ist kurz davor sich über dem Horizont zu verabschieden. Ich muss hier stundenlang regungslos gestanden haben. Ich ziehe den Dolch aus meiner Hose und bewundere ein letztes Mal seine Schönheit. Die einst goldene Klinge, die jetzt rötlich strahlt, blendet mich ein letztes Mal im grellen Sonnenlicht.

Mit einem lauten platschen stürze ich ins Wasser und verliere dabei jegliche Kraft in meinem Körper. Der Dolch gleitet aus meinen Händen und sinkt in die dunklen Tiefen des Meeres. Langsam sinke ich auch hinab, wobei das Blut aus meiner Brust dunkelrote Schlieren im Wasser hinterlässt. Je tiefer ich sinke, desto dunkler und stiller wird es um mich herum. Ich habe keine Kraft und kann mich nicht regen. Ich schließe meine Augen und lasse mich von der Dunkelheit verschlingen.

Eine kräftige Welle klatscht in mein Gesicht und mir läuft Wasser in Mund und Nase. Würgend versuche ich das Wasser herauszuspucken und zu atmen. Ich reiße mir mein Hemd vom Leib und begutachte meine Brust. Ich finde keine Wunde, nicht mal eine Narbe.
Ich weiß nicht, ob der Dolch tatsächlich gewirkt hat, oder ob ich nur geträumt habe, dass ich ihn mir ins Herz gerammt habe. Was auch immer passiert ist, der Dolch befindet sich wahrscheinlich am Grund des Meeres und ich bin am Leben.

 

Es war für mich ganz schön schwierig, das bis zum Ende zu lesen. Viele Details kommen vor, die du streichen könntest.

Aus einer Truhe, die mein Vater und ich damals unter dem Haus versteckt haben, hole ich ein Schwert. Damals versteckten wir hier unsere Wertsachen. Um diese Zeit herum waren nämlich viele Räuber unterwegs. Es war das letzte, was mein Vater und ich zusammen gemacht hatten. Zwei Tage später platzten drei Räuber in unser Haus und töteten meinen Vater. Meine Mutter und ich waren außer Haus. Als wir zurückkamen war alles durcheinander und mein Vater lag blutend auf dem Boden, ungefähr da wo auch meine Mutter vor Kurzem verendet war.
Dieses Schwert hatte mein Großvater meinem Vater selbst geschmiedet, womit er im Krieg kämpfen sollte, jedoch verletzte sich mein Vater am Bein, sodass er nicht mehr kämpfen konnte. Er benutzte das Schwert also nie.
Beim Tod der Mutter verhält sich der Protagonist meiner Meinung nach merkwüridg. Dann kommt das mit dem Vater, womit er ebenfalls recht nüchtern umgeht. Es fallen mehr Worte über die Objekte als über den Mord am Vater.

Ich bin zwar kein Experte, aber die Klinge sieht tadellos aus.
Somit kann ich den "Helden" nicht ernst nehmen. Entweder diese ganze Aktion ist möglich, weil er so viel Ahnung davon hat oder man erfährt, dass er sich das wissen antrainiert. Ansonsten wirkt der Satz wie von jemandem, der gerade zufällig vorbeikam und zum ersten Mal ein Schwert gefunden hat.

Das erste Erscheinen der Bresuren wird auf über zehntausend Jahre geschätzt. Ungefähr siebentausend Jahre haben sie die Hälfte von Abraliatal beheimatet.
Jetzt ist halt die Frage. Wenn zu einem Volk eine Hintergrundgeschichte erzählt wird, wozu brauche ich es und warum wird das überhaupt erzählt? Am Ende macht es schon Sinn, aber am Anfang des Textes ist es für mich ein unnützes Detail, was in einem Roman passen würde.


Ich habe jemanden getötet. Mir wird übel.
Fand ich an der Stelle schwierig. Er hat eigentlich keine Zeit, sich schlecht zu fühlen und kurz danach hat er sich bereits daran gewöhnt. Im Vergleich dazu, wie er den Tod der Mutter verarbeitet, ist das hier wesentlich emotionaler.

Der Holzboden quietscht nur leise unter meinen Füßen. Glücklicherweise wird es von den Gesprächen der Männer in den Zimmern übertönt. Die geschlossene Tür ist die zweite auf meiner linken Seite. Das heißt ich muss an zwei offenen Türen vorbei, eine links und eine rechts. Die erste Tür befindet sich auf der rechten Seite. Langsam gehe ich mit meinem Kopf über den Türrahmen und schaue in das Zimmer. Ich sehe die Männer, die um den Tisch versammelt sind und Karten spielen. Sie sind in das Spiel vertieft und gut angetrunken. Ich zögere einen kurzen Moment und dann mache ich einen kleinen Satz nach vorn und bin auf der anderen Seite der Tür. Keiner der Männer scheint es bemerkt zu haben.
Das hier zum Beispiel ein Paragraf, den du locker kürzen könntest:
"Der Holzboden quietscht (nur) leise unter meinen Füßen. Glücklicherweise wird es von den Gesprächen der Männer in den Zimmern übertönt. Keiner (der Männer) scheint es bemerkt zu haben."


Bevor ich das Haus verlasse, betrachte ich mich nochmal im Spiegel. Sieht doch ganz gut aus.
Das finde ich zu modern und witzig. Es passt irgendwie gar nicht.

... und was danach passiert kann ich nicht in Worte fassen….
Dann lass es weg!

Es ist für mich wie ein Videospiel oder ein Comic. Sehr visuell, aber für mich kommen wenige Gefühle und Hemmungen hervor. Ich glaube auch, dass du die Hälfte des Textes streichen könntest. Es braucht nicht jede Attacke und das Mädchen hat für mich in dem ganzen keinen Sinn gemacht.

 

Moin @Seylim,

und vielen Dank für deine Geschichte.
Leider hat sie mich nicht in Gänze fesseln können, sodass ich sie ab ca. der Hälfte bloß noch überflogen habe.
Eigentlich mag ich das Setting, dass du aufbaust: Fantasy mit einem gewissen Härtegrad, dazu eine geradlinige Rachestory. Nur verlierst du dich mMn zu oft in Kleinigkeiten, spielst den "Erklärbär", bzw. praktizierst zu viel "Tell" und zu wenig "Show".
Beispiel:

Ich hatte nicht genug Zeit zu reagieren und mich in irgendeiner Art gegen die Angreifer zu wehren. Noch den Löffel in der Hand und eine heiße Kartoffel tanzend auf meiner Zunge, spüre ich, wie ein Messer mein Herz nur knapp verfehlt.
Den ersten Satz (Tell) kannst du streichen, da der zweite (Show) mir als Leser zeigt, dass dein Prota vom Angriff überrascht wird. Das Bild der "tanzend heißen Kartoffel" fand ich übrigens sehr gelungen.

Dein Text leidet auch immer wieder unter Wortwiederholungen, die mich als Leser herausreißen.
Beispiel:

Da fällt mir ein, dass ein Haken am Seil gar nicht mal eine so schlechte Idee wäre. An der Wand ist ein Haken befestigt, an dem ich normalerweise meinen Mantel aufhänge. Ich hänge mich mit meinem ganzen Gewicht an den Haken und mit einem lauten Knacken bricht der Haken samt Nägeln vom Holzbrett. Den Haken befestige ich nun an einem Ende des Seils.
Das waren jetzt fünf Haken in vier Sätzen. Klar, was ich meine?

In unregelmäßigen Abständen erklärst du deinen Lesern die Welt, anstatt sie zum Beispiel durch Dialog zwischen einzelnen Charakteren vor ihnen zu entfalten. Und dass an Stellen, die für das Verständnis der Geschichte nicht notwendig sind. Dies lässt deinen Text unnötig langatmig erscheinen.
Beispiel:

Das erste Erscheinen der Bresuren wird auf über zehntausend Jahre geschätzt. Ungefähr siebentausend Jahre haben sie die Hälfte von Abraliatal beheimatet. Nach diesem Buch hatten sie nur einen König, König Bresur. Die ganzen siebentausend Jahre. Mit seiner Geburt erschienen die Bresuren und mit seinem Tod verschwanden sie wieder. Über das Verschwinden der Bresuren steht leider nichts Genaueres in dem Buch.
Es finden sich jedoch einige Übersetzungen bresurischer Schriften.

@XVIII hat bereits kommentiert, dass der Text an ein Videospiel erinnert. Auch bei mir keimte dieser Gedanke ungefähr ab der Stelle auf, an der dein Prota sich des Nachts mit Dolch und Bogen bewaffnet in die Stadt begibt, um Rache zu nehmen.
Assassins Creed - Vibes waren für mich nicht von der Hand zu weisen. Leider gelingt es dir nicht, ein solch "knackiges" Momentum aufzubauen, dass sich die nächtliche Meuchelei schnell und zügig wegliest. Im Gegenteil, die detaillierte und dadurch langsame Beschreibung führte bei mir dazu, dass du mich als (bis dahin aufmerksamen) Leser leider verloren hast.

Ich weiß aus eigener Erfahrung - gerade aus meinen Schreibanfängen, die noch nicht lange zurückliegen - wie schwer es sein kann, einmal Geschriebenes wegzustreichen oder zu löschen. Aber ich rate dir, trau dich, diesen Schritt zu gehen. Denn ich glaube, dass wenn du deine Story radikal kürzt, sie noch richtig wachsen kann.

Viel Erfolg und besten Dank für die Aufmerksamkeit,
Seth

 

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