Der Drache
Es war still, zu still. Im Wald war kein Laut zu hören. Nicht die fehlenden Laute, sondern die erdrückende, fast morbide stille. Kein Rauschen der Blätter, kein Vogelgezwitscher, kein Knarren der ausgedörrten Äste. Diese Stille schien fast schlimmer zu sein, als die furchterre-genden und apokalyptisch wirkenden Schatten, welche die Sträucher warfen. Aber die Missi-on war wichtiger als diese Hirngespinste, die sein Gehirn marterten. Also schlug sich die Ge-stalt weiter durch das Dickicht.
Die Bedrohung, welche die Stille und die Finsternis verstärkten, wurde mit jedem Schritt spürbarer, bis sie fast greifbar war. Die Angst saß ihm in den Gliedern. Um sich zu beruhigen zündete er sich eine Zigarette an, Sie beruhigte zwar das Gefühl beobachtet zu werden, aber die fast greifbare Bedrohung, die wie ein dunkler Schatten über ihn lag, machte sie nicht wett, nein sie verstärkte sie sogar.
Mit jeder Minute, die er in diesem Wald verbrachte, wurde es dunkler, die Schatten länger, das Unheimliche greifbarer. Hinter jedem Baum könnte sich einer von der Gegenseite verber-gen. Ihn niederstrecken, ohne daß er merken würde, was geschieht. Der Weg war noch weit, vielleicht zu weit. Er hatte zwar eine Taschenlampe dabei, aber er wagte nicht einmal daran zu denken sie zu benutzen, da sie den Feind auf ihn aufmerksam machen könnte. Die Waffe, die er bei sich hatte, ein alter Degen, half wenig, denn seine jetzigen Feinde waren mächtiger als alle Waffen die es gab, viel mächtiger, sie könnten ihn umzingeln, und er könnte nicht mal etwas dagegen unternehmen, die Finsternis und die Stille. Gegen materielle Gegner mochte sie zwar wirkungsvoll und tödlich sein, aber gegen solche Gegner war sie machtlos. So ging er weiter in der Hoffnung etwas Glück zu haben. Denn der Tod wartete auf ihn, und da wäre etwas davon sicher hilfreich. Ein Kampf stand ihm bevor. Ein ungleicher Kampf. Denn seine Mission war die Vernichtung des letzten, aber mächtigsten Drachens. Es war die letzte Ent-scheidung des ewigen Krieges der seit Generationen in seiner Familie tobte. Er war der letzte eines ausgestorben geglaubten Beruf, der des Drachenschlächters.
Im Mittelalter wurde der Kampf noch anders ausgetragen, mit anderen, primitiveren Waffen. Heute gibt es wesentlich moderne Waffen, welche die Helfer des Drachen benutzten. Es wäre möglich, nein sogar wahrscheinlich, daß er nicht zurückkehren würde in die Zivilisation. Aber das würde das Ende der Welt bedeuten, das Armageddon, denn dann würde das Reich des Drachen wieder auferstehen. Tod und Verderben käme über das Land, Finsternis würde die Welt regieren und die Mächte der Dunkelheit würden wieder auf der Oberfläche der Erde marschieren.
Er verdrängte diese Gedanken schnell wieder, da sie ihn auf gewisser Weise von seiner Auf-gabe abzuhalten versuchten. Er mußte sich unbedingt auf seine Arbeit konzentrieren, aber die unheimliche Finsternis und die lautlose Stille brachten ihn immer wieder davon ab. Er spürte die Nähe des Drachens schon, es war nicht mehr weit. Ein kurzer Blick auf die Uhr, die er immer bei sich hatte. Es war kurz vor Mitternacht am Silvestertag 2001. Kurz vor dem neuen Jahrtausend würde sich zeigen, ob die Menschheit noch ein Recht darauf hatte, dieses Jahrtau-send zu erleben, oder ob sie im neuen Jahr einen neuen Herrn hatte.
Tief in der Höhle, im Herzen des Labyrinths begann sich etwas zu regen. Vorerst unbemerkt. Ein leises, aber stetig anschwellendes Brummen erfüllte es. Einige Zeit später wurde der Raum durch ein unnatürliches grünes Schimmern erhellt. Dieses Leuchten kam von keiner Energiequelle, es war einfach auf unnatürliche Weise präsent. Dann begann die Höhle zu er-zittern, loser Staub rieselte von der Decke. ER erwacht!!
Der Drache spürte, daß er in Gefahr war, doch das beunruhigte ihn in keinster Weise, in sei-nem Hort war es am sichersten, denn er war Meistere in der Hinterhältigkeit und Illusion. Der Drachenschlächter möge kommen, die Wiedergeburt des Reichs war nicht mehr weit. Er hatte Zeit, denn für ihn war ein Menschenleben nichts weiter wie ein Sandkorn in der Wüste, zu unwichtig darüber sich Gedanken zu machen. Aber trotzdem konnte er sich keinen Fehler erlauben, denn er wußte, wieviele seiner Artgenossen schon vernichtet wurden.
Der Eingang der Höhle war zu unscheinbar um einen normalen Menschen aufzufallen, aber er war anders. Er spürte, nein, es ist ein anderes Gefühl, nicht zu beschreiben. Die Öffnung zog ihn förmlich an. Als er vor ihr stand, begann sich ein eisiger Schauer auf seinen Rücken aus-zubreiten. Vor ihm war nur eine kahle Felswand. Er begann unverständliche Worte in einer fremden, unbekannten Sprache zu murmeln, und plötzlich war sie da, die Für kurze Zeit beun-ruhigte ihn der Gedanke, daß alles zu einfach ging. Der Drache, das wußte er, verfügte über wesentlich hinterhältigere Tricks als nur einen Eingang verschwinden zu lassen. Bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, hatte er ihn schon wieder vergessen. Vorsichtig trat er in die Höhle ein.