Hallo, R&K,
herzlich Willkommen im Forum.
Ich habe dieses kurze Stück Text mit gemischten Gefühlsaufwallungen gelesen, die ich ein wenig zu illustrieren versuchen werde. Zunächst einmal etwas grammatikalische und stilistische Kritik:
Sie nahm jeden Geräusch die Stimme ...
Jede
m. Da aber "m" und "n" Tastaturnachbarn sind, gehe ich mal von einem Tippfehler aus.
... roch den Geruch. Den Geruch ...
Eine für meine Begriffe etwas unglückliche Paarung - sicherlich weit davon etnfernt, falsch zu sein, aber irgendwie redundant. "Nahm den Geruch wahr" ist vielleicht die günstigere Variante. Und dass der Geruch gleich wieder in Aktion tritt, lässt sich sicherlich auch vermeiden.
... wie ein dicht gewebster Spinnennetz ...
Ein "dicht gewebtes Spinnennetz" tut es auch.
Im Großen und Ganzen bleiben bei mir nach dem Lesen drei Eindrücke zurück, ein positiver, zwei negative.
Der Positive zuerst: Du stehst mit Sprache nicht auf dem Kriegsfuß. Der Text liest sich flüssig, es gibt keine wirklichen Stolpersteine, keine Haken und Ösen, keine wirklich dramatischen Floskeln, an denen man sich die Augen aufreißt. Was eben auch heißt: Du hast definitiv Entwicklungs- und Entfaltungspotential. Sag ich jetzt mal so.
Dann aber: Du bist unsauber. Oder inkonsequent. Womit ich meine, du verwendest Satzkonstruktionen, wählst Formulierungen, die mich ahnen lassen, wie du das, was du sagen willst, sagen willst, aber du sagst es nicht so. Du mischt eine Schriftsprache, die durchaus im Ansatz literarisch ist, mit Begriffen der Alltagssprache, die diesen Anlauf wieder unterbinden und deinen Text, der gefühlt "Erzählung" sein will, wieder zu einem einfachen "Aufsatz" machen. Du bringst Dinge zusammen, die in der von dir geschriebenen Form nicht zueinander passen wollen.
Ein Beispiel:
Seine Schritte wurden mit jeder Stufe, die er nahm, langsamer, bis sie vor der schweren Eichenholztür ganz verebbten, nur um von einer panischen Gewissheit abgelöst zu werden.
Die Schritte, also physische Bewegung, werden langsamer und verebben (was sich für meine Begriffe schon mit dem aktiven Charakter des Schreitens und Wahrnehmens beißt - innerhalb dieses Satzes war ich zu Beginn an der Seite deiner Hauptfigur und schritt die Treppe hinauf, in der Mitte auf der anderen Seite der "mächtigen Tür" und hörte die Schritte verebben, und fand mich abschließend im Inneren des Protagonisten wieder, wo ich mit der Gewissheit aufstieg. Ein bißchen viel Bewegung, wenn du mich fragst. Du versuchst, eine Spannung aufzubauen, indem du das langsame Vordringen deiner Hauptfigur in die (warum eigentlichß) Schwärze des Hauses zu schildern, Schritt um Schritt, immer langsamer werdend. Und dann springst du innerhalb eines Satzes wie eine wildgewordene Handkamera hin und her. Diese perspektivischen und inhaltlichen Sprünge hast du verhältnismäßig oft in diesem kurzen Text. Zum Beispiel auch hier:
Er schloss die Finger um den kalten Türgriff, öffnete die mächtige Tür und fand das, was er sein Leben lang befürchtet hatte, bestätigt: Seine Eltern waren tot.
Was ist hinter Tor 3? Der ZONK? Nein, die toten Eltern, herzlichen Glückwunsch. Das geht viel zu schnell. Und ist viel zu anonym. Auch, wenn eine Gewissheit aufsteigt, kann man nicht mit diesem abgeklärten Fazit die Situation auflösen: Die Eltern waren tot. Punkt.
Womit wir bei der zweiten negativen Wahrnehmung wären: Du erzählst nicht. Ich behaupte nicht, dass du dir nichts bei der Geschichte und deiner Hauptfigur gedacht hast, das hast du sicherlich und an manchen Stellen blitzt das azuch kurz durch, aber es liest sich überwiegend nur oberflächlich. Hier sind wir wieder beim Aufsatz. Der Unterschied zwischen "Wir waren gestern im Zoo, es war sehr schön" und "Seine Eltern waren tot, erschossen von der Regierung" sind - rein stilistisch - wirklich nur marginal.
Dein wirklich kurzer Text könnte viermal so lang sein und trotzdem mehr fesseln, als er es jetzt tut. Wäre er viermal so lang wie jetzt, aber ebenso oberflächlich geschrieben wie jetzt, hätte ich ihn nicht bis zum Ende gelesen. Womit ich sagen will: Du musst nicht mehr hineinschreiben, du musst lediglich besser beschreiben. Und du brauchst mehr Drama, Baby.
Dein Protagonist bleibt viel zu anonym, seine Geschgichte viel zu hingeklatscht, als dass man sich emotional damit verbinden könnte. Die Idee hinter dem Text, dass es eine Kinderquote gibt, die von einer restriktiven Regierung verordnet und kontrolliert wird, ist ohnedies für uns Mitteleuropäer nicht unbedingt der Selbstläufer, da haben wir ja eher mit zurückgehenden Geburtenraten zu kämpfen, aber du machst auch so nichts aus dieser Prämisse. Dem Protagonisten hat "man immer erzählt, dass er anders war und dass ihn keiner sehen wollte, dass er deswegen im Gartenhaus wohne und niemanden, bis auf seine Eltern und seine beiden Geschwister, kennen lernen durfte." Immer? Seltsam, denn offenbar weiß er ja auch, was in der zeitung steht, und er weiß von der Quote und davon, dass die Regierung im Haus seiner Eltern war. Er hat sogar sein Leben lang etwas befürchtet. Und er hat Vater, Mutter, zwei Geschwister. Welche Beziehung hat die Hauptfigur zu denen und andersrum, welche haben bzw. hatten diese zu ihm? Wie lebt es sich so als ausgestoßener Sohn in einer Hütte im Wald, abgesehen davon, dass man offenbar nackt im eiskalten See schwimmt und unbekleidet durch die Wälder läuft? Man hat ihn wohl kaum als Säugling in einem Weidenkorb dort ausgesetzt, nehme ich an. Wie alt ist er (und bitte nicht einfach das Alter hinschreiben)? Seit wann lebt er dort? Was verliert er wirklich, wenn der Erzähler lapidar diagnostiziert: "Seine Eltern waren tot"?
Die zweite Hälfte des letzten Absatzes ist zudem ein erzählerisches "Armutszeugnis" - hier hat der auktoriale Erzähler gerade mal keine Lust mehr, er muss jetzt los oder ist müde, will die Geschichte aber noch fertigmachen, also klatscht er einfach alles hin, was zur Auflösung noch fehlt, macht den Protagonisten auch noch zum Hellseher oder Miesterdetektiv,m denn alles ist auf einmal klar:
"Erschossen von der Regierung, die mitbekommen haben musste, dass es ihn gab, die ihn jedoch nicht finden konnte, da sein Gartenhaus dafür zu tief im Wald stand, am See. Seine Geschwister hatten sie mitgenommen und in ein Heim gebracht, so wie es in der Zeitung stand über Familien, die vergeblich ein drittes Kind zu verstecken versuchten. Es war genauso wie in der Zeitung, die er sich mitnahm, wenn er, so wie heute, kam, um sich seine Sachen abzuholen. Sie hatten sich so sicher gefühlt. Bis zu diesem Tag."
Das ist, was meines Erachtens mit dieser Geschichte nicht stimmt. Aber das kannst du sicherlich geradebiegen, weil es geradezubiegen ist, erst recht von einer "Schülerin im Endstadium".

Ich erinnere nach dem ganzen Geschimpfe noch einmal an meine positive Wahrnehmung: Sprache kannst du. Der Text liest sich nicht lächerlich, er liest sich ordentlich. Darauf kannst und sollst du aufbauen. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass ich Zeit investiert habe, dir diese ganzen Dinge zu schreiben, sollte dir das gute Gefühl geben, dass du das, was du können willst, können kannst, wenn du nur willst.
Was bedeutet: Ich will hinter deinem Namen demnächst nicht immer noch "Beiträge: 1" lesen müssen. 
Viel Erfolg wünscht
bvw