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Der Einäugige

Beitritt
23.06.2021
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Anmerkungen zum Text

Diesen Text war zwischenzeitlich im Archiv gelandet, weil ich ihn für eine Anthologie eingereicht hatte. Er wurde leider nicht angenommen, so dass ich ihn - nach vielen Anmerkungen der Testleser und nach vielen Überarbeitungen - hier wieder veröffentliche.
Über Rückmeldung freue ich mich auch jetzt noch.

Der Einäugige

Das Wodanasz war noch verrauchter als früher, die Schwaden schon Teil des Inventars. Sie hingen in der Luft, krochen in meine Klamotten und bissen in der Nase. Die knarrenden Bodenbretter waren ausgetreten, mit Astlöchern wie dunkle Krater, die Tische über Jahrzehnte nachgedunkelt. Selbst die Tablets mit den Menüvorschlägen waren abgegriffen, die Schilder an den Wänden blass und verdreckt. Keine der Kneipen, die ich kannte, verkörperte so sehr den Begriff Spelunke.

»Komm, lass uns mal wieder hingehen«, hatte Martin vorgeschlagen, als ich ihn aus der Klinik angerufen hatte. »Wie damals, beim ersten Date.«

Also saßen wir dort. Zwischen uns standen zwei Gläser Bier, daneben die obligatorischen Wodka. Man bestellte sie immer noch als ‚Wässerchen‘. Nur das Logo war neu. Irgendjemand hatte die ursprüngliche Bedeutung von Wodanasz ausgegraben und einen russisch angehauchten Odin entworfen. Den Einäugigen. Neokeltische Linienführung, die beiden Raben nur angedeutet. Hätte ich das gewusst, wäre ich nicht hingegangen. So saß ich da, sprach mit Martin über den Krebs, der meine linke Netzhaut zerfressen hatte, und von jedem Bierdeckel starrte mich ein einäugiger Gott an.

Selbst mit meinem angeschlagenen Auge konnte ich ihn nicht übersehen. Mir war noch schlecht von der letzten Chemo und der Wodka machte es auch nicht besser.

Martin schaute auf die Papiere, die vor ihm lagen. Die Unterlagen aus der Klinik und meinen eigenen, wirren Notizen. Nachdem er sie gelesen hatte, schob er sie mit seinen schlanken Händen gerade. Das ist Martin: strukturiert, präzise und zielstrebig. Er, der erfolgreiche Unternehmer, und ich, der spontane Gefühlsmensch. Meine Hände waren blass und ich betrachtete unsere Ringe. Gold und Platin ineinander verschweißt. An jenem Dienstag war ich besonders dankbar, dass wir in all den Jahren zusammengeblieben waren. Ich brauchte seinen kühlen Verstand. Meiner schien gerade zu zerbröseln.

Die letzte Besprechung mit dem Oberarzt steckte mir immer noch in den Knochen. Er hatte sich vorsichtig ausgedrückt, versucht, den Schlag abzumildern. Aber mein Kopf wiederholte in Endlosschleifen immer wieder den entscheidenden Satz: Das Auge ist nicht mehr zu retten.

Dann war er mit dem Angebot gekommen: künstliches Auge, experimentelle Technologie und all das. Die Ethikkommission hatte gerade erst grünes Licht für die Studie gegeben. Er hatte lange geredet, mir Hoffnung gemacht, die Vorteile beschrieben. Aber in mir war eine Furcht gewachsen, so unkontrollierbar wie der Krebs. Ich seufzte und drückte meine Hand auf den Verband.

»Mein rechtes Auge ist Schrott, seit dem Unfall«, presste ich heraus. »Was soll ich machen, Martin. 15% Restsicht und jedes Jahr schlechter werdend.« Das klang bitter, ich merkte es selbst. »Und jetzt der Krebs ...« Einen Satz hatte ich die ganze Zeit vermieden. Jetzt sprach ich ihn aus: »Spätestens im Sommer werde ich blind sein.«

Martin schaute mich an. Langsam, als müsste er erst verarbeiten, was er gehört hatte, tippte er auf die Flyer mit Infografiken, die die Vorteile der neuen Technik anpriesen: Auflösung Ultra12K, NachtsichtModus, MakroVision mit Zoom, mRNA-Technik für den Kontakt zum Sehnerv, BioIonen-Akku und so weiter. Das volle Programm. Dazu Aufklärungs- und Einverständnisblätter zum Unterschreiben und die offizielle Notwendigkeitsbescheinigung.

»Aber die OP klingt doch großartig, warum willst du sie nicht machen?« Er schaute mich eindringlich an. »Warum, Gerald?«

Ich blieb ihm eine Antwort schuldig. Die Distanz zwischen uns dehnte sich in der Stille, als würde jedes Ausatmen die Entfernung verdoppeln. »Du kennst mich doch«, versuchte ich dann, die tiefe Angst in meinen Eingeweiden zu beschreiben. »Ich hätte kein Auge mehr, nur eine seelenlose Kamera. Metall und Technik im Kopf.« Der Gedanke machte mir eine Scheißangst. Meine Hände zitterten, als ich die Worte fand. »Ich will kein Cyborg sein.«

Den letzten Satz hatte ich viel zu laut ausgesprochen. Von den Nachbartischen hörte ich grimmiges Murmeln und ich erinnerte mich an die hitzigen Diskussionen im Wodanasz und die Schilder an den Wänden. ‚No Cyborg‘, ‚никаких киборгов‘ und ‚Wir bedienen keine Cyborgs‘ stand in allen möglichen Sprachen über der Theke und an jeder Trennwand. Hier war der Kampf gegen Transhumanisten, Enhancer und Cyborgs besonders entschlossen und brutal geführt worden. Ich versuchte mich zu beruhigen. Bloß nicht auffallen, dachte ich. Um mich herum saßen dutzende Soldaten und Söldner der AntiCyborg-Allianz mit dem ACA-Logo auf ihren Overalls. Die meisten der Gäste hatte vermutliche kleine Electrocuter in der Tasche. Den schweren, illegalen unter der Theke hatte ich selbst schon gesehen. Wenn der einmal abgefeuert würde, wäre jedes Enhancement, jedes Implantat nur noch Schrott.

Martin legte seine Hand auf meine, als wollte er mich schützen. Die Berührung tat gut. Mit der anderen tippte er auf den kleineren Stapel; eigentlich nur zwei Blätter. Russische Texte, die mit dem DeepL-Translator übersetzt worden waren. »Und was soll das hier?« Sein Finger suchte die Beschreibung der Reiseroute. »Willst du in deinem Zustand wirklich nach Tunguska? Ausgerechnet Sibirien?«

»Ich weiß, wo es ist, verdammt…« Gerade noch rechtzeitig brach ich ab und atmete aus. »Ich will an den Oberlauf der Steinigen Tunguska, um genau zu sein«, sagte ich und versuchte meine Stimme zu beherrschen. Mein Auge schmerzte, also tippte ich auf den Auslöser meiner Tilidin-Pumpe und gab mir eine weitere Dosis. Nach zehn langen Sekunden spürte ich endlich die Wirkung und atmete erleichtert durch.

Martin lehnte sich vor. Ich ahnte die Bewegung mehr, als dass ich sie sehen konnte. »Frankfurt - Krasnojarsk mit Zwischenlandung in Moskau. Dann mit einem alten Antonov An-2 Doppeldecker nach ...«, er schaute auf das Blatt, suchte das Wort: »Nach Wanawara. Du wirst tagelang unterwegs sein.« Ungläubig schüttelte er den Kopf.

»Und noch einmal fünf Stunden zu Fuß«, gab ich zurück. Den patzigen Tonfall konnte ich mir nicht verkneifen. »Meine Beine sind ja in Ordnung.«

»Und was ist mit den russisch-sibirischen Konflikten?«, frage er. »Du weißt nicht mal, ob die Reste der Cyborgov-Guerilla noch kämpfen.« Martin deutete auf die Monitore über der Theke. Sie zeigten wieder einmal eine Live-Sendung. Der Ton war ausgestellt, aber man sah ein verbarrikadiertes Dorf irgendwo auf der Welt. Panzerfahrzeuge rückten vor, Uniformierte mit Flammenwerfern setzten Häuser in Brand. Im Hintergrund war das bläulich-zuckende Licht von Electrocutern und das Logo der ACA-Milizen zu sehen. Dann zeigte die Kamera gefangene Cyborgs. Sie lagen oder saßen in langen Reihen an einer Mauer. Bei den meisten waren die Enhancements schon zerstört. Die schmerzverzerrten Gesichter und die typischen Muskelkrämpfe waren nicht zu übersehen. Ich hasste diese Propaganda-Videos. Den Livetickern zufolge stammten die Bilder von irgendwo in Südamerika, nicht Sibirien.

Es fiel mir dennoch schwer, Martins besorgten Blick zu ertragen. »Tunguska sollte sicher sein. Es gibt einen gültigen Waffenstillstand«, sagte ich und wünschte, es hätte die jahrzehntelange Diskriminierung der Cyborgs und die Aufstände der Transhumanisten nie gegeben.

Martin verschränkte die Arme. »Warum?«, fragte er, die Stimme mühsam gesenkt. »Sag mir bitte, warum?«

»Ich war schon mal in Tunguska, lange vor unser Zeit«, sagte ich. »Damals sprachen alle von einem, den sie den ‚Sehenden‘ nannten. Einer der ursprünglichen Ewenken-Schamanen im Nationalpark.«

»Ein Schamane?« Er klang fassungslos. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«

»Damals hab ich mich nicht zu ihm getraut. Aber sie sagten: ‚Er versteht Deine Seele‘.« Meine Worte klangen selbst für mich wie eine hohle Phrase. Also versuchte ich es nochmal: »Ich brauche seinen Rat. Ich will meine Seele verstehen, brauche Gewissheit.«

Martin schnaubte. Ich hätte wissen müssen, dass er mich nicht verstand. Mit ‚Seele‘ hatte er noch nie was anfangen können. Bei der OP waren meine Tränengänge entfernt worden. Also konnte ich nicht mehr weinen. Der Schmerz war trotzdem da.

Die Kellnerin kam humpelnd an unseren Tisch und unterbrach die angespannte Stimmung, indem sie drei Wässerchen vor uns stellte. Seit Jahren litt sie unter Schmerzen, weil ihr Mann die künstliche Hüfte für sie ablehnte. Nicht einmal das war hier erlaubt. Trotzdem war sie immer noch die gute Seele des Wodanasz.

»Die gehen aufs Haus«, sagte sie und hob ihr Glas. »Auf die alten Zeiten. Wásche Sdorówje!« Wir erwiderten ihren Trinkspruch und kippten den Wodka hinunter.

»Und auf die Gesundheit deiner Augen«, sagte sie leise.

Sie hatte wohl gesehen, wie Martin mich zum Tisch geführt hatte. Hier im Dämmerlicht des Wodanasz war ich schon jetzt fast blind. Ich zwang mich zu einem Danke, auch wenn ich Mitgefühl satthatte. Sie hatte es nicht verdient, angeschnauzt zu werden.

»Worüber redet ihr?« Sie war schon immer eine gute Zuhörerin.

Also sprach ich es aus: »Ich werde nach Tunguska fliegen.«

* * *​

Die Höhle war finster und bitterkalt. Daran änderte auch das Feuer nicht viel, das in einer Ecke brannte. Der Rauch roch nach Harz und Kräutern. Schatten tanzten an den Wänden und irgendwo tropfte Wasser. Meine Füße steckten in dicken Wanderstiefeln, trotzdem spürte ich den weichen Boden und ich vermutete, dass der Seher die Höhle mit Fellen ausgelegt hatte. An der Wand hinter dem Feuer prangten zwei riesige Raben, wie eine prähistorische Höhlenzeichnung. Fließende Linien in schwarz, rot und braun sahen im flackernden Licht aus, als würden sie sich bewegen. Flatternde Flügeln, nickende Köpfe und rot starrenden Augen, wie in einem Fiebertraum.

An die Reise hierher hatte ich nur noch schemenhafte Erinnerungen: Flugzeuge, Wartesäle, russisch sprechende Sitznachbarn und der ohrenbetäubende Lärm der Antonov mit ihrem stoischen Piloten. Die letzten Kilometer musste ich wohl zu Fuß durch die nahezu unberührte Landschaft gelaufen sein. Ich erinnerte mich an nordische Kiefern, Lärchen, an vereinzelte kleine Bachläufe und Sümpfe. Und an Schnee, viel Schnee. Wie ich die Strecke eigentlich geschafft hatte, wusste ich nicht. In meinem Kopf verschwamm die Erinnerung mehr und mehr. Trotzdem war ich hier. War ich? Das alles wirkte so irreal.

Mir gegenüber saß der Seher. Alt sah er aus, uralt. Selbst mit meinem kaputten Auge konnte ich das schlohweiße Haar über seiner blassen Haut erkennen. Quer über seiner Nase verliefen rote Narben. Am meisten beunruhigten mich seine Augen, oder vielmehr das, was davon übrig war. Das rechte lag tief im Schädel und war milchig weiß. Da, wo sein linkes Auge hätte sein sollen, gähnte ein schwarzes Loch. Er war blind.

Trotzdem konnte ich mich nicht gegen das Gefühl wehren, er blickte tief in mich hinein. Dann zog er ein paar Holzstäbchen aus seiner Tasche und warf sie auf den kleinen Tisch vor sich. Für einen Augenblick hielt er die Hand über die Orakelstäbchen. Dann tastete er ihre Lage vorsichtig mit den Fingern ab und nickte.

»Das Wichtige ist für die Augen unsichtbar«. Sein Russisch war schwer zu verstehen, die Stimme rau, als würde sie selten gebraucht. »Man sieht nur mit dem Herzen gut.«

Zitierte er gerade den ‚Kleinen Prinzen‘? Das konnte nicht wahr sein. Die ganze zermürbende Reise und jetzt Kalendersprüche? War das alles ein Fehler?

»Und was ist, wenn die ‚Wahrheit über Deine Seele‘ schlimmer ist als die Unwissenheit?«, hatte Martin gefragt. Er hatte recht gehabt. Ich fing an zu zittern.

Draußen vor der Höhle heulte ein Wolf, voller Sehnsucht und Wildheit. Andere Wölfe antworteten in der Nähe. Ein ganzes Rudel. Die Töne zerrten an meinen Nerven. Aber ich konnte den Blick nicht vom Gesicht des Sehers abwenden. Auf seiner Haut erschienen fraktale Muster, blaue schwach leuchtende Linien, wie Schaltkreise. Warum Schaltkreise? Der Gedanke drehte sich in meinem Kopf. Die Muster wurden größer, begannen sich zu überlappen. Und irgendetwas bewegte sich in seiner leeren Augenhöhle. Als ich erkannte, was es war, packte mich ein archaisches Grauen. Winzige Käfer wühlten sich aus den Tiefen seines Kopfes.

Ohne dass ich die Bewegung gesehen hatte, stand der alte Schamane urplötzlich auf seinen Füßen und ich konnte sein Gesicht besser erkennen. Hunderte metallischer Käfer nagten das Fleisch von seinem Schädel, tickend und klickend. Stück für Stück legten sie die weißen Knochen frei. Das blinde Auge begann zu zerfließen und rann langsam wie Schleim über seine Wange. Er reagierte nicht darauf, sondern streckte seine knochige Hand nach mir aus und zeigte auf mich, die spröde Haut spannte über seinen Knochen.

»Ich bin die Stimme der Seele«, sagte er. »Erkenne deine Wahrheit!« Dann veränderte sich das Fleisch seines Zeigefingers. Wie in Zeitraffer vertrocknete es und platzte von den Knochen. Ich begann zu schreien, als ich es sah: Unter dem Fleisch, verbunden mit glänzenden Gelenken und Sehnen aus Draht, zeigten sich messerscharfe Krallen aus Edelstahl.

Und während sich die Käfer unaufhaltsam durch sein Gesicht fraßen und einen Totenschädel freilegten, sprach er wieder: »Du wirst der einäugige Blinde sein!« Die Stimme dröhnte in meinem Schädel. Ich presste mir die Hände auf die Ohren, aber die Stimme des Sehers und das unermüdliche Klicken der metallischen Insekten hörten nicht auf.

In diesem Moment bemerkte ich die Käfer an meinen Beinen. Tausende von ihnen kamen aus dem Boden, krabbelten in meine Hosenbeine und nagten sich in mein Fleisch. Blut quoll durch meine Hose. Sie würden mich auffressen, aushöhlen. Unaufhaltsam. Der Schmerz war unerträglich. Vor der Höhle heulten wieder die Wölfe.

* * *​

Ich schrie. Und mit dem Schrei schreckte ich auf. Um mich herum war es dunkel und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Desorientiert versuchte ich, irgendetwas zu erkennen. Mein Herz raste, ich schnappte verzweifelt nach Luft und mein Auge schmerzte wie noch nie.

Aber neben mir regte sich ein warmer Körper. Ich spürte starke, sanfte Arme um mich und hörte Martins Stimme: »Ich bin hier. Du hast geträumt.« Er streichelte meinen Rücken.

Nur langsam beruhigte ich mich, als hätte mein Körper noch nicht begriffen, wo ich war. Der wilde Schlag meines Herzens wurde kaum langsamer und mein ganzer Oberkörper schmerzte vor Anspannung. Und noch immer hörte ich das entsetzliche Klicken der Käfer und das Heulen der Wölfe.

Martin hielt mich fest im Arm. »Sch … «, flüsterte er und wiegte mich hin und her, bis ich ruhiger wurde. Ich klammerte mich an ihn und streichelte immer wieder über seine lockigen Haare, sein Gesicht. Versuchte, es mit den Fingern zu erkennen, mich zu erinnern. Der Gedanke, dieses Gesicht nie mehr sehen zu können, war schrecklich.

Und dann verstand ich, was ich wirklich brauchte. »Ich will dich wieder sehen können«, brach es aus mir heraus. »Mehr als alles will ich dich sehen.« Ein Leben ohne seinen liebevollen Blick erschien mir schlimmer als alles andere. »Auch wenn es heißt, ein Cyborg zu werden: Ich werde die OP machen. Ich lasse mir das Auge einsetzen.«

Martin atmete seufzend aus. Er hielt mich immer noch im Arm und ich spürte, wie sich seine Anspannung löste.

Und endlich hörten die Wölfe in mir auf zu heulen.

 

Hallo C. Gerald Gerdsen,

eine seltsame Story, deren Sinn mir beim Lesen ein bisschen abhanden kam. Am Ende der Geschichte war mir nicht ganz klar, warum er dann der OP zustimmt - das hätte er ja gleich in der Spelunke tun können; so wirkte der Besuch beim Schamanen wie konstruiert und eingeschoben. zumal sich das ja dann als Traum entpuppt.
Auch werde ich den Eindruck nicht los, dass hier mitunter etwas aus SF-Filmen (edge of tomorrow) oder anderen Serien integriert wurde. Benutze eigene Ideen und Deine Phantasie, sie sind unbegrenzt. Cool fand ich die Aversion der Kneipenbesucher gegen künstliche Fragmente im Menschen - das war super beschrieben.
Hier so´n paar Sachen, die mir auffielen.

Das sah alles cool aus, aber wenn ich es gewusst hätte, wäre ich nicht hingegangen.

... das schlohweiße Haar über seiner blassen Haut erkennen.

Mit einer fließenden Bewegung, zog er ein paar Holzstäbchen aus seiner Tasche und warf sie auf den kleinen Tisch vor sich. (Komma nach Bewegung weg)

blaue, schwach leuchtende Linien (hier ein Komma hin)

Ohne dass ich eine Bewegung gesehen hatte, stand der alte Schamane ...

und einen grinsenden Totenschädel freilegten, (Knochen können nicht grinsen. Grinsen ist ein Spiel der Muskeln mit der Haut und dem Mund)

Danke für´s Veröffentlichen - liebe Grüße - Detlev

 

»Ich hätte kein Auge mehr, nur eine seelenlose Kamera. Metall und Technik im Kopf.«

"Putin lächelte: „Obama soll sich köstlich darüber amüsiert haben, dass Russland auf diese Weise ausgelöscht würde. Rache aus der Unterwelt, nannte er es."
Aus: Setnemides https://www.wortkrieger.de/threads/sibirische-löcher.55759/
(auch Peeperkorn hat sich schon ans Thema gewagt unter https://www.wortkrieger.de/threads/tunguska.56829/)

Tunguska -

ein wohl in Bälde häufiger anzutreffendes Thema (selbst die Zeit hat das Problem im Zeitmagazin vor einiger Zeit – nun frag mich nicht, welchen Jahrganges – angefasst mit einer relativ umfangreichen Reportage, aber interessant finde ich als Mythen-Narr Wuodan/Odin einzuführen, der ja auch durch seine Verkörperung im Hagen (dem einäugigen, mutmaßlich ersten „Kanzler“ auf deutschem Boden) am zugegeben monströsen Anfang deutscher, mündlich überlieferter Literatur steht.

Da prallt dann mit der möglichen Augenoperation die Moderne aufs Uralte, dass ich wieder einmal auf Karl Kraus’ Spruch zu sprechen komme, dass wir alle noch die alten Troglodyten sind, wenn auch auf technisch höherem Niveau.

Ich behaupte mal, ein gelungener Text, der eine andere Seite des Themas (ich würd in aller Bescheidenheit behaupten, weniger vom Weltuntergang als vielmehr dem Ende der Menschheit kündet (nicht zu verwechseln mit dem [zugegeben monströsen, kaum aufführbaren] Dramas „Die letzten Tage der Menschheit“ [das ich direkt neben den goetheschen „Faust“ setze],

und doch sei mir ein bisschen Ironie gestattet,

lieber – oder doch eher bitterböser C. Gerald Gerdsen,

wenn es anfangs heißt

Das Wodanasz war noch verrauchter als früher, die Schwaden schon Teil des Inventars.
und die Finanzbehörde sich fragen muss, ob nicht auch dieser „Teil des Inventars“ versteuert werden muss – und wenn schon das Auge als gesundheitlich gefährdetes Objekt begriffen werden darf – umso mehr jede einzelne Lunge ...

Paar Anmerkungen, etwa wenn hier

Das sah alles cool aus, aber wenn es gewusst hätte, wäre ich nicht hingegangen.
ein erstes „ich“ unterschlagen wird.
(so nebenbei wirkt das bedingungsetzende „wenn“ im Konjunktiv II entbehrlich. Probier mal selber aus.)

Er, der erfolgreiche UnternehmerKOMMA und ich, der spontane Gefühlsmensch.
(Der Hauptsatz reduziert sich auf die Ellipse er + ich)

Ich versuchte, mich zu beruhigen.
Komma weg!, es zerschlägt das komplexe Prädikat „zu beruhigen versuchen“; dto. hier
»Ich will an den Oberlauf der Steinigen Tunguska, um genau zu sein«, sagte ich und versuchte, meine Stimme zu beherrschen.

»Ich weiß, wo es ist, verdammt[...]…«
(Auslassungspunkte direkt am Wort behaupten, dass da mindestens ein Buchstabe fehlt – was m. E. nicht der Fall ist (sonst wäre ja auch ein Apostroph in seiner bescheidenen Ästhetik viel rationeller ...

Hier ein kleiner Schwächeanfall

»Und was ist mit den russisch-sibirischen Kämpfen?« frage er. »Du weiß nicht mal, ob die Reste der Cyborgov-Guerilla dort noch kämpfen.«
kommstu selber drauf …

hier

Martin verschränkte die Arme. »Warum?« fragte er, die Stimme mühsam gesenkt.
sicherlich auch

»Worüber redet ihr?« Sie war schon immer eine gute Zuhörerin gewesen.
Weg mit dem Gewese, oder ist sie keine gute Zuhörerin mehr?

Ähnlich lässt sich auch hier verfahren, wenn es heißt

Die ganze zermürbende Reise und jetzt Kalendersprüche? War das alles ein Fehler gewesen?

Mit einer fließenden Bewegung, zog er ein paar Holzstäbchen aus seiner Tasche und warf sie auf den kleinen Tisch vor sich.
Komma weg!

Wie dem auch wird -

gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @C. Gerald Gerdsen ,

die Geschichte würde ich gern mögen (das ging mir schon bei der ersten Fassung so, ich sehe grad - mit unklarer Erinnerung allerdings - keine wesentlichen Unterschiede). So richtig gelingt mir das aber nicht.

Das liegt zum einen an der Erzählhaltung bzw. -stimme, die alles für den Leser erklärt und ausformuliert, interpretiert, und das vermittelt eine starke Distanz. Das schreit eigentlich nach einem auktorialen / auktorial-personalen Erzähler, der immer mal zurücktreten und sich rausziehen kann. Wenn ein Icherzähler so extremen Ängsten und Erlebnissen ausgesetzt ist, wäre vllt. eine direktere, nähere Erzählhaltung geeigneter, die dann den Leser vllt. ein bisschen im Regen stehen und ihn einige Zusammenhänge selbst erkennen lässt.

Zum anderen geht es mir da bissl wie @Detlev : Worum geht es eigentlich? Du reisst sehr viele, sehr unterschiedliche Themen, Settings und Kulturen an. Das an sich ist keinesfalls Kritik, das kann ja was Innovatives ergeben. Aber hier sehe ich keine logischen / motivischen / symbolischen Zusammenhänge, das klingt recht arbiträr. Und dann bekomme ich - selbstverständlich möglicherweise völlig zu unrecht! - den Eindruck, der Autor habe sich selbst nicht groß um die Verknüpfung der Kontexte gekümmert. Ich versuche unten mal, das an Beispielen festzumachen.

Formal: Du hast sehr viele Absätze oder Zeilenumbrüche, wo keine hingehören. Gerade, wenn die Sätze Gewicht tragen sollen, wirkt es teenagehaft, als ob du Bedeutung forcieren müsstest. Wenn man einen Satz aus dem Textumfeld ohne Grund (Sprecher-/Setting-/Zeitenwechsel ...) isolieren muss, ist er entweder nicht aussagekräftig genug - dann macht die Position das aber nur deutlicher. Oder er ist gut formuliert und trägt die Bedeutungskraft, dann muss er nicht frei stehen.
Generell: Zeilenschaltung bei Sprecherwechsel (oder Fokus/Sprecherwechsel, wenn einer was macht und der andere was sagt), Szenenwechsel, Zeitenwechsel etc. Kein Zeilenumbruch und schon gar keinen Absatz, wenn dieselbe Person etwas tut und dann auch etwas sagt.

Spricht etwas dagegen, den Text ins Präsens zu setzen? Es geht ja hauptsächlich um akute Emotionen und Zukunftsangst, das finde ich schwierig, aus dem Rückblick gesehen. Dein Icherzähler muss den Leser anlügen, um es spannend zu halten, denn von wann aus erzählt er? Kommst du im allerletzten Satz im Jetzt an? Oder ist die OP bereits vorbei? Dann weiß er ja eigentlich, was passieren wird. Damit könntest du auch gleich die ganzen Hilfsverben umgehen.

Ich versuche mal aufzuzählen, welche Motive / Themen du hier drin hast:
- Skandinavische Traditionen aus christlicher Sicht (die originale ist nicht erhalten)
- SF: Cyborgs, spekulative Kriege und Fraktionen, eine Art Diktatur oder Polizeistaat (erscheint mir im Detail stark an District 9 angelehnt)
- Tunguska im spekulativen Aspekt (impliziert den Meteoriteneinschlag oder die X-Files?)
- Tunguska im ethnologisch-kulturellen Aspekt (Ewenken)
- Die - überwiegend fiktive - Rekonstruktion bzw. christliche Interpretation eines "nordischen Schamanismus", der so ja nie Fakt war. *)
- Die Andeutung eines aktuellen sibirischen Schamanismus, der damit aber nix zu tun hat (genauso wenig wie skandinavische und mitteleuropäische Götter miteinander, siehe: Odin und Wotan waren eigentlich völlig andere Figuren / Konzepte).
- eine Beziehungsgeschichte (da liegt aber wenig Konflikt, da beide nicht aneinander zweifeln und sich gleichermaßen lieben)
- Krebs
- ein folgenschwerer Unfall
- Erblinden
- Die Kneipe als stark bedeutungsvoll aufgeladenes Setting, wobei sich mir nicht erschließt, warum der Ort so detailreich beschrieben wird, mir sieht das wie eine typische Kiezkneipe aus. Es gibt so eine Idee (Jeff VanderMeer): Mit dem Ort beginnen, an dem die Geschichte aufhört, oder einen sehr guten Grund haben, warum es anders sein muss.

*) Dabei ist aber der nordische Schamanismus - da keiner monotheistischen Religion zugehörig - keine 'nationale' bzw. ländertypische, sondern eine lokaltypische Angelegenheit. Das scheint nur durch die christliche Sicht so vergleichbar / einheitlich zu sein (die wie die römisch-invasorische zuvor aus Ignoranz und quasi Rassismus alles in einen Topf warf). Odin ist vermutlich in den schriftlichen Darstellungen / Zeugnissen - wie inzw. für die Göttin wie den Ort Hel sowie die Valkyren inzw. gesichert und für Valhalla und das gesamte Pantheon angenommen - eine vollkommen fiktive Figur. Die sibirischen Völker haben zudem davon abweichende Vorstellungen.

Dann verknüpfst du die skandinavische Vikingerzeit mit sibirischen Kulturen bzw. Russland, aber dort gab es ja Vergleichbares: die Rus hatten - obwohl sie aus den Vikingfahrten hervorgingen - dann aber eigene Götter und Bräuche. Geografisch liegen die beiden Kulturen weit auseinander, die Rus gründeten u.a. Kyiv und Novgorod.
Vermutlich verrenne ich mich hier, aber das alles ergibt, dass ich mir schlecht ein Bild machen kann, was genau ich mir vorstellen soll, was deine angedachten Motive / Themen hier sind. Und das macht den Text für mich sehr schwammig, schwer greifbar, und damit kann mich das Drama daran nicht packen.

Irgendjemand hatte die ursprüngliche Bedeutung von Wodanasz ausgegraben und einen russisch angehauchten Odin entworfen.
Okay, das ist jetzt keine direkte Korrektur, so mag das passieren. Auf Ebene des Autors, der das plant, denke ich aber: Wodka ist kein rein russisches Produkt, den gabs ja ursprünglich ebenso in z.B. skandinavischen Ländern. Wohin "Odin" gehört. Und auch das rekonstruierte Wort Wōđanaz. Denn die Rus oder ähnlich entstandene Gemeinschaften hatten ja wie gesagt ganz andere Gottheiten und keinen "russischen Odin".

Das erscheint mir nun motivisch extrem um die Ecke gedacht. Und dann drängt sich mir der Verdacht auf, das mit den Bierdeckeln wäre alles nur so ungeheuer im Detail geschildert (sehr viel mehr als das Cyborg- oder das Krebs-Thema oder auch die Beziehung), um die spätere Motivkombi Odin-Schamane-Sibirien einzuleiten. Das macht dann imA das Gemachte des Textes deutlich, und dann denke ich, das hätte etwas kulturell 'gestreamlinet' vllt. besser funktionieren können.

Neokeltische Linienführung
Dito, sehr um die Ecke gedacht.
Es ist nicht falsch, weil die Vikingerzeit nach der keltischen lag. Aber das sagt eigentlich gar nix, denn die nordischen Länder schufen mit ihren Ornamenten keine Celtic Renaissance, das ist ein bisschen komplexer als - sagen wir - Barock und Neobarock oder Gotik und Neogotik.
Wäre es nicht besser, den Stil selbst zu benennen? Wenn das ähnlich der keltischen Ornamentik ist, wäre es wohl Borre oder Jelling. Alles davor und danach weicht stärker vom keltischen Einfluss ab - und dass es einen Einfluss gab, wurde erst in diesem Jahr von Historikern belegt. (In Verbindung mit Hochprozentigem witzig: Highland Park Malt Whisky designt v.a. im Urnes-Stil, der vermutlich am bekanntesten ist. :bier: )
Durch all die Viking-Franchises ist - falls du hier mit Leserwissen / -unwissen argumentieren möchtest - die skandinavische Kultur sicher bekannter als die keltische (anders als noch in den 80ern).
die beiden Raben – Odins fliegende Augen
Das klingt aber sehr humorig, hat mich rausgekickt. Grad in einer SF-Geschichte auch ungünstig, weil es einen alten Film mit dem Titel gibt.
Ist sicher Geschmackssache, aber ich finde, man sollte einen Blick aufs Register haben, wenn man von Göttern und Schamenen schreibt (und keinen Humor / Satire intendiert). Also eher dezentes Pathos als flapsige Alltagssprache.
So saß ich da, sprach mit Martin über den Krebs, der meine linke Netzhaut zerfressen hatte
Auch Ansichtssache und kein faktisches Argument, aber dieses 'zerfressen' klingt mMn stark nach dem Autor, der dem Leser eine Tragik vermitteln will, von Leuten, die an Krebs erkrankt waren, kenne zumindest ich das nicht (was nix heißen mag, klar!).
und von jedem Bierdeckel starrte mich ein einäugiger Gott an.
Wolltest du vermeiden, dass man denkt: Wie kann er den Bierdeckel sehen, wenn sein Shotglas draufsteht? So aber klingt es, als ob die Deckel überall an den Wänden lang dekoriert wären, wie Poster.
Ich spiele mal devil's advocate: Wozu brauchst du die Kneipe? Darum betreibst du fast Weltenbau, v.a. anfangs. Eigentlich hat das Setting aber keine Bedeutung. Sie stellt nur den Ort dar, an dem du alles verankern willst: Krankheit, Beziehung, Cyborgs, Sibirien ... Das hätte ich organisch entwickelt besser gefunden - bei den ganzen verschiedenen Themen und Motiven benötigst du ggfs. den fünffachen Umfang. Die Geschichte wäre es wert.
Martin hatte die beiden Stapel ordentlich vor sich liegen, den aus der Klinik und meinen eigenen.
Welche Stapel? (Ergibt sich zu spät, besser, das klar zu sagen, denn hier soll ja emotionales Engagement entstehen.) Und bei 'Stapel' denke ich eher an sowas, die sitzen doch aber wohl eher mit einer Mappe in einer Kneipe, oder?
Das ist Martin: strukturiert, präzise und zielstrebig. Er, der erfolgreiche Unternehmer und ich, der spontane Gefühlsmensch.
Das ist aber sehr praktisch, dass der Prota das grad so denkt, wenn man den zweiten Prota einführen müsste ... Ist auch noch an vielen anderen Stellen im Text so gelöst (das Video für die politische Lage u.a.), bissl 'heavy handed'.
Meine Hände waren blass und ich betrachtete unsere Ringe. Gold und Platin, [kein Komma] ineinander verschweißt. An jenem Dienstag war ich besonders dankbar, dass wir in all den Jahren zusammengeblieben waren.
dito.
Die zeitliche Verortung bringt nicht viel, wenn ich nicht weiß, wann Heute ist. Meine: Wie viel Abstand der Prota dazu hat, was inzw. gelöst oder passiert ist. Wenn er das aus der sicheren Distanz erzählt, fühle auch ich das Akute, Ungewisse nicht mehr.
Und: Dieses 'damals sah ich das soundso' impliziert ja, dass es Heute anders ist. Das funktioniert als Spannungsaufbau, Foreshadowing: Man fragt sich: Okay, was ist passiert seitdem? und liest weiter. Dieser Kunstgriff läuft allerdings ins Leere, wenn du gar nicht erwähnst, was denn Jetzt ist. "Zusammengeblieben waren" ist Plusquamperfekt - was aber ist Heute? Sind die beiden noch zusammen? (Warum dann diese bedeutungsschwere Ankuendigung, wenn sich doch nix veränderte?) Sind sie getrennt? (Wie kam es dazu und hat das was mit den Geschehnissen im Text zu tun?) Ist Martin tot? Du baust Spannung auf und machst dann nix damit.
Ich brauchte seinen kühlen Verstand. Meiner schien gerade zu zerbröseln.
Das dagegen gefällt mir sehr gut, weil es ein unmittelbarer Eindruck ist, der in dem Moment glaubhafter Gedanke ist.
Aber in mir war eine Furcht gewachsen, so unkontrollierbar wie der Krebs in meiner Netzhaut. Ich seufzte und drückte meine Hand auf den Verband. »Mein rechtes Auge ist Schrott, seit dem Unfall«, presste ich heraus. »Was soll ich machen, Martin. 15% Restsicht und jedes Jahr schlechter werdend.«
Wie, ein Auge ist durch den Unfall blind und das zweite droht, es durch den Krebs zu werden? Sicher nicht unmöglich, kommt mir aber in einer Geschichte ziemlich konstruiert vor. Da ist ja auch noch ein Thema dazu: Ein tragischer Unfall. Wie wäre es, beide Augen durch das gleiche Problem nacheinander blind werden zu lassen?
Einen Satz hatte ich die ganze Zeit vermieden. Jetzt sprach ich ihn aus: »Spätestens im Sommer werde ich blind sein.«
Dein Erzähler erklärt sehr viel, was direkt gesagt stärker wirkte. Grad so als direktes Foreshadowing funktioniert es für mich nicht. Hier vllt. mehr auf schnellere Entwicklung und einen gewissen Schockeffekt setzen?
Angst in meinen Eingeweiden zu beschreiben. »Ich hätte kein Auge mehr, nur eine seelenlose Kamera. Metall und Technik im Kopf.« Der Gedanke machte mir eine Scheißangst. Meine Hände zitterten, als ich die Worte fand. »Ich will kein Cyborg sein.«
Dito - sehr distanziert, und dann noch das Cyborgthema angerissen, vllt. einfach ein bisschen straffen?
Ich hätte kein Auge mehr, nur eine seelenlose Kamera
Wenn man im spekulativen Konzept "Seele" bleibt, ist ein Auge aber genauso schlicht funktionierend. Augenbilder und Kamerabilder entstehen ja beide nicht im Organ/Objekt, sondern im Gehirn.
Den letzten Satz hatte ich viel zu laut ausgesprochen. Von den Nachbartischen hörte ich grimmiges Murmeln und ich erinnerte mich an die hitzigen Diskussionen im Wodanasz und die Schilder an den Wänden. ‚No Cyborg‘, ‚никаких киборгов‘ und ‚Wir bedienen keine Cyborgs‘ stand in allen möglichen Sprachen über der Theke und an jeder Trennwand.
Das vermittelt nur Setting, ist nicht in die Geschichte eingebunden. Infodump.
Hier war der Kampf gegen Transhumanisten, Enhancer und Cyborgs besonders entschlossen und brutal geführt worden.
Dito.
Ich sehe den Konflikt des Erblindenden mit der OP und dem "Maschinenteil im Kopf" durchaus. Darauf kann man aufbauen. Diese politische Lage, das Anti-Cyborg-Terrorr-Regime, wird nur angerissen. Die Angst des Protas davor, die Auswirkungen, die es auf das Leben der Menschen hat, wird stiefmütterlich behandelt. Im Grunde brauchte es diesen diskriminierenden Staatsapparat gar nicht, um deinen Konflikt zu behandeln. Oder aber du gibst dem mehr Raum. Nicht nur mit ein paar Einwürfen vermittelt.
»Und noch einmal fünf Stunden zu Fuß«, gab ich zurück. Den patzigen Tonfall konnte ich mir nicht verkneifen. »Meine Beine sind ja in Ordnung.«
Zu nacherklärt. Dabei ist die wörtliche Rede hier sehr lebendig, fand ich auch witzig. Kommt doch schon alles durch, ohne dass mir der Erzähler nochmal sagt, wie er's meint.
»Und was ist mit den russisch-sibirischen Kämpfen?« frage er. »Du weiß nicht mal, ob die Reste der Cyborgov-Guerilla dort noch kämpfen.«
Infodump. Der fällt in Dialogen genauso, wenn nicht noch mehr, auf als in Retrospektiven oder Gedanken des Erzählers. Die ganze Kneipe dient im Grunde nur dazu, den ganzen Weltenbau und die Thematik auf so kurzer Strecke zu vermitteln - ich meine, das brauchte alles wesentlich mehr Platz, um wirken zu können und auch, um glaubhaft zu sein. An sich ist das ja alles eine tolle Sache, spannend und könnte ungewöhnlich werden (wenn das Arbiträre raus ist).
»Ein Schamane?« Er klang fassungslos. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
Hahaha, cool. Klingt natürlich und hat bissl Witz, ohne dem Ganzen die Dringlichkeit zu nehmen.
Fettes: Wieder nacherklärt, das hast du nicht nötig.
»Damals hab ich mich nicht zu ihm getraut. Aber sie sagten: ‚Er versteht Deine Seele‘.« Meine Worte klangen selbst für mich wie eine hohle Phrase. Also versuchte ich es nochmal: »Ich brauche seinen Rat. Ich will meine Seele verstehen, brauche Gewissheit.«
Ja, ich teile Martins Problem. Der zweite Satzteil ändert daran allerdings nix. Da müsste wenn schon was tatsächlich Ungewöhnliches kommen. Solche spekulativen Konzepte erfordern - auch wenn sie von einigen als real angesehen werden - im Grunde ebenso einen Weltenbau wie andere Fiktionen.
Martin schnaubte. Ich hätte wissen müssen, dass er mich nicht verstand. Mit ‚Seele‘ hatte er noch nie was anfangen können. Bei der OP waren meine Tränengänge entfernt worden. Also konnte ich nicht mehr weinen.
Bei der OP nach dem Unfall? Aber das war dann das eine Auge, was ist mit dem zweiten?
Die Kellnerin kam humpelnd an unseren Tisch und unterbrach die angespannte Stimmung, indem sie drei Wässerchen vor uns stellte. Seit Jahren litt sie unter Schmerzen, weil ihr Mann die künstliche Hüfte für sie ablehnte. Nicht einmal das war hier erlaubt. Trotzdem war sie immer noch die gute Seele des Wodanasz.
Eigentlich eine interessante Person, aber zu sehr deinem Infodump untergeordnet. Sie taucht ja nie wieder auf, und dafür ist das zu viel Erklärung zu ihr. Fände ich interessant, sie - in meiner möglichen extended version :naughty: - stärker in die Handlung einzubinden.
Schatten tanzten an den Wänden und irgendwo tropfte Wasser.
Wortwahl / Sicht vermittelt eine Gleichgültigkeit, die ich hier kontraproduktiv finde.
Es roch nach Harz und Kräutern. Schatten tanzten an den Wänden und irgendwo tropfte Wasser. Meine Füße steckten in dicken Wanderstiefeln, trotzdem spürte ich den weichen Boden. In der Luft lag der Geruch von Pelzen
Da muss ich nachjustieren. Gerüche vllt. stärker bündeln, oder durch eine Handlung / Ortswechsel entzerren.
Flatternde Flügeln
ohne -n
An die Reise hierher hatte ich nur noch schemenhafte Erinnerungen:
Es gibt echt viele Hilfsverben im Text. Da du eh ein Adjektiv hast, vllt: An die Reise erinnerte ich mich nur noch schemenhaft?
russisch sprechende Sitznachbarn
Bissl grob, das so einzuflechten - klar, was sonst?
nahezu unberührte Landschaft gelaufen sein
Keine Korrektur, aber hier musste ich grinsen: Kann man sicher mit Sibirien verbinden, das ist ja extrem weitläufig, aber da ist auch massig Industrie, Atommüll, Landschaftsveränderungen durch die Mammutausgrabungen etc.
Mit einer fließenden Bewegung, zog er ein
Kein Komma. Vorsicht: "Fließende Bewegung" ist grad in Verbindung mit Zauberern oder Schamanen schon bisschen abgenutzt. Und sehr filmisch beschrieben.
»Das Wichtige ist für die Augen unsichtbar«. Sein Russisch war schwer zu verstehen, die Stimme rau, als würde sie selten gebraucht. »Man sieht nur mit dem Herzen gut.« Zitierte er gerade den ‚Kleinen Prinzen‘? Das konnte nicht wahr sein. Die ganze zermürbende Reise und jetzt Kalendersprüche? War das alles ein Fehler gewesen?
Das ist imA ein absolutes No-Go.
Hier müsste jetzt Butter bei die Fische: Nach dem Vorgeplänkel in der Kneipe, der Reise, der ablehnenden Haltung Martins muss nun etwas kommen, das überzeugt. Nicht gleich Entkräftung, Humor. Hier ist nun dein Wendepunkt im Text, der muss das Ruder rumreissen, suspension of disbelief und so.
»Und was ist, wenn die ‚Wahrheit über Deine Seele‘ schlimmer ist als die Unwissenheit?«, hatte Martin gefragt. Er hatte recht gehabt. Ich fing an zu zittern.
Durch die Banalität der Schamanensprüche kann ich weder Tragik noch Spannung empfinden. Eine Rat hab ich nicht, das ist sicher sauschwer. Vielleicht Recherche?
Auf seiner Haut erschienen fraktale Muster, blaue[Komma] schwach leuchtende Linien,
Das finde ich cool, ein schönes Bild - allerdings sind Fraktale ja ganz anders als (eckige) Schaltkreise. Das wäre als sinnvolles, vereinheitlichtes - oder sich veränderndes - Motiv besser.
Als ich erkannte, was es war, packte mich ein archaisches Grauen. Winzige Käfer wühlten sich aus den Tiefen seines Kopfes.
So in einem Lovecraft-Pastiche nicht schlecht. Aber hier passt es nicht. Vertau besser dem Bild allein, keine Vorbeschreibungen, Erklärungen, ich muss es ja selbst sehen.
Ohne dass ich eine Bewegung gesehen hätte, stand der alte Schamane urplötzlich auf seinen Füßen
Hm. Eher comichaft, ist imA ein Streichkandidat. Die ganze Schamamensache ist sehr klischeehaft, vllt. noch mal nachjustieren?
Hunderte kleiner, metallischer Käfer nagten das Fleisch von seinem Schädel, tickend und klickend.
Käfer stellt man sich vermutlich klein vor, wenn nix anderes gesagt wird. Abgesehen davon: Sehr schöne Sensorik, tolles Bild.
Das blinde Auge schien zu zerfließen und rann langsam wie Schleim
Wenn es dann fließt, kann das Zerfließen nicht nur scheinen, sondern war wohl Fakt.
Das blinde Auge schien zu zerfließen und rann langsam wie Schleim über seine Wange. Er schien es nicht zu bemerken, denn er streckte seine knochige Hand nach mir aus und zeigte auf mich, die spröde Haut spannte über seinen Knochen.
WW, aber auch das zweite scheinen ist die falsche Wahl: anscheinend / offenbar bemerkte er es nicht. (Kann aber raus, bei einem Icherzähler ist letztlich alles 'anscheinend', es gibt ja keine auktorial-allwissende Instanz).
Wie in Zeitraffer schien es zu vertrocknen
:Pfeif:
Und während sich die Käfer unaufhaltsam durch sein Gesicht fraßen und einen grinsenden Totenschädel freilegten,
1. klischeehaft beschrieben (wie Friedel anmerkte, ist das Grinsen auch fehl am Platz)
2. Das wortreiche Erzählen vermittelt starke Distanz, wie aus dem Ohrensessel über einem Single Malt erzählt. Hier ist aber Panik, Entsetzen angesagt, da machen sich Ellipsen gut, fragementierte Sprache, ggfs. abgebroche Wörter oder Sätze sogar.
In diesem Moment bemerkte ich die Käfer an meinen Beinen. Tausende von ihnen kamen aus dem Boden, krabbelten in meine Hosenbeine und nagten sich in mein Fleisch. Blut quoll durch meine Hose. Sie würden mich auffressen, aushöhlen. Unaufhaltsam. Der Schmerz war unerträglich. Vor der Höhle heulten wieder die Wölfe.
Dito.
Die Wölfe sind für mich ein eindeutiger Streichkandidat (im gesamten Text). Wenn das nicht aus der Klischeebeschreibung /-konnotation geholt wird, besser ganz lassen. Du verlässt dich damit auch zu stark auf ein bestehendes Bild, das aber gar nicht richtig (siehe ganz oben) in deinem Text motivisch verankert ist.
Achillus hat mal einen interessanten Text geschrieben, der auch mit Mythen spielt, aber den Kitsch umgeht. Vielleicht hast du Lust, das im Vergleich anzusehen (und ja, das ist eine andere Art Geschichte, aber sie verbindet auch Zwischenmenschliches mit mystischer Natur und nordischen Mythenbildern): Nordic Doom.
Ich schrie. Und mit dem Schrei schreckte ich auf. Um mich herum war es dunkel und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Desorientiert versuchte ich, irgendetwas zu erkennen.
Zu wortreich, mehr Aktualität, Emotion durch die Sätze vermitteln, nicht nacherklärt behaupten.
Aber neben mir regte sich etwas, ein warmer Körper.
Akuter, schlichter: Neben mir regte sich ein warmer Körper. Durch Kommata abgesetzte Einschübe halten auf und vermitteln mehr Nachgedachtes als in diesem Moment angemessen wäre.
Ich spürte starke, sanfte Arme um mich und hörte Martins Stimme: »Ich bin hier. Du hast geträumt.« Er streichelte sanft meinen Rücken.
Got it!
Streicheln ist schon sanft (selbst, wenn man die Geste als Drohung meinte).
Nur langsam beruhigte sich mein Körper, als hätte er noch nicht begriffen, wo ich war.
Warum spaltest du hier den Erzähler so extrem von seinem Körper ab?
Martin hielt mich fest im Arm. »Sch… «, machte er
Also, hier dachte ich, du wolltest Scheiße abbrechen. BIssl blöd, im Englischen wäre das einfach Ssh.
Und machen ... da geht noch was! ;)
»Auch wenn es heißt, ein Cyborg zu werden: Ich werde die OP machen.«
OP machen ... hm. Da geht auch noch was.
Strenggenommen macht er sie ja auch nicht.
Martin atmete seufzend aus. Er hielt mich immer noch im Arm und ich spürte, wie sich seine Anspannung löste. Und endlich hörten die Wölfe in mir auf zu heulen.
Keine Wölfe. Die sind doch auch gar nicht richtig verankert, die tauchen immer mal am Rande auf, weil du Odin erwähnst und als Marker "jetzt wird es paranormal-mystisch". Zumindest bei mir funktioniert das nicht als Mystik-Trigger, weil der Text selbst davon auch etwas leisten sollte, und das tut er - zumindest imA - noch nicht. Ich hab nicht den Eindruck, dass die verwendeten Bilder selbst eine starke Aussage haben, sie wirken zu reingeklebt. Und es liest sich (das mag nicht so sein!), als ob du dich zu sehr auf diese Fremdwirkung verlassen hättest, dem keinen eigenen Dreh gegeben.

Zudem: Das ist - obwohl nicht die Endszene - letztlich ein Traumende. Was passiert denn eigentlich? Es ist ein potenziell konfliktreiches Gespräch in einer Kneipe, wobei es einmal um die allgemeine politische Lage und einmal um die körperliche Problematik des Erzählers geht. Dann entscheidet er sich zu einer Reise. Die findet aber gar nicht statt? Was alles ist denn geträumt? Schon die Kneipe? Das kann nicht sein, denn der Dialog am Schluss bedeutet, dass die alles tatsächlich besprochen hatten. Dann dient der Traum nur zur Entscheidungsfindung, aber - frech gesagt - das ist doch kein Plot.

Ich finde, die Geschichte hat massig Potential. Ich rate mal:
- Motive streamlinen (nicht mainstreamig machen, sondern die Konnotationen und kulturellen Hintergruende besser / sinnvoller verweben)
- Motive stärker / sinnvoller mit dem Plot zusammenbringen / integrieren
- Kneipenintro ganz wesentlich kürzen, die Kneipe nicht beschreiben, wie man Weltenbau bertreiben würde: Als wäre das alles etwas Nie-Gesehenes, Unvorstellbares. Oder aber: Die Details müssten für die Handlung einen Sinn ergeben (das sehe ich grad nicht, wie ...), nicht nur Infodump und Backstory einleiten. Wenn das mit dem Schamanenteil kein banaler Schlaftraum wäre, könnte die Geschichte auch dort aufhören, wo sie anfing. Und nicht im Bett. (Okay ... :sealed:)

Ich fände es wirklich klasse, wenn du deiner Geschichte mehr Raum geben und hier noch mal rangehen würdest. Der Text ist ja nicht mehr ganz neu, vermutlich hast du langsam den nötigen Abstand dazu.

P.S. Ist ein heisses Eisen, okay (weil es implizieren könnte, dass alle Schwulen "verweiblicht" wären, was ja in jeder Hinsicht Quark ist), aber es gibt eine interessante Verbindung zu "Odin": Bevor die sog. Heldengräber Skandinaviens neu untersucht wurden und festgestellt wurde, dass nicht alle Bestatteten Männer waren, ging man ja - durch wie gesagt die Sicht der Missionare - von einem Geschlechterverständnis aus, wie man es aus dem Mittleren Osten kannte / kennt (-> Christentum). In der christlichen Interpretation der nordischen Mythen und Kulturen war das Schamanentum extrem gegendert: Es soll die Völva/Vǫlva gegeben haben - immer Frauen -, und die Seiðr, die mit Schicksal / den Nornen verbunden waren und auch streng weiblich konnotiert. Entgegen nahezu jeglichen anderen Kulturen war das 'Schamanisieren' angeblich bei den Skandinaviern "unmännlich". Jeder männliche Seiðr hätte sich dem Spott ausgesetzt (was einem Rebellen wie Odin egal gewesen wäre).

Wenn du das klug angehst und eben diese sozialpolitischen Fallstricke vermeidest, hättest du eine grandiose Verbindung von deinem Schwulenpärchen zu deinem Einäugigen und dem Schamanenthema - hattest du das so gedacht? Das könnte imA ruhig wesentlich mehr Raum einnehmen, dann könntest du nämlich zwei Klischees mit einer Klappe erschlagen und deinem Text einen innovativen, persönlichen aber auch der tatsächlichen Historie angemessenen Dreh geben.

Ganz herzliche Grüße und dir noch einen schönen Sonntag,
Katla

 

Hallo @Friedrichard,

vielen Dank für Deine Spurenlese. Wie immer sehr gründlich. Ich hoffe, ich habe nichts übersehen und die Krümel beseitigt.

Was Tunguska und Sibirien angeht, habe ich es nicht wegen des "Tunguska-Ereignisses" ausgewählt, sondern weil es - meines Wissens - eine der der wenigen Gegenden der nördlichen Hemisphäre ist, wo es noch ursprüngliche Schamanen gibt. Sogar der Begriff Schamane kommt aus dem Sibirischen, wenn ich mich richtig erinnere.

Sonst trifft man oft amerikanisch-indigen ausgebildete oder angehauchte Schamanen oder Leute, die ihren Status und ihre Rituale aus fremden Traditionen ableiten, aber nicht eigentlich in einer wirklichen Kulturtradition stehen.

Ich werde mal in Deine Links hinein lesen.

Danke dir.

___

Hallo @Detlev,

auch Dir Danke für Feedback und Fehlersuche.

Ich fürchte ja, Du und Katla, ihr habt Recht. Der Text hat keinen richtigen Zusammenhalt. ich hatte auf Artbreeder ein Bild erstellt (das von einäugigen Schamanen) und das hat mich so fasziniert, dass ich eine Geschichte darum schreiben wollte. Aber da habe ich dann wohl zu viele Einäugige eingebaut.

LG
Gerald

___

Hallo @Katla,

wow, du hast Dir ja extrem viel Zeit genommen. Soviel gründliche Auseinandersetzung schüchtert mich gerade ein wenig ein.

die Geschichte würde ich gern mögen (das ging mir schon bei der ersten Fassung so, ich sehe grad - mit unklarer Erinnerung allerdings - keine wesentlichen Unterschiede). So richtig gelingt mir das aber nicht.
Schade. Ich freue mich über "ich würde die Geschichte gerne mögen".

Das liegt zum einen an der Erzählhaltung bzw. -stimme, die alles für den Leser erklärt und ausformuliert, interpretiert, und das vermittelt eine starke Distanz. Das schreit eigentlich nach einem auktorialen / auktorial-personalen Erzähler, der immer mal zurücktreten und sich rausziehen kann. Wenn ein Icherzähler so extremen Ängsten und Erlebnissen ausgesetzt ist, wäre vllt. eine direktere, nähere Erzählhaltung geeigneter, die dann den Leser vllt. ein bisschen im Regen stehen lässt und ihn einige Zusammenhänge selbst erkennen lassen muss. Zum anderen geht es mir da bissl wie @Detlev : Worum geht es eigentlich? Du reisst sehr viele, sehr unterschiedliche Themen, Settings und Kulturen an. Das an sich ist keinesfalls Kritik, das kann ja was Innovatives ergeben. Aber hier sehe ich keine logischen / motivischen / symbolischen Zusammenhänge, das klingt recht arbiträr. Und dann bekomme ich - selbstverständlich möglicherweise völlig zu unrecht! - den Eindruck, der Autor habe sich selbst nicht groß um die Verknüpfung der Kontexte gekümmert. Ich versuche unten mal, das an Beispielen festzumachen.
Ja, ich verstehe, was du meinst.

Formal: Du hast sehr viele Absätze oder Zeilenumbrüche, wo keine hingehören. Gerade, wenn die Sätze Gewicht tragen sollen, wirkt es teenagehaft, als ob du Bedeutung forcieren müsstest. Wenn man einen Satz aus dem Textumfeld ohne Grund (Sprecher-/Setting-/Zeitenwechsel ...) isolieren muss, ist er entweder nicht aussagekräftig genug - dann macht die Position das aber nur deutlicher. Oder er ist gut formuliert und trägt die Bedeutungskraft, dann muss er nicht frei stehen.
Generell: Zeilenschaltung bei Sprecherwechsel (oder Fokus/Sprecherwechsel, wenn einer was macht und der andere was sagt), Szenenwechsel, Zeitenwechsel etc. Kein Zeilenumbruch und schon gar keinen Absatz, wenn dieselbe Person etwas tut und dann auch etwas sagt.
Ich habe mal angefangen, das zu korrigieren.

Ich muss jetzt mal arbeiten gehen, aber ich gehe heute Abend oder morgen noch einmal auf deine Textkritik ein.

Nur zum "neokeltischen Stil", ich meine nicht, was die Wikinger gemacht haben, sondern das, was hippe Designer und Tattoo-Artists zur Zeit daraus machen:
https://www.qwertee.com/product/guardian-801 zum Beispiel. Du scheinst dich ja richtig auszukennen.

Liebe Grüße
Gerald

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @C. Gerald Gerdsen ,

ach du, ich kann mich nur nicht anständig kurzfassen - sieh's einfach so. :shy:

Keinen Stress bitte, aber da das voll meinen nedrigen Nerv trifft, ein "kurzer" Einwurf: Das T-Shirt Design ist auch skandinavisch (zumindest der obere Teil). Mammen-Stil, Dänemark, und ich meine, das ist an eine Axt mit Silber-Inlays oder das Oseberg Schiff angelehnt. Möglich, dass man das Design genau so wiederfinden würde, wenn man bissl sucht. Keltisch ist eher so, wobei es dort genauso verschiedene Stile gibt. Tierornamente v.a. in Folianten wie das Book of Kells (aber das wurde von Mönchen zur Vikingerzeit gemalt, ist also nicht wirklich keltisch, sondern orientiert sich nur daran) = innen flächiger und ich glaube nicht 'gepunktet', höchstens schraffiert.
Klar, es gibt aktuelle Mode-, Tattoo- und Schmuckmotive, die alles mixen. Und Anglo-Saxon Art (oder hier, beides Sutton Hoo Schiffsbegräbnis) sieht mal 'keltisch' und mal 'nordisch' aus, liegt historisch - aber nicht geografisch - dazwischen und ist fuer Laien wie mich teils schwer bis gar nicht zu unterscheiden.

Erm, ich bin schon still! :sealed::Pfeif:
Herzlichst, Katla

 

Hallo @Katla,

du bist echt klasse. Jetzt weiß ich, woher du das skandinavische nimmst. Aber das macht ja den Schamanen nicht zum Nordmann (zumindest nicht in meiner Phantasie). Grundsätzlich sehe ich aber, wo die Verwirrung herkommt. Ich habe viel zu viel in diesen Text hinein gepackt, was überhaupt nicht nötig wäre.

Ich nehme mir aber dennoch mal Zeit, deinen Kommentar zu überdenken und zu beantworten.

Am besten beginne ich mit den einfachen Fragen.

Spricht etwas dagegen, den Text ins Präsens zu setzen?
Nein, genau so, wie die Frage nach einem auktorialen Erzähler. Wäre durchaus denkbar.

Ich versuche mal aufzuzählen, welche Motive / Themen du hier drin hast:
- Skandinavische Traditionen aus christlicher Sicht (die originale ist nicht erhalten)
- SF: Cyborgs, spekulative Kriege und Fraktionen, eine Art Diktatur oder Polizeistaat (erscheint mir im Detail stark an District 9 angelehnt)
- Tunguska im spekulativen Aspekt (impliziert den Meteoriteneinschlag oder die X-Files?)
- Tunguska im ethnologisch-kulturellen Aspekt (Ewenken)
- Die - überwiegend fiktive - Rekonstruktion bzw. christliche Interpretation eines "nordischen Schamanismus", der so ja nie Fakt war. *)
- Die Andeutung eines aktuellen sibirischen Schamanismus, der damit aber nix zu tun hat (genauso wenig wie skandinavische und mitteleuropäische Götter miteinander, siehe: Odin und Wotan waren eigentlich völlig andere Figuren / Konzepte).
- eine Beziehungsgeschichte (da liegt aber wenig Konflikt, da beide nicht aneinander zweifeln und sich gleichermaßen lieben)
- Krebs
- ein folgenschwerer Unfall
- Erblinden
- Die Kneipe als stark bedeutungsvoll aufgeladenes Setting, wobei sich mir nicht erschließt, warum der Ort so detailreich beschrieben wird, mir sieht das wie eine typische Kiezkneipe aus. Es gibt so eine Idee (Jeff VanderMeer): Mit dem Ort beginnen, an dem die Geschichte aufhört, oder einen sehr guten Grund haben, warum es anders sein muss.
Stimmt. Extrem viel für eine Kurzgeschichte.

Ich habe allerdings nicht an skandinavische Kultur gedacht. Da ist wohl bei der Beschreibung der Kneipe der 'Erklärbär' mit mir durchgegangen. Ich habe an Ewenken gedacht, weil der Begriff Schamane ja aus Sibirien stammt. Den Odin hatte ich wegen der 'Einäugigkeit' mit hinein genommen. Die Kneipe, der Schamane und letztlich der Protagonist sollten sich alle um die Einäugigkeit drehen.

*) Dabei ist aber der nordische Schamanismus - da keiner monotheistischen Religion zugehörig - keine 'nationale' bzw. ländertypische, sondern eine lokaltypische Angelegenheit. Das scheint nur durch die christliche Sicht so vergleichbar / einheitlich zu sein (die wie die römisch-invasorische zuvor aus Ignoranz und quasi Rassismus alles in einen Topf warf). Odin ist vermutlich in den schriftlichen Darstellungen / Zeugnissen - wie inzw. für die Göttin wie den Ort Hel sowie die Valkyren inzw. gesichert und für Valhalla und das gesamte Pantheon angenommen - eine vollkommen fiktive Figur. Die sibirischen Völker haben zudem davon abweichende Vorstellungen. Dann verknüpfst du die skandinavische Vikingerzeit mit sibirischen Kulturen bzw. Russland, aber dort gab es ja Vergleichbares: die Rus hatten - obwohl sie aus den Vikingfahrten hervorgingen - dann aber eigene Götter und Bräuche. Geografisch liegen die beiden Kulturen weit auseinander, die Rus gründeten u.a. Kyiv und Novgorod.
Vermutlich verrenne ich mich hier, aber das alles ergibt, dass ich mir schlecht ein Bild machen kann, was genau ich mir vorstellen soll, was deine angedachten Motive / Themen hier sind. Und das macht den Text für mich sehr schwammig, schwer greifbar, und damit kann mich das Drama daran nicht packen.
Nach deinem zweiten Post verstehe ich dich ein wenig besser. Ich habe - wie gesagt - an sibirische Schamanen gedacht, aber im Grunde genommen nicht überlegt, ob der Odin da irgendwie hinein passt. Mein Fehler.

.
Irgendjemand hatte die ursprüngliche Bedeutung von Wodanasz ausgegraben und einen russisch angehauchten Odin entworfen.
Okay, das ist jetzt keine direkte Korrektur, so mag das passieren. Auf Ebene des Autors, der das plant, denke ich aber: Wodka ist kein rein russisches Produkt, den gabs ja ursprünglich ebenso in z.B. skandinavischen Ländern. Wohin "Odin" gehört. Und auch das rekonstruierte Wort Wōđanaz. Denn die Rus oder ähnlich entstandene Gemeinschaften hatten ja wie gesagt ganz andere Gottheiten und keinen "russischen Odin". Das erscheint mir nun motivisch extrem um die Ecke gedacht. Und dann drängt sich mir der Verdacht auf, das mit den Bierdeckeln wäre alles nur so ungeheuer im Detail geschildert (sehr viel mehr als das Cyborg- oder das Krebs-Thema oder auch die Beziehung), um die spätere Motivkombi Odin-Schamane-Sibirien einzuleiten. Das macht dann imA das Gemachte des Textes deutlich, und dann denke ich, das hätte etwas kulturell 'gestreamlinet' vllt. besser funktionieren können.
Hm, vielleicht hätte ich auf den Odin / Wodanaz ganz verzichten sollen.

Das erscheint mir nun motivisch extrem um die Ecke gedacht. Und dann drängt sich mir der Verdacht auf, das mit den Bierdeckeln wäre alles nur so ungeheuer im Detail geschildert (sehr viel mehr als das Cyborg- oder das Krebs-Thema oder auch die Beziehung), um die spätere Motivkombi Odin-Schamane-Sibirien einzuleiten. Das macht dann imA das Gemachte des Textes deutlich, und dann denke ich, das hätte etwas kulturell 'gestreamlinet' vllt. besser funktionieren können.
Ja. Wohl wahr.

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die beiden Raben – Odins fliegende Augen
Das klingt aber sehr humorig, hat mich rausgekickt. Grad in einer SF-Geschichte auch ungünstig, weil es einen alten Film mit dem Titel gibt.
Ist sicher Geschmackssache, aber ich finde, man sollte einen Blick aufs Register haben, wenn man von Göttern und Schamenen schreibt (und keinen Humor / Satire intendiert). Also eher dezentes Pathos als flapsige Alltagssprache.
Aber die Raben waren ja Odins "Kundschafter und Augen". Ich habe gar nicht an SciFi gedacht.

Ich spiele mal devil's advocate: Wozu brauchst du die Kneipe? Darum betreibst du fast Weltenbau, v.a. anfangs. Eigentlich hat das Setting aber keine Bedeutung. Sie stellt nur den Ort dar, an dem du alles verankern willst: Krankheit, Beziehung, Cyborgs, Sibirien ... Das hätte ich organisch entwickelt besser gefunden - bei den ganzen verschiedenen Themen und Motiven benötigst du ggfs. den fünffachen Umfang. Die Geschichte wäre es wert.
Was an der Geschichte erscheint dir denn erzählens- oder lesenswert? Ich habe ja offensichtlich viel zu viel hinein gepackt.

Welche Stapel? (Ergibt sich zu spät, besser, das klar zu sagen, denn hier soll ja emotionales Engagement entstehen.) Und bei 'Stapel' denke ich eher an sowas, die sitzen doch aber wohl eher mit einer Mappe in einer Kneipe, oder?
Das stimmt.

Das ist aber sehr praktisch, dass der Prota das grad so denkt, wenn man den zweiten Prota einführen müsste ... Ist auch noch an vielen anderen Stellen im Text so gelöst (das Video für die politische Lage u.a.), bissl 'heavy handed'.
Manchmal denke ich, ich sollte doch aufhören, zu schreiben. :aua:
Ich dachte, das ist so persönlich und direkt.

dito.
Die zeitliche Verortung bringt nicht viel, wenn ich nicht weiß, wann Heute ist. Meine: Wie viel Abstand der Prota dazu hat, was inzw. gelöst oder passiert ist. Wenn er das aus der sicheren Distanz erzählt, fühle auch ich das Akute, Ungewisse nicht mehr.
Und: Dieses 'damals sah ich das soundso' impliziert ja, dass es Heute anders ist. Das funktioniert als Spannungsaufbau, Foreshadowing: Man fragt sich: Okay, was ist passiert seitdem? und liest weiter. Dieser Kunstgriff läuft allerdings ins Leere, wenn du gar nicht erwähnst, was denn Jetzt ist. "Zusammengeblieben waren" ist Plusquamperfekt - was aber ist Heute? Sind die beiden noch zusammen? (Warum dann diese bedeutungsschwere Ankuendigung, wenn sich doch nix veränderte?) Sind sie getrennt? (Wie kam es dazu und hat das was mit den Geschehnissen im Text zu tun?) Ist Martin tot? Du baust Spannung auf und machst dann nix damit.
Ja, du hast ja Recht, auch wenn es weh tut.

.
Ich brauchte seinen kühlen Verstand. Meiner schien gerade zu zerbröseln.
Das dagegen gefällt mir sehr gut, weil es ein unmittelbarer Eindruck ist, der in dem Moment glaubhafter Gedanke ist.
Immerhin.

Wie, ein Auge ist durch den Unfall blind und das zweite droht, es durch den Krebs zu werden? Sicher nicht unmöglich, kommt mir aber in einer Geschichte ziemlich konstruiert vor. Da ist ja auch noch ein Thema dazu: Ein tragischer Unfall. Wie wäre es, beide Augen durch das gleiche Problem nacheinander blind werden zu lassen?
Stimmt.

Dein Erzähler erklärt sehr viel, was direkt gesagt stärker wirkte. Grad so als direktes Foreshadowing funktioniert es für mich nicht. Hier vllt. mehr auf schnellere Entwicklung und einen gewissen Schockeffekt setzen?
Ok.

Ich hätte kein Auge mehr, nur eine seelenlose Kamera
Wenn man im spekulativen Konzept "Seele" bleibt, ist ein Auge aber genauso schlicht funktionierend. Augenbilder und Kamerabilder entstehen ja beide nicht im Organ/Objekt, sondern im Gehirn.
Daran denkt er im Moment aber nicht. Dennoch hast natürlich prinzipiell recht.

Den letzten Satz hatte ich viel zu laut ausgesprochen. Von den Nachbartischen hörte ich grimmiges Murmeln und ich erinnerte mich an die hitzigen Diskussionen im Wodanasz und die Schilder an den Wänden. ‚No Cyborg‘, ‚никаких киборгов‘ und ‚Wir bedienen keine Cyborgs‘ stand in allen möglichen Sprachen über der Theke und an jeder Trennwand.
Das vermittelt nur Setting, ist nicht in die Geschichte eingebunden. Infodump.
:hmm:

»Ein Schamane?« Er klang fassungslos. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
Hahaha, cool. Klingt natürlich und hat bissl Witz, ohne dem Ganzen die Dringlichkeit zu nehmen.
Fettes: Wieder nacherklärt, das hast du nicht nötig.
Ja. Viel 'tell', wenig 'show'.

»Damals hab ich mich nicht zu ihm getraut. Aber sie sagten: ‚Er versteht Deine Seele‘.« Meine Worte klangen selbst für mich wie eine hohle Phrase. Also versuchte ich es nochmal: »Ich brauche seinen Rat. Ich will meine Seele verstehen, brauche Gewissheit.«
Ja, ich teile Martins Problem. Der zweite Satzteil ändert daran allerdings nix. Da müsste wenn schon was tatsächlich Ungewöhnliches kommen. Solche spekulativen Konzepte erfordern - auch wenn sie von einigen als real angesehen werden - im Grunde ebenso einen Weltenbau wie andere Fiktionen.
Oh, 'seelische Themen' sind - ganz unabhängig von Theologie oder Esoterik in unseren unbewussten Reaktionen sehr wirkmächtig. :)

Martin schnaubte. Ich hätte wissen müssen, dass er mich nicht verstand. Mit ‚Seele‘ hatte er noch nie was anfangen können. Bei der OP waren meine Tränengänge entfernt worden. Also konnte ich nicht mehr weinen.
Bei der OP nach dem Unfall? Aber das war dann das eine Auge, was ist mit dem zweiten?
Hm, plot hole.

Die Kellnerin kam humpelnd an unseren Tisch und unterbrach die angespannte Stimmung, indem sie drei Wässerchen vor uns stellte. Seit Jahren litt sie unter Schmerzen, weil ihr Mann die künstliche Hüfte für sie ablehnte. Nicht einmal das war hier erlaubt. Trotzdem war sie immer noch die gute Seele des Wodanasz.
Eigentlich eine interessante Person, aber zu sehr deinem Infodump untergeordnet. Sie taucht ja nie wieder auf, und dafür ist das zu viel Erklärung zu ihr. Fände ich interessant, sie - in meiner möglichen extended version :naughty: - stärker in die Handlung einzubinden.
Ja, ich mag sie auch. Andererseits habe ich noch keine Ahnung, in welche Richtung ein 'extended cut' gehen könnte.

nahezu unberührte Landschaft gelaufen sein
Keine Korrektur, aber hier musste ich grinsen: Kann man sicher mit Sibirien verbinden, das ist ja extrem weitläufig, aber da ist auch massig Industrie, Atommüll, Landschaftsveränderungen durch die Mammutausgrabungen etc.
Aber wir reden hier nicht von Sibirien im Allgemeinen, sondern von der hohen Tunguska mit dem Nationalpark nördlich von Wanawara.

»Das Wichtige ist für die Augen unsichtbar«. Sein Russisch war schwer zu verstehen, die Stimme rau, als würde sie selten gebraucht. »Man sieht nur mit dem Herzen gut.« Zitierte er gerade den ‚Kleinen Prinzen‘? Das konnte nicht wahr sein. Die ganze zermürbende Reise und jetzt Kalendersprüche? War das alles ein Fehler gewesen?
Das ist imA ein absolutes No-Go.
Hier müsste jetzt Butter bei die Fische: Nach dem Vorgeplänkel in der Kneipe, der Reise, der ablehnenden Haltung Martins muss nun etwas kommen, das überzeugt. Nicht gleich Entkräftung, Humor. Hier ist nun dein Wendepunkt im Text, der muss das Ruder rumreissen, suspension of disbelief und so.
Hm, meinst du, ich müsste jetzt tatsächlich schamanisches bringen? Jenseits der Buchenstäbchen?

Auf seiner Haut erschienen fraktale Muster, blaue[Komma] schwach leuchtende Linien,
Das finde ich cool, ein schönes Bild - allerdings sind Fraktale ja ganz anders als (eckige) Schaltkreise. Das wäre als sinnvolles, vereinheitlichtes - oder sich veränderndes - Motiv besser.
Oh, es gibt durchaus Schalkreise, die fraktale Qualitäten haben und nicht alle sind eckig. Aber ich sehe den möglichen Widerspruch.

Als ich erkannte, was es war, packte mich ein archaisches Grauen. Winzige Käfer wühlten sich aus den Tiefen seines Kopfes.
So in einem Lovecraft-Pastiche nicht schlecht. Aber hier passt es nicht. Vertau besser dem Bild allein, keine Vorbeschreibungen, Erklärungen, ich muss es ja selbst sehen.
Dabei wollte ich tatsächlich ein bisschen von Lovecraft in den Text bringen.

Und während sich die Käfer unaufhaltsam durch sein Gesicht fraßen und einen grinsenden Totenschädel freilegten,
1. klischeehaft beschrieben (wie Friedel anmerkte, ist das Grinsen auch fehl am Platz)
2. Das wortreiche Erzählen vermittelt starke Distanz, wie aus dem Ohrensessel über einem Single Malt erzählt. Hier ist aber Panik, Entsetzen angesagt, da machen sich Ellipsen gut, fragementierte Sprache, ggfs. abgebroche Wörter oder Sätze sogar.
Verstehe.

Allerdings empfinde ich Totenschädel durchaus als grinsend, das liegt an der Form des Kiefers und den frei liegenden Zähnen.

Aber neben mir regte sich etwas, ein warmer Körper.
Akuter, schlichter: Neben mir regte sich ein warmer Körper. Durch Kommata abgesetzte Einschübe halten auf und vermitteln mehr Nachgedachtes als in diesem Moment angemessen wäre.
Gemacht.

Ich spürte starke, sanfte Arme um mich und hörte Martins Stimme: »Ich bin hier. Du hast geträumt.« Er streichelte sanft meinen Rücken.
Got it!
Streicheln ist schon sanft (selbst, wenn man die Geste als Drohung meinte).
Ups.

Keine Wölfe. Die sind doch auch gar nicht richtig verankert, die tauchen immer mal am Rande auf, weil du Odin erwähnst und als Marker "jetzt wird es paranormal-mystisch". Zumindest bei mir funktioniert das nicht als Mystik-Trigger, weil der Text selbst davon auch etwas leisten sollte, und das tut er - zumindest imA - noch nicht. Ich hab nicht den Eindruck, dass die verwendeten Bilder selbst eine starke Aussage haben, sie wirken zu reingeklebt. Und es liest sich (das mag nicht so sein!), als ob du dich zu sehr auf diese Fremdwirkung verlassen hättest, dem keinen eigenen Dreh gegeben.
Och menno. Ich liebe Wölfe. Aber gut, ich verstehe.

Zudem: Das ist - obwohl nicht die Endszene - letztlich ein Traumende. Was passiert denn eigentlich? Es ist ein potenziell konfliktreiches Gespräch in einer Kneipe, wobei es einmal um die allgemeine politische Lage und einmal um die körperliche Problematik des Erzählers geht. Dann entscheidet er sich zu einer Reise. Die findet aber gar nicht statt? Was alles ist denn geträumt? Schon die Kneipe? Das kann nicht sein, denn der Dialog am Schluss bedeutet, dass die alles tatsächlich besprochen hatten. Dann dient der Traum nur zur Entscheidungsfindung, aber - frech gesagt - das ist doch kein Plot.
Ja, die Idee war, dass er die Reise nur träumt. Das reicht zur Entscheidungsfindung, aber du hast schon wieder Recht. Eigentlich kein Plot.

Ich finde, die Geschichte hat massig Potential. Ich rate mal:
- Motive streamlinen (nicht mainstreamig machen, sondern die Konnotationen und kulturellen Hintergruende besser / sinnvoller verweben)
- Motive stärker / sinnvoller mit dem Plot zusammenbringen / integrieren
- Kneipenintro ganz wesentlich kürzen, die Kneipe nicht beschreiben, wie man Weltenbau bertreiben würde: Als wäre das alles etwas Nie-Gesehenes, Unvorstellbares. Oder aber: Die Details müssten für die Handlung einen Sinn ergeben (das sehe ich grad nicht, wie ...), nicht nur Infodump und Backstory einleiten. Wenn das mit dem Schamanenteil kein banaler Schlaftraum wäre, könnte die Geschichte auch dort aufhören, wo sie anfing. Und nicht im Bett. (Okay ... :sealed:)
Hm, ich fange an zu denken.

Ich fände es wirklich klasse, wenn du deiner Geschichte mehr Raum geben und hier noch mal rangehen würdest. Der Text ist ja nicht mehr ganz neu, vermutlich hast du langsam den nötigen Abstand dazu.
Ich verspreche, dass ich es versuchen werde.

P.S. Ist ein heisses Eisen, okay (weil es implizieren könnte, dass alle Schwulen "verweiblicht" wären, was ja in jeder Hinsicht Quark ist), aber es gibt eine interessante Verbindung zu "Odin": Bevor die sog. Heldengräber Skandinaviens neu untersucht wurden und festgestellt wurde, dass nicht alle Bestatteten Männer waren, ging man ja - durch wie gesagt die Sicht der Missionare - von einem Geschlechterverständnis aus, wie man es aus dem Mittleren Osten kannte / kennt (-> Christentum). In der christlichen Interpretation der nordischen Mythen und Kulturen war das Schamanentum extrem gegendert: Es soll die Völva/Vǫlva gegeben haben - immer Frauen -, und die Seiðr, die mit Schicksal / den Nornen verbunden waren und auch streng weiblich konnotiert. Entgegen nahezu jeglichen anderen Kulturen war das 'Schamanisieren' angeblich bei den Skandinaviern "unmännlich". Jeder männliche Seiðr hätte sich dem Spott ausgesetzt (was einem Rebellen wie Odin egal gewesen wäre). Wenn du das klug angehst und eben diese sozialpolitischen Fallstricke vermeidest, hättest du eine grandiose Verbindung von deinem Schwulenpärchen zu deinem Einäugigen und dem Schamanenthema - hattest du das so gedacht? Das könnte imA ruhig wesentlich mehr Raum einnehmen, dann könntest du nämlich zwei Klischees mit einer Klappe erschlagen und deinem Text einen innovativen, persönlichen aber auch der tatsächlichen Historie angemessenen Dreh geben.
Da sind ja viele Ideen dabei. Ich schaue mal, ob und was ich aus dieser Geschichte machen könnte.

Ganz herzliche Grüße und dir noch einen schönen Sonntag,
Katla
Vielen lieben Dank.

Dir auch eine schöne Woche
LG
Gerald

 

Hallo @C. Gerald Gerdsen,

zu deiner Antwort ... ;)

Der Text hat keinen richtigen Zusammenhalt. ich hatte auf Artbreeder ein Bild erstellt (das von einäugigen Schamanen) und das hat mich so fasziniert, dass ich eine Geschichte darum schreiben wollte. Aber da habe ich dann wohl zu viele Einäugige eingebaut.
Ja, das Bild hatte ich gesehen - sowas kann ich nachvollziehen, auch bei Geschichten nach einem Song. So richtig hat bislang noch kein Text, der hier im Forum entsprechend eingestellt war, für mich funktioniert (Ich zeige nicht nur mit dem Finger, hab's selbst schon versucht und scheiterte daran, einen sinnvollen Plot darum zu stricken).

Ein Bild als Impuls, woran man dann aber eine runde Geschichte mit Charakteren, Entwicklungen und einem richtigen Plot hängt bzw. sich vielleicht weniger auf die erste, emotionale / assoziative Wirkung des Bildes / Songs verlassen, sondern dann stärker planen - so könnte es gehen.

Ich habe allerdings nicht an skandinavische Kultur gedacht. Da ist wohl bei der Beschreibung der Kneipe der 'Erklärbär' mit mir durchgegangen. Ich habe an Ewenken gedacht, weil der Begriff Schamane ja aus Sibirien stammt. Den Odin hatte ich wegen der 'Einäugigkeit' mit hinein genommen. Die Kneipe, der Schamane und letztlich der Protagonist sollten sich alle um die Einäugigkeit drehen.
Ah, das ist echt einfach ungünstig, denn wenn die Figur des Odin für etwas steht, ist es ja der Schamanismus, dieses Seher-Motiv. Es spräche ja nix dagegen, das zu kombinieren, aber imA sollte sich das irgendwie im Plot und/oder den Figuren widerspiegeln, nicht nur quasi isoliert auftauchen.
Nach deinem zweiten Post verstehe ich dich ein wenig besser. Ich habe - wie gesagt - an sibirische Schamanen gedacht, aber im Grunde genommen nicht überlegt, ob der Odin da irgendwie hinein passt. Mein Fehler.
Ja naja ... es gibt zwei Problemfelder (sag ich mal so): Man selbst wusste etwas nicht, der Leser aber hat Infos dazu. Oder man selbst hat recherchiert und bringt das Wissen unter, aber der Leser erkennt es nicht, weil er darüber nix weiß. Oder auch 3. Beide haben Wissen dazu, aber aus anderen Quellen und dann versteht der Leser es auch nicht wie intendiert.

2. und 3. kann man eigentlich nicht verlässlich verhindern. Aber Recherche halte ich grundsätzlich bei solchen Themen / Motiven für sinnvoll, weil es Texten eine solidere Basis gibt.

Hm, vielleicht hätte ich auf den Odin / Wodanaz ganz verzichten sollen.
Finde ich gar nicht, es ist eben nur ein auffälliges Symbol - wenn es sinnvoll verknuepft wird, ist das doch ein schöner, unverbrauchter Bezug, der dann auch als Einleitung / Einstimmung funktionieren kann (Recherche wird sicher helfen, selbst wenn du dann damit spielst).
Aber die Raben waren ja Odins "Kundschafter und Augen".
Ja, schon klar. Es klang nur etwas lieblos formuliert, das ist alles.
Was an der Geschichte erscheint dir denn erzählens- oder lesenswert? Ich habe ja offensichtlich viel zu viel hinein gepackt.
Ich finde, die Geschichte hat super spannende Motive und Charaktere, Konflikte. Momentan kommt es mir eben vor, als handelst du es zu flott ab und teils recht abstrakt. Man muss vielleicht nicht jedes Motiv / Konflikt an eine einzige Figur binden (das kann schnell zu gemacht wirken), aber wenn du diesen Terror-Staat nimmst, warum nicht Erlebnisse des Protas damit verknüpfen? Dann ist es keine abstrakte Info, sondern etwas, das ihn direkt emotional betrifft. Die Barfrau hat es ja direkt betroffen, aber sie ist nicht als emotionaler Anker eingebaut, sondern nur so am Rande erwähnt, und dann verpufft die Wirkung leicht.
Und wenn die beiden Männer zusammen sind, wird das denn toleriert? Oder sehen die zwei schon eine Gefahr oder sich bedroht, schon bevor die Cyborg / OP-Sache ins Spiel kam? Also, meine Kritik geht nicht gegen die Menge der Themen / Motive, sondern weil das in sehr wenig Abhängigkeit voneinander steht.

Was ich spannend finde: Grundsätzlich den unaufgeregten Tonfall, der mir nicht Tragik anträgt, sondern mir überlässt, wie mich das betrifft. Ich finde die Kombi Männerliebe-Odin-Seher-Schamanismus-Sibirien-Cyborgs super, weil du viele spannende Gegensatzpaare hast: Tradition vs SF, archaische Lebensweise vs neue Technologien, Anpassung vs Rebellion, was ist der Status quo, was ist das Andere, was bedeutet Identität im Hinblick auf Selbstwahrnehmung und Körperlichkeit? usw.
Das alles ist ja schon im Text. Was - mAn momentan noch - fehlt, sind die Verknüpfungen durch den Plot, die Entwicklungen und Konflikte der Figuren.

Manchmal denke ich, ich sollte doch aufhören, zu schreiben.
Absolut nicht. Ich hab bei deinen Texten (und v.a. durch deine wirklich interessanten Antwort-Komms dazu) oft den Eindruck, du überspringst die Phase zwischen Idee / Inspiration und Schreiben: die Planung. Das ist vielleicht manchmal eine wenig spassige Phase, weil da vieles infrage gestellt wird, was man sich so gedacht hat; wo Dinge wirklich passen müssen und nicht nur passend gemacht werden. Dabei hab ich keinen Zweifel, du hättest das Handwerkszeug zur Verfügung.
Ja. Viel 'tell', wenig 'show'.
Jein, es ging mir nicht ums show (ich mag starke Erzähler, die man durchaus wahrnimmt), es sind nur einfach Redebegleitsätze, die noch mal erklären, was eigentlich die wörtliche Rede bereits problemlos leistet. Die brauchst du doch gar nicht.
Oh, 'seelische Themen' sind - ganz unabhängig von Theologie oder Esoterik in unseren unbewussten Reaktionen sehr wirkmächtig.
Ja, ich meinte, 'Seele' ist ein metaphysisches Konzept - also esoterisch/religiös - und kein Fakt, also eine gefärbte Umschreibung, die dem Text durch die Wortwahl eben eine entsprechende Note verleiht. War nur ein Hinweis, dass es nicht neutral ist.
Hm, meinst du, ich müsste jetzt tatsächlich schamanisches bringen? Jenseits der Buchenstäbchen?
Ja, und zwar mehr mit den Figuren verwoben, nicht über reine Handlungen äußerlich gezeigt: jemand wirft Stäbchen etc. ist nur ein Bild. Aber Schamanismus hat ja Inhalte, Konzepte, Weltbilder - wenn du davon etwas in den Text nimmst, es für dich vielleicht veränderst oder sogar einen eigenen Schamanismus für diese Geschichte erfindest, dann wird es spannend.
Oh, es gibt durchaus Schalkreise, die fraktale Qualitäten haben und nicht alle sind eckig.
Oh, guck, ich hab keinen Plan. Dann ist das selbstverständlich sehr cool. (Siehe: Problem, wenn der Autor was weiß und der Leser nicht :schiel: - dann hab ich nix gesagt.)
Dabei wollte ich tatsächlich ein bisschen von Lovecraft in den Text bringen.
Das ist ja völlig okay, aber es ist nur an einer einzigen Stelle so, das fällt dann raus.
Allerdings empfinde ich Totenschädel durchaus als grinsend, das liegt an der Form des Kiefers und den frei liegenden Zähnen.
Sehe ich schon, aber es ist eben auch eine Phrase.
Och menno. Ich liebe Wölfe.
Ich auch. Aber das Motiv ist zu angerissen und daher wirkt es ausgelutscht - dann gib ihnen doch eine breitere Bühne, dass sie auch etwas Eigenständiges, Individuelles beitragen können.
Ich verspreche, dass ich es versuchen werde.
Bitte!
Das habe ich nie gesehen. Archetypen?
Archetypen sind ein schwieriges Konzept (das möglicherweise auf kultureller Ignoranz aufbaut), aber es ist eine sehr naheliegende Plotwahl. Ich wollte dir keinesfalls eine Kopie vorwerfen.

Also, alles nur meine 5 Cent, vielleicht kannst du etwas davon gebrauchen - ich jedenfalls finde, das alles hat ungeheures Potenzial, das sind ungewöhnliche Ideen. Scheu dich nicht, deine Texte kritisch zu sehen und da mehr in die Tiefe zu gehen, das können sie schon ab.

Herzlichst,
Katla

 

Hallo@C. Gerald Gerdsen,

insgesamt fand ich die Geschichte interessant. Dafür, dass es eine Kurzgeschichte ist, hast du viele Informationen eingebaut - nicht zu viele, wie ich finde, aber so viele, dass ich es als äußerst schade empfinde, dass das es "nur" eine Kurzgeschichte ist. Die Thematik mit den Transhumanisten und den Anti-Cyborg-Leuten, die Kriege, etc. Das alles weiter auszubauen hätte durchaus Potential, auch mit Gerald als Hauptfigur, der schwankt und nicht weiß, soll er oder soll er nicht. Durch die Geschichte mit dem Schamanen, die sich später (so zumindest habe ich es verstanden) als Traum herausstellt - also ich glaube, er hat die Reise nicht wirklich gemacht - gerät diese politische Dimension aus dem Fokus. Was ich schade finde, denn nicht einmal bei seiner Entscheidung am Ende, scheint das noch eine Rolle zu spielen. Außerdem scheint mir dieser Traum, den Gerald vom Schamanen hatte, auch eher dafür zu stehen, dass er die Technik ablehnen sollte. Die metallischen Käfer habe ich zumindest interpretiert, als die Technik, die den Körper nach und nach zerfrisst. Und dann am Ende, dass es gerade das Aufwachen ist und der Wunsch danach, Martins Lächeln wieder zu sehen, dass er sich deshalb für die Operation entscheidet, erscheint mir nicht rund. Nicht nachdem man als Leser das Gefühl hat, dass es eigentlich (fast) nur Argumente gegen die Operation gibt.
Ich hab auch ein paar Zitate raus kopiert, zu denen ich einzeln noch etwas sagen will:

»Und noch einmal fünf Stunden zu Fuß«, gab ich zurück. Den patzigen Tonfall konnte ich mir nicht verkneifen. »Meine Beine sind ja in Ordnung.«

Diese Stelle trifft genau meinen Humor. Super schön selbstironisch, da hab ich gelacht.

Dann zeigte die Kamera gefangene Cyborgs. Sie lagen oder saßen in langen Reihen an einer Mauer. Bei den meisten waren die Enhancements schon zerstört. Die schmerzverzerrten Gesichter und die typischen Muskelkrämpfe waren nicht zu übersehen. Ich hasste diese Propaganda-Videos.

Das ist genauso eine Stelle, bei der ich mir gewunschen habe, dass ich mehr lesen kann. Mehr über deine Welt und diesen Konflikt erfahren kann - aber natürlich ist es schwer, in einer Kurzgeschichte mehr davon einzubauen, weil der Fokus ja woanders liegt. Aber falls du dich jemals dazu entscheiden solltest, ein längeres Werk zu schreiben, was sich in diesem Bereich bewegt - melde dich bei mir, ich kann's kaum erwarten. ;)

Die Kellnerin kam humpelnd an unseren Tisch und unterbrach die angespannte Stimmung, indem sie drei Wässerchen vor uns stellte. Seit Jahren litt sie unter Schmerzen, weil ihr Mann die künstliche Hüfte für sie ablehnte. Nicht einmal das war hier erlaubt.

Das fand ich auch interessant. Irgendetwas scheint in dieser Zukunft passiert zu sein, dass die Menschen, die Enhancement ablehnen, nicht einmal mehr künstliche Hüften akzeptieren und das, puh, ja das wirft eine richtig große Frage auf. Also wirklich - ich brenne darauf, mehr zu erfahren. ^^"

Wie ich die Strecke eigentlich geschafft hatte, wusste ich nicht. In meinem Kopf verschwamm die Erinnerung mehr und mehr.

Das fand ich beim ersten Mal lesen ganz interessant, weil ich mir gedacht habe, dass der Weg für ihn sehr anstrengend gewesen sein muss - und wie es sein kann, dass er sich fast nicht mehr erinnert. Aber klar, später wacht er im Bett auf und insofern ist das natürlich ein sehr guter, versteckter Hinweis darauf, dass er die Sache nur geträumt hat - weil man sich im Traum ja auch fast nie daran erinnert, wie man wohin gekommen ist.

Und irgendetwas bewegte sich in seiner leeren Augenhöhle. Als ich erkannte, was es war, packte mich ein archaisches Grauen. Winzige Käfer wühlten sich aus den Tiefen seines Kopfes.
Das habe ich dir raus markiert, weil ich's einfach widerlich fand. Toll beschreiben und wirklich widerlich. Die ganze Szene. Alles. Das ganze zerfressen und überhaupt die Vision. Schrecklich gut.

Ohne dass ich die Bewegung gesehen hatte, stand der alte Schamane urplötzlich auf seinen Füßen und ich konnte sein Gesicht besser erkennen. Hunderte metallischer Käfer nagten das Fleisch von seinem Schädel, tickend und klickend.
Da hat es mich wirklich gewundert, dass es metallische Käfer sind, weil meine erste Vermutung war, dass der Schamane ihm etwas biologisches Zeigen wird, quasi den biologischen Zerfall von seinem Körper mit Würmern und Käfern und wie er zerfressen wird. Aber es schien dann doch so, als wäre der Schamane in seinem Traum auch eher gegen die Operation.

Und während sich die Käfer unaufhaltsam durch sein Gesicht fraßen und einen Totenschädel freilegten, sprach er wieder: »Du wirst der einäugige Blinde sein!«
Die Stelle fand ich interessant, vor allem aber deshalb, weil ich sie nicht verstehe. Der einäugige Blinde wäre er, wenn er die Operation nicht macht - so habe ich es verstanden. Die Vision vom Schamanen insgesamt, deutet darauf hin, dass er die Operation aber macht und dass das sein "Tod" sein wird - also zwecks der technischen Käfer, die ihn zerfressen und doch sagt der SChamane ihm nun, das ser der einäugige Blinde sein wird, heißt die OP nicht macht? Oder habe ich das falsch verstanden?

Ich schrie. Und mit dem Schrei schreckte ich auf. Um mich herum war es dunkel und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Desorientiert versuchte ich, irgendetwas zu erkennen. Mein Herz raste, ich schnappte verzweifelt nach Luft und mein Auge schmerzte wie noch nie.

Ja an der Stelle hast du mich erwischt. Ich hab est an dem Punkt gecheckt, dass alles nur ein Traum war. Also wirklich auch die Reise und alles was dazu gehört. ^^"

Und dann verstand ich, was ich wirklich brauchte. »Ich will dich wieder sehen können«, brach es aus mir heraus. »Mehr als alles will ich dich sehen.« Ein Leben ohne seinen liebevollen Blick erschien mir schlimmer als alles andere.

Hier ist mein größtes Problem mit der Geschichte. Das Ende scheint mir nicht ganz zu dem zu passen, mit all dem, was zuvor in der Geschichte passiert ist. Ich weiß leider auch nicht, wie du das lösen kannst, wenn du willst, dass Gerald sich letztich wegen dem liebevollen Blick dazu entscheiden soll, die Operation zu machen. Vielleicht müsstest du dann vorher schon öfter und mehr Fokus darauf legen, wie sehr er die Augen von Martin liebt, die Art wie er ihn ansieht, etc. so dass du als Leser zumindst nicht ganz das Gefühl hast, das kommt jetzt aus dem Nichts. Oder aber du nimmst es nicht als Hauptgrund dafür, dass er sich entscheidet, sondern als den letzten Schupfer, den er braucht um doch die OP zu machen - was du dadurch natürlich bestärken könntest, wenn man als Leser mehr das Gefühl hat, dass auch der SChamane im Traum ihn zur OP lenkt.

So, das wäre alles an Gedanken. Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr voll gelabert.

LG Lucifermortus

 

Hallo @Luzifermortus ,

vielen Dank für das ausführliche Feedback.

Ich denke, du hast den Finger in die Wunde dieser Geschichte gelegt. Ich habe mich von der Geschichte hinreißen lassen, hatte Lust an Worldbuilding, aber die Handlung hat keine inhaltliche Konsistenz. Die Cyborg-Kriege haben wenig mit dem Schamanen zu tun, der Schamane (ja, geträumt) wenig mit der Entscheidung am Schluss.

Auch @Katla hat schon die Anregung gegeben, ich solle doch die Geschichte ausbauen und in eine andere Richtung entwickeln.

Im Moment schaffe ich das zeitlich nicht, aber ich werde es mir als Projekt noch einmal vornehmen.

Also vielen Dank und du hast mich nicht "zugelabert". Im Gegenteil.

LG
Gerald

 

Moin @C. Gerald Gerdsen,

vielen Dank für Deine Geschichte. Ich dachte, ich revanchiere mich mal für Deinen letzten Besuch bei einer meiner KGs. :)
Ich hatte bereits die erste Version gelesen, kam damals aber nicht zum Kommentieren.
Die vorherigen Kommentare habe ich bloß grob überflogen, dies zur Info, sollte es sich doppeln.

Generell las sich die Geschichte um Gerald und Martin für mich sauber weg. Keine größeren Stolpersteine, wenn überhaupt habe ich mich an ein paar wenigen Formulierungen oder "Plotholes" gestoßen, vielleicht ist etwas dabei, was Dir weiterhilft:

Selbst die Tablets mit den Menüvorschlägen waren abgegriffen und verblasst.
Hier wollte das Bild eines "verblassten" Tablets nicht so richtig greifen. Ich würde es vlt. gegen "speckig" oder "pekig" oder so austauschen, obwohl das dann durch das "abgegriffen" schon wieder redundant sein könnte. Hm ... vielleicht hat ihr Tablet ja auch einen Sprung, im Plexiglas?

Das sah alles cool aus, aber hätte ich es gewusst, wäre ich nicht hingegangen.
Das ist auf das Logo der Kneipe bezogen, richtig? Hat sich im ersten Moment für mich nicht erschlossen.

Martin hatte die beiden Stapel ordentlich vor sich liegen, den aus der Klinik und meinen eigenen.
Stapel wovon? Du erwähnst vorher nicht, was dort liegt, oder habe ich etwas überlesen?

Aber in mir war eine Furcht gewachsen, so unkontrollierbar wie der Krebs in meiner Netzhaut.
Dass der Krebs die Netzhaut zerfrisst, hast Du erst wenige Sätze zuvor erzählt. Könntest Du mMn hier streichen und durch "wie der Krebs selbst" ersetzen.

Was soll ich machen, Martin.
Die beiden sind seit Jahren ein Paar. Und dann nennt er ihn beim Vornamen? Kein Kosename, keine Verniedlichung? Kam mir ein wenig komisch vor, aber das kann auch bloß an mir liegen. :sealed:


Zwei Flyer mit Infografiken, die die Vorteile der neuen Technik anpriesen: Auflösung Ultra12K, NachtsichtModus, MakroVision mit Zoom, mRNA-Technik für den Kontakt zum Sehnerv, BioIonen-Akku und so weiter. Das volle Programm.
Die Aufzählung der kybernetischen Technik hat mir sehr gut gefallen.

Von den Nachbartischen hörte ich grimmiges Murmeln und ich erinnerte mich an die hitzigen Diskussionen im Wodanasz und die Schilder an den Wänden. ‚No Cyborg‘, ‚никаких киборгов‘ und ‚Wir bedienen keine Cyborgs‘ stand in allen möglichen Sprachen über der Theke und an jeder Trennwand. Hier war der Kampf gegen Transhumanisten, Enhancer und Cyborgs besonders entschlossen und brutal geführt worden. Ich versuchte mich zu beruhigen. Bloß nicht auffallen, dachte ich. Um mich herum saßen dutzende Soldaten und Söldner der AntiCyborg-Allianz mit dem ACA-Logo auf ihren Overalls. Mindestens die Hälfte der Gäste hatte kleine Electrocuter in der Tasche.
Das kommt für mich ein wenig spät im Text. Auch dass er sich an die Schilder "erinnert", die sollten ihm bereits kurz nach dem Eintritt in die Kneipe aufgefallen sein und sind, so wie ich es verstehe, selbst von seinem Platz aus allgegenwärtig? Wenn Du es früher im Text einflechtest, könntest Du es mMn gut als Foreshadowing benutzen. Und der letzte Satz ist wohl eine Mutmaßung Deines Protas, oder hat er sämtliche Taschen der anderen Gäste kontrolliert?

Mein Auge schmerzte, also tippte ich auf den Auslöser meiner Tilidin-Pumpe und gab mir eine weitere Dosis. Nach zehn langen Sekunden spürte ich endlich die Wirkung und atmete erleichtert durch.
Nettes Detail, mit der Schmerzmittelpumpe.

»Und was ist mit den russisch-sibirischen Kämpfen?«, frage er. »Du weißt nicht mal, ob die Reste der Cyborgov-Guerilla dort noch kämpfen
Wiederholung, vielleicht die ersten Kämpfe durch "Konflik" o.ä. ersetzen?

Bei der OP waren meine Tränengänge entfernt worden. Also konnte ich nicht mehr weinen.
Wurden ihm beide Tränenkanäle entfernt? Das eine Auge ist doch noch i.O., oder? Oder hängen die zusammen? Ernstgemeinte Frage, ich habe keinen blassen Schimmer. :google:

Es roch nach Harz und Kräutern. Schatten tanzten an den Wänden und irgendwo tropfte Wasser. Meine Füße steckten in dicken Wanderstiefeln, trotzdem spürte ich den weichen Boden. In der Luft lag der Geruch von Pelzen und ich vermutete, dass der Seher die Höhle mit Fellen ausgelegt hatte.
Erst riecht es nach Harz und Kräutern (da könntest Du übrigens gerne noch präzisieren). Zwei Sätze später liegt der Geruch von Fellen in der Luft. Vielleicht lässt Du ihn erst tiefer in die Höhle vordringen, bevor die Aromen sich ändern?

An die Reise hierher hatte ich nur noch schemenhafte Erinnerungen: Flugzeuge, Wartesäle, russisch sprechende Sitznachbarn und der ohrenbetäubende Lärm der Antonov mit ihrem stoischen Piloten.
Er hat als Passagier den Piloten kennengelernt und dann auch noch aus dieser Begegnung mitnehmen können, dass der Mann stoisch ist? Würde ich streichen oder ausbauen, wenn wichtig.

Ich begann zu schreien, als ich es sah:
Ich dachte mir: Würde er „nur“ schreien oder nicht auch versuchen zu flüchten, panisch auf dem Hintern vom Feuer wegzukriechen oder was weiß ich. Falls er eher starr vor Angst ist, würde ich das noch versuchen einzubauen, sonst wirkt es ein wenig schablonenhaft (kann es gerade nicht besser beschreiben, sorry).

Insgesamt hat mich die KG gut unterhalten, Den SF-Aspekt fand ich interessant, der ganze "Odin / Schamane-in-der-Höhle / Alptraum"-Anteil hat mich aufgrund der erzählerischen Distanz und zu wenig Momentum an den richtigen Stellen aber nicht so richtig packen können.

Gerne gelesen,
beste Grüße
Seth

 

Hallo Seth,

danke für Deinen "Gegenbesuch" bei meiner Geschichte.

Generell las sich die Geschichte um Gerald und Martin für mich sauber weg.
Das freut mich.

Selbst die Tablets mit den Menüvorschlägen waren abgegriffen und verblasst.
Hier wollte das Bild eines "verblassten" Tablets nicht so richtig greifen. Ich würde es vlt. gegen "speckig" oder "pekig" oder so austauschen, obwohl das dann durch das "abgegriffen" schon wieder redundant sein könnte. Hm ... vielleicht hat ihr Tablet ja auch einen Sprung, im Plexiglas?
Ich habe mal versucht, das umzugestalten und auch die Schilder schon mal eingebaut .Oder sollte ich hier schon auf das Anti-Cyborg-Thema der Schilder eingehen?

Das sah alles cool aus, aber hätte ich es gewusst, wäre ich nicht hingegangen.
Das ist auf das Logo der Kneipe bezogen, richtig? Hat sich im ersten Moment für mich nicht erschlossen.
Auch hier etwas gekürzt

Martin hatte die beiden Stapel ordentlich vor sich liegen, den aus der Klinik und meinen eigenen.
Stapel wovon? Du erwähnst vorher nicht, was dort liegt, oder habe ich etwas überlesen?
Darüber ist schon mal jemand gestolpert. Ich habe das auch umformuliert.

Dass der Krebs die Netzhaut zerfrisst, hast Du erst wenige Sätze zuvor erzählt. Könntest Du mMn hier streichen und durch "wie der Krebs selbst" ersetzen.
Stimmt, auch hier gestrafft.

Die beiden sind seit Jahren ein Paar. Und dann nennt er ihn beim Vornamen? Kein Kosename, keine Verniedlichung? Kam mir ein wenig komisch vor, aber das kann auch bloß an mir liegen. :sealed:
Hm, "Schatz" oder "Bär" erscheint mir an dieser Stelle aber nicht passend. Aber ich verstehe, wieviel Liebe und Vertrautheit haben die Beiden eigentlich?

Die Aufzählung der kybernetischen Technik hat mir sehr gut gefallen.
Danke.

Das kommt für mich ein wenig spät im Text. Auch dass er sich an die Schilder "erinnert", die sollten ihm bereits kurz nach dem Eintritt in die Kneipe aufgefallen sein und sind, so wie ich es verstehe, selbst von seinem Platz aus allgegenwärtig? Wenn Du es früher im Text einflechtest, könntest Du es mMn gut als Foreshadowing benutzen. Und der letzte Satz ist wohl eine Mutmaßung Deines Protas, oder hat er sämtliche Taschen der anderen Gäste kontrolliert?
Das sollte ich vermutlich noch ausbauen. Andererseits nimmt das Thema der Cyborg-Kriege ja irgendwie keine richtigen plot-relevanten Teil ein. Ich bin echt noch unschlüssig.

Nettes Detail, mit der Schmerzmittelpumpe.
:thumbsup:

An die Reise hierher hatte ich nur noch schemenhafte Erinnerungen: Flugzeuge, Wartesäle, russisch sprechende Sitznachbarn und der ohrenbetäubende Lärm der Antonov mit ihrem stoischen Piloten.
Er hat als Passagier den Piloten kennengelernt und dann auch noch aus dieser Begegnung mitnehmen können, dass der Mann stoisch ist? Würde ich streichen oder ausbauen, wenn wichtig.
In einem Doppeldecker kriegt man das schon mit. Die Kabine ist ja klein. Aber ich weiß nicht, ob das wichtig ist.

Ich dachte mir: Würde er „nur“ schreien oder nicht auch versuchen zu flüchten, panisch auf dem Hintern vom Feuer wegzukriechen oder was weiß ich. Falls er eher starr vor Angst ist, würde ich das noch versuchen einzubauen, sonst wirkt es ein wenig schablonenhaft (kann es gerade nicht besser beschreiben, sorry).
Coole Idee. Im Moment fehlt mir noch die Fähigkeit, das wirklich umzusetzen.

Insgesamt hat mich die KG gut unterhalten, Den SF-Aspekt fand ich interessant, der ganze "Odin / Schamane-in-der-Höhle / Alptraum"-Anteil hat mich aufgrund der erzählerischen Distanz und zu wenig Momentum an den richtigen Stellen aber nicht so richtig packen können.
OK, danke für das Feedback.

Katla hat mich ja auch schon motiviert, die Geschichte insgesamt noch einmal umzuformulieren, und die Begegnung mit dem Schamanen zu intensivieren (und dafür die skandinavischen Referenzen zu reduzieren).

Vielen Dank und liebe Grüße
Gerald

 

Hallo @C. Gerald Gerdsen,
ich hatte den Einäugigen vor ein paar Wochen zum Einschlafen gelesen, nach einem langen Arbeitstag, und wollte doch noch einmal vorbeischauen, sehen, was daraus geworden ist und natürlich auch zurückmelden, das mir dein Text gefallen hat und irgendwo seine kleine Spur gelassen hat.
War natürlich anspruchsvoll zu lesen, die Verquickung von Beziehung und dezenter SF mit Magie (?). Aber letztlich hat für mich die einfache Grundgeschichte (Protagonist trifft Lebensentscheidung nicht nach dem Kriterium Identität, sondern Beziehung) die Enden doch wieder zusammengeführt, naja, meistenteils.

Und hier die zweidrei Anmerkungen:

»Komm, lass uns mal wieder hingehen«, hatte Martin vorgeschlagen, als ich ihn aus der Klinik angerufen hatte. »Wie damals, beim ersten Date.«
Hm. Der Protagonist hat eine ganz schlechte Nachricht aus der Klinik, und sein Mann sagt am Telefon: Achguckma, gehen wir doch ins W., da waren wir so lange nicht mehr, kannste mir in Ruhe alles erzählen.
Ich halte es doch für wahrscheinlicher, dass der Erzähler bestimmt, wo er seinem Mann von dem Gespräch mit dem Oberarzt erzählen will. Und es ist gut nachvollziehbar, dass er den radicalen Anti- Cyborg-Laden wählt, um die Entscheidung, die er im Begriff ist zu treffen, und die Martin nicht gefallen wird, besser verteidigen zu können.


Die letzte Besprechung mit dem Oberarzt steckte mir immer noch in den Knochen. Er hatte sich vorsichtig ausgedrückt, versucht, den Schlag abzumildern.
Da musste ich kurz zurückblättern: welche Besprechung? Die jetzt gerade vor einer halben Stunde? Und steckt ihm immer noch in den Knochen, wo es doch schon eine halbe Stunde her ist, dass man ihm gesagt hat, er wird blind? Man könnte natürlich sagen: die Besprechung mit dem Oberarzt steckte mir noch in den Knochen. Andererseits kann man den Satz auch ganz weglassen: Der Oberarzt hatte versucht...


Das alles wirkte so irreal.
Da dem Leser noch nicht mitgeteilt wurde, dass er sich im Traum des Erzählers befindet, ist es m.E. eleganter, den Hinweis darauf, dass der Traum irreal wirkte, wegzulassen.

Und damit sind wir auch schon beim Traum:
Den Traum habe ich leider gar nicht verstanden. Beim ersten Lesen schien es mir so, dass der Blick in die eigene Seele so ein Horrortrip ist, dass er sich im Traum schon dagegen entscheidet. Bin mir aber nicht sicher. Auch nicht, ob die Käfer für die Maschinen stehen oder nicht - metallisch, Klicken - man denkt da an anorganisches Material. Und das Metall unter der Haut, heißt das, der Seher ist ein Cyborg?
Das muss natürlich nicht supersauber aufgelöst werden, kann auch gern psychedelisch verrutschen (Saint-Exupéry als mögliche Tür ein eine Art Disney-Eso-Horror, falls es das gibt), aber ein Geländerchen wäre hilfreich.

Wie gesagt, sehr gern gelesen, erinnert und wieder gelesen.

Lieben Gruß
Placidus

 

Hallo @Placidus,

danke für das schöne Feedback. Ich hatte den Einäugigen in der Form schon aufgegeben, aber deine Anmerkungen im werde ich noch einbauen, die finde ich sehr gut. Ich werde sie einbauen, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin.

LG Gerald

 

Hi Gerald,

Was mir besonders positiv auffällt, sind deine eindringlichen Beschreibunge, die alle Sinne ansprechen::

Das Wodanasz war noch verrauchter als früher, die Schwaden schon Teil des Inventars. Sie hingen in der Luft, krochen in meine Klamotten und bissen in der Nase.
Der Rauch roch nach Harz und Kräutern. Schatten tanzten an den Wänden und irgendwo tropfte Wasser.

Auch fand ich die Hintergrundinfos sehr interessant, aber mit dem Plott, Speziell, nachdem er aufwacht, und es war nur ein Traum und sich dann für das neue Auge entscheidet, nicht recht schlüssig:

Mir erschließt sich der Zusammenhang mit Traum und seiner Entscheidung nicht:

Ich finde die Ausgangslage, besonders den Rückblick auf das Gespräch mit dem Arzt sehr interessant und die Geschichte macht auf jeden Fall Lust aufs Weiterlesen.

Mir käme es logischer vor, wenn er zum beispiel wirklich beim Seher gewesen wäre - der ihm gesagt hätte, Blindheit wäre okay, er sich dann aber , warum auch immer, ich kann den Grund für den Meinungsumschwung wie gesagt nicht nachvollziehen , soll es vielleicht die lange Trennung von seinem Partner gewesen sein, sie erschließt sich mir aus dem Text nicht.

Wenn schon Traumsequenz, dann würde mir gefallen, dass sie vom Seher quasi als Fernheiltherapie eingeleitet wurde - das käme dann dem Horrorgenre besser entgegen und vielleicht lässt sich die Therapiestunde ja nicht so leicht beenden...


lg
Bernhard

 

Hallo Bernhard,

Was mir besonders positiv auffällt, sind deine eindringlichen Beschreibunge, die alle Sinne ansprechen::
Das freut mich.

Mir erschließt sich der Zusammenhang mit Traum und seiner Entscheidung nicht
Ja, das ist das größte Problem dieser Geschichte. Der Plot funktioniert einfach nicht. Ich habe die Geschichte letztlich schon aufgegeben, weil ich zwar die einzelnen Szenen mag, aber keinen sinnvollen Handlungsbogen mehr hinbekommen habe.

Wenn schon Traumsequenz, dann würde mir gefallen, dass sie vom Seher quasi als Fernheiltherapie eingeleitet wurde - das käme dann dem Horrorgenre besser entgegen und vielleicht lässt sich die Therapiestunde ja nicht so leicht beenden...
Das wäre eine spannende Idee. Sollte ich mir dieses Geschichte irgendwann noch einmal vornehmen, denke ich darüber nach.

Vielen Dank für die Kommentare und
Liebe Grüße
Gerald

 

Moin, @C. Gerald Gerdsen!

Ich habe erst nach dem Lesen deiner Geschichte gemerkt, dass sie schon älter ist, aber wurschd, ich lasse dir trotzdem gern meinen Eindruck da:
An sich ging es mir genauso wie den meisten meiner Vor-Kommentatoren, dass die drei Szenen (Kneipe, Traumsequenz und die kurze Passage im Bett) ziemlich zusammenhangslos aneinander gekettet sind und die Eine nicht richtig zu der nächsten führt. Da gehe ich also nicht weiter drauf ein. Das fand ich halt nur schade, weil zu Anfang bin ich super in deinen Text reingekommen, ich mag deine Erzählweise und auch dein Tempo. Das Infodumping fand ich gar nicht so schlimm, andere haben sich dran gestört, aber ich fand es war alles noch im Rahmen. Bin aber auch ein Fan was Ausschmückungen angeht wie z.B. deine Beschreibung der Spelunke. Was das Worldbuilding angeht, finde ich es in einer Kurzgeschichte nicht so schlimm, wenn das meiste nur angedeutet wird. Ist ja kein Roman, und ich finde, man hat bei dir trotz der knappen Beschreibungen ausreichend mitbekommen, wie diese Welt im Groben funktioniert :thumbsup:
Ab der Schamanenszene bin ich dann aus bereits erwähnten Gründen rausgekommen. Schade, dass du den Text aufgegeben hast, wobei ich das nachvollziehen kann: Ab einem gewissen Punkt ist das "Projekt" auch für mich einfach abgeschlossen (um nicht zu sagen: Totgeritten), mit all seinen Stärken und Schwächen. Ich versuche es dann beim nächsten Text besser zu machen. Aber vielleicht ist das eine gute Inspiration für eine andere Story? Potenzial hätte "Der Einäugige" jedenfalls.
Ein paar Kleinigkeiten sind mir noch aufgefallen:

»Mein rechtes Auge ist Schrott, seit dem Unfall«, presste ich heraus. »Was soll ich machen, Martin. 15% Restsicht und jedes Jahr schlechter werdend.« Das klang bitter, ich merkte es selbst. »Und jetzt der Krebs ...« Einen Satz hatte ich die ganze Zeit vermieden. Jetzt sprach ich ihn aus: »Spätestens im Sommer werde ich blind sein.«
Hat mich kurz rausgebracht. Habe erst verstanden, dass nur ein Auge betroffen ist, aber dann steht da was vom ganz blind sein. (Wurde glaub schon von einem anderen Kommentator angesprochen, aber der Schnitzer hat mich ziemlich gestört.)

Hier im Dämmerlicht des Wodanasz war ich schon jetzt fast blind.
Vorher beschreibst du sehr schön alle Details in der Kneipe, aber hier erfährt man, dass er die eigentlich gar nicht richtig erkennen konnte. Finde ich verwirrend...

Das blinde Auge begann zu zerfließen und rann langsam wie Schleim über seine Wange. Er reagierte nicht darauf, sondern streckte seine knochige Hand nach mir aus und zeigte auf mich, die spröde Haut spannte über seinen Knochen. »Ich bin die Stimme der Seele«, sagte er. »Erkenne deine Wahrheit!« Dann veränderte sich das Fleisch seines Zeigefingers. Wie in Zeitraffer vertrocknete es und platzte von den Knochen. Ich begann zu schreien, als ich es sah:
mE nur kleine Unreinheiten, aber die "beganns" würde ich weglassen. "Das blinde Auge zerfloss" und "Ich schrie" klingt einfach runder, zumal die beiden Stellen so dicht aufeinander folgen.
Und die heulenden Wölfe haben mich auch aus dem Konzept gebracht: Was wolltest du damit andeuten? Einfach nur die Wildheit der Natur? Steht die denn in der Story denn im Vordergrund? Ehr nicht, würde ich sagen. Außerdem ist der Wolf als Bild für Wildheit doch schon arg klischeehaft.

Das wars dann auch schon, sonst habe ich den Text wie gesagt sehr flüssig lesen können, ungeachtet des Inhalts.

LG
M.D.

 

Hallo @MorningDew,

ja, die Geschichte ist tatsächlich nicht mehr ganz taufrisch und ich weiß im Moment nicht, wie ich die Geschichte so umformen kann, dass etwas Gutes daraus wird. Aber evtl. kann ich ja einzelne Facetten davon ein anderes Mal aufgreifen.

Die Cyborg - Aufstände mit der Anti-Cyborg Allianz, oder den Schamanen.

Was das Feedback angeht, hast du definitiv Recht. Und es schadet ja nicht, ein älteres Projekt noch einmal anzuschauen.

Liebe Grüße
Gerald

 

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