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Der Entscheider

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27.07.2003
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Der Entscheider

Eonna de Beers Gedanken fühlten sich matt und zäh an, als sie auf den getriggerten Impuls der irdischen Datenbankeinheit hin endlich erwachte.
Die simulierte Erdatmosphäre filterte das Sonnenlicht auf ihren letzten Wunsch hin gelb - auf eine Art und Weise, wie sie es seit Jahrhunderten nicht mehr getan hatte. Bis auf kleine Details sah die Umgebung durch das kleine Bürofenster genauso aus, wie zu ihren Lebzeiten, nur hier und da erhaschte sie ein Gebäude oder ein Tier, das offenbar in eine andere Epoche gehörte- offensichtliche Programmierfehler, die sich nie vermeiden ließen und ihr in Erinnerung riefen, dass sie bereits vor eintausend Jahren verstorben war.
Es ließ sich schwer sagen, wie die Welt außerhalb dieser privaten Mauer aus Illusion ausschaute, aber sie musste noch vorhanden sein. Wenn die Hardware, auf der nun ihr Geist wie in einem Film abgespielt wurde, intakt war, dann mussten auch die Menschen überlebt haben. Die Universalregierung musste noch existieren. Ihr Sohn lebte höchstwahrscheinlich.
Ein Phantomschmerz jagte durch ihre Brust, als sie an ihren Sohn dachte. Sie zündete sich eine virtuelle Zigarette an und rauchte genüsslich; eine sinnlose, aber vertraute Geste, die ihr schon immer geholfen hatte, Ruhe zu bewahren. Eigentlich sollte sie glücklich sein, dass sie es soweit geschafft hatte und das Recht wahrnehmen konnte, dass die Universalregierung jeder Mutter eines Entscheiders zubilligte: Das Recht bei der Geburt ihres Jungen zusehen zu dürfen.
Von Draußen erklang ein Lerchenlied.
Eonna hörte der puren Lebensfreude von Etwas zu, das seine Aufgabe auf dieser Welt längst erfüllt und genau wie sie nachkommenden Generationen Platz gemacht hatte. Computer-berechnete Tränen flossen ihr die Wangen hinunter, um effektvoll auf dem Tisch zu landen. Mutter eines Entscheiders zu sein, war die größte Ehre, die einem Menschlichen Wesen zuteil werden konnte, aber nicht jede von ihnen war auch stark genug, sich bis zur Geburt wie Eonna in eine geistige Konserve pressen zu lassen. Allzuoft waren mutige Frauen wie sie lange vor dem Stichtag einer Softwarepanne zum Opfer gefallen oder sie erlagen der Aufregung bei der Reaktivierung. Der Gedanke, selbst nicht mehr materiell zu existieren, während das eigene Kind das Licht der Welt noch nicht erblickt hatte, war eine harte Nuss für die Psyche.
Aus diesem Grund wurden sie prinzipiell erst kurz vor dem Geburtstermin aus der Datenbank geholt.
Sie schaute auf die Uhr an der Wand, die im Countdown nach unten zählte. Seit sie aufgewacht war, waren laut der Zeitrechnung, mit der man sie hier fütterte zehn Minuten vergangen. Noch weitere fünfzig, dann würde sie endlich ihrem Kind ins Gesicht blicken können.

*

„Wir treten nun vor das Hohe Gericht, um in der Sache Zentral-Gemabion endlich Klarheit zu schaffen“, sagte der Oberste Richter in der Essentiellen Sprache ins Publikum, das zur Hälfte aus wichtigen Vertretern der Zentralen Sphäre der Galaxie Gemabion und zur anderen aus Abgesandten einer abtrünnigen Gruppe Namens Erzostra bestand, die sich durch eigene genetische Forschung weit im Vorteil gegenüber den Zentraliern sah und deshalb seit Jahrzehnten ein eigenes Protektorat forderte.
„Wir sind alle vom gleichen Wesen, vergesst das nicht“, sagte der Richter, „und wir müssen unbedingt im Sinne der Weltunion Frieden in Gemabion erhalten. Beide Parteien haben vor geraumer Zeit diesem Entscheider zugestimmt. Mit der Öffnung des Aktensiegels eröffne ich die Verhandlung. Es wird Zeit für ein gerechtes Urteil“
Mit diesen Worten leitete er den Geburtsvorgang ein.

*

Eie elliptische, silbergraue Kapsel war nach einer Milleniumodysse durch den mehr oder weniger materiereichen Raum in den Kern von Ruhezone IV vorgestoßen. Bis vor kurzem hatte sie wie ein Staubsauger Photonen von den vorbeirauschenden Sternen abgezogen, um den eigenen Antrieb zu synthetisieren, doch nun flog sie bereits zwanzig Jahre lang antriebslos durch den leersten Winkel des dem Menschen bekannten Universum.
Als sie ins totale Nichts abgetaucht war, war der zwei Zentimeter große Embryo aus dem Kryo-Schlaf geweckt worden und es wurde ihm durch einen Wachstumshormon-Cocktail die Erlaubnis zum Wachsen erteilt.
Erst hier, bar jeden äußeren Einfluss von Gravitation und Strahlung und in vollkommener Isolation von anderen Lebensformen war er für die Entscheidung von Nutzen. Es war die einzige Aufgabe, die er in seinem Leben haben würde, danach war er sich selbst überlassen.

Die Gestalt eines erwachsenen Mannes hing in der dunklen Schwerelosigkeit der Neutro-Wände, die Haut blass und unberührt wie ein Geist, die Nervenbahnen im Gehirn und Körper voll ausgebildet, aber durch einen Zusatz, der durch seine Blutbahn zirkulierte, nicht recht miteinander verbunden.
Er dachte nichts und spürte nichts, war körperlich längst in der Welt angekommen, hatte aber noch nicht an ihr teilgenommen.
Seine jungfräulichen Golgi-Organe in den Muskelspindeln registrierten mit 0.00000000000 G die reinste im Universum erzielbare Schwerelosigkeit. Seine Sehnerven warteten in der tiefsten Dunkelheit auf ihren ersten Einsatz. Ohren, die noch nie einen Laut vernommen hatten ...

Eine wohldosierte Fluktuierung im Magnetfeld der Kapsel leitete den Geburtsvorgang ein.
Noch bevor die Schläuche aus seinen Venen poppten, erspürten die Golgi-Organe des Entscheiders, dass es Zeit wurde, ins Leben zu treten.
Das Licht in der Kapsel ging an und explodierte in seinem Sehnerv.
Sekunden später registrierte sein Trommelfell das erste Geräusch – den eigenen Geburtsschrei.

„Mutter“,

dachte der Entscheider in der Essentiellen Sprache, die von allen kohlenstoffbasierten Lebewesen auf Anhieb verstanden wird.
Noch war sein Wortschatz nicht sehr groß, würde aber, wenn alles gut ginge, schnell wachsen.
Seine Lungen nahmen ihre Arbeit auf und pumpten einen Schwall kalte Luft durch seinen Körper. Wie eine lange nicht benutzte Maschine sprang das Herz an, um seine Zellen mit erster Nahrung zu versorgen.

„Hunger“

Der Entscheider suchte nach der Mutterbrust, seine ungeschickten Finger fassten aber ins Leere.

„Wut“.

Er brüllte sabbernd die ersten Vokabeln, die ihn die Welt gelehrt hatte in unverständlicher Neugeborenensprache ins Leere und in die Mikrophone der Kapsel.

Auf der anderen Seite der Gambion-Galaxis verstand man jedes der Essentiellen Worte. Frauen und Männer lagen sich in den Armen, verfielen in schiere Begeisterung.
„Er ist der Richtige. Er lernt schnell. Das Urteil wird gerecht sein!“
Aber noch mussten sie abwarten. Der Entscheider musste noch einige Vokabeln lernen, bevor sie ihm ihr Problem offenbaren konnten.
Durch Nichts beeinflusst. Es war wichtig, dass er nur durch die Essentielle Sprache geprägt wurde. Unbefangen und naiv, doch schlau genug, um das Schicksal von Billiarden zu bestimmen. So war er richtig.

„Angst“

Zusammengekauert hatte der Entscheider eine Zeitlang inmitten all des gleißenden Lichtes verbracht, das durch seine zusammengekniffenen Augenlider drang.
Hier gab es keine Mutter. Am liebsten wäre er in diesem Augenblick gleich wieder in den vorherigen Zustand zurückgetreten.
Irgendetwas passierte mit seinem Unterkörper, dann drang scharfer Uringeruch in seine Nase.

Noch mehr „Angst“.

Dann wieder „Hunger“, “Enttäuschung“. Später „Neugierde“.

Langsam öffnete der Entscheider die Augen, um seine erste Neugierde zu befriedigen. Wie bei einem Neugeborenen reagierten die Stäbchen zuerst und lieferten ein Schwarz-Weiss-Bild seiner Umwelt.
Doch das nur für einen Augenblick. Sein Nervensystem erkannte den Missstand sofort und wirkte über das Hormonale System entgegen. Das faszinierende Glitzern der glatten Wände verwandelte sich in ein überwältigendes Schauspiel aus Farben und Formen. Der Entscheider vergaß für einige Sekunde zu atmen, vergaß seinen Frust und formte ein Lächeln.

„Freude“

Mit ungeschickten Bewegungen griff er in Richtung der Wand, streckte seine Hand gierig nach den Lichtern aus und sah zum ersten mal ein Stück menschlicher Haut

„Ich“

*

Eonna de Beers Seelenkopie war eins von Tausend Augen, die dieses Schauspiel aus der Ferne mitverfolgten. Tränen kullerten unablässig auf ihr virtuelles Kleid, das seit einer ganzen Ewigkeit aus der Mode war. Immer wieder hatte sie auf das flimmernde Bild vor ihr eingeredet.
„Ich bin doch da! Ich habe dich nicht im Stich gelassen! Mein Kind. Mein Sohn!“
Die Simulation tat ihr bestes und bescherte ihr eine zerschundene Stimme und verweinte Augen. Das Herz tat weh, als ob es das eigene wäre, als sie dem Bild in aus der Kapsel folgte.
„Lukas“, sagte sie in ihre tote Umgebung hinein. “So habe ich dich genannt, aber das kannst du nicht wissen. Du wirst es nie erfahren ...“
Sie ergab sich einem Nervenzusammenbruch und legte sich aufs Bett. Sie wusste nicht, wie lange man ihre Simulation noch aufrecht erhalten würde, aber eigentlich hatte sie bereits genug gesehen. Sie rechnete jede Sekunde mit der Abschaltung, als sie schwer atmend ihrer Panikattacke Herr zu werden versuchte.

*

Die Jury war ziemlich beunruhigt, als unerwartet ein Neutronenstern am Rand der Ruhezone auftauchte. Seine Gravitation war noch bei weitem für keines der Messgeräte an Bord wahrnehmbar, dennoch machte man sich schwere Sorgen. Wenn die Bahn des Sterns auch nur einige Zentimeter in das abgesteckte Gebiet eindringen sollte, müssten sie die Entscheidung abbrechen. So wollte es das Gesetz. Auch wenn er tatsächlich nichts ausrichten sollte.

*

Eonna bekam von den Vorgängen im Obersten Universalgerichtshof nichts mit. Sie hatte vor einer Eigenzeit-Minute von sich aus den Befehl zur Selbstlöschung gegeben.
Die Umgebung, die Häuser, Pflanzen und Tiere begannen sich bereits in groben Konturen aufzulösen. Sie hatte ihren letzten Blick auf das eigene Kind genießen dürfen und entschieden, dass sie nicht länger hier sein wollte. Die Formalitäten, die Entscheidungsprozedur war ihr in Ihrem momentanen Zustand vollkommen unwichtig.
„Leb wohl“, sagte sie zum Bild des erwachsenen Säuglings, das vor ihr in der Luft hing und sich langsam aufzulösen begann.

*

„Ich bin nicht allein“, dachte der Entscheider in der Essentiellen Sprache.
All die Dinge, die er hier in dieser kleinen Welt erkunden konnte, waren tote Dinge. Darum war er anfangs überrascht gewesen, als die Stimme plötzlich begonnen hatte, ihm eine Geschichte zu erzählen. Er war daraufhin in jeden möglichen Winkel des Raumes gekrochen, um das andere Kohlenstoff-Wesen zu suchen, das mit ihm da redete, doch er hatte niemanden finden können.
Die Stimme erzählte von vielen anderen Kohlenstoff-Wesen verschiedener Gattungen, Mütter und Kinder und Väter, und noch andere. Wie sie lebten, sich fortpflanzten und miteinander stritten. Der Entscheider konnte sich ihre Anzahl nicht so recht vorstellen, aber es mussten mehr als seine Finger sein, vielleicht sogar mehr als die Haare auf seinem Kopf.
Mit Erstaunen hing er in einer bequemen Position in der Luft und hörte ihr zu....
Bis sie mit einem Mal mitten im Satz aufhörte.

*

Eonna war fast schon zum zweiten Mal aus dieser Welt geschieden, als sie die dringende Notfall-Mitteilung hörte.
„Abbruch der Entscheidung aufgrund von Gravitation! Wechsel zum Alternativ-Entscheider für diesen Fall vorgenommen!“
Sie aktivierte sofort das Austritts-Stop, woraufhin sie sich einem fast gänzlich schwarzen Zimmer gegenüber sah.
„Nein!“, sagte sie, „Bild!“
Sofort baute sich der 2-D-Ekran wieder auf, diesmal sehr verzerrt und flackernd.
Es war vorbei. Die Entscheidung abgebrochen. Ihr Sohn hatte all die Jahre umsonst für diesen einen Augenblick gelebt. Nun war er für alle Zeiten allein auf sich gestellt.
Eonna fühlte ein neues, seltsames Bedürfnis, noch etwas hier zu bleiben.
Lukas wurde soeben sein ganzer Lebenssinn entzogen, sein Grund, warum er überhaupt existierte.
Die neue Aufgabe, die ihm nun bevorstehen würde, war anders, aber nicht minder schwierig. Sie ließ sie noch nicht aus dem Netz treten, auch wenn sie bereits auf der Schwelle zum endgültigen Tod stand.
Obwohl das System bereits rebellierte und das Bild immer mehr in sich zusammensinken ließ, krallte sie sich mit jeder Faser ihres nichtvorhandenen Körpers an ihre Scheinwelt. Sie wollte unbedingt noch lange genug bleiben, um zu sehen, ob ihr Sohn seiner zweiten, endgültigen Aufgabe gewachsen war.

*
„Sinn“, „Sinn“, „Sinn?“, schrie Lucas durch das Raumschiff. „Tod“, antwortete das Hirn des Entscheiders, der nun keiner mehr war.
Die Geschichte, die die Stimme erzählt hatte, war nicht mehr wichtig. Nun war er wirklich allein.
„Tod“
Irgendwas in ihm sagte ihm, dass dieses Wort eng mit dem großen roten Knopf verbunden war, der an einer der Wände prangte. Er war Teil seiner neuen Entscheidung, die bald würde gefällt werden müssen.
„Sinnlos“, „Leer“, „Wut“, „Tod“

*

„Die Welt besteht aus Nichts“
Zu diesem Entschluss war Lukas längst gekommen. Seine innere Uhr wartete vergeblich auf den periodischen Wechsel von Hell und Dunkel und seine Muskeln sehnten sich nach einer Kraft, die ihn in eine bestimmte, immer gleichbleibende Richtung zog.
Lukas Gefühlswelt trachtete nach dem Kontakt zu anderen Kohlenstoffwesen und er begann sich zu fragen, ob die Stimme ihn nicht angelogen hatte.
„Nein“, sagte er, „Keine Kinder, Väter, Mütter, keine Völker die noch zahlreicher sind als meine Haare. Ich bin hier allein. Die Stimme hat gelogen!“
Und damit war die Entscheidung gefallen. Er schwebte auf den Knopf zu, der für die Selbstzerstörung der Kapsel zuständig war.

„Keine Lügen“

Der Tod war rot und rund und fühlte sich kühl auf der Haut von Lukas an. Als der einzige feste Gegenstand, den er je zu Gesicht bekommen hatte, war er ihm lieber als das Nichts, das sich immer mehr in seinem Kopf auszubreiten begann. Der Tod war wenigstens reell da und log auch nicht. Man konnte sich auf ihn verlassen.
Er leckte mit seiner Zunge über das glatte rot, als ob er an einer Brust saugen würde, aber sein Kumpan, der Tod wollte sich offenbar noch etwas bitten lassen.
„Komm schon, nimm mich! Was muss ich denn mit dir anstellen, dass du mich nimmst?“
Er fuhr mit seinen Fingerkuppen über den Plastikfreund, konnte aber mit ihm auf keine Art in Kontakt treten.
Schließlich begann er, mit seinen Fingernägeln darüber zu kratzen, um seinem Bedürfnis nach Nähe stärker Ausdruck zu verleihen.
Doch nachdem er in eine Rille gefasst hatte, passierte etwas Überraschendes. Der Knopf erwies sich als nicht fest mit der Wand verbunden, löste sich von seinem Platz und schwebte von Lukas’ Hand angestoßen zur gegenüberliegenen Wand.
An der Stelle, wo er sich eben noch befunden hatte, hingen verschiedenfarbige Drähte neben bunten Lämpchen, umgeben von einem Loch, das tiefer in die Kapselwand zu gehen schien.
Lukas griff hinein und stellte erstaunt fest, dass seine Welt viel größere Ausmaße besaß, als er sich das vorgestellt hatte.
Eigenartige schwarze Partikel schoben sich zwischen seine Fingernägel, als er das Loch erkundete.

*

Eonnas kleines virtuelles Programm verblasste immer schneller, und war jetzt fast nicht mehr zu erkennen, aber was sie im letzten Augenblick ihres zweiten Lebens auf dem Bildschirm zur Kapsel sah, ließ sie in Ruhe einschlafen. Ihr Sohn hatte die richtige Entscheidung getroffen.
„Ich habe es gewusst“, sagte sie.
Dann war ihr Datensatz gelöscht.

*

Dass der Dreck zwischen den Fingernägeln seinen neuen Lebensinhalt enthielt, wusste Lukas im Gegensatz zu seiner Mutter zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Neugierig wie er auf alles war, schälte er ihn gewissenhaft hervor, vorsichtig, um ja nichts davon zu verlieren und bewahrte ihn sorgfältig auf.
Im Schweiß seiner Hände genügend Nährboden findend, entwickelten sich die Eintagsfliegen-Eier schneller, als ihre Geschwister in der Belüftungsröhre der Kapsel. Sie schlüpften irgendwann vor Lukas’ staunenden Augen und verwandelten seine kleine Welt für einen Tag in ein Paradies.
Der Entscheider hatte seine endgültige Wahl getroffen.

END

 

Tag megarat

Hats ja echte Far-SciFi geschrieben. Ein Gesellschaft die auf der Suche nach absoluten objektiven und vorurteilsfreien Entscheidungen ihre Richter in den Weltraum schießt :) Von der Idee her auf jeden Fall sehr interessant.
Aber ich bin mir unschlüssig was die Umsetzung angeht:

Da ist zum einen die Mutter, die als künstliches Gehirn-Engramm tausend Jahre lang aufbewahrt wurde, damit sie ihren Sohn nach mal anschauen kann.
Wozu dient sie dir? Dieser Prot entwickelt sich nicht. Und hat auch keinen Einfluss auf die Entwicklung der anderen. Er steht komplett für sich allein wie der Entscheider. Soll die Mutter so eine Art Spiegelbild für diesen sein? Falls ja, ist mir das entgangen.
Ich meine, die Idee den Charakter in einer künstlichen Welt zu bewahren ist nicht schlecht. Allein über diesen Weg hättest du sicher ne interessante Geschichte mit allen Sinnen machen können. Aber hier in Kombination mit dem Rest wirkt sie irgendwie nutzlos.

Zum anderen ergeben sich bei mir ein Haufen Fragen, was diese Gesellschaft, ihr Rechtssystem und die Technik angeht:
Warum schicken sie die Embyonen bis in den letzten Teil der Galaxis? Könnten sie die nicht einfach künstlich simulieren wie die Mutter? Warum dauert das tausend Jahre? Wegen der Reise? Dann müssen die ja Unmengen an Raumschiffen dort draußen haben, damit sie genügend Vorrat haben. Wie funktioniert die Kommunikation? Warum konnten die das Erscheinen des Neutronensterns nicht vorraus berechnen? Übrigens gibt es überall im Universum Gravitaion.

Auch die Sache mit der Sprache ist mir nicht ganz schlüssig. Sprache ist dem Gehirn nicht immanent angeboren. Die will in langwierigen Prozessen erlernt werden und stellt immer die subjektive Reaktion auf Beeinflussung von außen da. In dem Moment wo die GEsellschaft mit ihren Entscheider in Kontakt tritt, findet bereits eine Verunreinigung statt.

Als letztes sagt mir der Stil nicht so ganz zu. Das ist jetzt natürlich rein subjektiv, aber irgendwie hast du mir zu sehr erzählt (tell) und zuwenige gezeigt. Ich fand auch, dass in deinem Text eine übermäßige Häufung an Plusquamperfekt-sätzen (sprich: "war" und "hatte" Prädikate) zu finden ist. Kann ich natürlich nicht beweisen :dozey:

Das klang jetzt wahrscheinlich alles ziemlich hart, aber die Idee hat mir ja gefallen und die konzeptionellen Fragen lassen sich vielleicht noch zu meiner Zufriedenheit auflösen. Gäbe es hier ein Notensystem von 1 bis 6 ständest du bei mir mit einer 2- oder 3+ im Klassenbuch :)

Jetzt noch einige konkrete Textstellen:

Bis auf kleine Details sah die Umgebung durch das kleine Bürofenster
Wortwdh: kleine

offensichtliche Programmierfehler
Reichlich komplexe Programmierfehler! Wie wäre es mit Dataenbank-Fehler

ihr in Erinnerung riefen, dass sie bereits vor eintausend Jahren verstorben war
Wer? Dein Prot? Krass!

Film abgespielt wurde intakt war
Komma nach wurde

Ihr Sohn lebte höchstwahrscheinlich.
Als Eintausendjähriger?

das seine Aufgabe auf dieser Welt längst erfüllt hatte
dass und dieses "hatte" kannst du eigentlich streichen, da du es am Satzende nochmal hast

die einem menschlichen Wesen

Oberste Richter in der Essentiellen Sprache ins Publikum, das zur Hälfte aus wichtigen Vertretern der Zentralen Sphäre
Die Adjektive alle klein, solange sie nicht zu einem Eigennamen gehören

Mit der Öffnung des Aktensiegels eröffne
Ich glaube ein Siegel bricht man

Wachstumshormon-Cocktail die Erlaubnis zum Wachsen erteilt
Reduziere das auf Hormon-Cocktail

Erst hier, bar jeden
Würd ich ohne Komma machen, oder aber du setzt später vor "war" noch eins

seinen Venen poppten, erspürten die Golgiorgane des Entscheiders
Weiter oben stand "Golgi-Organe"

Sekunden später registrierte
Sekunden? Vielleicht Augenblicke

Essentiellen Sprache, die von allen Kohlenstoffbasierten Lebewesen
Essentielle Sprach ist vielleicht ein Name aber nicht kohlenstoffbasierte Wesen

reagierten die Zäpfchen (?)
Was solln das Satzzeichen da? Ich glaub, es sind die Stäbchen, die für das Hell/Dunkel-Sehen verantwortlich sind.

hormonale System

als sie dem Bild in aus der Kapsel folgte
etwas zu viel

als unerwartet ein Neutronenstern am Rand der Ruhezone auftauchte
Die Mistviecher schleichen sich immer gern von hinten an :)

Irgendwas in ihm sagte ihm
Hier würde ich das erste "ihm" streichen

letzten Augenblick ihre zweiten Lebens
ihres

Im Schweiß seiner Hände genügend Nährboden findend
Das glaube ich nicht Tim


Viel Erfolg
Hagen

 

Leider ist mir Hagen mit seinem langen Kommentar hier zuvorgekommen, mir bleibt also nicht viel anderes übrig, als in den meisten Punkten nickend zuzustimmen.

Doch ich muß Hagen an der Stelle widersprechen, wo er die Notwendigkeit der Mutter-Figur in Frage stellt: die Geburt dieses "Entscheiders" (von diesem Titel bin ich nicht so wirklich überzeugt) ist ein Ereignis, das sie betrifft, das ihr posthum eine große "Ehre" zuteil werden läßt.

Zudem, denke ich, impliziert eine Geburt die Beteiligung einer Mutter. Das scheint sich in der von Dir beschriebenen Welt nicht verändert zu haben, auch wenn es einer körperlichen Anwesenheit nicht mehr bedarf. Interessanter Gedanke.

Auch den Einwand, Sprache sei ein viel zu komplexes System, das erst über langwierige Prozesse erlernt wird, kann ich nicht teilen. Die wenigen "Worte", die der Neugeborene spricht, müssen nicht als Worte einer Sprache verstanden werden. Sie stellen lediglich das Verständnis und die Einordnung eines äußeren Reizes dar, also zum Beispiel: "Rumoren im Bauch => Nahrungsbedarf". Ich halte diesen Aspekt der Geschichte für legitim.

Die Geschichte hat einen mitreißenden pathetischen Ton, der mich nicht ganz unbeeindruckt zurückließ. Die zukünftige Welt, in der ein Wesen nur einer einzigen Entscheidung wegen in einer isolierten Kapsel geboren wird, stellst Du einleuchtend dar, wenn auch an der einen oder anderen Stelle dem Leser ein wenig zu viel zugemutet wird.

Ganz überzeugen kann mich der Text nicht, vielleicht, weil er m.E. zu sehr auf Effekt ausgelegt ist, ich kann mir die Szene wunderbar im Kino vorstellen, die richtige Musik dazu, gewagte Kameraeinstellungen, wunderbar. In jedem Fall unterhaltend.

@Hagen:

Hagen schrieb:
Das glaube ich nicht Tim
Yeah, home improvement, yeah!

 

Hallo megarat,

bei deiner Geschichte war ich unntschlossen, denn letztlich bedient sie die Sinne genau durch deren grundsätzliche Verweigerung. Alles ist virtuell. Der virtuelle Geruch aber findet genau so wenig statt, wie der virtuelle Geschmack. Lediglich die Anwesenheit von Urin könnte man gutmütig als Geruch deuten.
Die Suche findet nur unbewusst statt, die Lösung, zu der der Entscheider verhelfen soll, darf ja gerade nicht gesucht werden, sondern muss sich aus seiner Naivität ergeben.

Ich fand die Geschichte extrem langweilig, was allerdings daran lag, dass sie alles beinhaltet, was ich an Science Fiction verabscheue. Wenn ich ausgeklügelte Technik lesen will, hole ich mir ein Handbuch darüber, wie ich mein Auto repariere. Aber das ist ja nur mein persönlicher Geschmack, der auf die Wertung auch keinen Einfluss hatte.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo megarat,

Auch mir fehlen Geschmack und Geruchsinn, deshalb keine Challengepunkte in diesem Bereich. Auch sind noch relativ viel Tipp- und Fallfehler vorhanden.
Die Idee zur Geschichte finde ich einleuchtend, die Umsetzung etwas schwer verdaulich und ab und zu musste ich mich zwingen, nicht Abzuschalten und Querzulesen.

Beispiel:

„Wir treten nun vor das Hohe Gericht, um in der Sache Zentral-Gemabion endlich Klarheit zu schaffen“, sagte der Oberste Richter in der Essentiellen Sprache ins Publikum, das zur Hälfte aus wichtigen Vertretern der Zentralen Sphäre der Galaxie Gemabion und zur anderen aus Abgesandten einer abtrünnigen Gruppe Namens Erzostra bestand, die sich durch eigene genetische Forschung weit im Vorteil gegenüber den Zentraliern sah und deshalb seit Jahrzehnten ein eigenes Protektorat forderte.
Uff, Monstersatz. ;)

LG dot/

 

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