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Der Erfinder
Und da stand er, rauchend, vernarrt in seine Arbeit, tüftelnd, inmitten von Gefäßen, in welchen regungslose Kreaturen schwammen. Manche grün, manche gelblich und bei manch einer Kreatur konnte ich gar riechen, wie das Leben in sie hinein floss und innerlich auffraß. Er liebte das Paradoxe in den Mechanismen, die er immer und immer wieder erneut zum Laufen brachte. Ein metallenes Gerüst reihte sich an das andere, wirr, parallel, strukturiert, diffus. Der Rauch brannte in meinen Augen.
„Das ist ein Teufelszeug“, paffte er in die Luft.
„Teufel?“
„Davon hab ich dir noch gar nicht erzählt, nicht wahr. Merk dir das Wort, du wirst es unten brauchen.“ Er hatte Recht, ich hörte den Begriff zum ersten Mal.
Ich hustete und endlich drehte er sich um, nahm die Brille ab und wir gingen hinüber zur Leinwand. Er schnippte und Bilder flackerten in schwarz-weißen Tönen vor uns, im Hintergrund brummte der alte Apparat erschöpft vor sich hin. „Stört dich das Geräusch allmählich auch so sehr?“ fragte er mich, wandte seinen nach vorne gerichteten Blick nicht ab. Es ihm gleich tuend antwortete ich mit einem leisen, kaum hörbaren „Ja.“ Mit ihm ging er, bastelte, experimentierte. Kreide strich, quietschte über eine Tafel, als wäre ihm wieder mal glühende Asche auf den Fingern gelandet. Ich hielt mir die Ohren zu, saugte das Innere fest an meine Handflächen, bis es zu schmerzen begann, und doch hörte ich nicht auf. Der Schmerz kroch weiter hoch, in meine Augen, in mein Gehirn und von dort zerstreute er sich in jeden kleinsten Fleck meines ärmlichen Körpers.
Plötzlich strahlten mich Farben an. Die vorher tristen, melancholischen Bilder von fressende Löwen wurden bunt, fast zu bunt. Grün, Gelb, und wieder roch ich es - Das Leben, das Paradoxe, Automatische. Ich löste den Griff, die Schmerzen blieben. Die Farbe begann, sich in meine Augen zu bohren. Ich schloss sie, klemmte meine Nasenflügel aneinander.
„Was verdammt noch eins tust du da?“
Ich erschrak, sprang auf, drehte mich in alle Richtungen.
„Setz dich hin, aber hör endlich auf, dich wie ein Kind aufzuführen. Werd erwachsen.“
Auf der Leinwand trieben es zwei Affen. Einer der Affen schrie wie wild, rammte sein, sein, „Hör mal. Wozu soll das Ding da zwischen seinen Beinen gut sein?“
„Du meinst den Penis?“
„Vielleicht.“ Ich nahm das Blatt weg und da hing es, schlaff, trocken, nutzlos baumelte es und wirbelte, je schneller ich meine Hüfte kreiste. Ich begann mich zu drehen, bis mir übel wurde und mich traf es, wie ein Blitz zerschmetterte es alle Gedanken und ich landete auf meinem Hintern. Das Blatt war wieder an seiner Stelle. „Und wieso hat der andere Affe ein Loch?“
„Ach Gott, da denk doch mal nach, Mensch.“
Mit seiner Antwort ließ ich es sein. Stand auf, ging schlafen. Am nächsten Tag, der Schlaf stand mir noch ins Gesicht geschrieben, lächelte mich etwas Meinesgleichen an. Die Worte wollten raus, kämpften sich meinen Gaumen empor und blieben an der eklig saftigen Zunge kleben. Rot lief ich an und, ich kannte das Gefühl nicht, hatte es nie zuvor verspürt, wurde süchtig. Es ergriff mich, hielt mich, ließ mich nicht los.
Lange dachte ich über diese Kreatur nach, die er wohl in jener Nacht erschaffen hatte. Aus welchem Grund? In einer Nacht? Oft hatte ich Löwen mit langen Bäuchen gesehen und es dauerte Tage, bis die vollen Mägen von einem auf den anderen Tag verschwanden und plötzlich ein kleiner Löwe nebenher stolzierte. Und überhaupt. Was war schon eine Nacht? Unten wurde es irgendwann hell und später dann wieder dunkel, aber was geschah hier oben? Das Licht bewegte sich nicht, wurde nicht dunkel und wieder hell. Es schien, unablässlich schien Licht aus länglichen Rohren. Unten nannte er es Zeit, aber hier oben? Hier war er die Zeit, Grenzen kannte er nicht, setzte sie, wie seine Laune sich eben ergab.
„Ich habe gestern Affen gesehen,“ kam es aus mir heraus. Sie lächelte nur, nickte behaglich und schüchtern, wie sie war. Er kam hinzu, erwischte uns und, ich hatte es nie zuvor verspürt, überließ seinem Hass freien Lauf. Ich fiel mit ihr tief hinab und plötzlich wurden wir Teil dieser Welt, die ich bisher nur auf einer Leinwand aus flackernden, stinkenden Bildern kannte, die neulich erst Farbe zeigten. Affen, Löwen und hinter ihnen verbarg sich eine Kreatur, wie ich sie aus den zahlreichen Gefäßen kannte. Ich griff nach meiner Nase. Wo blieb der Gestank? Ich winkte es zu mir, doch es verschwand. Ich beschloss zu rennen, nahm sie beim Arm und sprang über Gräser, dessen Halme ich im Vorbeilaufen an mich riss und auf ihnen kaute, sprang über Hügel, dessen Bestandteile ich an mich nahm und auf ihnen kaute. Weit draußen dann überkam mich jener Gestank. Es lag dort, dunkel rot, regungslos und rundherum versammelten sich die Löwen. Mit meinem Erscheinen beschlossen sie, schlafen zu gehen, und überließen mir ihr Ergebnis. Ich packte in den Kadaver, wühlte in ihm, bis etwas Festes meinem Griff nachgab und ich es hinaus zog. Ich steckte es in meinen Mund, kaute und kaute, bis ich merkte, dass es wohl keinen Sinn ergab. Also schluckte ich es am Stück hinunter und der Schmerz, der begab sich mit ihm in meinen Schlund. Der Geschmack brannte sich fest, erlosch nie wieder. Wir gingen weiter hinaus, bis wir auf ein Dorf trafen. Überall Kreaturen, wie sie, wie ich, wie wir sie kannten. Erst skeptisch, dann schauten sie uns vertraut an und bohrten ihre Fragen in unsere Mägen. „Teufel, alles des Teufels Werk,“ erklärte ich.
Wir verstanden uns gut mit dem Volk. Monate später dann erkannte ich, was mich einst süchtig machte. Ich beschloss, es die Liebe zu schimpfen, Teufelswerk, wie es hurte, genau wie sie, mit welcher ich einst von oben herab fiel. Betrogen, verlassen, Teufelswerk. Es war nicht mehr das selbe, allein umher zu stampfen und ich betrat ein feindliches Revier. Minuten später stand ein Löwe vor mir, Teufels Seele schmorte in ihm und übernahm ihn, rammte seine Zähne in mein Fleisch. Ehe ich mich versah, stand ich bei ihm, wieder zu Hause, vor der Leinwand. „Hast du dich jemals gefragt, wieso ich ständig allein hier oben bin?“ „Ist doch egal,“ fauchte ich gedankenlos und er packte mich am Halse: „Sie ist eine Hure. Teufelswerk“.