Mitglied
- Beitritt
- 06.01.2021
- Beiträge
- 48
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Der erste Lockdown
Einkaufen ist nicht mein Ding. Große Räume, viele Menschen, Gedränge, fürchterlich!
Darum sorge ich immer erst dann für Nachschub, wenn ich keinen sauren Apfel mehr habe, in den ich beißen kann.
Leider brachte mich diese Taktik am Anfang des ersten Lockdowns etwas in Bedrängnis. Der Kühlschrank war leer und angeblich ging es in den Supermärkten zu wie auf den Chaos-Tagen. Zu der Leere im Eisfach gesellte sich dann auch noch ein Mangel an Informationen. Was durfte man kaufen? Gab es schon eine Maskenpflicht? Wer? Was? Wo? Wann? Die Informationen, die ich zu fassen bekam, waren Halbwissen oder Hörensagen. Es half alles nichts, der Hunger war mächtiger als das soziale Unbehagen.
Ich sprang aus der Straßenbahn, noch ehe die Türen richtig geöffnet waren, und das wunderschön graue Industriegebiet hieß mich schweigend willkommen. Die Abwesenheit von kreischenden Menschenmassen prophezeite mir, dass es wohl kein Klopapier mehr geben würde. In Gedanken versunken machte ich mich auf den Weg zum Konsumtempel meiner Konfession, aber auf halber Strecke sah ich, dass den Gläubigen der Weg versperrt wurde. Direkt vor dem Eingang stand demonstrativ ein Polizeibus und störte das Gesamtbild, daneben zwei junge, frisch gebügelte Polizisten. Ein glattrasierter Exklassensprecher und ein vollbärtiger Draufgängertyp. Ihre ganze Autorität ausschwitzend, hatten sich die beiden vor einem alten Ehepaar aufgebaut. Der Schleimige unterhielt sich souverän mit dem skeptisch dreinblickenden Ehemann, während der Vollbart den säuberlich sortierten Einkauf zerpflückte. Der Freistaat Bayern tat wirklich alles, um die Lage noch ungemütlicher zu machen. Meiner Antipathie folgend, stellte ich mich etwas abseits und wartete auf einen günstigen Moment, um mich an den beiden Exekutiven vorbeizudrücken.
„... nur lebensnotwendige Einkäufe ...“
„... ja, aber …“
„… wir machen ja die Regeln nicht ...“
„… Verständnis ...“
Plötzlich stöckelte eine junge Frau eilig an der intensiven Inspektion des Einkaufwagens vorbei. Ihre Handtasche schwang elegant am Arm, ein adrettes Kleid, geschickt kombiniert mit einem zu dünnen Jäckchen, betonte dezent das Offensichtliche. Diesem Anblick konnten die Herren von der Staatsgewalt natürlich nicht widerstehen.
„Hallo! Junge Frau!“
Sie schritt etwas weiter aus, ich musste grinsen, ob es wohl zu einer Verfolgungsjagd kommen würde?
„Hallo! Stehen bleiben!“
Die beiden sprinteten los, als hätte die zierliche Dame gerade eine Maschinenpistole durchgeladen und ließen die Senioren kopfschüttelnd zurück. Widerwillig blieb sie stehen und drehte sich genervt um, ihre Haare wirbelten ihr theatralisch in das geschmackvoll geschminkte Gesicht.
„Was?“
Es ist immer wieder beängstigend, wie schrecklich schöne Menschen wirken, wenn sie wütend sind. Diesen Eindruck schienen auch die beiden Herren in Uniform zu haben.
„T-Taschenkontrolle. Im Zuge der Ausgangsbeschränkung sollen nur lebensnotwendige Einkäufe getätigt werden.“
„Ja und jetzt?“
„Um das zu gewährleisten, führen wir Taschenkontrollen durch.“
„Habt ihr nichts Besseres zu tun?“
Das einstudierte Selbstvertrauen pulsierte in jeder Silbe.
„Das steht hier nicht zur Debatte. Ihre Tasche bitte.“
Mit Schwung rammte sie dem Bärtigen ihre Handtasche entgegen, der mit einem halbeleganten Ausfallschritt auswich und so seinem Kollegen den Vortritt ließ.
„Wenn‘s dich glücklich macht, Schätzchen.“
„Ich verbitte mir jegliche Vertraulichkeiten, die Ausweispapiere?“
Sie sah die beiden mit ätzendem Mitleid an.
„In der Handtasche, Schätzchen.“
„Wo ist denn ihr Einkauf?“
„Na in der Handtasche, ...“
„Passen Sie bloß auf!“
Der Strebertyp durchwühlte für einen Moment den Tascheninhalt und versuchte dabei den Anschein von professioneller Neutralität zu erwecken. Der jedoch sofort in sich zusammenfiel, als er triumphierend einen eingeschweißten Lippenstift aus den Tiefen des portablen Bermudadreiecks zog.
„Sie wollen sich wohl über uns lustig machen? Diese Regeln gibt es ja nicht zum Spaß! Alle verzichten, wo sie können, um andere zu schützen, aber Sie brauchen einen Lippenstift? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“
Ich war wirklich beeindruckt, bei aller Abneigung, wo er recht hatte, hatte er recht.
„Hör zu, ich ...“
„Nein, nein, machen Sie es nicht noch schlimmer.“
Machtlos rang sie nach Worten.
„Aber ...“
„Wir nehmen jetzt mal Ihre Personalien auf, Sie hören dann von uns.“
„Jungs, den brauch ich wirklich!“
„Das ist die Höhe!“
Sie packten ihre zierlichen Oberarme und führten sie zu ihrem Einsatzwagen. Sie zappelte etwas resigniert, dann schien ihr letzter Widerstand Haltung anzunehmen.
„Ich brauch den, um Geld zu verdienen.“
„Kosmetiksalons haben ebenso wie Friseure, ihren Betrieb einzustellen. Sie gestehen hier eine Straftat!“
„Ich bin aber keine Kosmetikerin.“
Der seltsame Dreierpulk wurde langsamer.
„Wie meinen Sie das?“
„Schätzchen nude Camshow heißt ohne Klamotten, nicht ohne Make-up.“