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Der etwas andere Geburtstag
Es war an einem Sonntagabend, als ich beinahe kniend vor meinen Eltern hockte und sie anflehte mir nicht schon wieder Unterwäsche zu meinem Geburtstag zu schenken. Ich wurde immerhin zwölf Jahre alt! Alle Kinder aus meiner Klasse prahlten mit den tollen Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken, die sie immer bekamen, und jedes Mal, wenn ich gefragt wurde, was ich bekommen hatte, wurde ich ganz rot und verdrückte mich immer in der gleichen Ecke: die von der Tafel aus gesehen hintere linke. Danach sprach mich an dem Tag keiner mehr darauf an, ich weiß immer noch nicht, warum. Wahrscheinlich wussten dann schon alle, dass ich wieder das gleiche bekommen hatte: Unterwäsche!! Aber wollen wir mal nicht vom Thema ablenken, ich hockte also vor meinen Eltern und flehte sie an: „Bitte, meine Schublade mit den Boxershorts quillt doch schon über, und Socken habe ich auch genug! Fällt euch denn nichts Besseres ein?“
„Jetzt werde ja nicht patzig! Wir finden schon ein passendes Geschenk für dich, Junge!“, sagte mein Vater. Ja, dachte ich, Unterwäsche! Das sagte er nämlich jedes Jahr. Die ersten drei Male war ich noch darauf reingefallen, aber nach dem vierten Mal hatte ich eingesehen, dass es nach diesem Satz keinen Zweck hatte zu diskutieren. Nicht zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie spießig meine Eltern waren. Na ja, sie hatten sich gesteigert, jetzt waren es schon Boxershorts und keine Unterhosen mehr, wie es sich für einen großen Jungen (wie sie es immer mit Tränen in den Augen sagten) gehörte. Die totale Überwindung für sie! Also, ich hatte noch zwei Wochen sie zu überzeugen, dass ich mit zwölf Jahren groß genug für einen Computer, eine Playstation oder zumindest für einen Gameboy war. All das musste ich mir nämlich von meinem nicht grade groß ausfallendem Taschengeld kaufen und die Dinger waren schweineteuer! Puh! Ich hatte es noch nicht einmal zu einem Gameboyspielgebracht!!
Also, eigentlich dachte ich schon, dass es nicht schlimmer werden konnte, als dasselbe wieder zu bekommen, aber ich sollte mich täuschen:
Ich ging an dem Morgen meines Geburtstages, es war ein Samstag, wie gewohnt um elf Uhr in die Küche, um mit meiner Langschläfer-Family zu frühstücken, und war schon darauf gefasst, dass meine Eltern mich wieder mit dem gewohnten Geschenk begrüßen würden, aber sie sagten einfach nur: „Hallo, Matthias. Hunger?“ Ich dachte nur so: WAAAASSS???!!!
Sie hatten doch nicht wirklich meinen Geburtstag vergessen!! Doch, sie hatten, denn wenn sie das spielten, waren ihre schauspielerischen Talente an den Broadway verloren gegangen. Aber dann ging mir ein Licht auf, so etwas wie eine Blitzidee: Wenn sie ihn wirklich vergessen hatten war ich doch echt super dran; keine Boxershorts, Socken oder Ähnliches und kein Rotwerden vor den fragenden Klassenkameraden. Das war sogar eine Riesenstory, womit ich gut vor meinen Freunden prahlen konnte. Also, ich setzte mich an den Tisch, nahm mir ein dampfendes Brötchen und murmelte etwas Unverständliches. Der Tag verlief wirklich gut, meine Verwandten kamen zwar alle nacheinander zu Besuch (sie hatten auch das familiäre Gespür dafür, immer die schlimmsten Peinlichkeiten zu verschenken), sagten aber nichts, was irgendwie Richtung Geburtstag klang. Ich hatte schon das Gefühl, dass da etwas nicht stimmte, machte mir aber nicht weiter Gedanken. Also nach einer Weile des allein zu Hause chillens wurde mir ziemlich langweilig und ich rief Kevin, meinen besten Freund, an. Der war jedoch nicht da und auch im Fernsehen lief nichts, was ich nicht verpassen sollte, was sehr ungewöhnlich war. Warum liefen sonst immer an meinem Geburtstag tolle Filme, nur heute nicht?! Also, ich tat etwas, was ich sonst Samstags niemals tat: Ich machte Hausaufgaben. Ich machte wahrhaftig an einem Samstag, der dazu auch noch mein Geburtstag war, Mathehausaufgaben. Ich quälte mich durch vier Aufgaben, dann wurde es mir zu langweilig. Dann schaute ich nach, was in Erdkunde auf dem Plan stand: Begründe, warum Ackerbau heute unentbehrlich ist! Auch nicht der Hit. Struwel, mein Deutschlehrer, schien sich da etwas ganz Nettes ausgedacht zu haben: Schreibe einen Aufsatz über eine Person deiner Wahl! Ich kaute etwa fünf Minuten am Ende meines Füllers herum und entschied meine Hausaufgaben doch auf morgen zu verschieben. Dann hörte ich Schritte auf dem Flur. Das konnten nur meine Eltern sein. Wahrscheinlich hatten sie doch noch auf den Kalender geguckt und gesehen, dass ich genau heute vor zwölf Jahren auf die Welt kam. Ich schnappte mir das nächste Buch (sie sollten ja nicht denken, dass ich mich langweilte), merkte aber zu spät, dass ich es auf dem Kopf hielt. Natürlich kam gleich die passende Frage darauf: „Warum liest du falsch herum?“ Meine Mutter runzelte kurz ihre Stirn, als ich antwortete: „Hausaufgaben. Das Lesen auf dem Kopf steigert die Intelligenz.“ Sie guckte immer noch misstrauisch, schien sich aber an ihr eigentliches Vorhaben zu erinnern, denn sie sagte: „Da läuft gleich ein toller Film im Fernsehen, willst du den nicht vielleicht mit uns gucken?“ Hä?!, Dachte ich nur. Wieso wollten die, dass ich einen Film mit ihnen sah? Sonst musste ich doch immer etwas Vernünftiges heraussuchen! Seit wann sahen sie in die Fernsehzeitung? Naja, dachte ich, fragst du halt mal was das für ein Film ist. „Also...“, begann ich, „Wenn es kein Liebes- oder Disneyfilm ist, okay. Ich komme gleich.“ Dann machte ich meiner Mutter die Tür vor der Nase zu. Ich legte das Buch weg und marschierte Richtung Wohnzimmer. Doch als ich dort ankam, war niemand dort. Es war wie ausgestorben. Sie waren wahrscheinlich noch in der Küche, Knabbersachen holen. „Knabbersachen“ jedoch waren für meine Mutter keine Chips und Kekse, wie bei ganz normalen Eltern (wie auch, ich hatte keine normalen Eltern), sondern klein geschnittene Möhren und Paprika. Warum ist eigentlich gerade meine Mutter so, wie keine andere ist?!, fragte ich mich nicht zum ersten Mal. Ich taperte also in die Küche und.... stieß auf meine gesamte Familie. Auf meine Tante und meinen Onkel, meine Opas und Omas. NEEEIN!!!, dachte ich, Sie haben meinen Geburtstag doch nicht vergessen. Ich wollte gerade hinaus rennen, als Oma Gretchen mich an der Schulter packte und zu meinen Geschenken umdrehte. Ich schluckte heftig. Dann sagte meine andere Oma, Hanne: „Nun pack schon das erste aus. Das mit dem rosa Geschenkpapier mit den Schweinchen ist von Opa Friederich und mir.“ Das war wohl der Wink darauf, welches ich als erstes auspacken sollte. Vorsichtig öffnete ich das Geschenkpapier (ich wusste, wie meine Oma Hanne sich aufregen würde, wenn ich es einfach so zerriss, denn sie benutzte alles zwei oder drei Mal), und fand ein...
ein Gameboyspiel!! Ich konnte es nicht glauben, meine Oma und mein Opa schenkten mir ein Gameboyspiel! Ich konnte es echt nicht fassen!! Ich sprang in die Luft, aber der Aufprall war ziemlich hart, weil mir klar wurde, dass ich jetzt heftig sparen musste, wenn ich es auch spielen wollte. So ein Mist! Dann nahm ich mir ein grünes Päckchen vor. Es war ein weicher als das Vorherige. Viel weicher. Naja, doch Unterhosen!, dachte ich. Aber dem war nicht so, ich bekam Bettwäsche von den Simpsons, meiner Lieblingsfernsehsendung. Ich grinste schon über das ganze Gesicht, als ich das dritte Paket von meiner Tante Friederike und meinem Onkel Hans öffnete. In ihm befand sich ein Playstationspiel. Okay, noch mehr sparen, dachte ich mir, als ich ein weiteres Paket, diesmal von meiner Oma Gretchen und meinem Opa Jürgen entgegennahm. In ihm befand sich dann, ich konnte es kaum glauben, wirklich und wahrhaftig, ein Gameboy!!! Ich sprang dreimal mit dem Geschenk in die Luft und schrie wie am Spieß. Dann war das vorletzte Paket, das von meinen Eltern dran. Ich riss das Geschenkpapier ab und fand eine Playstation vor. Ich quiekte laut und hüpfte immer wieder auf und ab. Ich konnte gar nicht aufhören, bis mich meine Mutter auf das letzte Geschenk aufmerksam machte. Es war klein und knallrot. Ich öffnete es vorsichtig, weil auf dem Schild stand „Von uns allen“ und zu „uns allen“ gehörte schließlich auch Oma Hanne. Aber ganz gegen meinen Willen freute ich mich über das eigentlich so verhasste Geschenk. Nichts, rein gar nichts, nicht mal meine schreckliche und super hässliche Französischlehrerin hätte meine gute Laune trüben können. Ich schmunzelte. Sie hatten es also doch nicht lassen können! In meinem letzten Geschenk befanden sich fünf Paare Socken und zwei Boxershorts!!!