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Der Fahrstuhl
Bewaffnet mit einem Plastikbecher randvoll gefüllt mit heissem Kaffee steh ich da. Direkt vor mir befinden sich die kalten, schweren, metallenen Türen des Fahrstuhls, welcher mich in mein Büro im 11. Stock bringen soll. Meine Augen sind müde und traurig zugleich. Beim Betreten dieses Metallkastens herrscht jedes Mal dasselbe Schweigen unter diesen fremden Menschen um mich herum, die mit mir ein Bruchteil ihres Lebens in diesem Fahrstuhl verbringen. Es ist wie jeden Morgen. Die Türen öffnen sich und schliessen sich, während der Fahrstuhl durch sterile Laute aus dem Lautsprecher mit uns kommuniziert. Dass man sich überhaupt bewegt, wird einem nur durch den sanften Druck der Schwerkraft auf den Schultern bewusst, welche einen sich mal etwas schwerer und mal etwas leichter fühlen lässt. Von Stockwerk zu Stockwerk. Von Zwischenhalt zu Zwischenhalt. Ein Wechsel zwischen leicht und schwer, auf jeder dieser Etappen auf dem weg zum Ziel. Ich schliesse die Augen, stelle mir vor, wie es aussehen würde, wenn der Fahrstuhl mit einem gläsernen Boden ausgerüstet wäre und der Liftschacht in vielen bunten Farben beleuchtet würde. Von oben betrachtet würde es aussehen, als ob man aus der Mitte von blühenden Blumen Richtung Himmel emporsteigen würde. Es müsste ein unvergleichbar schöner Anblick sein. Jedenfalls ist er das in meiner Fantasie. Die Träumerei auf dem weg nach oben führt mich unweigerlich zu meiner nächsten allmorgendlichen Fantasie: Die eines lauten metallischen Geräusches, welches das übliche Schweigen unterbricht, fast gleichzeitig gefolgt von den überraschten ängstlichen Aufschreien der Leute um mich herum. Doch bevor sich auch nur einer der Passagiere über dieses Geräusch und dessen Ursache Gedanken machen kann, stürzt der Fahrstuhl mit unerahnter Geschwindigkeit und mit der Macht der Erdanziehung Richtung Boden, wo er nach ein paar Sekunden des freien Falles aufschlägt, in tausende Teile zerschellt und von allen Passagieren, mich eingeschlossen, rein gar nichts übrig lässt, was einmal auf ein menschliches Dasein hingewiesen hätte.
Seufzend öffne ich die Augen und stelle fest, dass sich mein geheimer Wunsch wieder einmal nicht erfüllt hat. Wer weiss, vielleicht beim nächsten Mal? Ich hoffe weiter, aber es geht mir schon ein bisschen besser. Beim Gedanken an meine Träumerei huscht mir tatsächlich ganz kurz ein Lächeln über die Lippen.