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Der Fehler des Jamal Johnson
Es war der perfekte Coup.
Alles, bis auf die kleinste Kleinigkeit, war hundertmal durchdacht. Jamals Existenz, ja vielleicht sogar die Existenz seiner gesamten Familie stand auf dem Spiel.
„Ich mache das alles nur für dich, Jenny“, murmelte er.
Seine Jenny. Sie würde ihn niemals im Stich lassen. Wie denn auch?
Sie waren unverheiratet und hatten keine Kinder. Die Eltern der beiden und deren Geschwister waren schon verstorben. Beide hatten niemanden, abgesehen von dem jeweils anderen; keine Verwandten oder Bekannten.
Jamal fragte sich, was sein Chef, seine Arbeitskollegen, seine Freunde dazu sagen würden, sollten sie jemals Wind davon bekommen. Doch darüber konnte Jamal nur lachen: er war ein Profi, er ließ sich nicht erwischen, nee, er nicht.
Noch einmal rief er sich ins Gewissen, für wen er das tat und betrat, bedacht lautlos, das Gebäude. Durch ein Fenster versteht sich – die Türen wurden nachts immer abgeschlossen. Natürlich war es kein Problem gewesen die Alarmanlagen auszuschalten. Er kannte sich mit Alarmanlagen und Zeitschaltuhren aus – jeder Elektroniker kannte die von ihm entwickelten Warnsysteme und den dazugehörigen Krimskrams! Genauso wie die Überwachungskameras, Jamal hatte eine kleine Änderung an ihnen vorgenommen, stellten die Wachmänner keine ernstzunehmende Bedrohung dar. Heute war das Spiel der Deutschen Nationalmannschaft gegen Italien in Florenz. Die Deutschen würden die italienische Mannschaft bei diesem Highlight weghauen, da war sich Jamal sicher – nicht sein erster, auch nicht sein einziger, aber durchaus sein folgenleichtester Fehler. Ein Job bei der angesehensten Security-Firma der Stadt war vielleicht hilfreich, um Sicherheitssysteme zu umgehen (vor allem verdient man nicht schlecht ohne Konkurrenz innerhalb der Stadt), aber es förderte auch nicht gerade die Sicherheit bei Vorraussagen, die Sport betrafen.
Jamal benutzte nicht den Aufzug – der würde zu viel Lärm machen, selbst für Wachmänner, die sich Jamals Meinung nach über ein Tor der Deutschen freuten – auch hier irrte Jamal (natürlich bei dem Tor, nicht bei dem Lärm); zum dritten Mal. Sein Ziel befand sich ohnehin im Erdgeschoss. Das Bellen eines Hundes drang zu Jamals Ohren. Er wusste nicht, ob er sich das einbildete, vermutete es aber; die Umstände erklärten es, sagte er sich. Bei seinem letzten Besuch – er war gekommen um die Geräte zu „warten“ – war ihm kein Wachhund aufgefallen. Sein Verdacht wurde also bestätigt. Ihm fiel ein, weshalb er hier war und er ging zielstrebig auf einen der Tische, die im Dämmerlicht des Mondes waren, zu. Er kannte sich hier aus. Warum, das soll dahin gestellt sein. Er holte drei Dinge aus seiner Manteltasche und machte sich ans Werk.
Fünf Minuten später informierte sich Jamal nach dem Zeitplan, das heißt er schaute auf die Uhr. Noch zwei Minuten und 22 Sekunden! Nachdem er exakt zwei Minuten und 19 Sekunden später aus dem Fenster stieg, fiel ihm ein, er musste noch seine Fingerabdrücke auf dem Fenster mit seinne Handschuhen wegwischen (wozu sind die auch sonst da?). Nun hieß es ab nach Hause, zu Jenny. Seiner Jenny.
Drei Tage später, Jamal sah sich gerade seine Lieblingssendung an, Aktenzeichen ABC ungelöst; dabei musste er immer so lachen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es solch blöde Verbrecher wie diese gab. Wie konnte man sich von der Polizei schnappen lassen, oder schlimmer noch, auf so primitive Alarmanlagen hereinfallen?
Jenny hatte es sich in der Ecke des Sofas gemütlich gemacht und schlief. Jamal wandte sich unbemerkt vom Bildschirm ab und beobachtete Jenny. Seine Jenny. Was würde er sagen?
War er damit einverstanden? Würde er …? Genau in diesem Moment klingelte das Telefon. „Wenn man vom Teufel denkt“, schoss es ihm durch den Kopf. Jenny, seine Jenny war beim Klingeln aufgeschreckt, hatte jedoch keinen Mucks von sich geben.
Er hob den Hörer so neben sein Ohr, dass er genau in dessen unteren Teil sprechen konnte.
„Hier Jamal Johnson, wer da?“
„Ja, ja, das ist sicher eine dieser urkomischen Fangfragen, was?“
Er sprach mit einer unbeschreiblichen Stimme. Sie klang ungefähr normal hoch (also eher tief, weil er ja ein er ist), und Jamal glaubte, da einen hochdeutschen Akzent herauszuhören. Er stellte eine Gegenfrage: „Erstens, wie kommen Sie darauf. Zweitens habe ich nichts gesagt, jetzt auf ihr „was“ bezogen.“
„Erstens, es gibt zwei Antworten auf Ihr „Wer da?“:
Erstens, ich Jochen Jäger, Sie haben mich gebeten, Sie zurückzurufen. Zweitens, Sie Jamal Johnson. Egal, welche Möglichkeit ich gewählt hätte, Sie hätten auf jeden Fall mit einem Feixen auf dem Gesicht und erröteten Backen erklärt, meine Antwort sei falsch und mir dann jeweils die „richtige“ Antwort genannt. Zweitens, ist in Ordnung, muss mich wohl verhört haben.“
Jamal fühlte sich kalt erwischt, war aber zugleich hitzig. Bis jetzt war jeder Anrufer auf seinen Trick hereingefallen. Herr Jäger kannte sich offenbar in der Szene aus. Jamal musste vorsichtiger sein. „Sagen Sie mir jetzt, was Sie zu sagen haben, und verschwinden Sie aus der Leitung.“
Jamal war aggressiver geworden. Er konnte Leute nicht leiden, die nicht auf seine fiesen Tricks hereinfielen.
„Nun, wenn man es genau betrachtet, kann ich Ihnen entweder das, was ich Ihnen sagen möchte sagen, oder ich verschwinde aus der Leitung, wie Sie es ausdrücken. Beides auf einmal lässt sich ni–“
„REDEN SIE KEINEN SCHEIß UND REDEN SIE ENDLICH!“
Jochen Jäger überlegte sich kurz, ob er auch diesmal Klugheit scheißen sollte, ließ es aber bleiben.
Stattdessen erwiderte er: „ Ist ja gut. Aber zuerst noch zwei Fragen: a, haben Sie dieses Foto von mir und Jasmin, meiner Jasmin? Wissen Sie, wir wollen bald heiraten. Meine erste Heirat!“
Jamal legte geschockt den Hörer auf die Gabel. Ohne sich zu verabschieden!
Jochen Jäger hatte keine Frau! Das war die kleinste Kleinigkeit, die in seinem sonst so genialen Plan einen Risikofaktor darstellte, sein erster Fehler. Doch anders als die beiden anderen war dieser sehr gravierend! Das war der Fehler des Jamal Johnson! Sein genialer Plan sah es vor, Herrn Jochen Jäger mit dessen heimlicher Liebschaft zu erpressen. Aus diesem Grund war er, Jamal Johnson, in Jochen Jägers Arbeitsstelle eingebrochen und hatte auf einem seiner Taschentücher einen Drohbrief verfasst, den er auf J.J’s Tisch gelegt hatte. Doch diesen Plan konnte, ja musste er fallen lassen. Er war zum Scheitern verdammt. Wahrscheinlich war J.J’s Liebschaft noch nicht mal geheim! Für Jamal stand fest: Er musste den Tierarzt Dr. Jochen Jäger bezahlen. Anders konnte er seine Hündin Jenny, seine Jenny, nicht von ihren Leiden erlösen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er schwor, an jedem Tag betend an ihrem Grab zu weinen.