Der Gartenterrorist
Der Gartenterrorist
Um nullsechshundert morgens betrat Herbert Röder die Terrasse seines Hauses. Exakt um die gleiche Zeit, wie er das jeden Tag tat, seit seiner Pensionierung vor mehr als zwei Jahren.
Aufmerksam ließ der Generalmajor a. D. den Blick über seinen Garten schweifen.
Die Rosensträucher auf seinen penibel geharkten Beeten, bekamen langsam grüne Blätter, der Polsterphlox erstrahlte in blassem Lila und der Flieder verströmte seinen süßlichen Duft.
Nichts entging den geübten Augen des Herrn Röder, denn trotz seiner siebenundsechzig Jahre war seine Sehkraft noch ungetrübt, sodass er keine Brille benötigte, wie die meisten seiner Altersgenossen.
Er wollte gerade einen Rechen holen, um einige herabgefallene Blätter, von seinem englischen Rasen zu entfernen, als ihm zwei unidentifizierte braune Gebilde, auf Selbigem auffielen. Mit zusammengekniffenen Augen, die Hände in die Hüften gestemmt, marschierte er auf die beiden Objekte zu.
Dann begab er sich in die Hocke, unterzog sie einer kurzen Musterung und stand wieder auf.
„Mauuuuuuuulwuuuuurfshügel“, presste er zwischen den Zähnen hervor.
„Der Feind hat die hoheitlichen Grenzen überschritten. Das bedeutet Kriiiieg.“
Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und stampfte zurück ins Haus.
Nach kurzem Überlegen holte er die alte Schiefertafel vom Dachboden und schrieb in sauberen Großbuchstaben, Manöver gegen den Gartenterrorismus, darauf.
Dreißig Minuten später, war die Tafel übersäht mit weißen Kreuzen, Pfeilen, Strichen und Kreisen, von denen nur er selbst wusste, was sie zu bedeuten hatten.
Zufrieden verschränkte Herbert Röder die Arme vor der Brust und musterte sein Werk, bevor er sich auf den Weg in den nahe gelegenen Gartenmarkt begab.
Weitere sechzig Minuten und mehrere hundert Euro später, trat er voll bepackt durch die Gartenpforte und registrierte, zwei weitere Eindringlinge – in Form von Gänseblümchen – die sich auf einem seiner sorgfältig gepflegten Margeritenbeete breit gemacht hatten.
Darum würde er sich später kümmern. Zuerst musste das Primärziel außer Gefecht gesetzt werden.
Dazu war selbstverständlich genaue Kenntniss des Gegners erforderlich. Einen Krieg konnte man nur gewinnen, wenn man sämtliche Schwächen des Feindes kannte. Also holte er das große Gartenlexikon aus dem Bücherregal und begann zu lesen:
Talpa europaea. Der europäische Maulwurf zeichnet sich durch einen walzenförmigen Körper aus. Der Hals ist kurz und kaum sichtbar. Die Vorderfüße sind zu Grabschaufel umgebildet. Das Haarkleid ist dicht und kurz. Das Fell schwarz und ohne Strich, dadurch kann er in den Gängen rückwärts fast genauso gut laufen wie vorwärts. Die Körperlänge beträgt 11 - 16 cm. Er lebt in einem unterirdischen Gangsystem, das er ständig erweitert. Dieses System nutzt er zur Jagd. Im Normalfall wird die dabei anfallende Erde an die Oberfläche geschoben, wobei die charakteristischen Maulwurfshügel entstehen. Maulwürfe sind hervorragende Schwimmer und verströmen eine für andere Tiere unangenehmen Moschusduft, weshalb sie von Katzen oder Hunden nur selten erbeutet werden.
Das war also der Gegner: ein kriecherisches, feiges Subjekt, das im verborgenen operierte, infiltrierte und die Allgemeinheit schädigte. Diesen Erdterroristen galt es so schnell als möglich zu eliminieren.
Herbert Röder Generalmajor a.D. hatte schon größere Manöver erfolgreich beendet, sodass dieses hier, ein Kinderspiel werden würde. Da aber ertränken als Möglichkeit bereits ausschied, musste eine andere Taktik in Erwägung gezogen werden.
Herbert Röder ordnete seinen gesamten Einkauf auf dem Gartentisch an und überprüfte sämtliche Utensilien auf ihre Funktionstüchtigkeit.
„Operation maulwurffrei kann beginnen“. Damit überquerte er den Rasen und stellte im Radius von zwei Metern, mehrere Vibrationsstäbe auf die Erde, die irgendwie Ähnlichkeit mit Holzpflöcken hatten und den Störenfried, mittels hochfrequentem Ultraschall vertreiben sollten.
Da der Feind nun umzingelt war und mit Sicherheit den strategischen Rückzug antreten würde, begab sich Herbert Röder zurück ins Haus, um sich seiner Mittagsruhe hinzugeben.
Exakt um vierzehnhundert, wie jeden Tag seit seiner Pensionierung, trat er wieder aus dem Haus und unterzog den Garten einer expliziten Musterung.
Der Generalmajor a.D. presste die Lippen zu einem schmallen, blutleeren Strich zusammen, nur mit äußerster Disziplin gelang es ihm den Zorn zu unterdrücken, den er beim Anblick eines dritten Erdhügels empfand.
„Der Feind leistet Widerstand, Operation maulwurffrei muss intensiviert werden.“
Herbert Röder nahm zehn rote Verpackungen, mit der Aufschrift Maulwurftot, vom Tisch und lief mit weit ausgreifenden Schritten auf die Bastion des Widersachers zu. Er kippte den gesamten Inhalt der Schachteln auf den Boden und steckte die tischtennisballgroßen Giftkugeln tief in die Maulwurfshügel hinein.
Wenn mechanische Waffen versagten, musste zur Verteidigung des Gartenfriedens, ein biologischer Kampfstoff zum Einsatz kommen.
Zufrieden über seine Manövertaktik und zuversichtlich, ob ihrer Wirksamkeit, verließ der Generalmajor a. D. das Schlachtfeld.
Als er am nächsten Tag zum morgendlichen Rapport, auf der Terrasse erschien, wähnte er sich in einer Oneirodynie, denn neben den drei bereits bestehenden Erdanhäufungen, waren noch zwei weitere hinzugekommen.
Seine Gesichtsfarbe wechselte übergangslos von leichter Bräune zu purpurrot, während an seiner Schläfe eine Ader bedrohlich zu pochen begann und er, in einer Mischung die irgendwo zwischen rasender Wut und beginnendem Irrsinn schwankte, zum Tatort rannte.
„Der Feind widersetzt sich standhaft. Auf in die Schlaaaacht!“
Herbert Röder hastete in den Gerätschuppen und kam wenig später mit seinem betagten Moped und mehreren Schläuchen wieder heraus.
Den größten Schlauch quetschte er über den rostigen Auspuff des alten Spatz, während er am anderen Ende einen Mehrfachanschluss und daran die restlichen fünf Schläuche befestigte
Dann steckte er jedes Ende in einen der Maulwurfshügel, startet das Moped und begab sich umgehend hinter das Haus um seine Zierhecken zu beschneiden und so seinen streng organisierten Zeitplan nicht noch mehr zu gefährden. Der Unruhestifter würde einer Kohlenmonoxydvergiftung zum Opfer fallen, dessen war sich der Generalmajor sicher.
Aber Herbert Röder hatte auch diesmal die Rechnung ohne den Maulwurf gemacht, der sich weiter bester Gesundheit erfreute und den vorbildlichen Garten mit zwei weiteren neuen Erdhügeln, in eine Kraterlandschaft verwandelt hatte.
Mit erstarrtem Gesicht und hervorquellenden Augen, mehr stolpernd als rennend, stürzte er auf die Erdaufwürfe zu, packte im Vorbeigehen den Spaten, der an der Hauswand stand, und hieb wie von Sinnen auf die Maulwurfshügel ein.
„Verräter elendiger, stell dich zum Kampf wie ein Mann, nur Feiglinge verstecken sich. Disziplinieren, aushungern und erschießen sollte man dich. Jawohl: An die Wand stellen und erschießen“.
Plötzlich kam ihm eine grandiose Idee. Er hastete in den Keller. Ohne Licht anzumachen, fand er in militärischer Ordnung sofort wonach er suchte.
Es dauerte einige Zeit, bevor er die schwere Truhe nach oben und in den Garten geschleppt hatte.
Er öffnete sie mit dem passenden Schlüssel und verteilte nacheinander den gesamten Inhalt auf dem Boden, prüfte ihn auf Vollständigkeit und machte sich ans Werk.
Eine Stunde später waren die Maulwurfshügel mit Stacheldraht eingekreist und von den verschieden Teilen einer Selbstschussanlage, mit Infrarotbewegungsmelder umzingelt.
Zufrieden begutachtete Generalmajor a. D. Herbert Röder seine Privatartillerie, zur Verteidigung des heimischen Territoriums.
Das würde dem Feind endgültig den Gar ausmachen, auch wenn zivile Opfer nicht ganz ausgeschlossen werden konnten. Aber darauf konnte keine Rücksicht genommen werden, denn schließlich kämpfte er für höhere Ziele.
Am nächsten Morgen trat er auf die Terrasse hinaus und musterte seinen Garten. Mit einem angedeuteten nicken, zollte er sich selbst Respekt für die schwierige aber erfolgreiche Offensive.
Kein neuer Erdhaufen war hinzugekommen. Der Gegner war eliminiert, dass Bollwerk des Unterwanderers zerstört, der Frieden auf heimischen Hoheitsgebiet uneingeschränkt wieder hergestellt.
„Operation Maulwurffrei erfolgreich beendet. Verluste? nur auf der Seite des Feindes! Verletzte? Keine! Kriegsgefangene? Keine! Zivile Opfer? Ein Igel, ein Rododendronbusch – also nichts wirklich dramatisches! Angriffsziel? Dem Erdboden gleich gemacht! – erstatte er sich selbst Bericht.
Nun, da die Schlacht erfolgreich beendet war, konnte sich Herbert Röder wieder den wichtigen Dingen des Gärtnerdaseins widmen. Er entfernte das Kriegsgerät, ebnete die Maulwurfshügel akribisch ein und streute Grassamen darauf aus. Dann jätete er Unkraut in den Blumen Beeten, beseitigte die zivilen Opfer seiner erfolgreichen Aktion und beschnitt die restlichen Zierhecken hinter dem Haus.
Als er seine Arbeit fast plankonform beendet hatte und auf dem Weg ins Haus war, wich ihm sämtliche Farbe aus dem militärischen Gesicht. Sein Herz setzte einen Schlag aus, um dann in doppeltem Tempo weiterzustolpern, Schweiß perlte auf seiner Stirn, seine Haut nahm in Sekundenbruchteilen den Farbton einer überreifen, kurz vor dem Platzen befindlichen Tomate an, als er auf der anderen Seite des Gartens einen braunen Erdwall entdeckte.
„Der Feind ist zurück. Attaaaackeeee!“, brüllte er wie von Sinnen und rannte mit weit ausgreifenden Schritten auf die Bastion des Terrors zu.
Einer dieser Schritte war sein Letzter; als er in ein frischgegrabenes Wühlmausloch trat, stolperte und einer der Vibrationsstäbe - die Ähnlichkeit mit Holzpflöcken hatten und den Störenfried, mittels hochfrequentem Ultraschall vertreiben sollten – seine Halsschlagader durchtrennte.