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Der Geist im Flur

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11.04.2001
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Der Geist im Flur

Ein tiefer Seufzer hallte durch den Flur.
Ana drehte sich im Bett um und fuhr sich verschlafen mit dem Handrücken über die Augen. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab. Ängstlich warf sie einen Blick auf die Zimmertür. Sie hatte etwas gehört, nur was? Konzentriert starrte sie auf die Eisblumen am Fenster, während sie neugierig in den Flur nach dem Geräusch horchte. Ihre Müdigkeit war verschwunden und auch ihr Traum. Sie zog die Decke vom Körper und verließ die mollige Wärme des Bettes. Ihre Füße tapsten auf dem Holzboden zur Zimmertüre. Vorsichtig griff sie nach der Türklinke. Sie drückte sie langsam herunter. Ein Knarzen erfüllte die Stille, sie streckte den Kopf in den Flur. Ihre blauen Augen spähten in die Leere, niemand war da – auch kein Geräusch mehr. Sie trat in den Flur hinaus und sah sich um. Ana lief zum Fenster und zog sich auf den Fenstersims hoch. Ihre Hände berührten den kalten Marmor.
Kurz darauf hüpfte sie wieder hinunter und lief den Flur entlang, begleitet von dem knarrenden Geräusch der Dielen. Fotografien zierten die Wände des Flures im ersten Stock. Portraits der Familie, von Ausflügen, auf denen spielende Kinder zu sehen waren, vornehm gekleidete Erwachsene und Eindrücke der Landschaft vor dem Grundstück. Eine der Aufnahmen zeigte den dunklen See im Winter. Ein Junge stand am Seeufer und winkte in die Kamera. Sein Gesicht war kreidebleich und das braune Haar fiel ihm in die Stirn. Es war ein verschneiter Tag. Das Mädchen hielt vor dem Bild mit dem Jungen. Erst seit kurzem begann sie sich dafür zu interessieren, wer das wohl sein konnte.
Kurz darauf verschwand sie in ihr Zimmer. Stille legte sich über das Anwesen, als wäre es menschenleer.

Ana saß am Küchentisch und wanderte mit ihren Blicken die Einrichtung der Küche ab. Ein Bouquet stand auf dem Frühstückstisch. Der Duft frisch gebrühten Kaffees breitete sich langsam aus. Sie beobachtete ihren Vater, wie er sich Zucker in eine Kaffeetasse gab.
„Ich habe ein Geräusch gehört“, erfüllte ihre helle Stimme die Küche. Ihr Vater drehte sich um. Müde rieb er sich mit den Händen das Gesicht und fuhr sich durch das ungekämmte Haar.
„Ein Geräusch?“ Er seufzte, als hätte er diese Nacht nicht gut geschlafen. „Was für ein Geräusch?“, fragte er. Sie bugsierte ohne großen Hunger die Cornflakes auf den Löffel.
„Das, was du gerade gemacht hast“, antwortete sie lebhaft. Die Kaffeemaschine gab ein Röcheln von sich.
„Was habe ich denn gerade gemacht?“
„Na, das eben“, sagte sie und holte tief Luft, die sie mit Anstrengung über die Nase wieder ausatmete.
„Du meinst, das Seufzen?“
Das Mädchen nickte. „Ich bin davon aufgewacht.“
„Ja? Vielleicht hast du es nur geträumt?“, fragte der Vater und goss sich Kaffee in die Tasse. Er setzte sich an den Tisch.
Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf, so dass ihre blonden Haare wild durch die Luft flogen. „Nein, habe ich nicht“, sagte sie störrisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wo war denn das Geräusch?“
„Im Flur“, antwortete sie schnell. Dann sprang sie auf und wollte gehen. Doch er rief sie zurück.
„Was ist mit deinem Frühstück?“
„Ist zu matschig“, sagte sie und verschwand aus der Küche.
Die Eisblumen am Fenster waren geschmolzen. Am blauen Himmel schien die Sonne, doch merklich wärmer wurde es dadurch nicht. Das Mädchen schlich vorsichtig die Treppenstufen hinauf. Ein Schauder fuhr ihr über den Rücken, als sie die Leere des Flures erkannte. Langsam schlurfte sie zum Fenster am Ende des Flures. Sie hockte sich auf den Fenstersims und betrachtete den dunklen See, der in der Winterzeit immer unheimlich aussah. Die Wasseroberfläche war glatt wie Glas und das Spiegelbild der Natur im See vermittelte den Eindruck, beides würde ineinander verschmelzen. Gedankenverloren streifte sie mit ihren Blicken durch den Flur und lehnte sich an den Fenstersims. Zwischen den Ritzen des Fensters drückte kalte Luft herein. Sie seufzte auf und verkroch sich in ihr Zimmer.

Der Flur war leer. Heute Nacht war Vollmond und das fahle Licht warf groteske Schatten an die Wände. Draußen blies ein leichter Wind. Stille beherrschte das Haus, alle schliefen in ihren warmen Betten. So auch das Mädchen, im Arm ihren Teddy, der sie in dieser Nacht in ihren Träumen begleiten sollte. Auf dem Boden lag überall Spielzeug, Buntstifte und auf dem Schreibtisch des Kinderzimmers angefangene Zeichnungen. Darauf waren Vater und Mutter zu sehen, neben ihren Eltern war sie gemalt und dann noch ein schwarz gekleideter Junge an der Hand des Mädchens. Das Bild zeigte eine glückliche Familie. Luftballons trug der Wind in den Himmel, Wölkchen trieben davon und das Haus der Familie war mit fröhlichen Farben angestrichen.
Das Mädchen schreckte hoch, als wieder ein unheimliches Seufzen die Stille im Flur störte. Hellwach starrte sie zur geschlossenen Zimmertüre. Mit leisen Schritten näherte sie sich der Türe, drückte die Türklinke, um den Kopf in den Flur zu stecken. Ihre Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt. Sie fürchtete sich. Mit vorsichtigen Schritten trat sie hinaus und sah zum Fenster am Ende des Flurs. Ihr Schlafanzug ließ sie unschuldig wirken. Sie verschränkte die Hände hinter dem Rücken und starrte weiterhin zum Ende des Flurs.
„Ich bin Ana und wer bist du?“, flüsterte sie, damit sie ihre Eltern nicht weckte. Eine vom fahlen Mondlicht beschienene Gestalt schreckte unvermittelt auf. Ana sah sie unverwandt an, betrachtete sie von oben bis unten. Die Gestalt verharrte vor dem Fenster, ihr Gesicht lag im Dunkeln. Sie starrte sie mit ihren neugierigen Augen an.
„Ich bin Daniel.“ Ana hörte nur mit Mühe seine Worte. Sie spürte seinen Blick auf sich ruhen und fühlte sich von ihm gefangen.
„Was machst du hier?“, fragte sie. Zwischen den beiden lag eine gewisse Anspannung. Daniel war nervös, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Er sah unsicher aus dem Fenster und beantwortete dann ihre Frage.
„Ich sehe mir den See an“, begann er, während sie ihm mit ihren fragenden Blicken begegnete. „Er ist schön dunkel, das Mondlicht spiegelt sich in seiner Oberfläche, die so zärtlich in diesem Licht erscheint, als könnte man sie streicheln“, fuhr der Unbekannte fort. Die Anspannung begann zu weichen. In den Augen ihres Gegenübers erkannte sie, dass er Vertrauen fasste.
„Wohnst du hier?“, fragte Ana und kniff die Augen zusammen, um ihn besser zu erkennen. Doch das Dunkle umgab ihn wie eine schwarze Hülle. Der Fremde zögerte. Er rieb sich nachdenklich über die Stirn.
Er nickte. „Ich habe hier gewohnt.“ Seine Stimme war sanft. „Es ist so viele Jahre her, dass ich hier am Fenster stand und den See betrachtete“, grübelte er. Ana trat einen Schritt näher heran, während er erschrocken zurücksetzte.
„Ich will dein Gesicht sehen.“ Der Junge stieß mit dem Rücken an den Fenstersims, er konnte nicht weg. Unsicher trat Ana dennoch näher.
„Ich kenne dich“, sagte er bestimmt. „Du wohnst hier, mit deinen Eltern zusammen. Ich sehe dich hin und wieder, wie du unten im Garten spielst. Auf der Schaukel und wenn du um den See spazierst, manchmal allein, manchmal mit deinem Vater.“ Daniel sah aus dem Fenster.
Ana trat zur Seite, als sein Gesicht vom Mondlicht leicht gestreift wurde. Daniel zuckte zusammen. Die Nähe des Mädchens bereitete ihm noch Unbehagen.
„Du bist der Junge“, sagte sie aufgeregt. Rasch drehte sie sich um und zeigte auf das Foto an der Wand. So schnell sie sich dem Jungen wieder zuwandte, so war er auch schon wieder verschwunden. Ana erfasste eine unheimliche Kälte. Sie wollte nicht glauben, dass sie geträumt hatte. Es schauderte sie, als sie sich dem Fenster näherte und etwas spürte, das sie mit Worten nicht zu beschreiben vermochte. Schließlich kroch sie zurück ins Bett, um zu schlafen.

Die Cornflakes waren sämig geworden und Ana rührte lustlos darin herum. Verstohlen beobachtete sie ihren Vater, der wie üblich an seinem Kaffee nippte, während er die Zeitung las. Ein Poltern war oben zu hören. Kopfschüttelnd versank ihr Vater wieder in seine Lektüre. Ana wandte sich ihrem Vater zu.
„Der Junge vom See war heute Nacht da.“ Der Mann sah seine Tochter stirnrunzelnd an.
„Welcher Junge?“, fragte er irritiert.
„Na, der Junge auf dem Foto im Flur“, erklärte Ana.
Jetzt wurde er neugierig und beugte sich nach vorn.
„Er war wo?“
„Im Flur. Ich habe mit ihm geredet.“
Sorgenfalten erschienen auf seiner Stirn.
„Du hast ihn im Flur gesehen?“ Ein Staunen lag in seiner Stimme.
Ana nickte, als wäre es nichts Besonderes. „Er heißt Daniel“, sagte sie.
„Daniel“, murmelte ihr Vater. Er erinnerte sich an das Foto im Flur. Der Junge, der am See stand und in die Kamera winkte. „Und du hast mit ihm gesprochen?“
„Ja.“
„Was hat er gesagt?“
„Er hat hier gewohnt“, antwortete Ana, während sie mit dem Löffel in der Schüssel spielte. Entsetzen machte sich bei Anas Vater breit. „Er hat uns um den See spazieren gehen sehen“, fuhr sie fort. Unschuldig schaute sie ihren Vater an.
Der Vater seufzte. „Es war sicher nur ein Traum.“
„Nein, es war kein Traum.“ Der Löffel fiel klirrend in die Schüssel. „Er stand oben im Flur, am Fenster“, sagte sie trotzig, stand auf und lief nach oben.

In der Nacht setzte Nieselregen ein. Kleine Rinnsale bildeten sich auf der Fensterscheibe. Der Flur war in Dunkelheit getaucht.
Ana versteckte sich frierend in einer Nische. Ganz klein machte sie sich, rieb sich die Oberarme warm, obwohl sie einen dicken Pullover trug. Ana lehnte mit dem Rücken an der Wand. Die Ärmel ihres Pullovers reichten bis über die Hände, damit die kühlen Finger wieder Wärme gewannen. Auf einmal hörte sie ein Seufzen im Flur und ihr erschrockener Blick sah zum Fenster. Daniel war wieder da und blickte hinaus auf den See. Obwohl es so dunkel war, sah Ana doch, dass auch er in einem dicken Pullover steckte. Er verhielt sich still, versuchte nicht aufzufallen. Ana stand auf und näherte sich ihm. Kurz bevor sie ihn erreicht hatte, drehte er sich um und sah sie an. Still stand sie vor ihm, beobachtete ihn neugierig.
„Hallo“, begrüßte er sie. Sie lächelte ihn offen an.
„Hallo“, begrüßte sie Daniel. „Ich habe auf dich gewartet.“
„Musst du nicht im Bett liegen, Ana?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, muss ich nicht“, antwortete sie munter. „Kannst du morgen mit mir frühstücken?“ Ihre Stimme klang unschuldig.
Daniel sah sie verblüfft an.
„Aber Ana…“ Er holte tief Luft. Unbeholfen warf er einen Blick über die Schulter hinaus auf den dunklen See, um Zeit zu haben, eine passende Antwort zu finden.
„Ana, das geht nicht“, sagte er enttäuscht.
„Aber wieso nicht?“ Ana senkte traurig den Kopf.
„Es geht einfach nicht.“ Anas Blicke folgten seinen suchenden, die sich im Flur verloren.
„Bitte! Ich möchte dich meinem Vater zeigen“, sagte sie starrköpfig.
„Deinem Vater? Du hast ihm von mir erzählt?“ Ana sah seine ungläubigen Augen.
Die Kleine nickte. „Er glaubt mir nicht.“ Daniel wurde unruhig und die Gefahr, entdeckt zu werden, größer.
„Er wird dir nicht glauben, Ana.“
„Wieso nicht?“
„Weil ich nicht das bin, was du vielleicht glauben möchtest.“
Daniel drehte sich um und sah aus dem Fenster. Ana trat einen Schritt näher an ihn heran, voller Hoffnung, ihn umstimmen zu können.
„Was bist du denn?“
Auf die Frage hin sah er Ana mit großen Augen an, die soviel zu erzählen hatten. Die Zeit hatte er aber nicht. Ana starrte ihn neugierig an wie etwas, das sie zuvor noch nicht gesehen hatte. Doch das wurde Daniel schnell unangenehm, da er befürchtete, dass sie mehr sehen konnte, als er wollte.
„Ich bin, was du siehst“, antwortete er. Ana hingegen schien die Antwort nicht zufrieden zu stellen.
„Woher kommst du?“
Daniel seufzte, wie in jener Nacht, als sie ihn am Fenster entdeckt hatte. Es war kein Seufzen der Erleichterung, eher das Ergebnis seines Leidens, dem er ausgesetzt war. Nur zusehen zu können, wie der Winter die Landschaft veränderte und der Sommer das Leben zurück brachte.
„Ich habe hier gewohnt“, begann er seine Geschichte. „Es war vor vielen Jahren. Mit meinen Eltern lebte ich hier, genauso wie du. Dieses große Haus. Der Garten. Nichts Wesentliches hat sich hier geändert“, erinnerte er sich. Eine wohlige Wärme ging von der Kleinen aus. Daniel hatte den Glauben daran verloren, noch einmal einen Freund gewinnen zu können. „Wir hatten da unten eine Schaukel. Manchmal schubste mich mein Vater an, an anderen Tagen meine Mutter. Der Rasen, der feucht vom Tau am Morgen war. Es roch, als würde die Natur bestätigen, dass es ihr gut ginge. Wir hatten einen kleinen Hund. Mit ihm ging ich im Wald spielen. Im See konnte man im Sommer schwimmen gehen, so warm war das Wasser. Es war herrlich“, schwärmte er. Ana hörte aufmerksam zu. Die Geschichte nahm das Mädchen ein. „Doch nur ein Tag, der veränderte alles. Es war im Winter. Der Frost hatte alles überdeckt. Die Fenster waren mit Blumenmustern aus Eis besprenkelt. Im Haus roch es nach Kuchen und Plätzchen. Ich baute mit meinem Vater draußen vor dem See einen Schneemann“, erzählte er stolz. „Später, als ich allein unten am See war, riefen mich meine Eltern zum Essen. Ich wollte noch das Eis prüfen, ob man Schlittschuhlaufen könne. Aber dann…“, brach er auf einmal ab. Ein Schauder durchfuhr ihn.
„Dann…?“, wartete sie ungeduldig auf die Fortsetzung.
„Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“ Er schüttelte den Kopf.
Das Ungewisse ließ ihn nicht ruhen. Aufgewühlt suchte er mit seinen Blicken durch das Fenster den See, als würde er auf jemanden warten.
„Was ist mit deinen Eltern?“
„Auch wenn ich sie jeden Tag vor Augen habe, vermisse ich sie.“ Seine Augen füllten sich mit Tränen, die Ana in der Dunkelheit kaum erkennen konnte. Unvermittelt fuhr ihre Hand vor und griff nach der seinen. Zuerst schreckte er zurück, doch dann weigerte er sich nicht mehr. Die mollige Wärme war wie eine Umarmung. Das Vertrauen in ihren Bewegungen, diese einzigartige Freundschaft, die die beiden verband. Daniel war nicht mehr allein.
Die beiden gingen durch die Dunkelheit der Nacht. Am Bild vorbei, das den Jungen zeigte. Ana sah stolz zu ihrem neuen Freund auf, mit dem sie Hand in Hand den Flur entlang spazierte. Kurz darauf verblassten ihre Silhouetten mit der Stille.

Ana saß am Küchentisch und fuhr sich mit dem Zeigefinger durch ihr Haar. Der Duft frisch gebrühten Kaffees erfüllte die Küche. Schritte kamen näher. Ihr Vater stellte sich an den Küchentisch und entdeckte das Bild, das vor einer Schüssel lag. Er musterte den Inhalt des Bilderrahmens und sah dann zu Ana auf, die sorgloser als zuvor wirkte.
„Was ist mit dem Bild?“ Verwundert sah er seine Tochter an. Ana betrachtete das Foto.
„Das ist Daniel“, antwortete sie munter. „Er ist mein Freund.“
„Daniel?“ Der Vater schluckte schwer. Er wurde nervös. „Wieso hast du es abgenommen?“
„Damit er bei mir ist.“
Ana fiel auf, dass ihr Vater nach den richtigen Worten suchte. So kannte sie ihn nicht. Er wusste immer auf alles eine Antwort, doch diesmal schien er eine Antwort in der Kaffeetasse zu suchen.
„Hast du diesen Daniel wieder gesehen? Heute Nacht?“
Ana nickte freudig. „Ich wollte ihn heute mitbringen, aber er sagte, es ginge nicht.“ Sie sah den verwirrten Blick ihres Vaters.
„Mitbringen?“, fragte er. Er versuchte von den Gedanken wegzukommen, die in seinem Kopf spukten. Es gelang ihm nicht. „Was ist denn heute Nacht passiert?“
Ana sah ihn mit großen Augen an. „Er war wieder da, am Fenster zum See. Es hat geregnet und er konnte nicht wie sonst auf den See schauen. Daniel war traurig. Er erzählte mir, dass er früher mit seinen Eltern am See spielen war und einen Schneemann baute. Irgendwann konnte er sich an nichts mehr erinnern“, erzählte sie Daniels Geschichte. Daniel, der Junge am Fenster.
Fassungslos darüber, was ihm seine Tochter soeben erzählt hatte, schlug ihr Vater die Hände über den Kopf. Tränen schossen in seine Augen.
„Warum weinst du, Papa?“
Ana stand von ihrem Stuhl auf und lief um den Tisch zu ihrem Vater. Sie umklammerte ihn mit ihren Armen. Er versuchte sich zurückzuhalten. Aber es war schwer, so schwer wie die Erinnerungen auf ihm lasteten.
„Wie kommst du auf so eine Geschichte?“ Während er auf die Antwort wartete, wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Er erzählte sie mir.“
„Ich kann es nicht glauben, Ana.“
„Papa, was ist denn?“
„Daniel ist, er war dein Bruder.“ Die Wahrheit tat weh. „Wir wollten warten, bis du älter bist und es verstehen würdest. Er wollte damals nicht reinkommen, der Winter hatte den See zugefroren, aber nicht fest genug. Als wir ihn holen wollten, fanden wir ihn nicht, bis wir eine Stelle im See entdeckten, die eingebrochen war“, erklärte er mit zitternder Stimme. Anas Augen füllten sich mit Tränen. Beide brachten keine Worte mehr hervor.

Ana kauerte sich an das Fenster im Flur. Sie war allein. Das Licht im Zimmer ihrer Eltern war erloschen, es war dunkel im Flur. Nur das fahle Mondlicht sickerte durch das Fenster, um schwache Schatten an die Wand zu werfen. Lange hatte sie diese Nacht auf Daniel gewartet, aber er kam nicht. Die Müdigkeit erfasste Ana, ihre Augenlider wurden schwerer, das Gähnen war ein Zeichen, ins Bett zu gehen.
Enttäuscht über die dramatische Geschichte um ihren Bruder, versuchte sie die Gedanken fortzuwischen. Doch bevor sie in ihr Zimmer ging, kehrte sie noch einmal um. Es ließ ihr keine Ruhe. Ana lief durch den Flur, bis sie das Fenster zum See erreichte. Sie streckte sich, um aus dem Fenster nach unten sehen zu können. Daniel aber fehlte. Enttäuscht wollte sie umkehren, als er plötzlich vor ihr stand. Ihr trauriges Gesicht wich einem Lächeln.
„Du bist noch wach?“ Daniel flüsterte, um niemanden zu wecken.
Ana nickte euphorisch. „Ich weiß jetzt, wer du bist.“
Daniels angespannter Blick löste sich nun. „Ana, es tut mir Leid.“
Sie schüttelte den Kopf. „Du bist mein Bruder“, japste sie leise, als wäre sie außer Atem. Doch plötzlich folgten ihrer lebendigen Art Tränen. „Du bist ertrunken, unten im See.“
Ein Gefühl der Erleichterung überkam Daniel. Eine ungewisse Vergangenheit verwandelte sich nun in eine Wahrheit, nach der er schon so lange gesucht hatte. Daniel nahm seine weinende Schwester zum Abschied in die Arme. Wenig später beobachtete Ana ihren Bruder, wie er in die Dunkelheit des Flures spazierte und darin verschwand.

 
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Hi MisceloneuM,

ich mag Geistergeschichten und deine mag ich auch. :)

Trotzdem habe ich ein klein wenig zu meckern.

Ersteinmal stört mich, dass du sehr oft, im ersten Teil, -das kleine Mädchen- schreibst.
Nenne sie doch schon früher bei ihrem Namen.
Warum spielt in deiner Geschichte, die Mutter keine Rolle?

Was ich auch nicht verstehe: Ana sieht die Bilder im Flur. Sieht darauf den kleinen Jungen. Warum hat sie ihre Eltern nie gefragt, wer das ist? Wo gerade Kinder doch so neugierig sind.

Und warum kommt Daniel nicht mehr?
Es kann nicht daran liegen, dass seine Schwester jetzt weiß wer er ist.
Eher hätte ich gedacht, dass Ana ihm, nach dem Gespräch mit dem Vater, sagen würde, dass er im See ertrunken ist. Denn dies scheint er nicht gewußt zu haben.
Das eine Seele sich nicht von seiner Umgebung lösen kann, liegt meist daran, dass es für "sie" noch ungeklärte Dinge gibt.
Daniel wußte nicht was mit ihm geschehen ist, wußte warscheinlich noch nicht mal, dass er gestorben ist.
Um wirklich "erlöst" gehen zu können, müsste er es erfahren und vor allem begreifen.
Ich finde, dass hast du nicht deutlich genug herausgearbeitet.


Mit einem Ruck zog sie die Decke von ihrem Körper und vergaß damit die mollige Wärme, in die sie sich eben noch geschmiegt hatte. Ihre kleinen Füße tapsten auf dem dunkelbraunen Laminatboden Richtung Haustüre und versuchten dabei, kein Geräusch zu machen. Zielstrebig war sie und unerschrocken. Dann griff sie nach der Türklinke und drückte sie langsam herunter. Ein Knarzen erfüllte die Stille des Kinderzimmers. Sie zog vorsichtig die Türe auf und streckte den Kopf in den Flur.

Haustüre ist für mich die Tür, durch die man das Haus verlässt.
Jana war aber noch im Kinderzimmer.
Hast du da die Sätze nicht in die richtige Reihenfolge gebracht? ;)

Es sind noch einige Punkte in deiner KG, die verbesserungswürdig wären.
So schreibst du z.B.: kleine Wölkchen.
Entweder: kleine Wolken, oder nur -Wölkchen-.

Der Flurwar leer. Heute Nacht schien der Vollmond besonders hell und so sickerte das fahle Licht durch die angelaufenen Fensterscheiben und warf groteske Schatten an die Wände des Flurs.
Zweimal Flur.
... Schatten an die Wände.- reicht-

In der Art ist da noch einiges drin.
Ich bin nicht der Typ, dir das alles aufzulisten.
Da gibt es andere hier, die das besser können :D

Nochmal: Deine Geschichte hat mir gut gefallen, bis auf die obigen Punkte. :)

lieben Gruß, coleratio

 

dankeschön, dass du dir die Mühe gemacht hast. Das macht durchaus nicht jeder.
Ich werde mich deiner Verbesserungsvorschläge annehmen.

Vielen dank

liebe grüße
marco

 

Was die Beschreibung des "kleinen Mädchens" angeht, wollte ich nicht zu schnell die Identität des Mädchens hervorbringen. Anfangs habe ich mich gefragt, wie ich das am besten lösen könnte. Vielleicht wollte ich mit dieser bewusst gewählten Umschreibung einfach nur erreichen, dass man ein kleines Kind vor sich hat und sich hin sie hineinversetzt. Daher auch die blumigen Umschreibung ihres Kinderzimmers.

Warum die Mutter keine Rolle spielt:
Ich wollte einfach eine Vater-Tochter-Geschichte aufbauen, wo sich die Storie an diese beiden Personen orientiert. Meistens ist es so, dass Mutter und Tochter miteinander auskommen, doch diesmal wollte ich das Verhältnis über den Vater spielen, weil die Mutter in ihrer engeren und tieferen Beziehung zu ihrer Tochter vielleicht etwas extremer gehandelt hätte als ihr Vater.

Gute Frage mit dem Bild im Flur und der Neugierde des Kindes, was es damit auf sich hat.
Vielleicht habe ich das schlichtweg vergessen, zu erwähnen. Es sollte ein Freund der Familie sein, mehr oder weniger kurz und bündig. Aber das habe ich dann leider versäumt mit einzubauen.

Warum Daniel nicht mehr kommt?
Es trieb ihn um, dass seine eigene Schwester nichts von ihm wusste. Nicht wusste, dass er ihr Bruder war. Deswegen tauchte er immer wieder im Flur auf, weil er wollte, dass sie es endlich erfährt.

gruß
marco

 

Hallo Misc

Vorne weg das Gute:
Du schreibst unheimlich atmosphärisch mit einem feinen Sinn fürs Detail. Daher gelingt es dem Leser sich leicht in das Geschehen zu versetzen, was insgesamt für mich der Hauptgrund war, die Geschichte zu ende zu lesen.

Leider ist nämlich der Plot ungemein vorhersagbar (einfach weil es schon soviele solcher Geschichten gibt) und auch die Pointe, falls man das Ende so nennen kann, ist altbacken und banal.

So wird dieser Text sicherlich einigen Zuspruch (von der Seite der Leser, die auf Atmo stehen) aber auch genügend Ablehnung (die Leute, die ständig nach Innovation schreien) finden. Ich stehe mit meiner Meinung irgendwo dazwischen.

Noch eine kleine Anmerkung zu dem Mädchen:
Wie alt ist sie? Anfangs dachte ich so an das Vorschulalter. Aber es stellt sich später im Text heraus, dass sie eine recht gute Menschenkenntnis besitzt. Außerdem weiß sie, dass ihr Vater im Allgemeinen schlagfertig ist, ein Wort, das zuweilen nicht einmal Abiturienten ein Begriff ist.
An manchen Stellen in den Gesprächen mit dem Vater reagiert sie aber dann doch wie ein Kleinkind, das bockig wird, sobald es nicht seinen Willen bekommt. Dieses Hin und Her hat mich etwas verwirrt in Bezug auf das Mädchen.


gnJ
Hagen

 

Wenn man sich mal darüber Gedanken macht, dann wurde im Endeffekt schon alles einmal geschrieben, wenn auch in anderer Form, umständlicher, leichter, wie auch immer.
Auch ich bin immer fasziniert davon, ein Novum zu erschaffen, aber das gelingt nicht einmal den Bestsellern. Vor allem nicht, was Liebesromane betrifft.
Ich habe mich auch schon daran orientiert, Geschichten ohne Happy End zu schreiben, aber da die meisten Menschen diese Hoffnung immer noch versuchen zu leben, so wird es wohl immer dabei bleiben.

Also wenn einem Abiturienten der Begriff "schlagfertig" nichts sagt, dann tut er mir schon Leid.

Wie dem auch sei, ich wollte das Mädchen nicht als kleines "BLondie" dastehen lassen. Sie ist neugierig, aufgeweckt, lebenslustig. Ich kenne Mädchen, die können unglaublich gut Texte schreiben, trauen sich aber nicht zu veröffentlichen. Kinder in diesem Alter sind meistens schon fortgeschrittener als ich das in diesem Alter war.

Danke für deine Kritik. War interessant.

viele grüße
marco


Hagen schrieb:
Hallo Misc

Vorne weg das Gute:
Du schreibst unheimlich atmosphärisch mit einem feinen Sinn fürs Detail. Daher gelingt es dem Leser sich leicht in das Geschehen zu versetzen, was insgesamt für mich der Hauptgrund war, die Geschichte zu ende zu lesen.

Leider ist nämlich der Plot ungemein vorhersagbar (einfach weil es schon soviele solcher Geschichten gibt) und auch die Pointe, falls man das Ende so nennen kann, ist altbacken und banal.

So wird dieser Text sicherlich einigen Zuspruch (von der Seite der Leser, die auf Atmo stehen) aber auch genügend Ablehnung (die Leute, die ständig nach Innovation schreien) finden. Ich stehe mit meiner Meinung irgendwo dazwischen.

Noch eine kleine Anmerkung zu dem Mädchen:
Wie alt ist sie? Anfangs dachte ich so an das Vorschulalter. Aber es stellt sich später im Text heraus, dass sie eine recht gute Menschenkenntnis besitzt. Außerdem weiß sie, dass ihr Vater im Allgemeinen schlagfertig ist, ein Wort, das zuweilen nicht einmal Abiturienten ein Begriff ist.
An manchen Stellen in den Gesprächen mit dem Vater reagiert sie aber dann doch wie ein Kleinkind, das bockig wird, sobald es nicht seinen Willen bekommt. Dieses Hin und Her hat mich etwas verwirrt in Bezug auf das Mädchen.


gnJ
Hagen

 

Es liegt jetzt eine überarbeitete Version des Textes "Der Geist im Flur" vor.

Vielen Dank für alle Änderungsvorschläge.

gruß
marco

 

Hi Marco!

Bin gerade über deine Story gestolpert. Grottenschlecht finde ich die jetzt auch nicht. Mir gefiel die Stimmung: altes viktorianisches Haus am See, Geister. Das hat was.
Probleme sehe ich in der Geschichte mehr im sprachlichen Bereich. Das ist bei dir ja öfters so, dass du dich holprig ausdrückst.
Hier ist mir aufgefallen, dass du zu Beginn viele kurze Sätze benutzt und dann immer wieder mit "Sie ...", "Das Mädchen ..." oder "Ana ..." beginnst. Vielleicht magst du da etwas Abwechslung reinbringen, damit es sich schöner liest? Entweder einen Satz ganz anders beginnen oder Sätze zusammenfassen.

MisceloneuM schrieb:
Sie war unerschrocken und griff nach der Türklinke. Sie drückte sie langsam herunter.

Zum Beispiel: Sie war unerschrocken, griff nach der Türklinke und drückte sie langsam herunter.
Oder:
Unerschrocken griff sie nach der Türklinke und drückte sie langsam herunter.

Wenn du die Geschichte auf solche Schwachstellen abklopfst, kannst du noch mehr rausholen.

Im Übrigen mag ich es, wenn eine Story kein Happy End hat. Das Ende von der Geschichte finde ich aus oben schon genannten Gründen nicht wirklich stimmig. Entweder Daniel erfährt von seinem Tod und verschwindet dann, oder er kommt gar nicht mehr, aus welchen Gründen auch immer. Aber dieses zum Abschied winken ist nichts Halbes und nichts Ganzes.

 

hmm..
da könntest du Recht haben mit dem Schluss.
Wie gesagt, ich würde gern an der Storie noch arbeiten, um solche Macken rauszubringen. Da sehe ich noch Potential. Manchmal macht das aber einen richtig blind für solche Details.

Aber danke für deine Vorschläge, ich werde sie umsetzen!

liebe grüße
marco

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo MisceloneuM,

Wenn man sich mal darüber Gedanken macht, dann wurde im Endeffekt schon alles einmal geschrieben, wenn auch in anderer Form, umständlicher, leichter, wie auch immer.
Klar, das rettet dich aber bei dieser Story auch nicht raus. :D Denn ich schließe mich Hagen an und gehe noch einen Schritt weiter:

„Daniel ist dein Bruder“, presste er zwischen seinen Lippen hervor. Die Wahrheit tat so weh.
Das tat körperlich weh. Kitschklops 2000, kann man echt nicht machen, jedenfalls nicht in dieser Form. Gerade wenn man in gefühlvollen Pfaden unterwegs ist, muss man höllisch aufpassen, nicht in den Kitschsumpf abzudriften. Der Ausbruch des Vaters ist ein solcher. Nichts dagegen, dass das Mädchen ein Gespenst sieht, aber dieses Gespenst könnte ja auch schon 200 Jahre alt sein, dann wäre wenigstens die Distanz größer. Eine Freundschaft zwischen einem Mädchen und einem Geist ist schon allein hart an der Gefühls-Grenze, die du mit dem Bruder dicke überschreitest. Würde den Plot dringendst in diesem Punkt abändern.

Auch das Mädchen wird wiederholt mit Worten wie: "Sie hatte keine Angst" beschrieben. Warum? Wenn sie Angst hätte, wäre das von der Spannung her viel effizienter. So könntest du eine leicht gruselige Atmosphäre aufbauen, die deinen - doch sehr schönen Beschreibungen - den letzten Schliff gibt.

Fazit: Eine Geschichte ohne Pepp, die ob der Länge schnell an Intensität verliert. Pointe ist ne mitterschwere Katastrophe, tut mir Leid. :)

Lieben Gruß

Dante

 

Dante,
es gibt ja genug andere Meinungen, was die Pointe betrifft :D

Wie dem auch sei, dass mit der Angst und dem Bruder werd ich nochmal überdenken, vielleicht gar keine so schlechte Idee. Es wäre weit aus geheimnisvoller, wenn man nicht erfährt, ob es nun ihr Bruder ist oder nicht. So kann sich der Leser mehr Gedanken darüber machen.

 

Hallo MisceloneuM!

Deine Geschichte gefällt mir eigentlich ganz gut, obwohl ich in puncto Logik des Verschwindens des Geistes des Jungen auch den anderen Kritikern zustimmen muß. So, wie Coleratio schreibt…

Coleratio schrieb:
Das eine Seele sich nicht von seiner Umgebung lösen kann, liegt meist daran, dass es für "sie" noch ungeklärte Dinge gibt.
Daniel wußte nicht was mit ihm geschehen ist, wußte warscheinlich noch nicht mal, dass er gestorben ist.
Um wirklich "erlöst" gehen zu können, müsste er es erfahren und vor allem begreifen.
Ich finde, dass hast du nicht deutlich genug herausgearbeitet.
…wäre es ja auch gar nicht schwierig, die Geschichte entsprechend zu ändern. Das Mädchen könnte ihn noch einmal sehen, ihm erzählen, was mit ihm passiert ist, und dann könnte er zufrieden – winkend ;) – seinen Frieden finden.

So, aber jetzt vom Ende wieder zum Anfang – den will ich nämlich auch noch kritisieren. Da springst Du so viel herum, dabei ist das überhaupt nicht nötig. Und ich hatte den Eindruck, als wolltest Du die Geschichte erst ohne Namen schreiben, und bist dann nach dem ersten Viertel draufgekommen, daß es doch ganz praktisch ist, welche zu verwenden. Ich würde hier gleich zu Beginn statt »Ein Mädchen« »Ana« schreiben.

Eisblumen bedeckten die Fenster im Kinderzimmer. Ein Mädchen lag eingemummelt unter ihrer Decke und schlief.
Das Mädchen lebte in einem großen Haus, umgeben von einem Garten, der an einen See grenzte. Das Haus war viktorianischer Bauart. Auf dem Giebel saß eine seltsam anmutende Figur.
Fotografien zierten die Wände des Flures im ersten Stock. Portraits der Familie, von Ausflügen, auf denen spielende Kinder zu sehen waren, vornehm gekleidete Erwachsene und Eindrücke der Landschaft vor dem Grundstück. Eine der Aufnahmen zeigte den dunklen See im Winter. Ein Junge stand am Seeufer und winkte in die Kamera. Sein Gesicht war kreidebleich und das braune Haar fiel ihm in die Stirn. Es war ein verschneiter Tag
Eine Kommode stand an der Wand im Flur und auf dem Foto im Bilderrahmen war eine Person undeutlich abgebildet. Das Fenster am Ende des Flurs gab den Blick auf den See frei. Stille legte sich über das Anwesen, als wäre es menschenleer.
Was ich mit herumspringen meine, ist die Reihenfolge, in der Du die Dinge aufzählst: Erst sehen wir das Fenster mit den Eisblumen, dann »ein« Mädchen (durch das »ein« weiß ich noch nicht, ob sie die Protagonistin ist oder nicht), dann sehen wir das Haus, den Garten, den See, drehen uns wieder zum Haus, betrachten den Giebel, und sind plötzlich wieder drin, vor den Wänden des Flurs, und sehen auf den Bildern (mal abgesehen von den Menschen) wieder, was wir gerade gesehen haben: das Grundstück und den See, verschneit. Plötzlich ist da »eine« Kommode, wir sind wieder zurück im Flur, verschwinden aber gleich wieder durch das Fenster des Flurs nach draußen, zum See, aufs Grundstück.

Ein tiefer Seufzer hallte durch den Flur.
Das wäre ein toller Einstieg, ein ganz typischer Kurzgeschichtenanfang, im Gegensatz zum ersten Absatz, der das – genaugenommen – nicht ist. Und alles, was Du im ersten Absatz sagst, könntest Du in den folgenden Sätzen immer noch unterbringen. Manches wiederholt sich – so sagst Du in diesem Satz sehr schön, daß im Flur ein Bild mit diesem Jungen ist: »Das Mädchen hielt vor dem Bild mit dem Jungen an, der am Seeufer stand und in die Kamera winkte«, was Du im ersten Absatz noch darüber sagst, etwa daß es der See vorm Haus ist, hätte hier genausogut Platz –, anderes ist überflüssig, wie z.B. die viktorianische Bauart oder daß eine seltsam anmutende Figur am Gibel saß – hätte die Figur etwas mit dem Jungen zu tun, wäre sie erwähnenswert, aber ich finde keine Verbindung dazu in der Geschichte.

»Das Mädchen drehte sich im Bett und fuhr sich verschlafen mit dem Handrücken über die Augen. Ihre Haare standen in allen Richtungen ab.«
– hier* würde ich statt »Das Mädchen« gleich den Namen nennen, dafür anschließend beim Fenstersims »Das Mädchen« beibehalten
– zu »drehte sich« fehlt mir ein »um« nach »im Bett«, und: in alle Richtungen
*gemeint ist das »hier«, wenn Du den ersten Absatz streichst – falls Du ihn beibehältst, würde ich den Namen dort im zweiten Satz nennen.

»Sie starrte auf die Zimmertür. Neugierig horchte sie in den Flur. Sie hatte etwas gehört, nur was?«
– da sie ja gleich nach dem Aufwachen noch nicht weiß, was sie gehört hat und woher es kam, könntest Du hier geschickt die Eisblumen am Fenster unterbringen und zugleich die Wiederholung der Tür vermeiden: Sie starrte auf die Eisblumen am Fenster, horchte neugierig in den Flur.

»Ihre Müdigkeit war verschwunden und auch ihr Traum. Sie zog die Decke von ihrem Körper und verließ die mollige Wärme ihres Bettes. Ihre Füße tapsten auf dem Holzboden zur Haustüre.«
– 5 x ihr/e
– daß das keine Haustüre ist, wurde schon gesagt, wenn Du meinen vorigen Tip übernimmst, könntest Du hier die Zimmer- oder auch Kinderzimmertür draus machen

»Vorsichtig griff sie nach der Türklinke. Sie drückte sie langsam herunter. Ein Knarzen erfüllte die Stille. Sie zog die Türe auf und streckte den Kopf in den Flur.«
– hinunter
– die Tür(e) kommt etwas zu oft vor, Du könntest »Sie zog die Türe auf« streichen, da man nach dem Klinkedrücken und dem Knarzen annimmt, wenn sie dann den Kopf hinausstreckt, daß sie sie auch geöffnet hat: Ein Knarzen erfüllte die Stille, sie streckte den Kopf in den Flur.

»„Ja? Vielleicht hast du es nur geträumt?“, fragte der Vater«
– da sie ja gerade über sein Seufzen gesprochen hat, gefiele es mir besser, wenn er fragt: Hast du von meinem Seufzen geträumt?

»Ein Schauder fuhr ihr über den Rücken, als sie die Leere des Flures erkannte. Langsam schlurfte sie zum Fenster am Ende des Flures.«
– zwar kommt der Flur nur zweimal vor, aber in »schlurfte« steckt er auch drin, und irgendwie liest es sich dadurch, als wären da drei Flure

»Sie beugte sich nach vorn und betrachtete den dunklen See,«
– hm, vorhin hat sie sich am Fenstersims hochgezogen, das hab ich so verstanden, daß sie sonst nicht hinaussieht, aber jetzt scheint sie ohne Mühe rauszusehen und lehnt sich nachher sogar daran? Hab ich das vorhin falsch verstanden? Wenn ja, dann könntest Du die Stelle vielleicht deutlicher beschreiben – hat sie sich vorher vielleicht nicht hochgezogen, um hinauszusehen, sondern um darauf zu sitzen?

der in der Winterzeit immer unheimlich aussah. Die Wasseroberfläche war glatt wie Glas und das Spiegelbild der Natur im See vermittelte den Eindruck, beides würde ineinander verschmelzen.
Hier hast Du auch eine schöne Beschreibung der winterlichen Landschaft, sodaß Du auf den ersten Absatz wirklich verzichten kannst. ;-)

»Draußen ging ein leichter Wind.«
– »wehte« oder »blies«, wäre schöner als »ging«

»Die Stille beherrschte das Haus,«
– »Die« würde ich streichen

»Das Mädchen schreckte hoch, als ein unheimliches Seufzen die Stille im Flur störte.«
– da es ja schon zum zweiten Mal ist, würde ich einerseits ein »wieder« nach »als« einfügen, andererseits könntest Du noch »diesmal ganz deutlich« dazuschreiben

»Ana, das Mädchen, sah sie unverwandt an,«
– hier nennst Du den Namen zum ersten Mal, was ich wie gesagt zu spät finde

»fühlte sich vom ihm gefangen.«
– von ihm

»Zwischen den beiden lag eine ungewisse Anspannung. Daniel war nervös, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Er sah unsicher aus dem Fenster und«
– zweimal »un-« – sicher nicht tragisch, aber mir fiel es etwas störend auf

»Der Fremde zögerte auf die Frage der Kleinen.«
– »auf die Frage der Kleinen« würde ich ersatzlos streichen

»Es zeigte den Jungen am See, der in die Kamera winkte.«
– den Satz würde ich zur Gänze streichen – zumindest mir war klar, um welches Bild es geht

»so war er auch schon verschwunden.«
– fehlt da nicht ein »wieder«?

»„Na, der Junge von dem Foto im Flur“, erklärte Ana.«
– der Junge auf dem Foto

»Unbeholfen warf er einen Blick über die Schulter hinaus auf den dunklen See um Zeit zu haben,«
– See, um

»Daniel drehte sich um und sah aus dem Fenster. Ana trat einen Schritt näher an ihn heran, voller Hoffnung, ihn umstimmen zu können.
„Was bist du denn?“
Daniel wandte sich um und sah Ana mit großen Augen an,«

»Ana sah ihn neugierig an wie etwas, dass sie zuvor noch nicht gesehen hatte.«
– noch einmal »sah«, Vorschlag: Ana bestaunte ihn …
– wie etwas, das

»Die Fenster waren mit Blumenmuster aus Eis besprenkelt.«
– mit Blumenmustern

„Was ist mit deinen Eltern?“
„Ich weiß nicht.“ Seine Augen füllten sich mit Tränen,
Das schreit doch geradezu nach Coleratios Version…;)

»„Das ist Daniel“, antwortete sie munter. „Er ist ein Freund.“«
– würde da ein m davorsetzen: Er ist mein Freund.

»So kannte sie ihn nicht. Schlagfertig war er immer gewesen. Aber jetzt zeichnete sich ein ganz anderes Bild ab.«
– das wurde ja auch schon besprochen, und ich finde auch, daß der Ausdruck »schlagfertig« zwar einem Abiturienten ein Begriff sein sollte, mir das Mädchen aber doch noch nicht so groß erscheint (allerhöchstens würde ich ihr acht Jahre geben). Ein »Er wusste doch immer auf alles eine Antwort. Aber jetzt schien er die Worte auf dem Tisch/in der Kaffeetasse zu suchen«, oder sowas in der Art, könnte dasselbe, nur etwas kindlicher ausdrücken. :)
Falls Du aber bei »schlagfertig« bleiben willst, würde ich den Satz umstellen: Er war immer schlagfertig gewesen.

»Ana stand von ihrem Stuhl auf und schlurfte zu ihrem Vater.«
– hier kommt »schlurfte« zum zweiten Mal vor

»Aber es war schwer, so schwer wie die Erinnerungen auf ihn lasteten.«
– auf ihm lasteten

Wenn Du den Schluß á la Coleratio umarbeitest, schau ich ihn mir dann gern noch einmal an, bevor Du die Lesung hast. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo,

puhh...durch die Kommentare und Verbesserungen muss ich mich erstmal durcharbeiten.

Lieben Dank erstmal,

lg
marco

 

Häferl schrieb:
»„Ja? Vielleicht hast du es nur geträumt?“, fragte der Vater«
– da sie ja gerade über sein Seufzen gesprochen hat, gefiele es mir besser, wenn er fragt: Hast du von meinem Seufzen geträumt?

Hallo Häferl,
ich habe die Geschichte nun umgearbeitet und mich an deinen Punkten orientiert, die mir, wie ich finde, viel weitergeholfen haben. Dafür bin ich dir sehr dankbar.
Kleinigkeiten habe ich gelassen, unter anderem obigen Punkt. Da finde ich einfach, dass der Vater nicht unbedingt wissen kann, dass er im Schlaf ein Seufzen von sich gegeben hat.
Von daher habe ich das Original gelassen.

Den Schluss habe ich auch anders geformt, auch wenn ich zunächst etwas unsicher bin, ich aber vom Gefühl her denke, dass er wirkt.

Liebe Grüße und vielen Dank für eure Kritiken,

Marco

 

Hallo Marco!

Freut mich, daß Du mit meinen Anmerkungen was anfangen konntest! Werde die Geschichte am Wochenende noch einmal lesen - jetzt hab ich grad keine Zeit mehr, draußen scheint die Sonne. ;)

Aber kurz:

Da finde ich einfach, dass der Vater nicht unbedingt wissen kann, dass er im Schlaf ein Seufzen von sich gegeben hat.
Das weiß er auch nicht, er seufzt ja zuvor und sie bezieht sich darauf:
Er seufzte, als hätte er diese Nacht nicht gut geschlafen. „Was für ein Geräusch?“, fragte er. Sie bugsierte ohne großen Hunger die Cornflakes auf den Löffel.
„Das, was du gerade gemacht hast“,

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Marco!

Ja, die Überarbeitung hat Deiner Geschichte sehr gut getan! :)
Liest sich jetzt mit der Auflösung á la Coleratio viel stimmiger - ein paar kleine Anmerkungen hab ich natürlich noch, aber das ist ja nur mehr Feinschliff. ;)

Eins hab ich vergessen unten einzufügen, und es jetzt noch einmal zu suchen, bin ich zu faul: Da, wo sie ihn zum ersten Mal sieht, wo Du ihn als "Gestalt" beschreibst, würde ich eventuell noch eine Größenangabe dazuschreiben, sonst erfährt man erst relativ spät, daß es sich bei der Gestalt um einen Jungen handelt. Andererseits trägt es zur Spannung bei, wenn man es nicht gleich weiß.
So, ich hoffe, ich hab Dich jetzt vor eine genauso schwere Entscheidung gestellt, wie mich selbst, denn ich denke jetzt schon drei Minuten drüber nach, ob ich diesen Punkt wieder weglöschen soll oder doch stehenlassen, entscheide mich dafür, ihn nicht zu löschen und das Problem damit Dir zu überlassen...:D

So, noch der Rest:

Sie starrte auf die Zimmertür. Sie hatte etwas gehört, nur was? Neugierig starrte sie auf die Eisblumen am Fenster, während sie in den Flur nach dem Geräusch horchte.
- daß da jetzt zweimal "starrte" steht, ist eher nicht so gut, und "neugierig" würde ich eher zum Flur-Horchen geben: während sie neugierig in den Flur ... Es interessieren sie ja nicht die Eisblumen, die starrt sie wohl nur beiläufig an, wie man etwas anstarrt, wenn man aufmerksam auf ein Geräusch hört - trotzdem geben sie aber der Geschichte ein schönes Bild. ;)

und das Haus der Familie war mit fröhlichen Farben unterstrichen.
"angestrichen" oder "gestrichen" wäre da wohl richtiger, oder ist das Haus tatsächlich unterstrichen?

„Was machst du?“, fragte sie.
- würde da noch ein "hier" dranhängen: Was machst du hier? Denn es interessiert sie ja nicht, was er überhaupt so macht, sondern was er hier, im Flur, in ihrem Haus macht.

Kopfschüttelnd versenkte sich ihr Vater wieder in seine Lektüre.
Kopfschüttelnd versank ihr Vater wieder in seiner Lektüre.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
Das macht sie mindestens zwei Mal. Vielleicht tut es einmal ja auch ein Schmollmund oder so?

Von hier:

„Er wird dir nicht glauben, Ana.“
... bis hier:
...„Ich habe hier gewohnt“, begann er seine Geschichte. „Es war vor vielen Jahren.
... zieht sich die Sache noch ein bisschen.

„Was ist mit dem Bild?“ Verwundert sah er seine Tochter an. Ana betrachtete das Bild.
Hier würde ich das zweite "Bild" durch "Foto" oder "es" ersetzen.

Eine ungewisse Vergangenheit verwandelte sich nun in eine Wahrheit, nach dieser er schon so lange gesucht hatte.
Entweder "in eine Wahrheit, nach der er schon so lange ...", oder "in eine Wahrheit, die er schon so lange ..."

Daniel nahm die weinende Ana in seine Arme und umschloss sie, um sie nicht mehr loszulassen.
"um sie nicht mehr loszulassen" finde ich eine Spur zuviel, eher würde ich ihn wieder verschwinden lassen.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Häferl,

vielen Dank für die weiteren Korrekturen. Manchmal sieht man seine eigenen Fehler einfach nicht mehr und wird blauäugig. :)

Es wird einfach immer wieder deutlich, wie wichtig ein Lektorat ist. Wie sehr es einer Geschichte hilft, vorwärts zu kommen.

Ich danke dir nochmal herzlich für deine Änderungen.

Liebe Grüße
Marco

 

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