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Der Gesang der Gehängten

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12.12.2001
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Der Gesang der Gehängten

Dunkel und unheimlich war das alles umgebende Dickicht. Nur schwach schimmerte der Mond durch das dichte Geäst und streichelte sanft über die kleine Lichtung, die inmitten der riesigen Bäume einsam und fremd wirkte. Der Wind pfiff leise durch den nächtlichen Wald und schüttelte das in düsterer Erwartung liegende Blattwerk der Baumkronen und ließ so eine furchtbare Ahnung in den uralten, weisen Bäumen erwachen. Ein Bote war er, überbrachte Nachricht an den Rand der Lichtung - Nachricht, die nicht für die Lebenden bestimmt war, die nur unverständlich an die Ohren der verirrten Menschen dringen und sie in einer völligen geistigen Verwirrung zurück lassen würde. Die Bäume schüttelte sich und zitterte vor trauriger Erwartung ob der kommenden Geschehnisse, die den Tod in ihr heiligstes Inneres bringen würden. Widerstrebend und von grausiger Angst gepackt, rückten sie näher zusammen, eine Mauer aus purem Leben bildend, den ärgsten Feind zurück zu schlagen. Doch hatten sie keinen Erfolg, denn heimlich und mit großem Geschick trug der Wind den Tod durch die entlegensten Winkel und zwischen den starken Armen der erwachten Riesen hindurch. Und so senkten sie ihre Köpfe, beteten stumm und begannen hernach ihr Lied zu singen…

Balthasar saß nur wenige Schritte vom flackernden Feuer entfernt, das sie vor wenigen Stunden auf der kleinen Lichtung entfacht hatten. Die Nacht war schneller gekommen, als sie angenommen, die Dunkelheit so schnell hereingebrochen, daß sie gezwungen waren, an Ort und Stelle ihr Lager aufzuschlagen. Und wenn man sich in diesem verwunschenen Wald von der Nacht überraschen lässt, so sind deren Begleiter nicht weit, sondern schleichen wie ein Rudel Wölfe um die hilflos im Labyrinth aus Bäumen und Schwärze Gefangenen herum. Das erste Raubtier, das die kleine Reisegruppe überfallen hatte, war die bittere Kälte, die bis auf Balthasars Knochen kroch und ihm von innen den Frost auf die Haut trieb. So rückte er schon seit Beginn der unfreiwilligen Rast immer näher an die wärmenden Flammen, um auch jeden Funken im Kampf gegen die eisige Kälte ausnutzen zu können. Doch nicht nur die Temperaturen waren es, die ihm einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagten, die ihn zum Zittern brachten, als wäre das wärmende Feuer nicht existent und die ihm eine unbehagliche Gänsehaut bescherten, nein, etwas anderes, weniger greifbares trug die Hauptschuld an seinem verängstigten Zustand. Etwas, das in der Luft lag. Etwas, das aus dem dunklen Wald kam und auf leisen Pfoten die winzige Lichtung umschlich und auf die Ankunft des Schlafes lauerte. Es war Balthasar, als höre er Stimmen, leise Stimmen von unmenschlicher Natur. Er konnte sie nicht verstehen, vermochte nicht einmal zu sagen, ob sie sprachen oder summten oder nur das Pfeifen des ruhigen Windes waren, der durch die Äste streifte. Flüsterten sie zu ihm? Unterhielten sich die Bäume oder spielte sein verwirrter Geist ihm einen unheimlichen Streich?
Mit einiger Überwindung schaffte er es, wenn auch nur zaghaft, den Kopf zu heben und seinen ängstlich suchenden Blick, weg vom beruhigenden Rot des Feuers, auf die undurchdringliche, schwarze Wand hinter ihm zu richten. Er forschte nach dem Ursprung der seltsamen Geräusche, hoffte, etwas zu finden, das ihn beruhigen konnte und die bitterschwere Last von seinem bedrückten Geist zu nehmen vermochte. Doch offenbarte sich nichts denn Dunkelheit seinen Augen. So ließ er, seine verbliebene innere Kraft zusammennehmend seinen Blick schweifen über die im Schatten der Nacht in tristem Grau vor ihm liegende Fläche, auf der die wenigen Zelte der Gruppe aufgebaut waren, und beäugte mit einigem Mißtrauen das Dickicht, das an manchen Stellen in die Lichtung hineingewachsen war, als wäre es der Vorbote der Finsternis dieses Waldes.
Und gerade, als an eben einen dieser Orte ein kaum wahrzunehmender Lichtschein fiel, ausgesandt vom stummen Beobachter hoch droben am Firmament, war es Balthasar, als sehe er eine Bewegung, die dort nicht hätte sein dürfen. Eine Bewegung, die nicht von schaukelnden Ästen und Blättern stammen konnte. Eine Bewegung, die vielmehr menschlich war. Und als er seine Stimme heben wollte, seinen Kameraden eine Warnung zuzurufen, da war es das Flüstern des Waldes, dass plötzlich anschwoll und ihn übertönte. Und noch verwundert und erschrocken über die bizarre Reaktion des Waldes, erkannte er die Geräusche, die von den alten, zerfurchten Stämmen zu ihm herüber drangen: Die Bäume hatten einen geisterhaften, zarten Gesang angestimmt.

Der alte Baum ließ seinen trüben Blick müde sinken, beschaute sich den Boden, in dem er seit so vielen Jahrhunderten verwurzelt war, und fand einen Menschen darauf zu seinen Füßen sitzen. Ein kleiner Mensch, ein Kind noch, ein junges Mädchen, allein gelassen und ausgesetzt vor seinem Baumstamm, wie ein Findelkind an einer Klosterpforte. Zitternd saß es da und versuchte sich an seine knorrige Rinde zu kuscheln, suchte Wärme an seinem kalten, fast leblosen Unterleib. Trauer durchströmte die beiden, stieg in dem kleinen Mädchen empor und kroch in das starke Holz des erschöpften Baumes und lief in seiner Mitte wie ein eisiger Schauer hinauf zu seiner Krone, wo es bebend in alle Äste brach. Ob das Mädchen weinte, konnte der Baum nicht erkennen, so sehr er seinen Blick auch anstrengte, aber er selbst, der Baum, er weinte bittere Tränen, vergoß sein Blut aus all seinen Poren, von tiefster Melancholie ergriffen und geschüttelt. Es war die traurigste Stunde im ewige Jahre währenden Leben des alten Baumes.

Die Dunkelheit war vollkommen als das Lagerfeuer herunterbrannte und dichte, unheilsschwangere Wolken von Osten her aufzogen und der Nacht das beruhigende Funkeln der Sterne stahlen. Auch der schöne, volle Mond konnte sich kaum behaupten, lugte nur für kurze Augenblicke hinter der Wolkenwand hervor, um dann gleich wieder in deren Deckung zu verschwinden. Die schweren Schleier verschwommen mit der Farblosigkeit der Nacht und der Undurchdringlichkeit der Bäume, die sich in diesen Stunden eng aneinander schmiegten, zu einem einzigen, dichten Gewebe endloser Schwärze. So konnte Balthasar schon bald seinen eigenen Körper nicht mehr sehen, traute sich dennoch nicht, seine Augen zu schließen und endlich zu ruhen. Zu sehr klang es noch in seinen Ohren, zu sehr verhexte ihn dieses Wundervolle, Unwirkliche, das gehört zu haben er überzeugt war.
Doch noch während er sich über die Stimmen und die neuerliche, bedrückende Stille wunderte und deren möglichen Ursachen bedachte, entschwand sie auf ebenso grauenhafte Art wie sie ihn vorher hatte beklommen fühlen lassen. Wie ein Orkan brach das Schreien und Toben über das Lager herein. Ein Windstoß brennender Hitze fuhr durch das Lager, entflammte für winzige Bruchteile einer Sekunde die Lichtung und enthüllte einen unbeschreiblichen, gar unmöglichen Wahnsinn. Seine Gefährten schrieen in Todesangst auf, sicher etwas gesehen zu haben, das verboten war, das nicht sein konnte und nicht sein durfte. Balthasar sprang, von plötzlicher, furchtbarer Panik gepackt, unter seiner Decke hervor, stolperte jedoch in der gleichen Bewegung und fiel sogleich wieder, kam dabei so unglücklich auf, daß er sein Bewußtsein verlor und es ihn in minutenlangem Schlaf zurück ließ. Noch während ihm seine Sinne schwanden, betete er in größter Verzweiflung, daß irgendein Gott ihn dem Wahnsinn entreißen und seinen in infernalisches Chaos gestürzten Verstand erretten möge. Doch um ihn herum hatte das nackte Entsetzen die Herrschaft an sich gerißen.

Der alte Baum erwachte aus seinem seltsamen Schlummer, der ihn vor nur kurzer Zeit, wie ihm schien, aus seiner Wachsamkeit gezogen und der Traumwelt überantwortet hatte. Es mußte ein sanfter Zauber gewesen sein, mutmaßte er, ein Zauber der ihn wie eine bekümmerte, zärtliche Mutter in den Schlaf gewogen hatte. Nicht Müdigkeit hatte ihn geschlagen, sondern süße Magie, wie er sie seit Jahrtausenden nicht mehr geschmeckt hatte. Keine menschliche, eine urzeitliche Magie war in seinen Wald gekommen und hatte von der nahezu grenzenlosen Vielfalt der Natur Besitz ergriffen. Eine uralte, urnatürliche Energie durchströmte Wiesen und Bäume, rüttelte die Tiere wach und warf einen hellen, farbenprächtigen Schein inmitten die unwirkliche Nacht. So dachte der alte Baum an sein ewig währendes Leben, an die wärmende Sonne und an das Mädchen, das ihn zu ihrem Geborgenheit spendenden Sonnenstrahl erkoren hatte. Er blickte herab an seiner, in allen Regenbogenfarben schillernden Rinde und suchte, liebevoll lächelnd, die Kleine; doch zu seinem Fuße, das Kind war fort.

Als Balthasar aus seiner Ohnmacht erwachte und die erneute Müdigkeit abgewehrt hatte, lag er eine Weile still auf seinem Lager, klammerte sich noch immer erbärmlich zitternd an seiner dünnen Decke fest, hielt sie bis zum Gesicht hoch gezogen, als müsse er sich vor der ihn umgebenden Nacht schützen. Doch spürte er eine seltsame Wärme sein Lager umstreifen, die sich kurz über dem Boden wieder der Kälte geschlagen geben mußte. Angespannt lauschte er dem nunmehr wieder beklemmend leisen Pfeifen des Windes und dem ruhigen Rauschen des frierenden Blattwerks. Sein Blick suchte einen hellen Punkt, einen Lichtstrahl, irgendetwas, das seine Augen fassen konnten, doch fand er nichts, wohin er auch schaute. Die Nacht hatte ihn gleichsam lebendig begraben.
Nach einsamen Stunden, die er unter seiner Decke verbracht hatte, lauschend, ob einer seiner Kameraden erwachen würde, nahm er allen verbliebenen Mut zusammen, und erhob sich langsam von seinem Lager. Auf allen Vieren kriechend näherte er sich der Stelle, an der er seinen nächstliegenden Kameraden vermutete, schob sich so vorsichtig über den Boden, als hätte er Angst, in plötzlich aufklaffenden Gruben sein grausames Ende zu finden. Mit angehaltenem Atem setzte er eine zitternde Hand vor die andere und tastete den dreckigen Boden ab. Nach wenigen Metern kam ihm eine fürchterliche Ahnung, ein Gedanke, der das Blut in seinen Adern erstarren ließ, gegen den er sich mit aller Kraft sträubte, der jedoch nicht zu widerlegen oder gar zu besiegen war. Der Boden der grasbewachsenen Lichtung war überzogen mit einer Schicht feinster Asche, die noch immer warm, stellenweise gar noch heiß und glühend war. Das Gras war nur noch vereinzelt unter der Aschenschicht zu spüren, aber dort verkümmert und völlig leblos. Grün war es nicht mehr, das wurde Balthasar schlagartig klar, ohne daß er es sehen konnte. Schwarz und grau war der Grund auf dem er gelegen hatte und über den er nun kroch. Ein gewaltiges Feuer mußte über die Lichtung gefegt und alles Leben und alles Grün verbrannt und zu Staub zerfallen lassen haben. Doch wie war er dann am Leben geblieben? Wieso lag er nicht als toter Staub auf seinem Lager?
So weit Balthasar auch schlich, wohin er sich auch wand, kein Körper war zu finden, kein toter, kein lebendiger, auf keine Decke, keinen Rucksack trafen seine suchenden Finger. Nichts war verblieben auf ihrer Lagerstatt außer ihm selbst. Es schien als habe die Flammenhölle alles um ihn herum verzehrt, als habe sie den ohnmächtigen Balthasar absichtlich verschont, um ihn hernach in den Wahnsinn treiben zu können. Er erinnerte sich an die letzten furchtbaren Augenblicke bevor er gestolpert war, an die Schreie seiner Kameraden, an hereinbrechende Panik, die grauenvolle Vision greller Feuerzungen, die nach ihm gierten und wild zwischen den Bäumen spielten, um gleich einem nach Blut dürstenden Rudel zähnefletschender Bestien über ihr Lager herzufallen. Konnte es sein, daß diese infernalische Vision, dieser Blick in die schrecklichen Hallen der brennenden Unterwelt der Realität entsprochen hatte? Welcher Teufel hatte hier gewütet?

Der alte Baum erwachte. Müde begannen seine Sinne sich umzutun und Eindrücke zu sammeln, die als Erklärung dienen mochten. Doch was sie fanden war Nichts. Nichts als Stille. Stille hatte sich wieder über die Umgebung gelegt und für kurze Zeit den Eindruck von Frieden und Harmonie entstehen lassen. Doch die Unwirklichkeit dieser Vorstellung wurde dem Baum schnell bewußt und so war er sich klar über seine Ohnmacht über die bizarren Geschehnisse dieser verfluchten Nacht. Da, in seiner Hilflosigkeit überkam ihn ein Gedanke tiefer Trauer; der Gedanke an sein verlorenes Mädchen, das sich in Leidenschaft und Liebe an ihn geschmiegt und an das prächtige Farbenspiel, das ihn selig in sanfte Trance gewogen hatte. Wo waren sie hin, diese Kinder der Glückseligkeit, die ihm soviel Freude und Ablenkung bereitet hatten? Wo lachten sie nun, wo spielten sie, und warum taten sie es ohne ihn?

Ein leises Schluchzen weckte Balthasar aus seinem wahnsinnigen Sinnen über den Grund der Zerstörung und des Todes, der ihn umgab. Die ganz leise Stimme eines weinenden Mädchens drang an seine Ohren und erfüllte ihn selbst mit neuer Trauer. Verängstigt klang es, ein wenig bitter, und auch der süße Beiklang, der die unheimliche Magie noch steigerte, entging Balthasar nicht. Noch immer orientierungslos auf dem Boden kniend versuchte er den Ort zu bestimmen, an den die Kleine sich geflüchtet haben mußte. Was machte sie hier im Wald? Kam es aus dem noch immer einige Kilometer entfernten Dorf und hatte sich verlaufen war von den Ausgeburten der Hölle ebenso aufgeschreckt worden wie Balthasar? Mit der einen Hälfte seines Bewußtseins sann er über diese Möglichkeiten nach, während die andere Hälfte noch immer mit der unfaßbaren Szenerie beschäftigt war, die durch die warme Asche unter Balthasars Händen und Füßen neue Nahrung gewann und die durch seine nunmehr völlig entrückte Phantasie auf das Absurdeste entstellt und verzerrt wurde.
Langsam, ohne überhaupt ans Aufrichten zu denken, kroch er auf die Stelle zu, an der er den Ursprung des Weinens vermutete. Ganz sicher war das Mädchen nicht auf der Lichtung, sondern im Dickicht des umgebenden Waldes, in dessen dichtem Unterholz sie sich vermutlich Schutz und Deckung gesucht haben mußte. Erst nach wenigen Metern kam Balthasar der Gedanke, nach der Kleinen zu rufen, doch traute er sich nicht, auch nur ein Wort auszusprechen, auch nur einen Laut über seine zitternden Lippen kommen zu lassen, vor unbändiger Angst, irgendjemand oder irgendetwas, das die Macht besaß, das unwirkliche Feuer der letzten Stunden aufflammen zu lassen, könnte ihn hören und ihn dem kargen Ascheboden, auf dem er dahin schlich, gleich machen.
Doch nach wenigen Minuten atemlosen Nachvorntastens wurde die Ascheschicht dünner und wich einigen wenigen versengten Grasbüscheln, bis sie dann schließlich ganz verschwand und dem großen, uralten Wald Platz machte, der die Flammenzungen nicht an sich hatte heran kommen lassen. Sanft befühlte Balthasar die vom stärker werdenden Wind bewegten Blätter der kleinen, starken Buschwerke, die die trostlose, vergangene Lichtung vom umliegenden Wald trennten. Und kaum war er in der Undurchdringlichkeit des düsteren Waldes verschwunden, da brach ein grausiger Sturm los, auf der Suche nach zu vernichtendem Leben und setzte ein in die Symphonie von Weinen und Singen, Toben und Trauern und übernahm sofort die kompromißlose Führung. Und es fiel, als verborgen von den dichten Nebeln der Mond unterging, die schwere Wolkenwand mühelos durchdringend, der Schleier des Todes herab auf den weinenden Wald.

Schweigend lag der Wald darnieder, sich unter dem schwarzen Mantel einer grausamen Nacht und einem viel zu nahe gekommenen Wolkenschleier verbergend. Der alte Baum duckte sich noch immer in die Mitte der Seinen, zitterte von bloßer Furcht und Beklommenheit überfallen und in einen lichtlosen, kalten Kerker geworfen, den böse, lieblose Winde in schrecklicher Heimlichkeit um ihn herum errichtet hatten. In völliger Ohnmacht dem Gefühl der tödlichen Gefahr und der, schlimmer noch! verrückt machenden Einsamkeit ausgeliefert, hielt ihn nur noch das beruhigende Summen seiner Baumgefährten in der Realität, in der, von wahnsinnigen Winden zu wild sich hin und her werfenden Wellen aufgepeitschten Wirklichkeit. Wie an einem für die Ewigkeit ins Auge des Sturms geschlagenen Felsen klammerte sich der Baum an den, mit zarten, leisen Stimmchen von seinen Brüdern vorgetragenen Gesang, der inmitten des tobenden Orkans dem gnadenlos anbrandenden und den Stein des für Zeitalter geschaffenen Felsens hochjagenden Wahnsinn trotzte und als Insel der letzten Zuflucht über alles Chaos hinaus ragte.
Doch urplötzlich mischte sich ein Knarren in den zärtlichen Gesang. Ein Knarren und Knacken von Seilen und Ästen, ein tosendes Konzert von Scharren und Quietschen erhob sich über das leise gewisperte Lied. Dann Schreie, die wie die Todesfurcht selbst durch den Wald fegten und die gebeugten Häupter und Kronen der Baumriesen erneut zum Zittern brachten. Und es schrie neben dem alten Baum, dann spürte er, wie man nach seinen Ästen griff, sich an ihnen zu schaffen machte und ihn teuflische Schmerzen spüren ließ. Etwas zog an seinem größten Ast, zog ihn nach unten, ihn zu brechen. Etwas röchelte an seines Stammes Seite, röchelte unverständliche Worte. Etwas wimmerte und wirbelte ganz nah bei ihm, wirbelte durch sein Geäst und seine Gedanken als hinge es an ihm…hinge es an ihm…und in einer einzigen schrecklichen Sekunde, einem widernatürlich langen Wimpernschlag, einem Ekel erregend, abstoßenden Augenblick erkannte der alte Baum, was da an ihm hing…

Mit einiger Anstrengung tastete sich Balthasar weiter durch den aufgebrachten Wald auf das Weinen des Kindes zu, das irgendwo vor ihm in Schwärze und Sturm verschwand. Seine Sinne versanken im Lärmen und Toben der wehrlosen Bäume, die in dieser Nacht verzweifelt um ihr Leben kämpften. Nur noch schwach nahm er die flehende Stimme wahr, denn in seinen Ohren war ein einziges Donnern. Unzählige Male peitschten Äste und Zweige gegen seine geschundene Haut, trieben ihre Spitzen in sein Fleisch und bereiteten ihm Schmerzen in hunderten kleinen, blutenden Wunden, die in Schweiß, Regen und Schlamm brannten, als stünden sie in flammendem Höllenfeuer. Aus Balthasars Augen rannen die Tränen und fraßen sich in die aufgerissene Haut seines entstellten Gesichtes. Seine Furcht um das Schicksal des Kindes ließ ihn weiter gehen, entgegen seiner fliehenden Vernunft, die drauf und dran war, nun endgültig zur Lichtung zurück zu rennen.
Gerade flackerte der Wahnsinn in seinen Augen auf, und schrie ihm entgegen, daß er, sein wahrer Meister, die blutige Schlacht gegen den Verstand gewonnen hatte, als Balthasars Hände einen Körper berührten, der vor ihm an einen Baum gelehnt lag. Langsam tastete er sich vom Bein hoch zum kalten, scheinbar leblosen Gesicht, als ihm gewahr wurde, daß er das Mädchen gefunden haben mußte, das er zuvor hatte Weinen hören.
Und schlagartig wendete sich das Schlachtenglück in seinem Innern, und der finstere Herr des Wahnsinns verschwand fluchend in die Dunkelheit seines Geistes. Balthasar konzentrierte sein wieder gewonnenes Bewußtsein auf das Kind, das in seinen Armen lag. War es tot? Es atmete nicht mehr, zitterte nicht einmal vor Eiseskälte oder Angst. Balthasar rüttelte an ihrer Schulter und rief ihr zu, sie möge aufwachen, doch reagierte sie nicht auf ihn, lag nur regungslos auf der aufgeweichten Erde und schlief ihren unnatürlichen Schlaf inmitten der stürmischen Winde und der Regenwand, die mittlerweile nicht mal mehr von den dichtesten Blattwerken aufzuhalten war. Und nach minutenlangen verzweifelten Versuchen besann er sich eines besseren und nahm den kleinen, erschlafften Körper auf, um ihn an den Rand der Lichtung zurück zu tragen, wo er das Mädchen in warme Decken hüllen konnte.

Der alte Baum sang ein Lied gegen das Grauen, das ihn und seine Brüder gepackt hatte. Ein Lied, das ihre Herzen mit Stärke erfüllte und am Leben erhalten konnte, während sich um sie herum der mächtige Alp des Wahnsinns die Welt unterwarf. Und am fernen Horizont hatte der Mond seinen erneuten Aufstieg begonnen, das zweite mal in dieser Nacht, als wolle er deren Pein noch weiter, bis ins Unermeßliche steigern indem er sie sichtbar machte. Indem er das beschien, was verdunkelt war. Und so traf sein fahles Licht auf die seltsam entstellte Lichtung und enthüllte dem gequälten Blick des alten Baumes das ganze, fürchterliche Ausmaß dieser verfluchten Nacht.

Balthasar kam bald wieder an die Lichtung, denn er hatte die Strecke fast rennend zurückgelegt, soweit Düsternis und Dickicht es zugelassen hatten. Das Mädchen war in seinen Armen verborgen, geschützt durch den vornüber gebeugten Körper ihres Retters, und so schnitt sich Balthasar ein ums andere Mal an den peitschenden Ästen, stolperte und schlug sich seine Glieder an Steinen und aus dem schlammigen Erdreich herausragenden Wurzeln und störte sich doch nicht daran, ignorierte die flammenden Schmerzen, die seinen Körper durchzuckten wie heiße Feuerzungen.
Sein Ziel endlich erreicht, legte er die Kleine unter ein Buschwerk am Rande zum Aschenboden, der nun nahezu völlig abgekühlt war und sich in einen ekelhaften, schlammigen Brei verwandelt hatte. Balthasar fuhr zusammen, als er die unmögliche Veränderung bemerkte, die plötzlich in seiner Wahrnehmung aufgetaucht war. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen zum Himmel, an dessen Rand der Mond plötzlich wieder aufging und die Nebelschleier durchdrang, die noch zuvor sein Untergehen verborgen hatten. Hatte Balthasar im Wachen den Tag verschlafen? Oder ging der Mond in dieser ohnehin widernatürlichen Nacht zweimal auf, um zu demonstrieren, daß alle Gesetze der Natur hier endgültig ihren Platz verloren hatten? Ungläubig warf er seinen gehetzten Blick zu allen Seiten, fühlte sich mit einem Mal wieder ohnmächtig und merkte seine Kräfte in ein Reich abdriften, in das er ihnen nicht folgen konnte. Benommen taumelte er weiter auf die Lichtung, fiel bei jedem Schritt wieder hin, in den zähen, im strömenden Regen dampfenden und zischenden Brei, kämpfte sich immer wieder auf die Beine und kam schließlich, mit Blut und Schweiß und Regen und Schlamm überströmt am Mittelpunkt der Lichtung an, wo er inne hielt und sein schwaches Augenlicht wieder unter Kontrolle zu bringen versuchte.
In diesem unheilvollen Moment durchschnitt ein greller, wild zuckender Blitz den Nachthimmel und tauchte den singenden Wald in ein flimmerndes Inferno gleißender Lichtstrahlen, an deren Spitze über allem der Mond thronte, der urplötzlich am Mittelpunkt des lichternen Firmaments aufgetaucht war. Balthasars Augen nahmen das Licht dankbar entgegen, verweigerten sich dem Blenden und blickten sich triumphierend um. Doch keine Freude war es, die Balthasar überfiel, sondern ein neues, nicht gekanntes Grauen, blankes, nunmehr nicht verdunkeltes Entsetzen, das seinen unterlegenen Verstand unwiederbringlich in die unbekannten Tiefen des Vergessens, und weiter ins namenlose Nichts schleuderte, wo es von unerträglichen Zweifeln gepackt und ungehört seines Meisters Namen „Balthasar!“ rief.
Denn was er sah war Tod, ihn allumgebender Tod. Der Boden war grau und aschfahl, die Bäume waren allesamt ohne Ausnahme geschwärzt, wie von Pech übergossen und an ihren schwachen, knarrenden Ästen hingen die vermoderten, aufs Gräßlichste entstellten Leichen seiner verschwundenen Kameraden. Die verrotteten Körper der Erhängten baumelten im grausamen Sturm und im unaufhörlich fallenden Regen, wie tote Blätter, die, ihr letztes Leben ausgehaucht, in den Winden hin und her geworfen wurden. Und sie starrten ihn an, hatten ihren fürchterlichen, glanzlosen Blick auf ihn gerichtet als wollten sie ihm sagen, er wäre einer der Ihren, als wollten sie ihm erzählen von ihrem Leid. Und aus ihren Mündern quoll ein Strom aus heißem Blut, lief ihr Kinn hinunter, tropfte auf den Schlamm und vermischte sich mit ihm zu einem dunkelroten Brei, der bald die ganze Lichtung überzog und in einen blutenden See ohne rettendes Ufer verwandelte, in dessen Mitte noch immer Balthasar stand, der seinen vom toll lachenden Alp eroberten Blick von einem Gehängten zum Nächsten, von einem, nicht enden wollenden Blutstrom zum Nächsten jagte und inmitten des neu gewonnenen Lichtes in geistiger Nacht verschwand.
Doch so sein Verstand schon verloren und an einen Ort ohne Wiederkehr gesperrt war, so waren seine Sinne geschärft, und seine Welt bestand aus unverarbeiteten Eindrücken, die nur umso mehr auf ihn einwirkten. So hörte er den Gesang des Waldes lauter werden, ein letzter sinnloser Protest der sterbenden Bäume, der besiegten Natur, die ihr Schicksal erahnt hatten und nun besiegelt wußten. Und ihre gewaltigen, bebenden Stimmen in seinen Ohren, starrte er weiter auf die Quellen des Blutes und sah mit einem Mal die Münder der toten, erhängten Männer sich bewegen, Worte formulieren, die ihm nicht mehr verständlich waren, sie zu Sätzen zusammenfügen, deren Sinn er nicht fassen konnte…Sie sangen! Sie sangen, stimmten ein mit ihren toten, leblosen Mündern in das Singen der schwarzen Bäume, in das Totenlied der Natur! Sie Sangen ihren Gesang, den Gesang der Gehängten, bevor sie mit ihren Galgen, den alten, geschundenen Bäumen zu einem einzigen Gebilde voller Verzweiflung und toter Lebenssucht verschmolzen.

Da war kein Feuer und doch brannte der alte Baum am ganzen Leib. Voller Sorge sah er an sich hinab, um das junge Menschenkind... und als er sah, daß sie seiner Geborgenheit weggenommen war, daß sie sich nicht mehr an ihn schmiegte, da beschloß er, sich seinem Schicksal als Galgenbaum zu ergeben und starb.

Balthasars letztes Gefühl war das der Trauer; Trauer um das hilflose, unschuldige Mädchen, das er nicht hatte retten können, das hier an diesem Ort durch irgendeinen ungerechten Zufall zugegen war, als die Verdammnis über ihn und seine Gefährten hereingebrochen war. Und in diesem Augenblick war es, als etwas in Balhasar aufhörte zu existieren, das letzte, das ihn noch am Leben erhalten hatte, das sein bloßes Sein nach dem Verlust seines Denkens gerechtfertigt hatte. Seine Seele zersprang, wie ein sterbender Spiegel, zersprang in tausend Teile blutüberströmten Todes und jagte nach außen, drang durch sein Fleisch und seine Haut und zerfetzte seinen ganzen Körper, so daß ein völlig entstelltes Etwas, das nicht den Namen Balthasar noch den Namen Mensch verdiente, zu Boden sank und auf den Knien bewegungslos blieb, von unwirklichen Winden in aufrechter, grotesker Stellung gehalten.
Und seine letzte Empfindung, der letzte Eindruck seiner Sinne war ein eiskalter Hauch, den er in seinem Nacken spürte. Und hinter ihm, dicht an seinem Körper, stand das kleine Mädchen, häßlich und bedeutungsvoll lachend.

 

Hi Falk!
Okay, ich mach es kurz, die Geschichte ist einfach gut, verdammt gut. Ich bin echt begeistert.

Wie Du mittlerweile wissen müsstest, mag ich Deine Sprache total gern. Ich steh einfach auf den Stil der Literaten des letzten Jahrhunderts. Poe lässt grüßen!
Aber auch wie bei den anderen Storys von Dir verläuft hier haarscharf die Grenze zwischen "sprachlich und stilistisch beeindruckend" und "zu schwülstig". Aber im Gegensatz zu "Geliebter Tod" bewegst Du Dich meiner Meinung nach hier auf der sicheren Seite der Grenze.

Aber ich möchte Dir empfehlen mehr Absätze in den Text zu bringen. Deine Geschichten sind unheimlich schwer - schwer nicht im Sinne von schwierig, sondern mit der Bedeutung von gewichtig. Verstehst Du was ich meine?
Durch die vielen verwinkelten Sätze verliert man schnell den Faden. So geht´s mir zumindestens. Ich musste immer wieder mal eine Pause beim Lesen einlegen.
Außerdem überlege ich mir, ob man die Geschichte nicht vielleicht etwas straffen sollte. Teilweise wiederholst Du Dich, aber wie gesagt, ich bin mir nicht sicher, ob das nicht doch auch für die Atmosphäre wichtig ist.

Besonders die Passagen, wenn der Baum zentraler Punkt der Erzählung ist, gefallen mir total gut. Da hast Du Dir echt was Feines einfallen lassen.
Und der Schluss? :thumbsup:

Ein paar wenige Komma- und Rechtschreibfehler sind mir aufgefallen. Die führ ich jetzt aber nicht auf, da ich sie einerseits in der Dichte der Geschichte jetzt wirklich suchen müsste und sie andererseits auch im Kontext total unwichtig sind.

Ja, dann fühl Dich von mir nochmal auf die Schulter geklopft und denk an mich, wenn Du Dein erstes Buch rausbringst.
Ich geh jetzt mal eine Story in den Empfehlungsthread stellen. ;)

Ugh

 

Wahnsinn, ich habe es geschafft, sie zu lesen. Eine feine Gruselmär hast du da abgeliefert, Falk. :thumbsup:

Allein manchmal fühlte ich mich praktisch erschlagen. Der "Schwulst" wirkte zuweilen erschreckend lähmend, was den Lesefluß anging. Liegt wohl daran, daß ich eine völlig gegensätzliche Schreibweise praktiziere.

Nichtsdestotrotz Kompliment für die Geschichte.

Gruß,

Poncher

@Habib: Was für eine Geschichte hast du denn empfohlen? :lol:

- - - - -

Nachtrag: Ich hatte doch gesagt, daß ich sie am Sonntag lesen werde! :D

[ 02.06.2002, 22:14: Beitrag editiert von: Poncher ]

 

Hi Falk,

ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen. Eine sehr schöne Gruselgeschichte.
Du hast einen sehr schönen Erzählstil, der leider oft durch zu verschachtelte Sätze zu Nichte gemacht wird.
Jeder Satz und Nebensatz ist sehr "bedeutungsschwer", manchmal vielleicht -wie schon von den beiden Vorkritikern erwähnt- zu viel sagend.
Mein Tip: ein paar kürzere Sätze und nicht jeder satz ein poetisches Meisterwerk ;) , wenn du verstehst, was ich meine.
Ich denke auch, dass man an manchen Stellen etwas kürzen könnte.
Insgesamt eine tolle Geschichte mit tollem Ende. :thumbsup:

so long, Pandora

 

Hallo Falk,

doch zu seinem Fuße, das Kind war fort.
"In seinen Armen, das Kind war tot."

Dein Anliegen eine klassische Gruselgeschichte, im Sinne der Romantiker, zu schreiben ist zwar ein nobeles, aber hier nicht ganz verwirklicht, wie ich finde.
Zum einen ist der Stil nicht einheitlich; altmodisches Dichterdeutsch ("die traurigste Stund", "die Dunkelheit ward") vermischt sich hier mit Ausdrücken des ausgehenden 20. Jahrhunderts ("seine gestresste Phantasie", "geschockt"), die den Text natürlich als Pseudo entlarven. Zum anderen übertreibst du es meiner Meinung nach zu sehr mit den Beschreibungen und Metaphern. "Den zähen, im strömenden Regen dampfenden und zischenden Brei" erlebt man allein schon durch das Lesen der Geschichte, aber nicht unbedingt im besten Sinne. Die Geschichte ist stellenweise einfach unglaublich langweilig und zäh.

Ein gänzlicher Misserfolg ist die Geschichte natürlich nicht, denn das Ende (der letzte Satz) hat durchaus eine starke Wirkung, die nur als kaltes Grausen beschrieben werden kann. Der Weg dorthin ist allerdings lang und beschwerlich.

Gruß(el),

I3en

 
Zuletzt bearbeitet:

Du hast leider Recht mit dem Pseudo-Vorwurf, aber ich persönlich glaube, von Erzählung zu Erzählung einer einheitlichen Sprach-Atmosphäre näher zu kommen, was freilich nicht ganz leicht ist. Mein Interesse gilt ja in der Tat eher der Sprache des 19. Jahrhunderts und teilweise der vorhergehenden, weniger der modernen. Aber es ist nicht ganz einfach, selbst so zu schreiben, wenn man erst in den 90ern des letzten Jahrhunderts - in Bezug auf Literatur - aufgewachsen ist.

Nun ja, ich beschäftige mich z.Zt. damit, dieses alte Deutsch zu entschlüsseln und seine genauen Regeln zu erlernen (also z.B. das angehängte "-e" im Dativ Singular, wie etwa "dem Walde" oder "dem Gaste"), aber leider funktioniert das nur im Selbststudium, und das dauert...

Jedenfalls werde ich, sobald meine nächste story fertig ist, diese hier sprachlich nochmal überarbeiten und versuchen, eine einheitlichere Linie reinzubringen. Wär' nett, wenn du dann nochmal drüber gucken könntest!

 

@ falk
Dein Ansinnen in Ehren, aber du solltest dich darauf einstellen, dass deine Geschichten künftig als "veraltet" eingestuft werden.
Mich persönlich würd´s natürlcih freuen. :D

 

Hi Falk!

Ich habe eigentlich in diesem Genre nix verloren, habe also keinen Vergleich mit anderen Horrorgeschichten - finde diese hier aber wirklich gut gelungen! :thumbsup:

Was die von Dir gewollte altertümliche Sprache betrifft, so würde es sich wirklich gut machen, wenn Du dahingehend noch einige Verbesserungen machst.
Auch, einige Sätze in zwei aufzuteilen, wäre keine schlechte Idee, obwohl es keinen gab, den ich nicht verstanden hätte, aber es ist verdammt anstrengend...

Aber jetzt zu den gelben Flecken auf meinem Ausdruck, die Du großteils vielleicht schon vor der sprachlichen Überarbeitung editieren könntest, da es sich dann doch etwas leichter liest:

"...schüttelte die, in düsterer Erwartung liegenden Blattwerke und Baumkronen und lies so..."
- Ich wollte eigentlich nachschauen, ob es eine Mehrzahl von Blattwerk überhaupt gibt, doch ich fand dieses Wort in keinem meiner Duden und keinem Wörterbuch... Mein Gefühl sagt mir jedoch, daß es das nur in der Einzahl geben kann und ich würde Dir überhaupt eine andere Formulierung empfehlen: "schüttelte das, in düsterer Erwartung liegende Blattwerk der Baumkronen..."
- dann heißt es noch "...und ließ..."

"vom flackernden Feuer entfernt, das sie vor wenigen Stunden..."

"...die hilflos im Labyrinth aus Bäumen und Schwärze Gefangenen..."

"Etwas, das in der Luft lag. Etwas, das aus dem dunklen Wald..."

"etwas zu finden, das ihn beruhigen konnte..."

"So ließ er, seine verbliebene, innere Kraft zusammen nehmend seinen Blick..."
- entweder den Beistrich (=Komma) nach verbliebene weg, oder auch einen nach nehmend. Wobei ich "zusammennehmend" schreiben würde. Halte das für den unsinnigen Teil der Rechtschreibreform...

"als wären sie die Vorposten der Finsternis..."
- Meinst Du nicht Vorboten?

"die nicht von, in einem Windstoße schaukelnden Ästen und Blättern stammen konnte."
- entweder Beistrich nach von weg, oder nach schaukelnden dazu.
Auch war es doch nicht nur ein Windstoß, oder? (...in Windstößen schaukelnden...)

"das Flüstern des Waldes, das plötzlich..."

"Und noch verwundert und erschrocken.."
- Noch verwundert und erschrocken..., hm?

"...stieg in dem kleinen Mädchen empor und kroch in das starke Holz des erschöpften Baumes und lief..."
- 2 x "und"... Vorschlag: "..stieg in dem kleinen Mädchen empor, kroch direkt in das starke Holz des erschöpften Baumes, in dessen Mitte es wie ein ...... lief, wo es..."

"vergoss Harz, sein Blut aus all seinen Poren,..."
- sein - seinen... z.B. vergoss harziges Blut aus all seinen Poren oder vergoss sein harziges Blut aus allen Poren... macht auch den Satz weniger unterteilt.

"Die Dunkelheit ward vollkommen, als das Lagerfeuer herunter gebrannt war..."
- würde wiederum zusammenschreiben: heruntergebrannt

"So verschwommen die schweren Schleier..." und "So konnte Balthasar schon bald..." wirkt als Wortwiederholung

"grauenhafte Art, wie sie ihn vorher..."

"sicher, etwas gesehen zu haben, das verboten war,..."

"Noch während ihm seine Sinne schwanden..."

"das Mädchen, das ihn zu ihrem, Geborgenheit spendenden..."

"Auf allen Vieren kriechend.."

"Grün war es nicht mehr, das wurde B. schlagartig klar, ohne dass er es sehen konnte."

In diesem Satz stimmt irgendwas nicht, aber ich krieg ihn nicht hin - dachte ich erst:
"Wieso lag er nicht verkohlt, und bis auf sein Skelett und verglühte Fleischfetzen herunter gebrannt auf seinem Lager?"
- aber als ich ihn dann mit "heruntergebrannt," las, ging es doch!

"Nichts war verblieben auf ihrer Lagerstatt, außer ihm selbst."

"...über den Grund der Zerstörung und des Todes, der ihn umgab."
- Der Grund umgab ihn nicht: ...die ihn umgaben.

"...auf dem Boden kniend, versuchte er..."

"...hatte sich verlaufen, war von den Ausgeburten..."

"...oder irgendetwas, das die Macht besaß, das ..."

"vom, ewig von unvergänglichem Leben durchdrungenen Wald trennten."
- entweder ohne Beistrich hinter "vom", oder mit Beistrich hinter "durchdrungenen"

"Und kaum war er in der...."
- ohne "Und" wär´s schöner
- weitere Und´s häufen sich in den nachfolgenden Zeilen

"schlimmer noch!"
- würde ich weglassen

"den Stein des für Zeitalter geschaffenen Felsens"
- klingt irgendwie komisch, - für Zeitalter geschaffen?

"wirbelte durch sein Geäst und seine Gedanken, als..."

"...des Kindes ließ ihn weiter gehen"
- evtl. weitergehen?

"zur Lichtung zurück zu rennen."
- Ein besonders schönes Beispiel, warum ich diesen Teil der Rechtschreibreform nicht mag: man könnte meinen, es ginge um die Art der Fortbewegung... also z.B. zurück zu schlendern oder zurück zu kriechen... Empfehle dringend, es zusammenzuschreiben - ist aber nur meine Meinung...

"...das Grauen, das ihn und seine Brüder..."

"Nur darauf bedacht war er,..."
klingt seltsam, könntest evtl. das "war er" ganz weglassen oder es umdrehen, "Er war nur darauf bedacht,..."

...kam schließlich, mit Blut und Schweiß und Regen und Schlamm überströmt am Mittelpunkt der Lichtung an, ..."
- etwas viele "und"... außerdem entweder den Beistrich nach schließlich weg, oder nach "überströmt" dazu.

"...verdunkeltes Entsetzen, das seinen ..."

Zu den Toten: Wenn sie vermodert sind, fließt kein Blut mehr (also sind sie vermutlich doch noch nicht vermodert...)

"..von einem Gehängten zum nächsten," (2 x)

"Und ihre gewaltigen, bebenden Stimmen in seinen Ohren, starrte er..."
- "Und" weglassen...

"Sie sangen ihren Gesang,..."

"und zerfetzte seinen ganzen Körper, so dass" bzw. sodaß...

Huch, jetzt ist es spät geworden...

Alles liebe
Susi

[ 11.07.2002, 04:54: Beitrag editiert von: Häferl ]

 
Zuletzt bearbeitet:

Sooo, Freunde langatmiger Geschichten,

da ich mit dieser Geschichte an einem Wettbewerb teilzunehmen gedenke, habe ich sie endlich mal grundlegend überarbeitet und versucht, dabei möglichst alle Kritikpunkte zu berücksichtigen. Ich hoffe, das rechtfertigt das Ausbuddeln dieser Erzählung zu Genüge.

Erstens habe ich Häferls Detailverbesserungen großteils eingearbeitet - besonders was diese lächerlichen s/ss-Fehler angig - und bei der Gelegenheit gleich die alte Rechtschreibung eingebaut.
Zweitens habe ich mehr Absätze gesetzt.
Drittens habe ich versucht, den Stil möglichst zu vereinheitlichen, um 13ens korrektem Vorwurf ausweichen zu können. Und zwar, indem ich von allzu (pseudo-)altertümelnden Formulierungen abgesehen habe.
Viertens habe ich gekürzt, wenngleich eher zurückhaltend. Meine fanatische Pro-Adjektiv-Haltung wurde etwas aufgeweicht, so daß einige Wiewörter dran glauben mußten.

Über weitere Kommentare und Verbesserungsvorschläge würde ich mich ausgesprochen freuen. Ich will den Wettbewerb ja gewinnen. :D

EDIT: Achja, zum TdM paßt die Story auch ein wenig. ;)

 

Ich bin ebigst ein hoher Anhänger alter Sprachgebräuchlichkeit. Gegenwärtige Bemerkungen, die in die Richtung gehen, ´es wäre zu alt´, ´heute liest das niemand mehr´, und so weiter, schaffen es wirklich noch, mich zur Weißglut zu bringen. (Oder heißt/heisst es Weissglut? Schlimm, die neuen Regeln...).

Seien wir doch froh, dass es Zeiten gab, in denen auf das bedachte Wort, den bedachten Satz, noch unendlich Augenmerk gelegt wurde. Denn da, wo man heute hinschaut, regiert im großen Maße das Gespenst der Oberflächlichkeit.

 

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