Der gescheiterte Schritt ins neue Leben
„Jetzt ist Schluss mit der Sauferei. Es ist Zeit mein Leben grundlegend zu ändern“, denkt er, während er mit einem lauten „Plopp“ die letzte Flasche seines Biervorrates öffnet und hastig einen kräftigen Schluck aus der Pulle nimmt.
Nachdem er arbeitslos geworden und seine Frau ihn mitsamt den Kindern von heut auf morgen verlassen hatte, stürzte er sich in den Alkohol. Seit diesem Tag, nachdem er alles verloren hatte, war der Alkohol sein neuer Freund, sein einziger Freund. Die Typen, mit denen er ständig vor der Getränkequelle, vorn an der Ecke, dem gemeinsamen Hobby nachging, dem bis zur Besinnungslosigkeit exzessiven Alkoholkonsum, waren nicht seine Freunde. Er kannte nicht einmal ihre richtigen Namen. Probleme hatte hier jeder, das war allen klar, doch man redete nicht darüber. Er merkte nicht wie der Alkohol, langsam aber bestimmt, die völlige Kontrolle über ihn erlangte. Aber wie hätte er es auch bemerken sollen, es verging schließlich kein Tag an dem er nicht sternhagelvoll in die sanften Federn seines Bettes glitt.
„Damit ist jetzt nun endgültig Schluss“, versucht er sich ständig klar zu machen, während er hastig die letzten Tropfen des kostbaren Rohstoffes aus der Flasche saugt. Die Erkenntnis, sich nach einer langen und innigen Beziehung vom Alkohol zu trennen, traf ihn wie ein Blitz als einer seiner Saufbrüder, den alle nur Kutte nannten, nach einer lebensbedrohlichen Alkoholvergiftung unter Blaulichtgewitter abgeholt wurde.
Als er am darauf folgenden Tag, während die Sonne gerade im Zenit steht, das Bett verlässt und er beim automatisierten Griff in den Kühlschrank ins Leere greift, wird ihm langsam klar dass sein Vorhaben ernste Züge annimmt.
„Du musst stark sein. Kein Alkohol mehr“, sagt er um sich selbst ein wenig Mut zuzusprechen und öffnet eine Packung Orangensaft, die er nach längerem Suchen verstaubt hinter einigen leeren Bierflaschen im Schrank gefunden hat. Ein längst vergessener Geschmack entfaltet sich wie ein sich entpuppender Schmetterling in seinem Mund, während er einen schnellen Schluck aus dem Glas nimmt. „Schmeckt ja gar nicht so übel“, denkt er und nimmt einen weiteren kräftigen Schluck, der das Glas vollends leert.
„Was mach ich denn jetzt“, fragt er sich, „ich brauche irgendeine Beschäftigung.“ Normalerweise würde er sich jetzt seinen „Aldi-Stoffbeutel“ schnappen, diesen mit leeren Bierflaschen füllen und sich dann auf den Weg zur Getränkequelle machen. Aber diese Zeiten, so hatte er es sich ja vorgenommen, sind nun endgültig vorbei.
„Ich könnte ja mal den Keller entrümpeln, oder die Fenster putzen, das hab ich ja schon seit Jahren nicht gemacht“, denkt er, denn er wusste durch einige seiner Gleichgesinnten, welche auch schon einige kläglich gescheiterte Entzugsversuche gestartet hatten, dass man eine Beschäftigung braucht um sich abzulenken und nicht durch aufkommende Langeweile an den Ort der Abgestürzten zurückgespült wird. Nach einigen Überlegungen entscheidet er sich für das Fensterputzen. Er kramt einen alten Eimer, Lappen und ein Handtuch hervor, holt eine Leiter aus dem Keller und macht sich daran die verschmierten und schmutzigen Fenster in neuem Glanze erstrahlen zu lassen. Als er fast fertig ist bemerkt er, dass seine Hände anfangen zu zittern und erinnert sich wie einer seiner Trinkkumpanen davon sprach, dass Entzugserscheinungen den steinigen Weg zum trockenen Alkoholiker sehr erschweren. Er beschließt daraufhin eine kleine Pause einzulegen um bei einem kühlen Glas Orangensaft neue Kräfte zu erlangen. Während er von der Leiter steigt überkommt ihn ein Schwindelgefühl, ihm wird es schwarz vor Augen und er kann sich gerade noch so mit letzter Kraft an der Leiter festhalten, was durch das Zittern seiner Hände nicht gerade erleichtert wird. Mit Mühe und Not erreicht er den so ersehnten festen Boden unter seinen Füßen und wirft sich in den in der Nähe stehenden Fernsehsessel. Das hatte er sich einfacher vorgestellt. Als er einige Zeit später langsam wieder zu Kräften kommt und das Schwindelgefühl allmählich nachlässt, klingelt das Telefon. Seine Exfrau ist dran. Sie spricht davon dass seine Kinder, die er seit über 3 Monaten nicht mehr gesehen hatte, sich dafür entschieden haben ihn nie wieder sehen zu wollen und den Kontakt zu ihm abbrechen. Geschockt hält er den Telefonhörer noch einige Zeit, obwohl sie schon längst aufgelegt hat, am Ohr und legt dann mit erneut zitternden Händen auf. Er war wie gelähmt. Nachdem er noch einige Minuten im Sessel sitzend ins Leere starrt, beschließt er seinen Frust zu ersäufen.