Der gestiefelte Hund
Der gestiefelte Hund
Es war einmal ein Bauer, der hatte drei Söhne. Als der Bauer starb, bekam der älteste Sohn den Hof und der zweite einen Sack mit Gold. Für den Jüngsten jedoch blieb nur der alte Hofhund übrig.
Das störte ihn aber wenig, denn er hatte in vielen wundersamen Geschichten gelesen, dass der Jüngste zum Schluss stets die schöne Prinzessin und das halbe Königreich bekam. Als er nun sah, wie sein Hofhund faul vor dem warmen Ofen lag, sprach er laut:
"Ich werde ihn zum Abdecker bringen. Der gibt mir vielleicht noch ein paar Kreuzer für sein Fell, die ich gut für meine Suche nach einer schönen Prinzessin gebrauchen kann."
Der Hofhund hob seinen Kopf und antwortete grimmig:
"Du musst mich nicht töten lassen, um etwas Geld zu bekommen. Ich werde dir behilflich sein, wenn du mir vier Stiefel für meine Pfoten machen lässt. In meinem Alter ist es doch arg beschwerlich, barfuß zu laufen."
Der Jüngste freute sich sehr, als er seinen Hund sprechen hörte, waren doch solche Dinge für den guten Ausgang einer Geschichte überaus wichtig. Wenn es ihn auch nicht sonderlich interessierte, so fragte er den Hofhund doch:
"Oh, was für ein wunderliches Tier bist du! Warum hast du vorher noch nie ein Wort gesagt?"
"Wir alle beherrschen die Sprache der Menschen", erklärte sein Hund und gähnte müde, "aber meine Vorfahren haben schon vor langer Zeit festgestellt, dass es sich nicht lohnt, mit den Menschen eine Unterhaltung zu führen! Außerdem hätte mich dein Vater bestimmt an den nächstbesten Zirkus verkauft, wenn er gewusst hätte, dass ich sprechen kann!"
"Das hätte er ganz gewiss getan", sagte der Bauernsohn ergriffen und ließ in Erinnerung an seinen Vater eine dicke Träne über die Wange rollen. "Aber wie dem auch sei, ich werde dir die Stiefel besorgen. Doch dafür verlange ich, was in einem solchen Falle üblich scheint: Ich will eine reiche Prinzessin kennenlernen, die mich heiraten soll!"
Der Hofhund willigte ein. So ging der Jüngste zum Schuster und ließ vier wunderschöne Stiefel machen. Als der Hund sie anprobierte, war er sehr zufrieden und stolzierte froh gelaunt in der Stube umher. Dann blickte er zum Bauernsohn und sprach:
"Du hast ein gutes Herz, aber bist leider nicht der Klügste. Das macht die Sache mit dem Reichtum und der Prinzessin schwierig. Aber ich will durch das Land reisen und etwas Passendes für dich suchen."
Er trat aus der Tür und verschwand ohne Gruß.
Während der Jüngste nun tagaus, tagein am Fenster stand und ungeduldig nach seinem Hund Ausschau hielt, führte dieser auf seine alten Tage ein herrliches Leben. In jedem Ort wurde er wegen seiner Stiefel bewundert und sogleich mit den köstlichsten Speisen bewirtet. Die Bürger stritten gar darum, wer ihm ein Lager für die Nacht bereiten dürfe.
Doch bald kam die kalte Jahreszeit und der Hund sprach zu sich:
"An meinen Pfoten werde ich gewiss nicht frieren, aber für den Rest meines Leibes wird der Winter sicherlich nicht angenehm werden. So will ich zu dem Bauernsohn zurückkehren. Ist es mir gelungen, Stiefel von ihm zu bekommen, werde ich ihm auch noch warme Kleidung abluchsen können."
Der Jüngste hoffte indes immer noch auf sein großes Glück und war davon überzeugt, dass sein Hund Wort halten würde.
Tatsächlich stand dieser eines Tages vor der Tür und rief:
"Nun habe ich endlich nach langer Suche die richtige Prinzessin für dich gefunden. Willst du reich werden und sie heiraten, so ziehe rasch dein schönstes Gewand an und folge mir."
Der jüngste Sohn tat, wie ihm geheißen. Als sie auf ihrem Weg an einem See vorbeikamen, blieb der Hund plötzlich stehen und sprach:
"Ich muss dir sagen, dass die Prinzessin ein außerordentlich feines und aufmerksames Näschen hat. Darum bade dich lieber ausgiebig in dem See, bevor ich dich vorstellen kann."
Der Jüngste zog rasch seine Kleidung aus und sprang in das Wasser, denn er konnte es kaum erwarten, endlich die Prinzessin zu sehen. Der Hofhund jedoch lächelte zufrieden, nahm die Kleider und schlüpfte in sie hinein.
Gerade wollte er sich aus dem Staube machen, da hörte er aus der Ferne eine Kutsche heranrollen.
"Was für ein Glück", dachte er, "mit einer Kutsche zu fahren ist viel besser als in Stiefeln zu wandern, mögen sie auch noch so bequem sein." Er stellte sich an den Rand des Weges und hoffte, dass der Kutscher halten und ihn mitnehmen würde.
In der Kutsche saß eine ältere Gräfin, die schon zweimal Witwe geworden und einer neuen Bekanntschaft durchaus nicht abgeneigt war. Als sie in der Ferne den Hofhund in seiner Kleidung und den glänzenden Stiefeln sah, glaubte sie, er sei ein junger Mann und ließ den Kutscher anhalten.
Der Hofhund verbeugte sich artig. Er wusste sofort, dass er einer reichen und adligen Dame begegnet war, als er die Gräfin mit ihrer weißen Perücke und dem prachtvollen Schmuck sah. Da erinnerte er sich an den Wunsch seines Herrn und Mitleid ergriff sein Herz. "Nun gut", dachte er, "ich kann es ja einmal versuchen und ihr den Bauernsohn vorstellen."
Er eilte zum See zurück und rief dem Jüngling zu, er möge so schnell wie möglich aus dem See herauskommen, denn seine Prinzessin erwarte ihn jetzt.
Als die Gräfin den jungen Mann nackt aus den Fluten steigen sah, war sie sehr angetan von diesem Anblick. Der Jüngste lief freudig erregt zur Kutsche, ohne die Prinzessin gesehen zu haben, und rief schon von weitem begeistert: "Wollt ihr mich heiraten?"
"Ach, bist du putzig", lachte die Gräfin geschmeichelt und betrachtete ihn ausgiebig durch ihr goldenes Monokel, "möchtest du mit auf mein Schloss kommen? Deinen Gefährten nehmen wir ebenfalls mit."
Der Jüngste war zwar ein wenig enttäuscht, weil keine junge und hübsche Prinzessin in der Kutsche saß, doch ahnte er wohl den Reichtum der Gräfin. Daher entschied er sich, mit ihr zu fahren. Seinem Hund jedoch befahl er, auf dem Kutschbock Platz zu nehmen.
Als sie bei dem Schloss der Gräfin ankamen, war der Bauernsohn wie verzaubert von der Pracht, die ihn dort erwartete. Mit offenem Mund bestaunte er die kostbaren Gemälde und edlen Stofftapeten an den Wänden und bemerkte dabei nicht, dass er immer noch völlig nackt war.
Die Gräfin lud beide zum Abendessen ein, doch gab sie dem Jüngling vorher Kleidung, damit er bei Tisch ordentlich angezogen sei.
Als sie gespeist hatten, sagte sie zum Bauernsohn:
"Ich möchte, dass du bei mir auf dem Schlosse bleibst, denn ich habe Gefallen an dir gefunden."
"Möchtest du mich denn heiraten?", fragte der Jüngling ein zweites Mal.
Die Gräfin antwortete errötend:
"Wir wollen erst sehen, über welche Fähigkeiten du verfügst. Zunächst will ich dich in meinem Haus als Gärtner anstellen."
So kümmerte sich der Jüngste am Tag um den riesigen Schlossgarten der Gräfin, auch wenn er diese Arbeit zutiefst verabscheute. Während er sich abplagte, lag sein Hofhund vor dem warmen Ofen und aß die edelsten Speisen aus einem goldenen Napf.
In der Nacht aber musste sich der Bauernsohn um den gräflichen Garten der Lust kümmern, denn die Gräfin nahm es mit der Erprobung seiner Fähigkeiten sehr genau.
So ging ein Jahr ins Land und der Sohn des Bauern wurde immer unzufriedener. Von der Gartenarbeit hatte er große Schwielen an den Händen bekommen und seine Haut war von der stechenden Sonne ganz verbrannt. Wenn er am Abend zu der Gräfin ins Schlafzimmer musste, warf er seinem Hund böse Blicke zu.
Eines Tages fragte er die Gräfin erneut, wann sie ihn denn nun endlich heiraten wolle.
Die Gräfin überlegte einige Zeit, dann sprach sie:
"Ich habe dich recht lieb gewonnen, auch scheinst du mir ein geschickter Knabe zu sein, denn du hast mich und meinen Garten zum Erblühen gebracht. Doch glaube ich nicht, dass du dich als Graf eignen würdest. Lassen wir also alles so, wie es ist, denn ich bin damit sehr zufrieden."
Der Bauernsohn jedoch träumte immer noch davon, einst eine wunderschöne Prinzessin zu heiraten. So sprach er wütend:
"Ich habe mir fest vorgenommen, eine Prinzessin zu heiraten. Wenn du nicht willst, werde ich fortgehen und mir in der Welt eine andere suchen! Hier kann ich mein Glück nicht finden."
Er packte seine Sachen und ging, doch traf er weder eine Prinzessin noch eine andere Frau, die ihn heiraten wollte.
Der Hofhund jedoch blieb bei der Gräfin und lebte glücklich und zufrieden bis an sein Lebensende.