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Der glücklichste Tag deines Lebens?

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19.05.2008
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491

Der glücklichste Tag deines Lebens?

von M. Glass

Die Sonne ist dem Mond gewichen. Gedämpft ertönt ein monotoner Rhythmus, um schon bald vom sanften Sommerwind hinfort getragen zu werden. Ein guter Tag, dachte Jonas.

Er hatte sich in einer Bar eingefunden und war gerade bei seinen zweiten Bier angelangt. Sein weibliches Gegenüber schien Interesse an ihm zu haben, sah aber nicht aus wie Helen. Ihr Haar war schwarz, ihre Lippen schmal, das Kinn hingegen unauffällig flüchtend. Alles war eben anders.

Er nahm einen letzten Schluck, bestellte ein weiteres Bier, ohne das vorherige ausgetrunken zu haben und beschloss, nicht zu gehen, sie nicht anzusprechen. Nicht von sich aus. Er musste an Helen denken, an die gemeinsame Zeit mit ihr, an ihrer Seite. Eine schöne Zeit, dachte Jonas.

Er wagte es, nochmals auf die andere Seite der Bar zu sehen. Sie war weg. Jonas wandte sich um, suchte nach ihr. Jetzt erst, mit einem neuen Bier in der Hand, nahm er wahr, wie viele Menschen um ihn herum waren. Es waren bestimmt an die fünfzig Personen, versammelt in einem Raum, größer als ein Zimmer, kleiner als ein Saal. Alle atmeten sie dieselbe Luft, lauschten derselben lauten Musik, tanzten nahezu im selben Takt, tranken mehr oder weniger die selben Getränke und doch waren sie von Grund auf verschieden. Er kannte keinen Einzigen, zumindest erkannte er keinen.

Nur diese eine Frau mit diesen schwarzen Haaren. Und genau diese Frau erwiderte schließlich auch seinen verzweifelt einsamen Blick. Sie ließ von ihrem Tanzgesellen ab, löste sich allmählich aus der Menge und schlich auf ihn zu, setzte sich und schwieg. Jonas auch.

Sie musterte seine Bierflaschen. Eine Flasche war leer, die andere bis auf einen Schluck ausgetrunken, eine Weitere fast voll und diejenige, welche bis zur Mitte gefüllt war, befand sich gerade in der Hand des Barkeepers, der damit bemüht war, Ordnung zu schaffen.

Jonas rülpste. Ungeniert. Er entschuldigte sich, schien sich aber nicht zu schämen.

Sie stütze ihre Arme auf die Theke und fragte ohne gegebenen Anlass:

"Was war der glücklichste Tag deines Lebens?"

Jonas lachte abwesend, wurde jedoch sichtlich aus etwas heraus gerissen.

"Was?"

"Ja."

"Hm. Also es war so: Ich hab heute früher aufgehört mit der Arbeit. Habe danach eine Freundin besucht. Helen, meine Frau, wusste nichts davon. Ich hab sie betrogen. Einfach so. Und als ich dann nach Hause kam, da lag Helen tot da."

Bevor er weinen konnte, hatte sie die Bar verlassen...

 

Inspiriert hat mich Das Leben der Wünsche von Thomas Glavinic.
Die Namen stimmen überein, die Geschichte ist jedoch eigenständig und selbst entwickelt.

 

Hallo, Glass.
Das geht hier plötzlich hintereinanderweg im Forum.
Schön, dann mal was zu deiner Geschichte - warm geworden bin ich mit ihr aber nicht wirklich.
Die arme Sau gibt sich die Schuld am Selbstmord seiner Frau und will den Schmerz mit Alkohol betäuben und einfach nur traurig und allein sein und an seine Frau denken ... ok, das ist genug Stoff für eine traurige Geschichte.
Es fällt erstmal auf, dass das Tempo gemächlich ist. Ok, passt zur Grundstimmung.
Der Ausdruck ist ein wenig altmodisch, was nicht schlimm ist weil du es konsequent durchziehst, aber was mich stört: Du erzeugst eine extra betont melancholische Stimmung, aber das so offensichtlich, dass es irgendwie stört.
Das Ende ist traurig und hart und überraschend - und damit gut. Ich finde es sehr gut, dass du hier weder eine Wertung abgiebst, noch mit irgendeinem moralischen Zeigefinger daherkommst. Das ist toll, echt.

Was mir aufgefallen ist:

Die Sonne ist dem Mond gewichen. Gedämpft ertönt ein monotoner Rhythmus, um schon bald vom sanften Sommerwind hinfort getragen zu werden. Ein guter Tag, dachte Jonas.

Ein herrlich altmodischer Einstieg. Einige wird das schon abschrecken, ich finde es aber schön - großes Publikum bekommt man mit so einem Stil heutzutage leider nicht. Das Problem ist aber der Wechsel der Zeitform.

Er wagte es, nochmals auf die andere Seite der Bar zu sehen. Sie war weg. Jonas wandte sich um, suchte nach ihr. Jetzt erst, mit einem neuen Bier in der Hand, nahm er wahr, wie viele Menschen um ihn herum waren. Es waren bestimmt an die fünfzig Personen, versammelt in einem Raum, größer als ein Zimmer, kleiner als ein Saal.

Ist er in Tranche zu dieser Bar getorkelt, oder warum nimmt er seine Umwelt erst jetzt wenigstens in diesem bescheidenen Maße (andere Menschen, großer Raum) wahr? Ausserdem liest es sich so, als verdanke er diesen Flash seinem Bier. Soll nochmal einer was gegen Alkohol am Steuer sagen ...


Er kannte keinen Einzigen, zumindest erkannte er keinen.

Nur diese eine Frau mit diesen schwarzen Haaren.


Du schreibst, dass er die Frau kennt, tut er wohl aber nicht.


Bevor er weinen konnte, hatte sie die Bar verlassen...

Das klingt, als wollte er nur für sie weinen, und wird es sich jetzt anders überlegen. Vielleicht eher sowas wie "Noch bevor er zu weinen begann, hatte sie die Bar verlassen ..."


Tja, also diese Schnitzer haben mir das Lesevergügen minimal getrübt. Deine Sprache ist einfach zu schwer, so dass jeder Absatz anstrengend ist.
Positiv ist aber, dass du hier nicht die Moralkeule herausholst. Und am Ende kann man tatsächlich Mitleid mit Jonas haben.
Das kann gut werden, wenn du nochmal dran rumfummelst.

MfG
Tim

 

Vorab, danke Bad Rabbit, für deine Kritik...

=> Der Zeitsprung am Anfang der Geschichte scheint mir notwendig.
=> Das Bier verbessert nicht seine Sicht; vielmehr hat Jonas beim Eintritt in die Bar, keinen Menschen wahrgenommen. (Depressionen, Gefühlsschwankungen, Selbstvorwürfe, Trauer...)
=> Und ja, Jonas kennt die Frau mit schwarzen Haaren. Wäre es anders, hätte er nach dem Tod seiner Frau bestimmt etwas anderes zu tun, als mit fremden Damen zu flirten. Sie wusste jedenfalls nichts von den schrecklichen Neuigkeiten (vielleicht lange nicht mehr gesehen) und nur, weil sie Jonas kennt, stellt sie ihm dann auch diese selten dämliche und unpassende Frage...
=> "Bevor er weinen konnte, hatte sie die Bar verlassen..." Dies klingt nicht nach: "Noch bevor er zu weinen begann, hatte sie die Bar verlassen ...", sondern soll eher veranschaulichen, wie schnell die Frau tatsächlich die Bar verlassen hatte. Er bleibt allein zurück, ohne Trost, verwirrt, vereinsamt und vor allem verlassen und schließlich begreift er die Frage...

Was macht meine Sprache so schwer?

Gruß
M. Glass

 

Hallo M. Glass!

Für mich steht dein Prot. unter Schock. Er verdrängt (unbewusst) den Tod seiner Frau Helen.
Erst die Frage: "Was war der glücklichste Tag deines Lebens?" bringt ihn in die Wirklichkeit zurück.
So würde ich die Geschichte gern lesen. :D
Was aber nicht dazu passt: Er musste an Helen denken, an die gemeinsame Zeit mit ihr, an ihrer Seite. Das würd ich streichen.

Gruß

Asterix

 

Hey Asterix,

danke, dass du dir meine Geschichte angesehen hast.
Wenn Gefühle, wie Angst, Selbstvorwurf oder Trauer die Sinne trüben, dann kann man von Schock sprechen, da stimme ich dir zu, ohne dir je widersprochen zu haben.

Mit welcher Begründung würdest du genannte Passage entfernen?

Er wird wahrlich durch die Frage herausgerissen, denn er beantwortet die Frage nach dem glücklichsten Tag mit seinem bisher schrecklichsten, tragischsten, schlimmsten, wobei auch in diesem Tag Glück liegen kann.

In diesem Sinne...

Grüße
M. Glass

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo M. Glass!

Mit welcher Begründung würdest du genannte Passage entfernen?
Ich habe den Eindruck, dein Prot weiß gar nicht, was er in der Kneipe macht. Er ist vollkommen aus der Welt gerissen, nimmt seine Umwelt kaum war. Er trinkt mal aus der einen dann aus der anderen Flasche und bemerkt die fünfzig anderen Gäste (zunächst) nicht.
Daher mein Gedanke an Schock (über Helens Tod) und somit auch an Verdrängung.
Der Satz: Er musste an Helen denken, an die gemeinsame Zeit mit ihr, an ihrer Seite. klingt mir dann zu sehr nach Abschied nehmen.
Ich fände es besser, wenn er bis zu der "dämlichen" Frage in diesem Verdrängungs-Zustand bliebe.
Im Übrigen habe ich nicht den Eindruck, dass Jonas die Frau in der Bar kennt.

Gruß

Asterix

 

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