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Der Glücksbringer
12.02.2008, früher Abend
Der Mann stieg in sein Auto. Er hatte etwas zu tun, die Zeit war reif. Heute war sein Tag gekommen, der Tag, an dem er der Sieger sein würde; und zwar der endgültige. Er würde triumphieren! So viele Schlachten hatte der Mann verloren, doch das spielte keine Rolle, denn den Krieg, den würde er gewinnen. DAS DING hatte es ihm versprochen.
Er fuhr, und obwohl er sein Ziel nicht kannte, zögerte er nicht bei einer Kreuzung oder Seitenstraße. Seine rechte Hand ruhte dabei unbewusst auf der Ausbeulung seiner Jackentasche und nur manchmal löste er sie, um sich eine Zigarette anzuzünden oder ein Brötchen aus dem Picknickkorb auf dem Beifahrersitz zu essen. Er dachte über nichts nach, denn er genoss es, das einmal jemandem anderen überlassen zu können, in einer Art Rausch zu versinken. Er fuhr jetzt auf der Autobahn. Durch die Windschutzscheibe betrachtete ein selig lächelndes Gesicht langweilige Landschaften, vereinzelte Bauernhäuser am Horizont und achtete kein bisschen auf die konturlosen Gesichter der Dummköpfe, deren Schicksal es war, an diesem grauen Tage ebenfalls zu reisen. Diese Menschen waren nicht auf seiner Stufe, denn diese Menschen hatten nicht DAS DING. Er hatte DAS DING, nur er. Sollten diese verblendeten Kapitalisten doch weiter ihren falschen Idealen hinterherlaufen, er hatte den wahren Sinn des Lebens nicht nur entdeckt, sondern trug ihn sogar in der Tasche mit sich herum.
„Wer von euch kann das von sich sagen, Freunde?“, verhöhnte er desinteressierte Schemen hinter Glas. „Hm, keiner? Das ist aber zu schade!“
Eine gefühlte Fahrtstunde später – in Wirklichkeit waren es zweieinhalb gewesen – lenkte der Mann seinen dunkelblauen Honda Civic in die Einfahrt einer Raststätte. Er hatte vor pinkeln zu gehen, sich einen Kaffee zu bestellen und dann ein wenig auszuruhen – und zwar in der Reihenfolge. Ein bisschen Pause konnte sogar dem Entdecker des Sinnes des Lebens nicht schaden. Der Gedanke stimmte ihn einen Moment lang heiter, doch nur einen Moment – denn dann waren sie da.
Kurz nach der Einfahrt sah er sie und ein irrationaler Zorn flammte in ihm auf. Polizisten. Zwei verdammte Bullenschweine, die tatsächlich vorhatten ihn und vor allem DAS DING aufzuhalten. Sie standen da, am linken Straßenrand, hinter der Leitplanke vor ihrem neumodischen blauen Dienstwagen und einer von ihnen schwang eine beschissene Kelle auf alberne Art und Weise auf und ab. So verachtenswert, so niederträchtig.
„Bullenschweine! Verfickte Bullenschweine!“, zischte der Mann und seine Stimme triefte vor Hass. Er schlug mit der Faust aufs Armaturenbrett, sodass die dort verteilten Brötchenkrümel hüpften. In diesem Moment fing DAS DING wieder an zu flüstern und das war der Augenblick, in dem der Mann wahnsinnig wurde.
Sein Name war Heinrich Perlmutter und als er das Gesicht des Autofahrers sah, wusste er, dass gewaltiger Ärger bevorstand.
„Der ist aber schlecht gelaunt“, meinte sein Kollege Peter, der mit der Kelle winkte, und sprach damit die Untertreibung des Jahrhunderts aus. Das Gesicht dieses Fahrers sah nicht nur ärgerlich aus; es war wahnsinnig vor Wut. Seine Augen funkelten und er bleckte tatsächlich die Zähne.
„Na, das kann ja heiter werden. Das so was immer kurz vor Feierabend passieren muss“, seufzte Heinrich und sein Unbehagen schwang deutlich in der Stimme mit. Er öffnete das Halfter seiner Dienstwaffe, aus der noch nie ein Schuss abgegeben worden war, als der blaue Wagen neben ihnen zum Stehen kam.
Und dann ging alles rasend schnell.
Die Tür öffnete sich, der Fahrer stürmte brüllend heraus und ging auf Peter los, der gerade über die Leitplanke gestiegen war. Der mittelgroße Mann, kurze Haare, nicht besonders kräftig, packte Peter und warf ihn durch die Luft, als wöge er nicht mehr, als ein als ein herkömmlicher Gymnastikball. Heinrich glotzte erstarrt, sah wie sein Kollege mit einem dumpfen Geräusch auf die Motorhaube des Dienstwagens aufschlug und reagierte zu spät, als der Mann auf ihn zu preschte, wie ein wütender Stier. Er rammte ihn mit voller Wucht in die Magengrube, sodass er zusammenklappte und die Halbschuhe des Verrückten über ihn hinweg trampelten. Dann war alles schwarz, und zwar für immer.
Der Mann kam aus dem Wald gestapft. Er trug ein khakifarbenes Hemd, einen grünen Overall und darüber ein schwarze Lederjacke mit der Aufschrift POLIZEI. An seinem Gürtel befand sich eine KM .45 Tactical, deren Lauf noch warm war, in der Innentasche seiner Jacke ein zweites Magazin für die Waffe. In seiner Hosentasche steckte ein schwerer Gegenstand. Er schaute sich um und niemand war zu sehen, so wie es DAS DING gesagt hatte. Dem Mann wurde plötzlich klar, dass er DAS DING liebte. Es war zu seinem besten Freund geworden in den letzten Wochen, es verstand ihn, akzeptierte seine Fehler und half ihm, so wie ihm noch nie jemand geholfen hatte. Und es hatte nie gelogen. Niemals.
Du hast gerade zwei Menschen getötet. Dieser Gedanke schlich sich immer wieder in sein Bewusstsein. Du hast gerade zwei verdammte Menschen umgebracht, und zwar ohne jeglichen Grund!
„Sie sind keine Menschen. Es sind alles Dämonen die Schlechtigkeit über die Welt bringen! Fahrt zur Hölle, Dämonen! Niemand hält den Eiermann auf, denn sonst werden die Eier kalt!“, sprach DAS DING mit seinem Mund und lachte wie besoffen.
Zu dem Mann sagte DAS DING: Sorge dich nicht. Du hast mich auf deiner Seite und solange ich bei dir bin, kann dir nichts passieren. Haben diese Männer nicht den Tod verdient, alter Kumpel? Du weißt, dass sie das haben!
„Ja, sie haben den Tod verdient! Sie wollten uns aufhalten!“
Richtig, mein Guter.
Und überzeugt von der Richtigkeit seines Handelns machte sich der Mann wieder an die Arbeit. Er fuhr den Honda an den Straßenrand und stieg dann in den Polizeiwagen um.
Ein paar Minuten später war er wieder auf der Autobahn.
Im Laufe des Tages brachte der Mann siebzehn Menschen um und erschoss sich danach in einer kleinen Seitengasse. In seinen Taschen fand man eine leere Pistole, den Polizeiausweis eines gewissen Heinrich Perlmutters und eine Packung Lucky Strike. Dem Polizisten, der seine Taschen durchsucht hatte, war dabei sofort ein gewisser kleiner Gegenstand aufgefallen, und er hatte ihn aus einer Eingebung heraus eingesteckt und ihn nicht erwähnt. Anfänglich betrachtete er ihn gerne und hielt ihn für eine Art Glücksbringer.
Später konnte er ihn kaum noch aus den Augen lassen.