Der Goldene Gorilla, Teil III
Wie sich unsere werten Leser ohne Zweifel erinnern werden, schilderte Major Grubert in den letzten beiden Ausgaben des Sunday Bugle den mühsamen und gefährlichen Weg über die geheimnisvolle Insel und auf den Gipfel des Pic Poltron, wo er und sein Faktotum Manteca durch ein gewaltiges Labyrinth zu dem Tempelsaal fanden, in dessen Mitte eine steinerne Kuppel steht. Unter dieser Kuppel vermutet der Major den Goldenen Gorilla, der dort der Legende nach seit Jahrhunderten im Schlafe ruht.
An einen Haken am obersten Punkt dieser vollkommen geschlossenen Hemisphäre war ein starkes Seil geknotet, das der Zeit offenbar unbeschadet getrotzt hatte. Am anderen Ende dieses Seiles, das über zwei Rollen an der Decke umgelenkt wurde, hing eine Kugel aus Granit, mit einem Durchmesser von etwa anderthalb Yard, ganz offensichtlich das Gegengewicht für die Kuppel. Von dieser Kugel baumelte ein weiteres Seil, daran klammerten wir uns und zogen, als ob wir zur Sonntagsmesse läuten wollten.
Die Halbkugel hob sich und tatsächlich: der Goldene Gorilla! Endlich! Ich wollte auf ihn zu stürzen, ihn berühren, aber wir mußten weiter ziehen, ich durfte noch nicht loslassen. Nachdem wir es geschafft hatten, die Kugel bis auf wenige Inches über den Boden hinunter zu ziehen, befestigten wir das lose Ende des Seils an einem Haken unserer Bergsteigerausrüstung, den wir vorher in den Felsengrund getrieben hatten. Die Kuppel schwebte jetzt über dem Goldenen Gorilla, als ob eine unsichtbare Gigantin den Deckel einer Bonbonniere über der kostbarsten aller Pralinen hielt. Der Affe war enorm groß, obwohl er zusammengesackt vor sich hin dämmerte. Ich näherte mich vorsichtig diesem einzigartigen Zeugen der Vergangenheit und sah den riesigen Brustkorb in langsamer Bewegung an- und abschwellen.
"Er atmet, Umberto! Er lebt!"
"Das wird er Ihnen bald voraus haben, Major!"
Gute Güte, also doch! Der Verräter! Mein in hunderten Gefechten geschärfter Instinkt ließ mich hinter die nächstbeste Säule hechten, schon fiel ein Schuß und eine Kugel schwirrte hinter meinem Rücken vorbei. Manteca jagte ein weiteres Geschoß in den Pfeiler. Ich nutzte die Zehntelsekunde, die er brauchte, um erneut den Hahn seines Revolvers zu spannen und warf einen schnellen Blick um die Säule. Der Bastard hatte sich hinter der Granitkugel in Deckung gebracht.
"Nun, Major, ich schätze, Sie werden ein weiteres, tragisches Opfer auf dieser vom Unglück verfolgten Expedition werden. Ihr am Boden zerstörter Diener wird alleine nach England zurückkehren müssen. Immerhin hat die treue Seele den Goldenen Gorilla dabei und man wird feststellen, daß Mantecas Abhandlung über den Affen durchaus das Niveau von Gruberts Berichten halten kann."
Wieder schlug ein Projektil in die Säule, aber diesmal hatte er sein Lee-Metford-Gewehr abgefeuert.
"Für die Meisten wirst Du trotzdem nur ein stinkender, kleiner Emporkömmling sein, Umberto, und seit etwa einer halben Minute denke ich: zu Recht!"
Ich prüfte die Trommel meines Webley, in allen Kammern steckten Patronen.
"Mag sein, aber ich werde ein vermögender, stinkender, kleiner Emporkömmling sein. Da sie mich als Verwalter von Glastonburyshire eingesetzt haben, wird es nicht allzu schwer sein, den Rest Ihres Besitzes zu versilbern. Aber das ist nicht so wichtig. Viel schöner finde ich den Gedanken, daß Sie unwillentlich zum Steigbügelhalter meines Ruhmes werden. Für all die Jahre, in denen es umgekehrt war, wird mich das reichlich entschädigen."
Manteca verlieh seinen Worten mit einem erneuten Schuß einigen Nachdruck. Er bemühte sich, in seiner Stimme die gelassene Überlegenheit des sicheren Siegers mitschwingen zu lassen, aber Bitterkeit und Haß verzerrten den Klang zu einem dissonanten Geräusch, das ich bei anderer Gelegenheit für Möwenkreischen gehalten hätte.
Ich konnte noch immer kaum glauben, daß er all die Jahre ein falsches Spiel mit mir getrieben hatte. Obwohl er von mir ein Gehalt bezog, hatte ich ihn immer wie einen Freund behandelt. Nun, ich mußte mir etwas einfallen lassen.
"Ich bin gespannt, was Sie gerade ausbrüten, Major!"
Wieder ein Schuß, mit dem Geräusch des Repetierens sprang ich hinter der Säule hervor, zielte auf Manteca und drückte ab. Statt eines lauten Knalles bekam ich nur ein unbefriedigendes Klicken zu hören, und statt mit einer hoffentlich tödlichen Verwundung umzukippen, fletschte der Schurke seine Zähne zu einem halbirren Grinsen. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
"Letzte Nacht habe ich Ihre Kugeln gegen leere Patronenhülsen ausgetauscht."
Er hatte mich voll im Visier und ich stand zu weit von der Säule entfernt, um erneut in Deckung zu springen.
"Das ist Dein Ende, Lindsay..."
Eine Kugel pfiff an meinem rechten Ohr vorbei, Manteca repetierte blitzschnell, ich konnte mich kaum rühren. Mit dem Revolver aus der Hüfte schießend hatte er mich verfehlt, aber ich wußte, wie gut er mit Gewehr umgehen konnte. Hinter mir ertönte die schwebende Kuppel, von der Kugel getroffen, wie ein riesiger Gong in einem buddhistischen Tempel.
"...Ulysses..." Er spuckte den nächsten meiner Namen aus wie der Lauf seines Gewehres das Blei. Die Hitze des Geschosses versengte mir die Haare links an meinem Backenbart, ohne mich sonstwie zu verletzen. Wieder das Gonggeräusch, als das Projektil auf die Hemisphäre schlug. Manteca wollte den Moment des Sieges auskosten. Ohne Zweifel würde er hinter meinen Nachnamen einen roten Punkt auf meine Stirn setzen.
"...Seymour..." Ich spürte den glühenden Schmerz eines Streifschusses auf meiner rechten Wange und griff im Reflex an die blutende Stelle. Der Verräter spuckte ein höhnisches Wiehern aus, die mißlungene Imitation eines triumphierenden Lachens.
"...Toynbee..." Diesmal hatte er mein linkes Ohrläppchen erwischt. Ich war jetzt aber auf Schmerzen gefaßt gewesen und fest entschlossen, ihm sein Schauspiel zu versagen. Vielleicht hatte er sich ausgemalt, daß ich nun um Gnade flehen würde, aber die Befriedigung gönnte ich ihm nicht. Ich täuschte ein gelangweiltes Gähnen vor: "Es wäre weniger spannend, wenn meine Eltern sich nur einen Vornamen für ihren Sohn hätten leisten können, nicht wahr, Umberto... Manteca?"
"...Ingersoll..." Der Schuß ging deutlich daneben, seine tanzenden Schnurrbartspitzen verrieten mir, daß ihm vor lauter Wut seine steife Oberlippe abhanden gekommen war. Mir gingen die Vornamen aus, ich mußte unbedingt handeln. Beim Gongschlag zog ich mit jahrelang trainierter Geschwindigkeit mein Messer aus dem Gürtel und warf es in Mantecas Richtung, während er repetierte. Er wußte, daß ich - bei aller Bescheidenheit - ein exzellenter Messerwerfer war, hatte mit solch einem Manöver gerechnet und duckte sich schnell hinter der Steinkugel. Als er die Klinge auf den Steinboden klappern hörte, kam er wieder hervor, voller Schadenfreude, daß mein letztes Aufbegehren gescheitert war. Er stützte sich auf die Kugel für den besonders sorgfältig gezielten, finalen Schuß.
"... Gru..." Das Seil, mit dem die Kugel am Boden verzurrt war, gab mit einem leisen Schnalzen auf, nachdem mein Messerwurf den größten Teil der Hanfstränge durchtrennt hatte. Die Kugel schnellte nach oben, Manteca, in einem unbedachten Reflex, klammerte sich an ihr fest und wurde mitgezogen. Ein paar Minuten vorher hatte die Kugel nur wenige Inches unter dem Säulenbogen gehangen, Manteca mußte jetzt schmerzhaft feststellen, daß noch nicht einmal seine Schulter dazwischen paßte. Mit einem lauten Knacken zerbrach sein Schulterblatt. In seinen Schmerzensschrei mischte sich die Erkenntnis unabwendbaren Unglücks: Er sah, wie hinter mir die Halbkugel auf den Boden aufgeschlagen war; durch seine Gewehrschüsse war der Stein beschädigt worden, so daß jetzt, nach der Erschütterung des Aufpralls, von den Einschlägen der Projektile aus, feine Risse über die rundgeschliffenene Fläche der Schale zu ihrem höchsten Punkt wanderten.
Ein Knirschen, und die Öse, an der das Seil befestigt war, schoß aus der Kuppel, gezogen vom Gegengewicht, an das Manteca sich immer noch krallte. Den Gesetzen der Physik folgend, drehte die Kugel im Fallen ihre größte Unwucht zum Erdmittelpunkt. Als der Granitball auf dem Boden aufschlug, zerquetschte er Mantecas Torso unter sich.
Ich ging zu ihm und nahm sein Gewehr auf.
"Grubert, Du...!"
Ich rammte ihm den Kolben in die Zähne, wollte ihm keine letzte Verwünschung zugestehen. Wenige Sekunden später war der letzte meiner Gefährten tot. Ich war mir nicht sicher: War ich mehr erschüttert von seinem Verrat oder von seinem Verlust?
Allein. Die Schwermut überkam mich, aber ich wollte mich ihr keinesfalls ergeben. Ich mußte jetzt zum Goldenen Gorilla vorstoßen, und sei es nur aus der Verpflichtung gegenüber meinen Kameraden, die auf dem Weg hierhin ihr Leben gegeben hatten. Weil aus der Hemisphäre die Öse ausgebrochen war, konnte ich jede Hoffnung fahren lassen, sie mit Hilfe des Gegengewichtes wieder zu heben. Also machte ich mich daran, die Risse in der Halbkugel mit dem Pickel unserer Bergsteigerausrüstung vorsichtig zu erweitern. Der Stein war durch den Aufprall geschwächt, ich konnte zu meinem Erstaunen mühelos ein kleines Loch einschlagen. Je größer das Loch wurde, desto größer wurden auch die Brocken, die ich heraus picken konnte. In Windeseile hatte ich einen Zugang geschaffen, der es mir erlaubte, dem Goldenen Gorilla aufrechten Ganges und erhobenen Hauptes zu begegnen.
Ich trat also in die Kuppel ein. Der legendäre Affe saß auf einem runden Podest von etwa einem Fuß Höhe. Einen Moment stand ich bewegungslos vor ihm, rekapitulierte in einem minutenlangen Sekundenbruchteil ein letztes Mal den entsagungsreichen Weg, der mich hierhin geführt hatte:
Zehn Jahre meines Lebens hatte ich auf die Suche nach dem Goldenen Gorilla verwendet, seit ich, während ich in Latveria nach der Gyptischen Gambe forschte, aus einer Laune heraus für ein paar Pennies von einem alten Zigeunerweib ein noch älteres Dokument kaufte. Ihre Prophezeiung, daß sich damit mein Schicksal verknüpfen würde, tat ich mit einem Lachen ab, aber schon am gleichen Abend, als ich mühselig die verwitterte Schrift entzifferte und übersetzte, war ich in den Bann des Goldenen Gorillas geraten! Als ich vor sechs Jahren der Royal Society meine Absicht vortrug, ihn zu finden, lachten Sie mich aus! Mich, der die gnostische Gemme und die gothische Gemse gefunden hatte! Mich, obwohl ich die gordische Gerade entdeckt und den Geheimen Grafen geschlagen hatte, alles zum Ruhme und Schutz des Empires! Am anderen Tag waren die englischen Zeitungen voll des Spotts über "Gaga Grubert", wie sie mich jetzt nannten. "Aus sicherer Quelle" - es können nur Burton oder Quartermain gewesen sein - habe man von der Absurdität meines Vorhabens erfahren und man wünsche mir viel Glück, ich solle doch mal hinter den Spiegeln nachsehen.
Die Liebe meines Lebens hatte es nach 12 Jahren Ehe vorgezogen, sich von mir zu trennen und mit der Schande einer geschiedenen Frau zu leben, anstatt, wie sie es nannte, mir dabei zuzusehen, wie ich meinen Verstand "mit dieser Obsession ruiniere". Nun, "ruiniert" traf vielleicht nicht auf meinen Verstand zu, auf mein Vermögen aber ganz gewiß! Die Suche nach dem Goldenen Gorilla führte mich um den ganzen Globus und trotz immenser Kosten brachten diese aufwändigen Reisen oft nur ein winziges Mosaiksteinchen des gewaltigen Rätsels an das Licht des Tages - wenn sie überhaupt ein Ergebnis hatten.
Am schwersten aber wähnte ich den Verlust meiner schwarzen Freunde: Ich mochte vielleicht der Vorgesetzte dieser Männer gewesen sein, als das Empire sich entschieden hatte, in der blutigen Fehde zwischen den Bugwasi und den N'ambala Partei zu ergreifen und die innere Ruhe in den afrikanischen Kolonien wieder herzustellen. Aber wir waren zusammen durch die entsetzlichen Schrecken mehrerer Kriege gegangen, aberwitzigen Situationen entflohen und hatten auch - ich gebe es zu - so manche Nacht gemeinsam in den Bordellen von drei Kontinenten verbracht. Die Unterschiede von Rang, Herkunft oder Rasse waren mittlerweile von Freundschaft und Respekt verwischt worden. Denn diese fünf tapferen, loyalen und gewitzten Hottentotten - das muß an dieser Stelle gesagt werden - hatte ich in den Stunden der Gefahr lieber an meiner Seite gewußt als fünfzig von jenen blassen, weibischen jungen Männern, die in diesen Tagen durch London schwirren wie Schmetterlinge und die jeden Funken Männlichkeit einer Eitelkeit opfern, die selbst die verrufensten Schauspielerinnen nicht überbieten können. Wenn diese Pfauen, die sich selber Dandys nennen, den Höhepunkt unserer Zivilisation darstellen sollen, dann bleibt nur zu hoffen, daß Herr Darwin, so absurd uns seine Thesen auch erscheinen mögen, Recht behalten wird und die Natur jenen Irrweg des Taugenichts durch eine gesündere Gattung Mensch ersetzt, die ihr zu größerem Ruhme gereichen wird.
Meine Hand näherte sich endlich dem fantastischen Fell, dessen einzelne Haare das Licht der Fackeln aufzusaugen schienen und es als flackernde, goldene Glut wieder abstrahlten. Alte Berichte hatten mir verraten, daß der Goldene Gorilla seine Lebenskraft aus dem Licht der Sonne bezog - würden die traurigen Flammen der Fackeln ausreichen, ihn zu wecken? Würde er uns von vergangenen Zeiten erzählen können, von seiner Wanderschaft durch die Zivilisationen der Antike? Mir schwirrte der Kopf und mein Herz schlug bis zum Kragen, als meine Hand nur noch einen Inch von dem gewaltigen Körper des Jahrhunderte alten Affen entfernt war.
Ich stupste ihn vor die Brust. Wie würde er reagieren?
Ich zog meine Hand zurück. Der Gorilla knurrte, mit dem enormen Resonanzkörper seiner brobdingnagischen Lunge erzeugte er dabei einen so tiefen Ton, daß meine Eingeweide vibrierten und mir übel wurde. Ich wich einen Schritt zurück. Das Knurren wurde lauter, ich ging rückwärts, ohne das Tier aus den Augen zu lassen, bis ich an die Wand stieß. Der Goldene Gorilla schlug nun die Augen auf; seine Pupillen waren ebenfalls golden. Einen Moment schien es, als wäre er verwirrt, müsse erst seiner Umgebung gewahr werden. Dann hatte er mich entdeckt, Funken sprühten aus seinen Augen, als er mich ausgiebig studierte. Er richtete sich langsam auf, war mindestens doppelt so groß wie ein Mensch. Ich tastete mich langsam an der Wand entlang, bis ich an das Loch kam, das ich in die Kuppel gehauen hatte. In diesem Moment stieß der Affe ein Brüllen aus, dessen Schalldruck mir die Haare verwehte. Dann setzte er einen seiner mächtigen Füße vor den anderen, machte einen Schritt in meine Richtung. Sein Primatengesicht war verzerrt vor blanker Gemeinheit. Er hob seine rechte Pranke und mit einem Finger, so dick wie ein Kinderarm, zeigte er auf mich.
"Du!"
Er kannte meine Sprache? Aber das war mir egal, als der Affe einen weiteren Schritt machte. Noch ein Schritt und ich wäre in der Reichweite seiner Hand, die mir mit einem Hieb den Schädel spalten konnte.
Ich drehte mich um und rannte um mein Leben, durch den finsteren Tunnel, zum Labyrinth, nur raus hier. Der Lärm hinter mir konnte nur von Fäusten stammen, die die steinerne Kuppel zertrümmerten. Vor dem Eingang zum Labyrinth sah ich mich kurz um, der Gorilla ließ seine in Äonen angestaute Wut an den Säulen aus, die um sein ehemaliges Gefängnis gruppiert waren. Vielleicht würde die Decke einstürzen - ein Grund mehr, das Weite zu suchen. Täuschte ich mich, oder ragte das Podest, auf dem der Primat gesessen hatte, etwas weiter aus dem Boden? Nun, ich hatte wenig Lust, umzudrehen und ein Maßband anzulegen. So lange der Affe noch mit der Architektur beschäftigt war, konnte ich wertvolle Yards zwischen ihn und mich bringen. Ich trat also in das Labyrinth ein, folgte dem Ariadne-Faden, den wir hinterlassen hatten und war gerade um ein paar Ecken gebogen, als am Ende eines längeren geraden Ganges N'dulu auftauchte! Ich hatte ihn verloren gewähnt, nachdem er im Labyrinth plötzlich davon gerannt war, Sirenengesängen folgend, die nur er hören konnte. Nach Stunden des Suchens war ich zu der traurigen Überzeugung gekommen, daß er einer der mechanischen Teufeleien zum Opfer gefallen war, die hinter zahlreichen Abzweigungen des Irrgartens durch unvorsichtige Schritte ausgelöst werden konnten.
"Major! Ich muß Dir etwas zeigen! Komm mal her!"
"Nicht jetzt, N'dulu! Lauf um Dein Leben!"
Mein schwarzer Freund schaute mich irritiert an. In diesem Moment erzitterte das Wandsegment, vor dem er stand, unter einem mächtigen Knall, als hätte Thor seinen Hammer Mjolnir von der anderen Seite dagegen geschmettert. Das Segment neigte sich, aber N'dulu, anstatt zur Seite zu hechten, wich nur zurück und starrte an seinem steinernes Schicksal empor. Das kippende Teilstück knallte gegen die gegenüberliegende Wand, oberhalb des eingefrorenen N'dulu. Sehr langsam, aber doch zu schnell, als daß meine Hilfe rechtzeitig gekommen wäre, gab das senkrechte Stück Wand seinen Widerstand auf und begann, sich ebenfalls zu neigen. N'dulus Schrei, als er zwischen den beiden kippenden Quadern zerrieben wurde, werde ich bis ans Ende meiner Tage nicht vergessen können. Ich war zu der Unglücksstelle gestürzt und sah auf der linken Seite die Wandsegmente der Reihe nach umklappen, wie Dominosteine. Rechts rollte die Kugel langsam von mir fort, die als Gegengewicht der Kuppel gedient hatte. Der Goldene Gorilla hatte sie vor die Wand geworfen, und daß Manteca noch an ihr klebte, hatte er in seiner Raserei vielleicht nicht einmal bemerkt.
Der gewaltige Primat stapfte auf mich zu, etwas gebremst von dem Tunnel, durch den er sich nur gerade eben quetschen konnte. Da lag N'dulus Gewehr, unbeschädigt! Der Affe, eingezwängt in den Tunnelwänden, bot ein hervorragendes Ziel, ich feuerte das ganze Magazin auf ihn ab. Nichts! Dabei war ich überzeugt, ihn getroffen zu haben! War er wirklich unsterblich, wie die Legende behauptete? Nun, ich war es nicht und bevor der Gorilla mir das beweisen konnte, sprang ich lieber auf die umgestürzten Steinplatten und rannte dem Sonnenlicht entgegen. In direkter Linie war das Labyrinth etwa fünfhundert Yards lang, ich überwand diese Strecke in Bestzeit. Dann stand ich am Rande des Abgrunds. Wie konnte ich jetzt so schnell wie möglich lebend die Steilwand hinunter kommen?
Ich stand nur wenige Yards von unserem letzten Lager entfernt. Wir hatten einige Sachen dort liegen lassen, unter anderem eine Rolle Seil von hundert Yards Länge. Mir kam eine tollkühne Idee, gefährlich zwar, aber lieber würde ich am Berg abstürzen, als von der Bestie zerrissen zu werden. Ich schlang mir ein Ende des Seiles um meine Taille, dann steckte ich es durch den obersten Karabinerhaken, den wir beim Aufstieg eingeschlagen hatten. Etwa neunzig Yards des Seils baumelten im Abgrund, in den ich jetzt stieg. Das lose Ende führte ich um meinen Rücken, damit ich das Seil nicht nur mit meinen Handflächen bremsen mußte. Jedes Mal, wenn ich Seil nachließ, sank ich ein Stückchen in die Tiefe. Erst vorsichtig, dann immer schneller ließ ich das lose Ende durch meine Hände gleiten, mit den Füßen stieß ich mich von der Wand ab. Am Ende des Seiles hielt ich ein, klammerte mich an den Fels und zog das lose Ende aus dem Karabinerhaken fünfzig Yards über mir. Ich fädelte es in den nächsten ein und wollte gerade das Spiel fortsetzen, als über mir ein zorniges Brüllen ertönte. Der tollwütige Primat starrte mich über den Rand des Abgrundes an, wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, daß ich schon so weit von ihm entfernt war. Sofort machte er sich daran, den Abstand zu verringern: Er kletterte über die Kante und nutzte unsere Haken, um mir mit einiger Geschwindigkeit zu folgen.
Ich mußte schneller werden! Ich drehte mich um, schlang das lose Seilende um meine Brust und rannte senkrecht zur Felswand nach unten, alle bergsteigerische Vernunft in den Wind schlagend. Nach weiteren fünfzig Yards war das Seil erneut zu Ende, ich mußte wieder umfädeln. Ein Blick nach oben: Das Monster war mir nicht viel näher gekommen! Gut! Wieder stürzte ich los, wieder mußte ich das Seil aus der höheren Öse ziehen und in die niedrigere haken. Meine Hände waren von der Reibung in Mitleidenschaft gezogen, so daß mir beim Einhaken die Hände zitterten.
Plötzlich eine Erschütterung! Mit aller Kraft klammerte ich mich an den Felsen. Von oben fielen einige Steine herab, zum Glück verfehlten mich die größeren. Was war passiert? Ich fürchtete das Schlimmste, offenbar war der Pic Poltron ein Vulkan, der ausgerechnet jetzt wieder aktiv wurde. Der Goldene Gorilla hatte sich nur wenig irritieren lassen und war mir näher gekommen. Ich mußte weiter, auch wenn der Berg explodierte!
Wieder fünfzig Yards, und noch einmal die gleiche Strecke. Meine Hände hatten Blasen von der Reibungshitze. Ich ignorierte den Schmerz und schaffte weitere fünfzig Yards. Verdammtes Ausfädeln, das dauerte jedes Mal eine Ewigkeit! Noch mal Fünfzig! Die Blasen waren aufgerieben, meine Hände bluteten jetzt. Egal, weiter runter! Ausfädeln, einhaken, runter, ausfädeln, einhaken, runter! Der Gorilla kam näher! Aber ich konnte nicht schneller, ich hatte das Gefühl, das Seil würde wie eine Feile über die Knochen meiner Finger reiben. Nur noch hundert Yards bis zum Boden! Ausfädeln, einhaken, runter! Ich blickte kurz nach oben, der Gorilla war der Öse, aus der ich gerade mein Seil gezogen hatte, schon gefährlich nahe gekommen. Ein letztes Mal hakte ich das blutverschmierte Seil ein und rannte los. Plötzlich ein Ruck, der Gorilla hatte sich das Seil gegriffen! Er packte beide Stränge zugleich und begann, sich daran abzulassen. Mich hatte er damit zum Stillstand verurteilt. Aber so leicht wollte ich mich nicht geschlagen geben! Ich krallte mich in die Wand, schnitt mich vom Seil ab und kletterte ungesichert die letzten zwanzig Yards hinab. Fünf Yards über dem Boden ließ ich los, landete wenig sanft, aber unverletzt in einem Strauch, nur einen halben Yard von der Leiche N'boros entfernt. Bei seinem Absturz hatte ein makabrer Wind das Geräusch seines zerplatzenden Körpers zu mir hinauf getragen, aber obwohl ich für die Krone schon in Dutzenden von blutigen Schlachten dem Grauen ins Antlitz geblickt hatte, hätte ich auf das Bild zu diesem Geräusch gut verzichten können.
Tapferer, selbstloser N'boro! Beim Aufstieg war er durch plötzlichen Steinschlag, von dem ich mittlerweile annahm, daß der verräterische Manteco ihn ausgelöst hatte, so schwer verletzt worden, daß er es vorgezogen hatte, sich in den Abgrund zu stürzen; er wußte, daß wir eher unsere Expedition abbrechen würden, als ihn verletzt zurück zu lassen.
Aber ich konnte der Trauer keine Zeit opfern. Hinter mir der Goldenen Gorilla und vor mir das nächste Hindernis: Wie sollte ich die Spinnen überwinden?
Meine einzige Chance war Geschwindigkeit. Ich schaffte die hundert Yards vom Fuß der Steilwand bis zu dem Felsenplateau, in dem die Biester ihr Nest hatten, so schnell, daß nur ein halbes Dutzend Arachniden, angelockt von den Vibrationen meiner Schritte, herauskamen und auf mich zu galoppierten, groß wie Mastiffs und schnell wie walisische Ponys. In vollem Lauf leerte ich die Trommel des Webley und streckte fast alle der Kreaturen nieder. Die letzte war kaum ein paar Fuß aus ihrer steinernen Behausung gekommen, ich benutzte sie als Sprungbrett auf die untersten Felsen des Plateaus. Ich kletterte schnell nach oben; die Felsen verbreiteten die Schallwellen, die meine genagelten Absätze auf dem Stein erzeugten, in alle Richtungen, so daß die Achtbeiner, die aus dem Bau strömten, die Quelle der Vibrationen nicht orten konnten und verwirrt mal hierhin, mal dorthin liefen. Durch einen glücklichen geologische Zufall schienen sich die Schallwellen an einem gewissen Punkt zu überlagern, der etwa vierzig Yards vom Felsen entfernt in der Richtung lag, aus der ich gekommen war. Die Spinnen versammelten sich dort und würden hoffentlich, anstatt mich zu verfolgen, den Goldenen Gorilla aufhalten.
Ich hatte die Mitte des Plateaus erreicht, stand jetzt etwa dort, wo wir den armen N'goro entdeckt hatten. Ein Blick in den tiefen Spalt, der den ganzen Felsen durchzog, und ich sah seine verstümmelte Leiche dort noch immer liegen. Mir blieb nur ein Moment, um erneut das sanfte Lächeln zu bestaunen, das er im Tode auf den Lippen hatte: Auf seinen eigenen unausgesprochenen Wunsch hin hatte sein Zwillingsbruder N'boro ihm von hier oben aus einen Gnadenschuß mitten zwischen die Augen gesetzt. Nachdem N'goro während der Nachtruhe unbemerkt von den achtbeinigen Monstern betäubt und entführt worden war, hatten wir ihn, nach etlichen Scharmützeln mit den Spinnen, hier gefunden, als eine von ihnen gerade seine Rippen mit ihren Kauwerkzeugen knackte, um ungehindert seine Lunge aussaugen zu können. Es war nur ein kleiner Trost, daß die Zwillinge, deren Verbundenheit fast an Telepathie grenzte, kaum mehr als hundert Yards voneinander entfernt ihr Ende gefunden hatten.
Der Goldene Gorilla erreichte jetzt die Gruppe der Arachniden. Ohne groß an Geschwindigkeit zu verlieren, rannte er mitten durch sie durch, trampelte ein paar einfach nieder. Die meisten schob er beiseite, wie ein Boot mit seinem Bug das Wasser teilt, und die ihn verfolgten, wischte er mit ein paar Handbewegungen weg, gerade so, als wenn ein Mensch Mücken verscheucht. Ich war wieder zu Atem gekommen und hatte meinen Revolver nachgeladen. Der Affe hatte mich auf dem Felsplateau gesehen, ich mußte also weiter und rannte los. Plötzlich traf mich etwas am Bein, ich verlor das Gleichgewicht und stolperte. Obwohl ich nicht hinfiel und besser weiter gerannt wäre, überkam mich die Neugier und ich drehte mich um, erwartete, den Gorilla zu sehen, wie er einen weiteren Stein oder Stock nach mir schleuderte. Aber hinter mir lag nur ein abgetrenntes Spinnenbein, von dem Rest des Tieres war ebenso wenig zu sehen wie von dem Primaten. In meinen Füßen spürte ich die Vibrationen, erzeugt von den Arpeggien galoppierender Spinnen, kontrapunktiert von den stampfenden Paukenschlägen der Gorillafüße. Ich riskierte einen weiteren Blick in die Tiefe der Gänge. Unter mir sah ich Dutzende der Arachniden durch die Gänge rasen, auf den Affen zu, der sich entschlossen hatte, durch das Plateau zu marschieren, statt mir über den höheren Weg zu folgen. Er hinterließ eine Spur von abgetrennten Beinen und zermalmten Körpern und hatte Schwierigkeiten, nicht auszurutschen auf all dem grauen Schleim, der durch das Massakrieren der Spinnen an seinen Füßen klebte. Wieder erbebte die Erde, der Vulkan würde bestimmt jeden Moment ausbrechen. Der Gorilla verlor die Balance und die Spinnen begruben ihn unter sich, ein Durcheinander von golden und schwarz bepelzten Extremitäten. Als aber die erste Spinne in hohem Bogen von dem wimmelnden Haufen fortflog, hatte ich keinen Zweifel mehr, daß der Gorilla siegreich bleiben würde. Er hatte ein ganzes Magazin Gewehrkugeln überlebt, es hätte mich gewundert, wenn ihn die Spinnenbisse töten würden.
Also rannte ich weiter, kletterte das Plateau wieder hinab. Die beiden einzigen Spinnen, die sich von der Jagd auf mich mehr Erfolg versprachen als von dem Kampf, der noch in ihrem Nest tobte, konnte ich mit zwei gut gezielten Schüssen von ihrem Irrtum überzeugen. Danach blieb ich unbehelligt, bis ich auf den Wald der fleischfressenden Pflanzen zu lief, in dem N'badela auf so schreckliche Weise sein Leben gelassen hatte. In der Ferne näherte sich der Goldene Gorilla, in spätestens zwei Minuten würde er mich erreicht haben. Hastig sammelte ich trockene Zweige auf, band sie zu Fackeln zusammen, um im Schutze ihrer Flammen den Wald auf die gleiche Weise zu durchqueren, wie wir das auf dem Hinweg getan hatten. Aber dann durchsuchte ich vergeblich meine Taschen: Die Streichhölzer waren verschwunden, wo bekam ich jetzt Feuer her?
Ich stand wie gebannt vor dem Wald, hatte nur die Wahl von den Lianen der fleischfressenden Pflanzen zerrissen und von ihren Blüten verschlungen oder von den mächtigen Pranken des Goldenen Gorilla zerquetscht zu werden.
Plötzlich vibrierte der Boden erneut, als wäre ein Komet auf der Insel eingeschlagen. Ich konnte mein Gleichgewicht nicht halten; in der Ferne sah ich, daß sogar der Affe taumelte und der Länge nach hinschlug. Mein Blick wurde aber von der Spitze des Berges angezogen: Ein Ring von Lava erschien auf den Felswänden wie ein rotglühendes Halsband auf einer steinernen, kopflosen Büste. Die Vegetation, die sich jahrelang verzweifelt an die Bergspitze geklammert hatte, ging in Flammen auf. Durch das Feuer und den Rauch konnte ich zu meinem Erstaunen die Kontur einer riesigen Kugel erkennen. Sollte diese Sphäre so etwas wie einen symbolischen Korken für den Vulkan darstellen? Mir fiel wieder die Plattform ein, auf der der Goldene Gorilla gesessen hatte und die, ohne den Affen darauf, angefangen hatte, sich zu heben - konnte es sein, daß die mystischen Kräfte des Primaten den Vulkanausbruch jahrhundertelang verhindert hatten?
Bevor ich noch weitere Überlegungen anstellen konnte, kippte die gigantische Kugel, gehoben von der Lava, über den Rand des Berges. Die Lava nahm jetzt Geschwindigkeit auf und floß beinahe wie Wasser den Hang hinunter, die Kugel vor sich her treibend. Für den Bruchteil einer Sekunde triumphierte ich: Ein Bad in glühendem Magma würde auch der Goldene Gorilla nicht überleben. Ich allerdings genauso wenig.
Der Affe hatte ebenfalls das Geschehen beobachtet. Als die Kugel auf ihn zutrieb, wurde er nervös, jedenfalls schien es mir so. Er rannte hin und her, wollte ihr scheinbar ausweichen. Tatsächlich aber, so stellte ich verblüfft fest, lief er ihr entgegen. Kurz bevor er von dem tonnenschweren Felsenrund zerquetscht und anschließend von der Lava verbrannt werden würde, sprang der Gorilla mit einem gewaltigen Satz auf die Kugel zu, bekam einen der halbverkohlten Wurzelreste zu packen, kletterte schnell zum obersten Punkt des steinernen Balls und balancierte dort die Dreh- und Kippbewegungen mit kleinen Schritten aus.
Ich war von dieser Zirkusnummer so gebannt, daß ich fast mein eigenes Schicksal vergaß, aber als der Affe auf der Felsenkugel näher und näher kam, und die glühende Lava noch viel schneller, setzte mein Verstand wieder ein. Wenn nicht ein Wunder geschähe, würde ich in weniger als einer Minute meinem Schöpfer gegenübertreten.
Dann explodierte die Spitze des Berges. Von der enormen Druckwelle wurden die Bruchstücke in alle Himmelsrichtungen geschleudert. Trotz meines drohenden Todes beobachtete ich fasziniert, wie ein Wandsegment des Großen Labyrinthes durch die Luft wirbelte, als ob eine Spielkarte nach einem gelungenen Stich lässig auf den Tisch geworfen wird. Dann hüpfte die Steinplatte über die Lava wie ein flacher Stein, von einem Kind über einen See geschleudert. Mit dem letzten Hüpfer kam sie an den Ausläufern des glühenden Verderbens zu liegen, nur fünf Yards vor meinen Füßen. Mir blieb keine Wahl, als diesen Deus Ex Machina zu nutzen. Ich tat drei große Schritte und setzte mit einem Sprung über das flüssige Erdinnere, das schon den Quader unterspülte. Nur mühsam konnte ich das Gleichgewicht auf dem mineralischen Monolithen halten, als ich mit der Lava auf den Wald der fleischfressenden Pflanzen zutrieb.
Der Goldene Gorilla balancierte immer noch auf der riesigen Kugel, die etwa fünfzig Yards hinter mir von der Lava voran geschwemmt wurde. Wir bewegten uns in einer Geschwindigkeit voran, die einem leichten Trab entsprach. Nach kurzer Zeit hatte ich gelernt, mein Körpergewicht so zu verlagern, daß ich auf die Unebenheiten im Gelände, die ich noch sah, bevor sie vom Magma überschwemmt wurden, perfekt reagieren konnte. Die Hitze war nahezu unerträglich, aber da ich mich am Kamm der Glutlawine befand, sorgte die Luft von vorn für ein Minimum an Kühlung. Beim Eintritt in den Wald schien es mir erneut, als würde dieser vor dem Feuer zurückweichen. Aber alle Bewegung der Lianen nutzte diesmal nichts, die carnivoren Bäume, deren Arme sie waren, verkohlten einer nach dem anderen. Rings um mich herum platzten die Blüten und gaben ihre halbverdauten Inhalte frei. Durch einen besonders perfiden Streich der Vorsehung glitt ich ausgerechnet an der Blüte vorbei, die N'badelas Kopf geschluckt hatte. Sein Schädel fiel nur wenige Yards von meinem steinernen Floß in die Lava; von seiner Haut war kaum noch etwas zu erkennen und aus den leeren Höhlen seiner bereits zersetzten Augen starrte er mich an, bis er versunken war.
Nach wenigen Minuten hatten wir den Wald durchquert und trieben auf das offene Gelände, das ihm vorgelagert war. Ich hatte mittlerweile Hemd und Jacke ausgezogen und unter meine Stiefel gelegt, deren Sohlen schon bedenklich heiß geworden waren. Die Geschwindigkeit, mit der die Lava floß, nahm langsam ab, aber ich kam der Klippe des piranhaverseuchten Flusses schneller näher, als mir lieb war. Mir blieb nur wenig Zeit, um zu spekulieren, wie mein Leben enden würde: Durch Verbrennen im Magma, erschlagen vom Goldenen Gorilla - oder würde ich den fliegenden Mörderfischen als Futter dienen?
In hundert Yards Entfernung sah ich hinter einer Erhebung die Kuppe des Wasserfalls auftauchen, von der zum ersten Mal die grausame Schicksalsgöttin ihre unerbittlichen Helfer auf uns hatte hinab regnen lassen. Wenn die Steinplatte, auf der ich stand, ihre Richtung beibehielte, würde ich etwa hundertfünfzig Yards von der Brücke entfernt über die Klippen gespült werden, die den hinabgestürzten Fluß umrahmten. Einigen Piranhas böte ich also noch einen letzten Bissen, bevor wir alle in dem von glühendem Magma erhitzten Wasser gekocht würden.
Mittlerweile war die Lava zäher geworden, ein zügig marschierender Mann hätte ohne Weiteres mit dem Kamm der glühenden Flut mithalten können. Ich nahm meinen Mut zusammen, balancierte zum Ende der Steinplatte und nutzte ihre ganze Länge als Anlauf für einen Satz über die Front des Magmastromes. Taumelnd kam ich auf, nur wenige Inches hinter meinen Fersen begrub die infernalische Flüssigkeit den Boden unerbittlich weiter unter sich, Yard für Yard. Ich rannte los, aber obwohl ich schneller war als die Lava, mußte ich in der Diagonale doch einen weiteren Weg zurücklegen. Zu meinem Entsetzen merkte ich zudem, daß ich gar nicht an der Spitze der Flut getrieben war: ich mußte deshalb in einem Bogen um die Front der Glut laufen, so daß ich auf den letzten fünfzig Yards meine Schritte schon fast parallel zum Abgrund setzte. Der Streifen zwischen Lava und Klippe wurde schmaler und schmaler, ich rannte jetzt so nah am Rand des Felsens, daß ich jeden Moment fürchtete, ein loser Stein würde heraus brechen und mich zu Fall bringen. Doch ich hatte Glück und mit einem letzten Satz sprang ich über das Magma hinweg auf die Stufe, die den Zugang zur Brücke von dem restlichen Gelände absetzte. Zuerst floß nur ein dünner Streifen Lava an dieser Stufe vorbei in den Abgrund, dann quoll die Glut über die gesamte Breite der Klippe, jedenfalls, so weit ich sehen konnte. Der Quader, der vor kurzer Zeit noch meine Rettung vor einem sicheren Tod bedeutet hatte, kippte nun über den Rand der Felswand.
Ich hatte nur einen Moment auf der Brücke verharrt, um wieder zu Atem zu kommen, aber jetzt rannte ich sofort weiter, weil ich wußte, in wenigen Augenblicken, wenn die glühende Lava sich zäh-klebrig an den Wänden des Canyons hinabgehangelt hätte und in das kalte Wasser des Flusses eintauchen würde, stiege eine enorme Dampfwolke empor, die jedes Lebewesen in Sekunden garen würde. Ich war nur noch ein paar Yards von der anderen Seite des Canyons entfernt gewesen, als ich, einer plötzlichen Eingebung folgend, mich nach meinem Verfolger umdrehte: Der Goldene Gorilla näherte sich der Brücke, immer noch auf seiner Steinkugel balancierend. In dem Moment, als sein improvisiertes Transportmittel von der Lava über den Rand der Klippe gespült wurde, nutzte er die ungeheure Kraft seiner gewaltigen Beine zu einem fantastischen Sprung, der ihn auf das Ende der Brücke katapultieren würde. Ich ahnte, welche Folgen das enorme Gewicht des aufschlagenden Affen für die fragile Brücke haben würden.
Gerade noch bekam ich eins der Seile zu fassen, die als Handlauf dienten, schon rissen die Halteseile mit einem krachenden Geräusch. Ich beschrieb einen Viertelkreis und klatschte mit der Brücke hart gegen die Felswand. Sofort begann ich, an den Sprossen der Brücke, nunmehr eine Leiter, hinauf zu klettern. Waagrecht oder senkrecht, diese letzten Yards würde ich auch noch überwinden.
Ein gutes Dutzend der fliegenden Piranhas attackierte mich, aber das Schicksal meines Kameraden N'dulu, der an dieser Stelle das erste unglückliche Opfer dieser verfluchten Expedition geworden war, würde ich nicht teilen. Der arme Kerl war in eine Schockstarre gefallen und mitten auf der Brücke stehen geblieben, gab damit den Mörderfischen Gelegenheit, zu Hunderten über ihn herzufallen und ihm bei lebendigem Leib das Fleisch von den Knochen zu nagen.
Ich aber mobilisierte so kurz vor dem Ziel ungeahnte Kräfte, in wenigen Sekunden hatte ich die Leiter erklommen, ohne mich groß um die Schmerzen zu kümmern, auch wenn jeder einzelne der Bisse sich wie ein Zimmermannsnagel in meinen Körper bohrte. Dann war ich oben, und als ob mir der Teufel mit seinem Mundgeruch die Seele hatte verbrühen wollen, schoß hinter mir eine gewaltige Wolke Wasserdampf hoch, gerade als ich meinen Fuß über den Rand der Felswand gezogen hatte. Ich stand nun auf der sicheren Seite des Abgrundes, aber wo war der Gorilla abgeblieben? Hatte er sein Ende auf dem Grunde des kochenden Flußes gefunden? Das heiße, gasförmige Wasser gestattete mir nur einen sehr kurzen Blick in die Tiefe, wenn ich nicht riskieren wollte, daß sich mir die Gesichtshaut in gegarten Streifen vom Schädel schälte, aber durch den Nebel konnte ich schemenhaft die Umrisse des Affen erkennen, er kletterte ebenfalls die Brücke hinauf, unbeeindruckt von der Temperatur des feuchten Todes, der ihn umschloß! Verfluchter Affe, konnte ihn denn nichts aufhalten?
Zu allem Überfluß ging nun auch noch ein schwerer Regen nieder, vielleicht ausgelöst durch den Ausbruch des Vulkans. Obwohl die Wassermassen, die der Himmel über mich ausgoß, mein Fortkommen erschwerten, war ich froh, daß keine Asche auf mich herabfiel. Offensichtlich blies ein starker Wind die Tonnen von Staub, die einst der Gipfel eines Berges gewesen waren, von mir fort, so daß ich zumindest nicht qualvoll ersticken würde.
Bald hatte ich die Stelle gefunden, bei der wir vor wenigen Tagen aus dem dichten Urwald gebrochen waren. Etwa zweihundert Yards hinter mir konnte ich den Umriß des Goldenen Gorillas erkennen, der wegen seines hohen Gewichtes in dem matschigen Boden offenbar nur langsam vorwärts kam. Trotzdem wollte ich keinen Zoll Vorsprung verschenken und schlüpfte ins Gebüsch, dem Pfad folgend, den wir auf dem Hinweg mit unseren Macheten so mühsam freigelegt hatten. Ich hatte nur wenige Schritte getan, als ich ausglitt und einige Yards den Hang hinunter rutschte, bis ich unsanft von einem Baum gebremst wurde. Sofort rappelte ich mich wieder hoch und lief weiter, aber auf der nassen Erde fand ich nur wenig Halt. Alle paar Yards landete ich auf meinem Hosenboden oder auf meiner Nase, jedesmal schlidderte ich eine größere Distanz, als ich vorher auf meinen Beinen zurückgelegt hatte. Schließlich stand ich nicht wieder auf, sondern versuchte, die Rutschpartie durch Abstoßen mit Händen und Füßen zu verlängern. Bald rutschte ich auf meinem Steiß so schnell und geschickt wie ein begabter Rodler zwischen den Bäumen hindurch.
Das Geräusch berstenden Holzes, das in meinem Rücken immer näher kam, verhieß nichts Gutes. Ein kurzer Blick über meine Schulter bestätigte meine Befürchtungen: Der Goldene Gorilla tat es mir nach, rutschte mir auf seiner Kehrseite hinterher, mit dem Unterschied, daß er kleinere Bäume, die für mich einen abrupten Halt bedeutet hätten, mit dem Schwung seiner enormen Masse niederwalzte, als wären es Gänseblümchen. Unaufhaltsam holte der Koloß auf. Als er nur noch wenige Yards entfernt war, griff ich in letzter Sekunde nach dem tief hängenden Zweig eines Strauches und änderte dadurch die Richtung meiner Abfahrt für den Affen völlig unerwartet. Er schoß an mir vorbei, mit seiner Pranke versuchte er noch, nach mir zu greifen und verfehlte mich nur um wenige Inches. Nur mühsam konnte er die Geschwindigkeit verringern und die Richtung korrigieren, während ich mich erneut daran machte, den Hang hinunter zu rutschen, diesmal allerdings in einiger Entfernung von meinem Verfolger.
Die Rutschpartie dauerte nicht mehr lange, dann spürte ich wieder festeren Boden unter meinen Füßen. Ich hatte Glück gehabt, ich war nur ein paar hundert Yards von unserem Lager entfernt. Unsere Pinasse war zum Greifen nahe und damit die Chance, ein paar Meilen Wasser zwischen mich und den Goldenen Gorilla zu bringen. Dahinten dümpelte es, ich brauchte nur die Leine zu kappen und schon wäre ich, schnell wie der Wind, von dieser verdammten Insel verschwunden.
Ich war gerade noch ein Dutzend Yards von meiner Rettung entfernt, als plötzlich mehrere Säulen Wasser nacheinander in die Höhe stiegen, immer näher zum hölzernen Rumpf des Bootes wandernd. Schließlich ein Krachen, ein Gurgeln drang aus dem Rumpf; als er nach wenigen Sekunden den sandigen Grund der Lagune berührte, ragte nur noch die Mastspitze aus dem Wasser. Fassungslos sah ich meiner letzten Hoffnung beim Sinken zu, bis ich hinter mir das triumphierende Gebrüll des Affen hörte. Ich fuhr herum und sah ihn in fünfzig Yards Entfernung stehen, immer noch ein paar Felsbrocken in der Hand, jeder davon so groß wie mein Kopf. Das verdammte Biest hatte die Pinasse versenkt mit seinem steinernen Sperrfeuer.
In diesem Moment wich alle Furcht von mir. Ohne jede Möglichkeit, meine Flucht weiter fort zu setzen, den Tod vor Augen, loderte grimmiger Fatalismus in mir auf: Ich war fest entschlossen, den Gorilla, der mein Schicksal so vergewaltigt hatte, mit ins Jenseits zu nehmen. In der Grotte am Strand hatten wir einen Teil unserer Ausrüstung zurückgelassen und in einem der Rucksäcke wartete eine besondere Überraschung für meinen Freund mit dem güldenen Pelz. Ich stürmte zu der Höhle, der Gorilla brach seinen Siegestanz ab und rannte mir hinterher. Verdammt, welcher der Säcke war es? Erst im dritten fand ich, was ich suchte, der Affe stand schon im Eingang der Höhle und starrte mich mit funkelnder Genugtuung an. Dann bewegte er sich langsam auf mich zu, er wußte genau, daß ich ihm nicht mehr entkommen konnte.
Ich zog das Dynamit aus dem Rucksack und zündete eine Stange an, völlig ruhig, ohne auch nur im Geringsten zu zittern. Vielleicht würde die Explosion den Gorilla nicht töten, aber der Einsturz der Grotte würde ihn unter Tonnen von Felsen begraben, mit mir als seinem toten Wächter.
Der Gorilla blieb stehen, so etwas wie die funkensprühende Lunte hatte er offenbar noch nicht gesehen. Ich lächelte ihn an, gleich war es vorbei, so oder so. Mit einer lässigen Bewegung warf ich die Dynamitstange zu dem Affen, gerade so, wie ich einem Pagen einen Penny zuwerfen würde. Ich hatte bis zur letzten Sekunde gewartet, der Sprengstoff würde sofort explodieren. Der Gorilla hielt die Hand hin, fing die Stange. Das Dynamit detonierte. Der Gorilla öffnete seine Pranke wieder, ein graues Wölkchen stieg von seiner geschwärzten Handfläche auf.
Mir stand der Verstand still, mir war alles gleich. Sollte er mich doch zu Brei schlagen, was konnte ich schon gegen ihn ausrichten? Gewehrkugeln, Monsterspinnen, glühende Lava, kochender Wasserdampf, Dynamit, nichts hatte ihn aufhalten können. Der Affe baute sich vor mir auf, seine Waden hatten den Umfang meines Brustkorbes. Er holte mit seiner Pranke aus, um seiner Beute den Fangschuß zu geben, in der nächsten Sekunde würde sich mein Kopf in eine Wolke von Blutstropfen, Knochensplittern und Gehirnfetzen verwandeln. Da stupste der Goldene Gorilla mich mit seinem Zeigefinger sanft an die Schulter und sagte: "Tupp! Du bist!"